Denker und Tüftler

Das deutsche Feuilleton unterscheidet streng und ausnahmslos zwischen Tüftlern und Denkern - es sind die Standardbezeichnungen für die fleischgewordene Materie einerseits, und den unbeschwerten Geist andererseits.    
 
Die Worte "tüfteln" oder "Tüftler" tauchen mit Sicherheit in jedem Zeitungsartikel zu naturwissenschaftlichen oder technischen Themen auf - spätestens wenn noch das Wort "Patent" dazukommt.  
Der Tüftler
© Disney
Mit freundlicher Genehmigung von "Disney Publishing Worldwide"
Damit assoziiert wird Daniel Düsentrieb, der zwar leicht geniale und liebenswerte, aber auch ziemlich vertrottelte Bastler, der herumprobiert bis was funktioniert und dabei eher versehentlich auf die "Innovationen" stößt. (Der Wissenschaftler, am Rande bemerkt, ist eher das Helferlein).  
Genausogut kann man als Leitfigur auch den verschrobenen Typen nehmen, der in zahlreichen Filmen (gemacht von den bei Denkern geschulten Kreativen) irgendwie irgendwas Geniales austüftelt, damit aber in der Regel Ärger bekommt ("Hilfe, ich habe die Kinder geschrumpft", "Zurück in die Zukunft").  
"Tüfteln", das wird impliziert, ist etwas was jeder könnte - vor allem auch Denker - wenn man sich halt mal ein bißchen Zeit für das Trivialzeugs nehmen könnte. Aber man hat ja wichtigeres zu tun.  
   
Die "Denker" aber - das sind die "Philosophen", die Leute, die sich den schwierigen und tiefen Fragen widmen (Beispiele siehe unten).
Zum Beispiel war Sartre ein berühmter Denker. Er ist auch heute noch bemerkenswert, weil er (wie andere Denker inzwischen herausfanden) mit schlafwandlerischer Sicherheit immer auf der falschen Seite der Wahrheit stand.
Auch Aristoteles war ein großer Denker - obwohl er, soweit es die Naturwissenschaft betraf, immer falsch gedacht hat. Und zwar auch dort, wo selbst er es seinerzeit hätte besser wissen oder zumindest besser denken können.
Herr Sloterdijk, z.B. ist ein noch lebender großer Denker von heute. Insbesondere weil seine "Elmauer Rede" entweder rassistische Untertöne hatte, oder aber Rassismus verurteilt hat. Aus dem Text wird das offenbar nicht so recht klar, und selbst der Verfasser konnte hinterher nicht mehr erklären, was genau er eigentlich gedacht hat.
(Eine google Suche zum Suchbegriff "elmauer rede sloterdijk" ergibt übrigens auf Anhieb 255 Links zur Rede - bloß die Rede selbst ist nicht dabei; offensichtlich ist sie zum darüber "philosophieren" gar nicht erforderlich).
Das Gesamtwerk der Denker des letzten Jahrhunderts hat ein Anonymus in einem Graffiti in S. Francisco in den 80ern umfassend zusammengestellt:
     
"To be is to do" (Camus)
"To do is to be" (Sartre)
"Do be do be do" (Sinatra).
 
Wer meint, es sei mehr da, möge die verbindliche Antwort der Denker auf eine einzige wesentliche "Seins"frage einschicken. Vorher aber vielleicht im Internet noch kurz unter dem Stichwort "Sokal" oder "Sokal Affäre" nachschauen    
     
Auch die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung kann sich diese Sichtweise anschließen - am 28.9.2003 im Wissenschaftsteil. Dort lesen wir in einem Bericht zum 5. Kongreß für analytische Philosophie (das ist der Teilbereich, der philosophische Probleme durch logische Analyse der Sprache lösen will - mit Wissenschaftlichkeit und unter Berücksichtigung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse):
"Gerade Peter Sloterdijks Wortakrobatik hat mit wissenschaftlicher Analyse oft herzlich wenig zu tun. Und angesichts solcher Philiosphiesimulation mag man tatsächlich manchmal den Glauben daran verlieren, dass die ehrwürdige Disziplin heute noch zu mehr imstande ist als zur Sinnbelletristik nach Art des Karlsruher Sphärenorakels".
Herr Alexander Grau, der den Artikel verfaßt hat, geht dann ausführlich auf den Vortrag des Philosophen Holm Tetens aus Berlin ein. Herr Tetens sagte:
"Anders als andere Disziplinen verfüge die Philosophie über kein Lehrbuchwissen, auf das man aufbauen könne. Im Grunde gäbe es keine einzige relevante philosophische Aussage, über die sich alle Denker einig sind".
Na also! Es scheint, wir Tüftler haben letztlich gewonnen, auch wenn das die Denker noch nicht gemerkt haben und in den Bastionen des deutschen Feuilletons noch Rückzugsgefechte führen. Haben wir wirklich gewonnen?
"Oh Herr, ich danke Dir, dass ich nicht so bin wie diese", heißt es an anderer Stelle; aber der Herr, so wird berichtet, war über diesen Dank nicht erfreut. Ist "die Philosophie" wirklich unbedeutend, witzlos oder gar tot? Brauchen wir sie nicht mehr, wo wir doch fähige Naturwissenschaftler und Ingenieure haben?
Wer dieser Ansicht zuneigen sollte, hat nicht scharf genug gedenkert. Menschsein in allen Varianten und mit allen Schnittstellen ist nicht logisch und naturgesetzmäßig - Gottseidank! Normen des Lebens und Zusammenlebens lassen sich nicht, zumindest nicht vollständig, aus Naturgesetzen und Logik determinieren.
Welche Disziplin auch immer hier antritt - Theologie, Philosphie, Soziologie, Psychologie,...., kann und soll von uns Tüftlern mit Hohn und Spott überschüttet werden, wenn sie das verdient, aber wir sollten uns darüber klar sein, dass wir die Kerngebiete der jeweiligen Disziplin mit unserer Weisheit nicht bedienen können - aber trotzdem brauchen.
Falls wir es trotzdem tun, dann tun wir es nicht mehr nur als Physiker oder Ingenieure, sondern eben auch als Hobby-Philosophen oder -Soziologen.
Hier wird jetzt aber was rekursiv, deswegen genug davon.
       
Aber nach diesen Gedanken noch kurz eine Bemerkung zum Thema. Der von Denkern oft geäußerten Kritik, die Physiker könnten sich nach 80 Jahren Quantenthorie immer noch nicht entscheiden, ob das Elektron nun eigentlich ein Teilchen oder eine Welle sei (d.h. es fehlt ihnen an der Schärfe der Gedanken), muß man etwa so entgegnen:
Auf dem Planeten Slotersart leben die Aristotalen, eine Rasse, deren Augen zwar die Rezeptoren für Farbe haben, deren Verarbeitungsalgorithmus im Gehirn aber nur Scharz-Weiß Bilder generiert.
Den dortigen Tüftler gelang es nach langer Forschung, die Farben im Prinzip zu entdecken. Einige wenige konnten sogar mit größter Mühe und mit viel Übung ihre Gehirne neu konditionieren, so daß sie schließlich Farben direkt sehen konnten.
Mit Begeisterung beschrieben sie ihren Zeitgenossen, daß ein Regenbogen etwas ganz anderes sei als es scheine - weder schwarz noch weiß, auch nicht nur hell oder dunkel, sondern er hätte von allem etwas, aber so richtig könne man das halt nur mit mathematischen Formeln beschreiben.
Denn die Sprache der Aristotalen hatte selbsterständlich niemals Wörter für Begriffe entwickelt die wir zum Beispiel mit Wörtern wie "Farbe", rot", "blau" oder "bunt" umschreiben (In der Regel ist es ja eher umgekehrt: "Denn eben wo Begriffe fehlen, da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein"; siehe Sloterdijk).
Für einen aristotalischen Tüftler war es also ziemlich schwierig, mit dem vorhandenen Vokabular auszudrücken was er sah, wenn er einen Regenbogen oder sonstwas erblickte. Es ging aber problemlos mit Mathematik - aber auch Formeln muß man richtig "sehen" können.
Was geschah: Mit der neuen Entdeckung nahm die Naturwissenschaft und Technik einen ungeahnten Aufschwung. Viel neue Produkte entstanden, bei denen das Konzept "Farbe" instrumentell war. Den meisten Aristotalen war das aber egal; sie verstanden das ganze zwar nicht, aber mit den Produkten umgehen konnten sie schon.
Die Denker allerdings, die Denker murmelten immer noch abfällig über die Tüftler: Sie sind zu denkschwach um sich endlich entscheiden zu können, ob der Regenbogen nun schwarz oder weiß ist.
 
 
Zwei Kostproben aus deutschen Feuilletons. Selbstverständlich Einzelfälle - aber es ist ziemlich einfach, die Sammlung ins Beliebige zu verlängern.
 
Denker BS
Denker BS 2
Physikfreie Wirklichkeit
Hier ist wohl der Endsieg des Geistes über die Materie angepeilt.
Viel Glück auch!

Wer glaubt, das sei einseitig und polemisch - der (oder die) hat recht. Aber so ganz allein polemisiert niemand auf dieser Welt, man betätige den Link für starke Sprüche Anderer.
 

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© H. Föll (MaWi 1 Skript)