2.1.2 Frühe Atommodelle: Bohr und de Broglie

Bohrsches Atommodell

Niels Bohr postulierte 1913 ein "Axiom", das dazu führt, daß es einige wenige stabile Bahnen des Elektrons um den Atomkern gibt, d.h. Bahnen, auf denen das Elektron keine Energie verliert. Zu jeder dieser erlaubten Bahnen gehört eine bestimmte konstante Gesamtenergie, die sich als Summe der kinetischen und der potentiellen Energie des Elektrons ausdrücken läßt.
Als unmittelbare logische Konsequenz ergibt sich, daß ein Elektron auf einer der nicht erlaubten und damit nicht stabilen Bahnen sich sofort auf die energetisch nächst niedrige erlaubte Bahn begibt, und dabei seine Überschußenergie als elektromagnetische Welle abstrahlt.
Da damit alle Elektronen sich ganz schnell nur noch auf erlaubten Bahnen befinden, kann Energieabgabe oder Energieaufnahme der Elektronen eines Atoms nur noch in Quanten erfolgen, die der Differenz der Energie zweier erlaubten Bahnen entspricht.
Die entscheidende Frage ist deshalb die Frage nach dem neuen Axiom, dem Auswahlprinzip, dem Kriterium, das erlaubte und nicht erlaubte Bahnen unterscheidet.
Die klassiche Physik liefert dazu keine Aussage; bei Planeten ist z.B. jede Bahn erlaubt.
Das Bohrsche Axiom oder Postulat nimmt als entscheidenden Größe den Drehimpuls D des Elektrons, D = m · v · r (mit m = Masse, v = Geschwindigkeit und r = Radius der Bahn). Nicht mehr alle Drehimpulse sind erlaubt, sondern nur noch ganz bestimmte. Das Auswahlkriterium oder die Bohrsche Quantenbedingung, die Bohr für die Drehimpulse wählte, heißt
m · v · r  =  n · h
2p
 = n ·  
Mit n = 1, 2, 3, 4, ... h = Plancksches Wirkungsquantum = 6,626 · 10–34 Js und = "h quer" als Abkürzung für dem sehr häufig auftretenden Ausdruck h/2p
Bohr hat, in anderen Worten, den Drehimpuls gequantelt. Warum er den Drehimpuls, und nicht z.B. den Radius, eine Energie (kinetische, potentielle, gesamte) oder den linearen Impuls genommen hat, ist kein Geheimnis, denn nur mit dem Drehimpuls "funktioniert" das Ganze. Was Bohr wirklich gemacht hat, ist im übrigen noch ein bißchen komplizierter, führt dann aber schnurstracks auf die obigen Beziehungen.
Die Zahl n ist eine "Quantenzahl". Sie bestimmt letztlich, daß nur bestimmte Werte des Drehimpulses vorkommen können.
Das Plancksche Wirkungsquantum (immer mit h abgekürzt) ist eine der ganz fundamentalen Naturkonstanten; in ihrer Bedeutung nur vergleichbar der Lichtgeschwindigkeit c, der Elementarladung e, der Boltzmannkonstante k und der Gravitationskonstanten G.
Das Wirkungsquantum tauchte 1900 zum erstenmal auf, als Max Planck es in seinem berühmten Strahlungsgesetz erstmals einführte. Es hat die Dimension einer "Wirkung", d.h. Arbeit · Zeit.
Mit der Plancksche Quantenbedingung für den Drehimpuls können wir - zumindest für ein hypothetisches Atom mit z positiven Ladungen in Kern und nur einem Elektron - zwei Gleichungen formulieren, deren Lösungen alles enthalten, was am Wasserstoffatom, am einfach ionisierten He Atom, usw., leicht beobachtbar ist. Es sind dies:
1. Die Bohrsche Quantenbedingung von oben.
1. Das Kräftegleichgewicht (Coulomb- Wechselwirkung zwischen Atomkern und Elektron = Zentrifugalkraft).
Damit haben wir die folgenden zwei Gleichungen für die zwei Unbekannten v und r. Das Bild gibt die Modellvorstellung wieder, die wir aber gleich wieder vergessen wollen, das sie viel zu einfach, um nicht zu sagen schlicht falsch ist.
m · v · r  =  n · h
2p

z · e2
4p · e0 · r2
 =  m · v2
r 
Bohr Atommodell
Damit lassen sich die folgenden Größen leicht berechnen (in einer Übung).
  • Der Radius r für die erlaubten Quantenzahlen n.
  • Daraus die potentielle Energie Upot = – z · e2/ 4pe0 · r.
  • Die Geschwindigkeit v für die erlaubten Quantenzahlen n.
  • Daraus die kinetische Energie Ekin = ½ m · v2.
  • Und zum Schluß noch die Gesamtenergie EGes = Ekin + Upot.
Außerdem folgt ein Prinzip dieser Vorlesung:
Wir lernen hier nicht rechnen, sondern Materialwissenschaft. Wie man auf die erforderlichen Beziehungen kommt, nachdem die notwendigen Formeln bekannt sind, überlassen wir i.a. den Übungen.
Betrachten wir jetzt r = r(n) = rn; für n = 1 ergibt sich der kleinste erlaubte Bahnradius zu
r1 = 0,529 · 10–8 cm = 0,529 Å.
Wir verwenden hier erstmals einen kleinen Trick zur besseren Übersichtlichkeit: Wir schreiben die Quantenzahl nicht als Variable, sondern als Index an die betrachtete Funktion. Letztlich sind die Quantenzahlen ja auch so was wir eine Art Numerierung der möglichen Lösungen des Gleichungssystems.
Für n = 2 ergibt sich der vierfache Radius, für n = 3 der neunfache, usw.
Die potentielle Energie ist immer doppelt so groß wie die kinetische Energie (siehe die Übungsaufgabe); für die Gesamtenergie E ergibt sich
En  =  – z2 · e4 · m
8 · e02 · h2
· 1
n2
  =  – 13,6 · z2
n2
[eV]
Das Minuszeichen berücksichtigt, daß das Elektron gebunden ist, d.h. daß Energie in das System hineingesteckt werden muß um das Elektron abzutrennen, d.h. ins Unendliche zu befördern.
Dazu machen wir jetzt die angekündigte Übung
Übung 2.1-2
Zeige, daß obige und nachfolgende Beziehungen aus der Bohrschen Quantenbedingung folgen
Ein Wasserstoffatom kann also nur Energien absorbieren und dann wieder abgeben, die der Differenz der Energien zweier erlaubten Bahnen mit Quantenzahlen n und n' entsprechen.
Die Formel dafür lautet .
DE  =  – z2 · e4 · m 
8 · e02 · h2
· æ
ç
è
1
n2
 –   1
n' 2
ö
÷
ø
Da bei einem angeregten Atom - also einem Atom, das durch Energiezufuhr von außen sein Elektron nicht auf der energetisch niedrigsten Bahn hat - beim Sprung des Elektrons von der Bahn mit der Quantenzahl n' auf die Bahn mit der Quantenzahl n die Energie als ein "Lichtteilchen", als ein Photon, frei wird, kann man messen, ob das Bohrsche Modell stimmt.
Dazu muß man nur nachschauen, bei welchen Frequenzen im elektromagnetischen Spektrum Wasserstoff seine Emissionslinien hat. In anderen Worten: Man vergleicht das Spektrum von Wasserstoff, das längst vor der Bohrschen Theorie beobachtet und gemessen wurde, mit der obigen Formel.
Dazu braucht man aber noch folgende, aus dem Planckschen Strahlungsgesetz stammende Beziehung zwischen Frequenz n und Energie E(n) eines Photons:
E(Photon)  =  h · n  =   h · c
l
Mit n = Frequenz des Lichtes bzw. Photons, c = Lichtgeschwindigkeit im Vakuum = 299 792,458 kms–1, l = Wellenlänge.
Der Vergleich der gemessenen Spektren mit der Vorhersage des Modells war ein Triumph für Bohr: Theorie und Experiment stimmten bis zur 5. Stelle überein! Die Physik hatte eine Sensation, wie sie noch nie dagewesen war. Ein Vergleich zwischen Theorie und Experiment anhand des "Balmer-Spektrums" des Wasserstoffs ist im Link gezeigt.
Damit war klar, daß das Bohrsche Atommodell zumindest einen Teil der Wahrheit umfaßte, auch wenn das Quantenpostulat völlig künstlich erschien.
Leider lieferte es nur beim Wasserstoffatom oder bei Ionen mit nur einem Elektron richtige Werte. Erweiterungen wurden zwar versucht (insbesondere von A. Sommerfeld), blieben aber letztlich nur Stückwerk.
Bohr war auf dem richtigen Weg, soviel war klar. Aber das Problem der internen Struktur der Atome, so viel war auch schnell klar, konnte durch ad hoc Quantisierungsbedingungen nicht wirklich gelöst werden.
 
Louis de Broglie und "Materiewellen"
   
Der nächste entscheidende Schritt kam 1923 von Prinz (!) Louis de Broglie. Diesem französischem Physiker ließen die Bohrschen Quantenzahlen keine Ruhe.
In der klassischen Physik kannte man ähnliches nur von Eigenschwingungen; z.B. kann eine schwingende Saite der Länge l nur Wellenlängen erzeugen, die mit l/2n; n = 1,2,3,..., beschrieben werden können; d.h. die Saitenlänge ist immer ein ganzzahliges Vielfaches der Wellenlängen der Saitenschwingungen. War hier eine Analogie verborgen, die ausbaufähig war? Hatte das Elektron - ein Teilchen wohlgemerkt - etwa auch Eigenschaften, die man sonst nur Wellen zuschrieb?
Auf der anderen Seite wußte de Broglie auch - oder besser, er glaubte es - daß unbestrittene Wellen, insbesondere die Lichtwellen, sich gelegentlich wie Teilchen benehmen. Damit hatte Albert Einstein 1905 den photoelektrischen Effekt erklärt (dafür, nicht für die Relativitätstheorie, hat er dann den Nobelpreis bekommen!). Geglaubt hat ihm das aber niemand so richtig; erst 1923, als Arthur Compton den nach ihm benannten Compton-Effekt entdeckte, der die Teilcheneigenschaften von Wellen überzeugend demonstrierte, gewöhnte man sich allmählich an diesen Gedanken.
Wenn Wellen sich manchmal wie Teilchen benehmen, oder besser ausgedrückt, immer auch Teilcheneigenschaften haben, dann könnte die umgedrehte Aussage vielleicht ja auch richtig sein: Teilchen haben auch Welleneigenschaften! (Achtung! Dies ist eine andere Aussage als der oft gehörte Spruch: "Teilchen sind Wellen"). 1923 formulierte de Broglie diesen Gedanken in mathematischer Strenge. Die weltbewegende Gleichung dazu lautet
l  =  h
p
Mit p = Impuls des Teilchens, h = Plancksches Wirkungsquantum, l = Wellenlänge
In Worten sagt die de Broglie Beziehung, daß ein Teilchen mit dem Impuls p die Wellenlänge l = h/p hat, wenn man seine Welleneigenschaften betrachtet. Die Gleichung sagt nicht, daß ein Teilchen eine Welle ist!
Wie kommt man auf die de Broglie Beziehung? Nur mit Hilfe radikaler Gedanken und der Relativitätstheorie. Wir wollen uns hier aber nicht mit der Ableitung beschäftigen, sondern feststellen, daß die de Broglieschen Materiewellen, obgleich ein radikaler Bruch mit der klassischen Physik (und eine unlösbare Anforderung an das Vorstellungsvermögen), zwanglos eine elegante Erklärung des Bohrschen Quantenpostulats liefern.
Denn projeziert man eine Welle mit der richtigen Wellenlänge auf eine der erlaubten Bohrschen Bahnen, sieht man, daß sie genau paßt, d.h. es gilt die Beziehung
2 · p · r  =  Umfang der Elektronenbahn  =  n · ln
Dabei muß man etwas aufpassen! l ist an den Impuls gekoppelt und hat deshalb für jedes n einen anderen Zahlenwert.
Man erhält daraus sofort mvr = nh/2p - das ist die Bohrsche Quantenbedingung!
Wir wollen uns dies mal bildlich verdeutlichen und die 3 ersten Bohrschen Bahnen mit Radius 1, 4, 9 (durchgezogene Linien) und entprechende stehende Wellen mit 1, 2, 3 Wellenlängen (gestrichelt) maßstäblich zeichnen. Das sieht ungefähr so aus:
Stehende Wellen inH - Atom
Die entscheidenden Frage ist, was da eigentlich "wellt". Die fast zwanghaft sich einstellende Vorstellung, daß da irgendwas - ein Kügelchen zum Beispiel - sich entlang der gewellten Linie bewegt ist genauso falsch, wie die Vorstellung, daß sich überhaupt etwas kleineres als die gesamte gezeichnete Materiewelle bewegt. Das Elektron ist die "Welle"! Die gesamte Welle, nicht nur ein im Kreis laufendes Teil davon!
Akzeptiert man für einen Moment das Materiewellenpostulat, kann man sofort eine Reihe von Fragen stellen und Vorhersagen machen, die ziemlich fremdartig erscheinen; z.B.
Das wesentliche Spezifikum bei Wellen ist, daß sie Interferenzeffekte ermöglichen: Zwei Wellen können sich gegenseitig verstärken oder - wenn ihre Phase um 180o verschoben ist - komplett auslöschen. Damit zusammen hängt das Phänomen der Beugung - Wellen laufen gelegentlich um die Ecke.
Frage 1 also: Sieht man Beugungs- und Interenzeffekte auch bei Teilchen?
Frage 2: Wo ist eigentlich das Teilchen lokalisiert? Eine Welle ist notwendigerweise ausgedehnt, sie kann an einem mathematischen Punkt nicht definiert werden (oder nur wenn man akzeptiert, daß dann die Wellenlänge (und damit der Impuls nach de Broglie) einen beliebigen Wert haben kann).
Wellen beziehen sich auf "etwas", das dann eine Amplitude hat, die sich n mal pro Sekunde vom Maximum zum Minimum und zurück ändert. Bei Schallwellen ist dieses "etwas" der Luftdruck, bei elektromagnetischen Wellen das elektrische und magnetische Feld, bei Wasserwellen die Höhe über "Normalnull" oder die Geschwindigkeit der Wasser"teilchen".
Damit kommen wir zu Frage 3: Was ist dieses "etwas", das sich mit irgendeiner Amplitude periodisch ändert, bei Materiewellen?
Fragen ist einfach (und die Domäne der sog. "Geisteswissenschaften"); antworten ist schwer (und die Domäne der Naturwissenschaften).
Aber manche Fragen kann man gar nicht beantworten, denn sie sind falsch gestellt. Hier ein paar Beispiele, als Antworten sind nur "Ja" oder "Nein" zugelassen;:
  • Schlagen sie ihre Freudin immer noch?
  • Diese Aussage ist falsch. Stimmt das?
  • Sind Elektronen nur dann grün, wenn sie nicht gelb sind?
Diese Fragen beziehen sich auf ein nicht existierendes Umfeld oder sind selbstrekursiv; Ja - Nein Antworten sind sinnlos.
Unsere Frage 3 von oben ist ebenfalls nicht direkt beantwortbar. Eine Antwort, die im Rahmen der Gedankenwelt der klassischen Physik bleibt, gibt es nicht. Im Rahmen der klassischen Physik, die wir nur um die de Broglie Gleichung erweitern, ist die Frage sinnlos.
Wir sollten uns aber daran gewöhnen, daß die Nichtbeantwortbarkeit von sinnlosen Fragen auch dann kein Problem darstellt, wenn viele sogenannte "Denker" die Sinnlosigkeit mancher Fragen nicht erkennen. Eine Antwort erhält man dann eben nur, wenn man das alte System verläßt und etwas "Neues" denkt. Und genau das werden wir im folgenden tun.
   

Heisenbergsche Unschärferelation

 
Bevor wir zu den Antworten kommen, vergegenwärtigen wir uns das Umfeld der Fragen:
Das Grundprinzip ist zunächst, daß nur in der Welt des Allerkleinsten - bei uns das Elektron - die Welleneigenschaften der Materie überhaupt zum Tragen kommen. Bei größeren Objekten sind die Welleneigenschaften zwar auch da, aber wirken sich nicht aus, da sie sich in winzigsten Dimensionen abspielen.
Schauen wir uns jetzt die obigen Fragen genauer an:
Zur ersten Frage: Würde man Beugungsexperimente mit Atomen machen - an irgendeinem Analogon zu einem optischen Gitter - würde man in der Tat Interferenzeffekte sehen.
Wir müssen aber nicht den Konjunktiv bemühen - man hat die Experimente gemacht und die Beugungseffekte gesehen! Allerdings sind bei Atomen die Beugungsmaxima und Minima so dicht beieinander, daß man schon sehr genau hinsehen muß, um den Effekt zu bemerken.
Mit Elektronen ist es einfacher - ihre Wellenlänge ist wegen der kleineren Masse größer. Die Herren Davisson und Germer haben das 1927 erstmals demonstriert und dafür den Nobelpreis bekommen - ein Beispiel für Elektronenbeugung am Gitter eines Kristalls findet sich im Link.
Unheimlich und ungewohnt ist dabei, daß das Elektron als Welle nicht etwa mit anderen Elektronen, die "vorbeigeflogen" kommen interferiert, sondern mit sich selbst! Wer sich hier etwas tiefer informieren will, aber nicht den mathematischen und gedanklichen Ballast der theoretischen Physik erträgt, dem sei Feynmans Büchlein "QED" wärmsten empfohlen!
Die zweite Frage hat es in sich: Man kann es drehen und wenden wie man will - man kann nicht gleichzeitig über den exakten Ort eines Teilchens reden und über seine Wellenlänge, oder, nach de Broglie damit gleichbedeutend, seinen Impuls.
Entweder kennt man eine Bestimmungsgröße exakt - dann weiß man nichts über die andere, oder man kennt beide nur so ungefähr. Dies führt sofort zur berühmten Heisenbergschen Unschärferelation, die es wert ist, groß aufgeschrieben zu werden
Dx · Dpx  ³  h
Dabei ist Dx die "Ortsunschärfe", also das Intervall auf der x-Achse auf der sich das Teilchen irgendwo befindet, und Dpx ist die entsprechende "Impulsunschärfe" in x-Richtung.
Auch die Heisenbergsche Unschärferelation verhindert, nebenbei bemerkt, daß ein Elektron sich in den Kern stürzen kann. Denn dann wäre seine Ortsunschärfe durch den Kerndurchmesser gegeben; die resultierende Impulsunschärfe ist so groß, daß es sofort wieder herausfliegen würde!
Die dritte Frage, was denn da "wellt", oder genauer gesagt, was denn eine Amplitude besitzt, ist vielleicht die schwierigste. Denn die Antwort darauf trägt nicht nur die klassische Physik endgültig zu Grabe (mit Wellen hätte sie noch so halbwegs leben können), sondern stellte und stellt die Philosophie vor noch immer unbewältigte Herausforderungen.
Denn eine Antwort ist nur möglich wenn wir ein neues Paradigma einführen, eine neue Weltanschauung, etwas gänzlich Unerhörtes, etwas universell Neues:
Das Universum kann prinzipiell nur statistisch beschrieben werden.
Es gibt nur noch Wahrscheinlichkeiten, keine Gewißheit mehr.
Das heißt: Bei immer absolut gleichen Voraussetzungen eines physikalischen Experiments (zumindest gedanklich immer machbar) - sei das Experiment die Schöpfung des Universums oder der Durchgang eines Elektrons durch eine dünne Folie - wird damit der Ausgang des Experiments bei jeder Wiederholung prinzipiell anders aussehen - nur statistische Aussagen über z.B. Mittelwerte sind möglich! Wer hier tiefer einsteigen will, sei auf eine wachsende Liste populärwissenschaftlicher Bücher namhafter Autoren - meistens Nobelpreisträger - verwiesen.
Erste Reaktion: Das ist doch Schwachsinn! Die Physik lebt doch davon, dass der Ausgang von Experimenten auf x Stellen hinter dem Komma vorhersagbar ist - jedesmal; siehe oben!
Erste Antwort: Schon wahr. Aber auch der Ausgang "rein statistischer" Experimente ist oft mit extremer Genauigkeit vorhersagbar: Beispiel: Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, mit 1.000.000 Würfeln die Zahl 1.000.000 oder 6.000.000 zu würfeln? Einfach: 1/ 61.000.000; oder 0.00000.., d.h. eine Zahl mit ziemlich viel bekannten Stellen hinter dem Komma.
Jetzt zur Antwort auf Frage 3:
Was da "wellt" ist nicht eine Art Kügelchen, das einer Berg-und-Talbahn folgt, sondern etwas viel abstrakteres, etwas neues, etwas in der klassischen Physik nicht vorhandenes - wir nennen es mal Wafu.
Wer sich dazu jetzt nichts vorstellen kann, liegt genau richtig.
Denn das menschliche Gehirn hat zunächst nur Modelle für all das parat, was seinen Sinnen direkt zugänglich war. Im Laufe der Zeit entwickelt sich das ein wenig (falls man übt), und man kann sich auch Sachen vorstellen, die den Sinnen nicht direkt zugänglich sind. Sich ein Magnetfeld oder eine elektromagnetische Welle vorzustellen fällt uns heutzutage erheblich leichter als den Zeitgenossen Maxwells.
Was sollen wir uns unter einem Wafu vorstellen. Erst mal gar nichts. Wir werden uns aber diesen Begriff so allmählich erarbeiten, indem wir uns mit den Eigenschaften beschäftigen, die das Wafu haben muß, damit alles "paßt".
Es ist wichtig, sich klarzumachen, dass wir wirklich etwas neues brauchen - das Wafu - und dass wir aufpassen müssen, dass die Bezeichnung des "Neuen" in uns keine Assoziationen weckt, die irreführend sein könnten. Hätten wir das Wafu z.B. "Pizza" genannt, oder "Energo", könnten wir uns kaum gegen Assoziationen wehren, die unser Gehirn uns aufdrängt, und die mit der Sache nichts zu tun haben.
Um ein solches Mißverständnis zu vermeiden, habe ich jetzt ein wenig geschummelt!
Im Deutschen heißt es gar nicht "Wafu", sondern Wellenfunktion.
Das ist dummerweiser ein Wort, das einen gewissen Sinn zu haben scheint. Aber wir betrachten den Terminus Wellenfunktion jetzt erstmal als einen Buchstabenstring ohne erkennbare Bedeutung, so wie das nur zu diesem Zweck eingeführte Wave Function - und damit haben wir auch schon das englische Äquivalent (das aber nie in der Abkürzung Wafu verwendet wird!!!).
Die Wellenfunktion ist der Zentralbegriff der Quantentheorie. Kennt man die Wellenfunktion eines Systems, kennt man Alles, was man über das System überhaupt wissen kann - und diese Wissen wird statistischen Charakter haben!
Und um Frage 3 jetzt zu beantworten: Es ist die Wellenfunktion, immer mit dem Symbol y dargestellt, die da "wellt" - was immer das bedeuten mag.
Die bisher vorhandenen Mosaiksteine hat schließlich 1926 Erwin Schrödinger (und Heisenberg und andere) zu einer endgültigen Fassung der Quantentheorie zusammengesetzt, indem er die "Schrödingergleichung" aufstellte - eine Gleichung für die Wellenfunktion, die der Physik ein neues, oder eigentlich erstmals ein richtiges Fundament gab.
Alle hatten dasselbe "erfunden" - nur in sehr verschiedener mathematischer Form dargestellt. Die Schrödingersche Version ist die einfachste; wir werden nur sie betrachten - im nächsten Unterkapitel.
Fragebogen
Multiple Choice Fragen zu 2.1.2

Mit Frame Zurueck Weiter als PDF

© H. Föll (MaWi 1 Skript)