| Bohrsches Postulat, Materiewellen,
Unschärferelation: Alles hing irgendwie zusammen, beantwortete bisher ungelöste Fragen, gab sogar - durch
das Experiment überprüft - quantitativ richtige Antworten auf einige Fragen - aber letztlich war das alles
nur Stückwerk, es fehlte der große theoretische Überbau. |
 | 1925 erschien das "Dreimännerwerk": Werner Heisenberg, Max Born und Pascal Jordan
"erfanden" (oder "fanden"?) und
veröffentlichten eine konsistente mathematische Theorie der Welt der Atome, die Quantenmechanik. |
|  | Ihr mathematisches Gerüst beruhte auf der (den Physikern damals fremdartigen) Matrixalgebra. |
|  | Wolfgang Pauli zeigte dann, daß die Bohrsche Version des Wasserstoffatom ganz organisch
(wenn auch mit beträchtlichem mathematischem Aufwand) in der neuen Quantemechanik steckte. Der Durchbruch war
erreicht. Doch die algebraische Quantenmechanik war schwer und unanschaulich. |
 | Aber gleich darauf, 1926, brachte Erwin Schrödinger die Quantentheorie in die gebräuchlichste Form, ausgedrückt in einer (den
Physikern geläufigen) partiellen Differentialgleichung vom Typus einer Wellengleichung, eben der berühmten Schrödingergleichung . |
|  | Kurz danach konnte er auch zeigen - was durchaus nicht offensichtlich ist - daß die
Heisenbergsche Matrizen-Quantenmechanik und seine Wellengleichung exakt dasselbe beschrieben, lediglich in anderer
(mathematischer) Sprache. |
 | Lösungen der
Schrödingergleichung führten zu exakt denselben Energien der Elektronen des Wasserstoffatoms, die schon Bohr
erhielt - aber die Schrödingergleichung war ein neues Axiom, ein neues universelles
Naturgesetz, und nicht nur eine Erweiterung der klassischen Mechanik mit künstlichen
Quantenbedingungen. |
|  | Sie war universell anwendbar und nicht auf das Wasserstoffatom beschränkt. |
|  | Die Schrödingergleichung verleiht allen Teilchen (auch großen) Welleneigenschaften. Das Problem des Wasserstoffatoms
reduziert sich auf das Auffinden der Lösungen, die für das gegebene Potential die möglichen
(dreidimensionalen) stehenden Wellen beschreiben. Mathematisch ist das nahezu
identisch mit der Berechnung stehender akkustischer Wellen in einem kugelförmigen Resonator - schwierig, aber
nichts besonderes. |
|  | Stehende Wellen müssen es
sein, denn "laufende" Wellen würden ja bedeuten, daß das Atom auseinanderfließt. |
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Das große Problem war und ist aber: Was exakt "wellt"? In der
Schrödingergleichung ist es einfach ein neuer mathematischer Begriff, die Wellenfunktion y(r) des Teilchens
(oder, bei mehreren Teilchen mit den Ortsvektoren r1, r2,
...ri dann die Wellenfunktion y(r1,
r2, ...r i) des Systems). |
|  | Strikt mathematisch gesehen, ist y(r ) irgendeine Funktion. Physikalisch gesehen muß y( r ) aber "irgendwie" das physikalische System beschreiben, für
das wir die Schrödingergleichung aufgestellt und gelöst haben. Und eine physikalische Beschreibung
heißt immer, daß wir ausrechnen können, was wir in einem
Experiment messen werden. |
|  | In y(r) müssen also messbare Dinge - Ort, Impuls,
Energie, usw. - codiert sein, wenn es physikalisch signifikant sein soll. |
| Widmen wir uns also den Eigenschaften der Wellenfunktion y(r). Ein erster Stolperstein beim Versuch zu verstehen was y(r) darstellt ist die Tatsache, daß y(r) in der Regel eine komplexe
Größe ist - das gab es in der Physik bisher nicht! |
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 | Aufpassen! Die Tatsache, daß man
auch in der klassischen Physik mit Hilfe der Eulerbeziehung gelegentlich komplex rechnet um mathematisch eleganter vorgehen zu können, bedeutet nicht, daß die behandelten Größen selbst komplex sind. Im Zweifel ist immer
nur der Realteil gemeint! Dies gilt insbesondere bei der Behandlung des Wechselstroms in der Elektrotechnik, aber auch z.B. bei der Behandlung von klassischer
Interferenz. |
 | Mit einer intrinsisch oder inherent
komplexen Wellenfunktion als Beschreibung einer physikalischen Realität erfolgt also ein kompletter Bruch sowohl
mit der klassischen Physik, als auch mit der herkömmlichen Betrachtung der
Natur, der Naturphilosophie oder Metaphysik. |
|  | Da wir keine imaginären messbaren
Größen kennen, folgt sofort, daß die Wellenfunktion eine höhere Abstraktionsebene darstellt als
die gewohnten meßbaren physikalischen Größen. Sie kann also nicht direkt gemessen werden, sondern
muß die gewünschte Information "codiert" enthalten. |
|  | Die Schrödingergleichung ist damit erstmals in der Physik eine Gleichung für eine abstrakte Größe, eine Größe die nicht mehr direkt gemessen werden
kann, und die damit den menschlichen Sinnen unzugänglich bleibt. Denn nur was sich über ein (noch so
kompliziertes) Meßgerät in eine Größe transformiert, die der Mensch sehen, hören,
fühlen, schmecken oder riechen kann, betrachten wir als real, als unmittelbar
existent. |
|  | Die Diskussion über die
"wirkliche" Bedeutung der Wellenfunktion hält an. Gerade jetzt lebt sie wieder auf; ein Blick auf die
in den letzten Jahren veröffentlichten populärwissenschaftlichen Bücher zum Thema - meistens von Physik
Nobelpreisträgern - zeigt dies ganz plastisch. |
 | Obwohl es
ungeheuer reizvoll sein kann, sich mit dieser Thematik zu beschäftigen - es handelt sich letzlich um eine der
wenigen ganz großen intellektuellen Herausforderungen, die sich der Wissenschaft noch stellen (eine andere
Herausforderung dieser Größenordnung ist z.B. die Frage nach der "Natur" des Bewußtseins
(Was ist Leben, insbesondere bewußtes Leben?)) - müssen
wir uns im Rahmen der Einführung in die Materialwissenschaft darum nicht kümmern. Wir nehmen einfach nur
folgenden Satz zur Kenntnis: |
| |
Das Betragsquadrat |y(r)|2 der Wellenfunktion y(r) eines Teilchens an einem gegebenen Ort r =
(x,y,z) ist ein Maß für die Wahrscheinlichkeit, daß das betrachtete Teilchen an diesem
Ort zu finden ist. |
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| Diese Aussage, die wir hier einfach als eine Art Axiom hinnehmen, gilt
es nun mathematisch auszudrücken: |
| |
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|  | Den Ort definieren als ein differentielles
Volumenelement dV ; also als ein Würfelchen mit einer Ecke bei der betrachteten Koordinate
(x,y,z) und der Kantenlänge dx, dy, dz. |
|  | Am Ort (x,y,z) hat die Wellenfunktion
den (komplexen) Wert y(x,y,z). |
| | Das Betragsquadrat der Wellenfunktion ist gegeben durch |
| |
Betragsquadrat | = | y(x,y,z ) · y*(x,y,z) |
|
|
|  | d.h. der komplexe Wert der Funktion an der
Stelle (x,y,z) multipliziert mit dem konjugiert komplexen Wert
y*(x,y,z) . Es ist damit schlicht der Betrag der komplexen Zahl, machmal auch Modul genannt. |
|  | Die Wahrscheinlichkeit w(x,y,z), das Teilchen im betrachteten Volumenelement
dV = dxdydz zu finden, ist dann proportional zur Größe des
Volumenelements und es gilt |
| |
w(x,yz) | = | y(x,y,z) · y*(x,y,z) ·
dxdydz | | | | w(x,yz)
dV | = | y (x,y,z) · y*(x,y,z) |
|
|
 | Dies bedeutet, daß das
Betragsquadrat der Wellenfunktion eine "Wahrscheinlichkeits dichte" dafür ist, das betrachtete Teilchen bei der gewählten
Koordinate zu finden. |
|  | Man nennt
w(x,y,z) auch die Aufenthaltswahrscheinlichkeit
des Teilchens am Ort (x,y,z); d.h. man läßt das "....dichte " weg, da jeder und jede weiß was gemeint ist und
"Aufenthaltswahrscheinlichkeitsdichte" ja auch nicht unbedingt zu den schönsten deutschen Wörtern
zählen würde. |
 | Da die Wahrscheinlichkeit w, das Teilchen irgendwo in
einem beliebig großen Volumen zu finden immer w = 1 sein
muß, gilt grundsätzlich eine Normierungsbedingung der Form |
| |
+¥ ó
õ – ¥ | +¥ ó õ –¥ | +¥ ó õ –¥ | y(x,y,z) · y *(x,y,z) · dxdydz = 1 |
|
|
 | Die Schrödingergleichung bestimmt nun
die Wellenfunktion y für das betrachtete
System. In ihrer allgemeinsten Form ist sie eine lineare partielle Differentialgleichung
2. Ordnung für die Variablen Ort und Zeit der Wellenfunktion y(x,y,z,t). Wir werden sie
im 2. Teil, der Einführung in die
Materialwissenschaft II, in dieser allgemeinsten Form der zeitabhängigen Schrödingergleichung kennenlernen. |
|  | Wenn man die Differentialgleichung löst,
erhält man die Wellenfunktion für das betrachtete Problem und weiß damit, mit welcher
Wahrscheinlichkeit sich die betrachteten Teilchen wo befinden werden. |
 | Die
Wellenfunktion ist aber noch mehr. Sie enthält nämlich alle
Informationen über das betrachtete Teilchen oder System. Man kann diese Informationen über spezielle
mathematische Manipulationen der Wellenfunktion erhalten; das ist für uns an dieser Stelle aber nicht wichtig.
Wer aber aus Neugier gern mehr wissen will, soll Kapitel 16 (der 18. Auflage) im " Gerthsen" lesen. |
|  | Hier wollen wir uns die Aufgabe erleichtern, und nur Systeme betrachten, in denen sich zeitlich nichts
mehr ändert - die in sich ruhend zeitlich stationär sind. Ein Beispiel
dafür ist jedes beliebige Atom, das heute so vorliegt wie gestern und morgen und in alle Zukunft - sofern von
außen nicht eingegriffen wird. |
|  | Für diese stationären Zustände gibt es die vereinfachte, nämlich
zeitunabhängige Schrödingergleichung , in der die Zeit als Variable nicht
mehr vorkommt. |
|  | Die zeitunabhängige Schrödingergleichung für ein
Teilchen der Masse m lautet |
| |
– | 2
2m | æ ç è | ¶2y(x,y,z) ¶x 2 | + | ¶2 y(x,y,z) ¶y 2 | + | ¶ 2y (x,y,z) ¶ z2 |
ö ÷ ø | + |
æ è | U(x,y,z) – E | ö ø | · y(x,y,z ) = 0 |
|
|
|  | Dabei ist E die Gesamtenergie , i.d.R. also kinetische plus potentielle Energie, und U die potentielle Energie des betrachteten Systems; = "h
quer" = h/2p hatten wir schon. |
|  | Da der Energieerhaltungssatz auch in
der Quantenmechanik gilt, ist die Gesamtenergie
E eine feste Zahl, die nicht von den Koordinaten abhängt, während die potentielle Energie
U(x,y,z) natürlich eine beliebige Funktion der Koordinaten sein kann. |
 | Diese vergleichsweise simple Differentialgleichung hat ungeahnte Konsequenzen. Denn sie enthält in
ihrer vollen (zeitabhängigen) Form letztlich die Newtonschen Grundgleichungen, und, in einer erweiterten Form
(dann Dirac -Gleichung genannt), die Maxwell-Gleichungen inklusive der speziellen Relativitätstheorie ! |
|  | In anderen Worten: Sie ist eine der fundamentalsten Gleichungen der
Physik. |
|  | Mit der Schrödingergleichung wurde die gesamte
Chemie ein Untergebiet der Physik - wenigstens vom Prinzip her, wenn schon nicht in der Praxis, denn sie enthält
alles was man über Atome, Moleküle und ihre Reaktionen wissen kann - im Prinzip. |
|  | Wer der Schrödingergleichung hier das erste Mal begegnet, sollte den Link betätigen. |
 | Das einzige was wir hineinstecken, ist die
potentielle Energie des Teilchens, U(x,y,z). |
|  | Der Energieerhaltungssatz, der nach wie vor
gültig ist, sagt uns, daß die Gesamtenergie E konstant sein
muß! Wir kennen sie nur nicht - und das bedeutet, daß sie neben der Wellenfunktion y(x,y,z) aus der Lösung der Schrödingergleichung herauskommen muß. |
|  | Wie das Ganze "funktioniert", macht man
sich am besten an einem Beispiel klar: |
 | Wir stellen jetzt mal die
Schrödingergleichung für das Wasserstoffatom auf, oder, um ganz exakt zu sein, die Schrödingergleichung
für das Elektron des Wasserstoffatoms. |
|
 | Dabei muß nur für die potentielle Energie
U(r) des Elektrons im elektrischen Feld des Atomkerns (der eine pos. Elementarladung
trägt), also für das Potential des Elektrons, der richtige
Ausdruck eingesetzt werden. Er lautet |
| |
|
|  | wobei r den Abstand vom Atomkern
bezeichnet, d.h. |
| |
r = |r | | = | æ è | x2
+ y2 + z2 |
ö ø | 1/2 |
|
|
 | Die Schrödingergleichung lautet dann: |
| |
– | 2 2m | æ ç è | ¶2y(x,y,z ) ¶x2 | + | ¶2y (x,y,z) ¶y2 | + | ¶2y(x,y,z) ¶z 2 | ö ÷
ø | + | æ ç
è | e2 4pe 0
· r | – E | ö ÷ ø | · y(x,y,z) = 0 |
mit r = (x2 + y2 +
z2)1/2 |
|
 | Damit sind wir auf dieser Stufe vielleicht nicht mit unserem Latein, aber doch
mit unserer Mathematik am Ende, denn diese Gleichung können wir nicht so schnell lösen wie das für den
Fortgang der Vorlesung nötig wäre. Für die mathematisch Interessierten ist der Lösungsweg aber im
Link: Schrödingergleichung und Wasserstoffatom
beschrieben. |
 | Wir können aber einfach akzeptieren , daß diese Differentialgleichung bekannte Lösungen hat, die
wir im folgenden beschreiben. Zunächst stellen wir fest, daß es (unendlich)
viele Lösungen dieser Schrödinger-Gleichung für das Wasserstoffatom gibt, sie unterscheiden
sich in mindestens einer von drei Quantenzahlen,
die fester Bestandteil der Lösung sind. Diese drei Quantenzahlen haben Namen: |
|  | Hauptquantenzahl n = 1, 2, 3, ..., d.h. alle positiven natürlichen
Zahlen beginnend mit 1. |
|  | Nebenquantenzahl l = 0, 1, 2, 3, ..., (n – 1), d.h. alle
natürliche Zahlen sind erlaubt, die um 1 kleiner sind als n . |
|
| magnetische Quantenzahl m = l, l – 1, ..0,.., - l, d.h. alle ganzen Zahlen
zwischen – l and + l sind erlaubt. |
 | Dazu
kommt noch eine vierte Quantenzahl, die zwar nicht aus der
Schrödingergleichung "herauskommt", aber als eine Grundeigenschaft des Elektrons sich (trivial)
überlagert, die: |
|  | Spinquantenzahl s = +1/2 oder – 1/2 - unabhängig von allen
anderen Quantenzahlen |
 | s, wie gesagt, ist dabei nicht
eine aus der Lösung der Schrödingergleichung abfallende Quantenzahl, sondern kommt von der fundamentalen
Eigenschaft des Elektrons, wie auch aller anderen Elementarteilchen,
einen Spin zu haben - wir werden das in Kürze
näher betrachten. |
|  | Jede der obigen
Lösungen gilt für jede der beiden möglichen Spinquantenzahlen s - damit verdoppelt sich
schlicht die Lösungsmannigfaltigkeit. Um zwischen den beiden Spinquantenzahlen zu unterscheiden malt man gerne
ein Pfeilchen "rauf" oder "runter" sobald man in bildliche Darstellungen geht. |
|  | Für Puristen sei angedeutet: Nimmt man statt der
hier dargestellten Schrödingergleichung die oben schon erwähnte
erweiterte Form der Dirac Gleichung, ist auch der Spin in der Grundgleichung enthalten. |
 | Ein konkreter Satz Quantenzahlen beschreibt damit einen der möglichen Zustände des Systems. Weiterhin ergibt sich für jede der durch einen Satz Quantenzahlen
definierten möglichen Lösungen oder, einfacher gesagt, für jeden Zustand,
eine bestimmte Gesamtenergie E. Damit erhalten wir das
Lösungsschema: |
| |
Lösungen: | | y = yn, l, m,
s(x,y,z) | | | | Zugehörige Energien: | | E = En, l, m, s |
|
|
© H. Föll (MaWi 1 Skript)