Die wahren Bohrschen Postulate

Entgegen der üblichen Textbuchweisheit, hat Bohr nicht die Quantelung des Drehimpulses postuliert, sondern drei Postulate aufgestellt, von denen insbesondere die sogenannte Komplementarität wichtig war.
Was das bedeutet und wie man damit zum Bohrschen Atommodell kommt, entnehmen wir (in Kurzform) dem großartigen Buch "Atom- und Quantenphysik" von Haken und Wolf aus Stuttgart (bei denen ich mal Physik studierte).

Bohr startete mit der Gesamtenergie des "kreisenden" Elektrons
E  =  Ekin  +  Epot  =  1
2
m · r2 · w2  –  e2 
4pe0 · r 
Aus dem Kräftegleichgewicht
e2 
4pe0 · r2
  =  m · r · w2
läßt sich r als Funktion der anderen Variablen ausdrücken. Eingesetzt in die Energieformel ergibt sich der etwas unhandliche Ausdruck
E  =  –  1  
2 · (4pe)2/3
· (e4 · m · w2)1/3 
Noch ist alles klassisch, alle Energien und Kreisfrequenzen sind möglich. Die Frequenz des abgestrahlten Lichts wäre direkt durch dieUmlauffrequenz n = w/2p gegeben. Da das nicht hinhaut, braucht man jetzt neue Axiome oder Postulate. Bohr hat an dieser Stelle drei Postulate aufgestellt.
1. Postulat Es sind nur bestimmte diskrete Bahnen aus der unendlichen Vielfalt der durch die Formeln gegebenen erlaubt. Die erlaubten Energien sind En mit n = 1,2,3,4,...
2. Postulat. Die Frequenz der ausgesandten Strahlung ergibt sich aus der Energiedifferenz der erlaubten Bahnen, d.h.
hn   =  EnEn'
Das nützt aber alles noch nichts - es fehlt das alles entscheidende Auswahlkriterium für die erlaubten Bahnen oder Energien
Also kommt jetzt erstmal das Experiment zu Hilfe. Die Frequenz des vom Wasserstoffatom ausgestrahlten Lichtes war bekannt, alle Spektrallinien folgten mit großer Präzision der empirischen Formel
1
l
 =  R · æ
è
1
n'2
  –  1
n2
ö
ø
mit l = Wellenlänge (1/l heißt Wellenzahl) und Rex = experimentell sehr genau ermittelte Rydberg Konstante = 109 677,5810 cm–1.
Durch Vergleich ergibt sich unmittelbar
En  =  –  R · h ·c
n2
,     En'  =  –  R · h · c
n'2
Als nächstes muß die Rydberg Konstante theoretisch bestimmt werden, das war die eigentliche Herausforderung. Für einen ersten Ansatz lag nahe, die Umlauffrequenzen der Elektronen und die Frequenzen der emittierten Strahlung für die mit den möglichen Sätzen für n und n' ausgewählten Bahnen gleichzusetzen und dadurch einen theoretischen Wert für die Rydbergkonstante zu erhalten.
Es ist aber schnell zu sehen, daß man insbesondere für kleine Bahnradien hier weit daneben liegt. Die Lösung bringt das 3. Bohrsche Postulat, das "Korrespondenzprinzip":
3. Postulat Für "große" Parameter, hier Bahnradien, gilt die klassische Physik (zumindest in guter Näherung).
Die experimentelle Gleichung für die Wellenzahl ergibt (in Frequenzen ausgedrückt) für große n (für die das 3. Postulat gelten sollte) und Dn = 1
n  =  c
l
 »  2 · R · c
n3

w  = 2pn  »   4p · R · c
n3
Diese Frequenz sollte, bei Gültigkeit des Korrespondenzprinzips, identisch sein mit der Umlauffrequenz für große Bahnen. Der entscheidende Gedanke ist jetzt, diesen Ausdruck für die Kreisfrequenz in die obige Energieformel einzusetzen. Wir erhalten dann den folgenden geschachtelten Ausdruck für die Rydberg Konstante R
R · h · c
n2
 =   1
2 · (4pe0)2/3
 ·  æ
ç
è
e4 · m æ
è
4p · R · c
n3
ö
ø
2 ö
÷
ø
1/3
Das ganze vereinfacht sich dann zu dem theoretischen Wert für die Rydberg Konstante
Rtheo  =   m · e4
8 · e02 · h3c
= 109 737,318 cm–1
Und das ist zunächst gut genug - schließlich ist das Proton als ruhend angenommen, während in Wahrheit Proton und Elektron um den gemeinsamen Schwerpunkt kreisen. Wird dieser Effekt berücksichtigt (das ist relativ einfach), ergibt sich Rtheo = 109 677,584 - bis auf 7 Stellen der experimentelle Wert!
Ein größerer wissenschaftlicher Triumph ist schwer vorstellbar. Der Rest folgt nun schnell:
Die Bahnradien rn als Funktion der Hauptquantenzahl n sind
rn  =  n2 · h2e0
p · e2 · m 
Der Drehimpuls wird damit
D  = m · v · r  =   n · h
2p
Das ist die "Quantelungsbedingung" für den Drehimpuls, die jetzt "herauskommt", und nicht postuliert werden muß.
Die Erkenntnis, daß die Quantelung des Drehimpulses als Eingangspostulat schneller zum Ziel führt ist klar - jedoch nicht mit der gleichen Universalität wie das Korrespondenzprinzip, das von Bohr gleichsam heilig gesprochen wurde.


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© H. Föll (MaWi 1 Skript)