Arnold Sommerfeld
* 5. Dezember 1868 in Königsberg
† 26. April 1951 in München.


.Nachdem er in Königsberg Mathematik studiert hatte und dort 1891 promoviert worden war, ging er 1893 nach Göttingen. 1896 wurde er bei Felix Klein habilitiert , den er stets als seinen "eigentlichen Lehrer" angesehen hat - "nicht nur in mathematischen, sondern auch in mathematisch-physikalischen Dingen und in der Auffassung der Mechanik".
1897 wurde Sommerfeld Professor der Mathematik der Bergakademie Clausthal-Zellerfeld, drei Jahre später auf Betreiben von Klein Ordinarius an der Technischen Hochschule Aachen - bezeichnenderweise nicht für Mathematik, sondern für technische Mechanik. Sommerfeld trat mit zahlreichen Ingenieurswissenschaftlern in einen fruchtbaren Gedankenaustausch, so mit August Föppl über die Resonanzphänomene bei Brücken, mit August von Borries über Probleme des Lokomotivbaus und mit Otto Schlick über den Massenausgleich im Schiffbau und über die Bekämpfung des Schlingerns.
1906 folgte Sommerfeld dem Ruf auf den Lehrstuhl für theoretische Physik der Universität München. Durch die Bedürfnisse des akademischen Unterrichts wurde er gezwungen, sich rasch in die Physik einzuarbeiten; an seine Vorlesungen stellte er die höchsten Ansprüche. So nahm er schon 1907 die von Albert Einstein zwei Jahre zuvor begründetet Spezielle Relativitätstheorie auf, die bisher nur von Max Planck als richtig akzeptiert worden war. Seitdem wurde auch Sommerfeld zu einem Vorkämpfer dieser Theorie. Als hochqualifiziertem Mathematiker gelangen ihm bald fruchtbare Anwendungen auf verschiedene physikalische Phänomene, z.B. auf die Theorie der Röntgenbremsstrahlung mit der relativistischen "Voreilung" des Intensitätsmaximums. Die Sommerfeldschen Rechnungen trugen mit zur schnellen Anerkennung der Einsteinschen Relativitätstheorie bei.
Gegenüber den ersten Quantenansätzen nahm Sommerfeld zunächst eine abwartende Position ein; im März 1910 wurde er durch seinen Assistenten Peter Debye zu einer Stellungnahme gedrängt, worauf er im September Rat bei Einstein in Zürich suchte und in tagelangen Diskussionen für das Quantenkonzept gewonnen wurde. Auf Initiative Walther Nernsts fand dann Ende Oktober 1911 in Brüssel der 1. Solvay-Kongreß statt; zur Behandlung des Quantenproblems trafen die führenden Physiker der Welt zusammen. Hier trug Sommerfeld seinen Quantenansatz vor, den er in ausgedehnten Rechnungen auf eine ganze Reihe von physikalischen Phänomenen anwandte, so auf den Photoelektrischen Effekt, die Theorie der Gamma-Strahlen und die Röntgenbremsstrahlung. Die Ausführungen Sommerfelds fanden starke Beachtung. Als fruchtbar erwiesen sich später nicht die konkreten Ergebnisse - auf die Sommerfeld selbst größtes Gewicht gelegt hatte - sondern seine allgemeine Auffassung des Planckschen Wirkungsquantums. Während der junge Arthur Erich Haas in Wien eineinhalb Jahre zuvor aus dem Aufbau der Atome die Plancksche Konstante h hatte erklären wollen, vertrat Sommerfeld nun den umgekehrten Standpunkt:
 
"daß h nicht aus den Moleküldimensionen zu erklären, sondern die Existenz der Moleküle als eine Funktion und Folge der Existenz eines elementaren Wirkungsqunatums anzusehen"
 
Sommerfelds etwas verspätetes, aber um so energischeres Eintreten für das Quantenkonzept wurde weithin beachtet. Als Niels Bohr im Juli 1913 sein quantentheoretisches Atommodell vorlegte, gehörte Sommerfeld zu den ersten, die die große Bedeutung erkannten. Es ist Sommerfeld und seiner Münchener Schule zu danken, daß sich die neue Theorie so rasch durchsetzen konnte. Bereits im Wintersemester 1914/15 las Sommerfeld im Kolleg über die Ellipsenbahnen der Elektronen und die Feinstruktur der Wasserstofflinien; die neuen Gedanken legte er dann am 6. Dezember 1915 der Bayerischen Akademie der Wissenschaften vor. 1916 folgten die Theorie des normalen Zeeman-Effektes und durch den Sommerfeld-Schüler Paul S.Epstein die Theorie des Stark-Effektes.
Schon etwa fünf Jahre nach der ersten Veröffentlichung Bohrs konnte durch Sommerfeld ein gewisser Abschluß in der mathematischen Entwicklung der Bohr-Sommerfeldschen Atomtheorie erreicht werden. Er unternahm es, das neue Gebiet zusammenfassend darzustellen, und legte 1919 sein bald berühmt gewordenes Buch "Atombau und Spektrallinien" vor, das in vielen Auflagen erschien und für Generationen von Studenten im In- und Ausland als Bibel der Atomphysik galt. Hier beschwor Sommerfeld im Vorwort den Geist Johannnes Keplers, "nicht ohne das Bewußtsein geistiger Verwandtschaft", wie sein Schüler Helmut Hönl feststellte. Tatsächlich ist das Sommerfeldsche Atommodell mit den Ellipsenbahnen der Elektronen um den Atomkern ein Abbild des Planetensystems, und alle Gesetzmäßigkeiten des Makrokosmos finden sich im Mikrokosmos Atom wieder. Helmut Hönl hat deshalb auch Sommerfeld einen "Kepler redivivus" genannt.
Während sich seine Meisterschüler ( insbesondere Werner Heisenberg) dem Vorbilde Bohrs anschlossen, der seine Überlegungen auf allgemeine "philosophische" Prinzipien gründete, hielt Sommerfeld Anfang der zwanziger Jahre an dem anschaulichen Atommodell fest, weil es seinem technisch geschulten Denken entsprach und weil es mathematisch reizvolle Probleme in Fülle bot. Die zunehmenden Diskrepanzen zwischen Rechnung und Experiment überzeugten aber auch Sommerfeld, daß auf diesem Weg nicht mehr wesentlich weiterzukommen war. Wieder , wie schon im Jahre 1912, erhoffte er von Einstein die grundsätzliche Klärung. In einem Brief meinte er:
"Ich kann nur die Technik der Quanten fördern, Sie müssen ihre Philosophie machen!" Die Lösung gelang Mitte 1925 Werner Heisenberg, der zwei Jahre zuvor bei Sommerfeld promoviert worden war und nun als Assistent Borns in Göttingen wirkte.
Die Interpretation der neuen Quantentheorie bot ungeahnte Schwierigkeiten und machte es nötig, bisher selbstverständliche Kategorien des Denkens aufzugeben. Selbst Einstein und Schrödinger, die maßgeblich zum Aufbau beigetragen hatten, vermochten es nicht, sich mit der von Bohr und Heisenberg vorgelegten "Kopenhagener Deutung" abzufinden. Während sich Einstein so der aktuellen physikalischen Arbeit entfremdete, bewährte sich Sommerfelds pragmatische Auffassung. Für ihn war die neue Quantentheorie nicht ein Objekt philosophischer Erörterungen, sondern ein Kalkül, das ihm die Berechnung vieler physikalischer Phänomene erlaubte. Vor allem aus den Schrödingerschen Differentialgleichungen zog er in Zusamenarbeit mit immer neuen Schülern weiterhin hochbedeutende Ergebnisse. Wie Sommerfeld seinerzeit seine Rechnung auf der Grundlage des Bohr-Sommerfeldschen Atommodells in sein Lehrbuch "Atombau und Spektrallinien" eingearbeitet hatte, so diente nun der "Wellenmechanische Ergänzungsband" der gleichen Aufgabe.
Als einem der führenden Physiker seiner Zeit genoß Sommerfeld weltweit hohes Ansehen. Seine Schüler kamen von überall her. Zur "ersten Generation" der Sommerfeld-Schüler vor dem 1.Weltkrieg gehörten Peter Debye, Peter Paul Ewald, Paul S.Epstein, Demetrios Hondros und Paul Ehrenfest. Bald nach Kriegsende 1918 kamen neue Schüler und Mitarbeiter, unter ihnen Erwin Fues, Helmut Hönl, Walther Kossel, Wilhelm Lenz, Wolfgang Pauli und Werner Heisenberg. Albert Einstein schrieb in einem Brief an Sommerfeld:
"Was ich an Ihnen bewundere, das ist, daß Sie eine so große Zahl junger Talente wie aus dem Boden gestampft haben. Das ist etwas ganz Einzigartiges. Sie müssen eine Gabe haben, die Geister Ihrer Hörer zu veredeln und zu aktivieren."
Nach der Machtergreifung durch den Nationalsozialismus sorgte Sommerfeld mit seinem Schüler- und Freundeskreis mit dafür, daß die theoretische Physik, die in Deutschland bis 1933 eine Blütezeit erlebt hatte, im alten Stil, wennauch mit abgeschwächter Kraft, weiterbetrieben werden konnte. 1934 schrieb Sommerfeld an Einstein:
"Vielleicht interessiert es Sie, daß ich meine allgemeinen Wintervorlesungen über Elektrodynamik wie in früheren Jahren ins Vierdimensionale ausklingen ließ und mit einem Abriß der "Speziellen Relativitätstheorie" krönte. Die Studenten waren begeistert, weil ich selbst wieder einmal von der Schönheit und Einheitlichkeit des Systems begeistert war; nicht einer opponierte."
1945 beteiligte sich Sommerfeld am geistigen Wiederaufbau. Jetzt endlich konnte er seine in der akademischen Lehrtätigkeit seit 1906 entstandenen ausgefeilten Vorlesungen weiter zur Veröffentlichung vorbereiten; es war ihm noch vergönnt, diese Arbeit fast zu Ende führen zu können.
Am 26.April 1951 starb Arnold Sommerfeld an den Spätfolgen eines Verkehrsunfalls, mitten in der Arbeit an der "Thermodynamik und Statistik", die er als abschließendes Werk der sechsbändigen Ausgabe seiner "Gesammelten Vorlesungen" vorgesehen hatte.
 

Quelle: Armin Hermann "Lexikon - Geschichte der Physik A-Z", Aulis-Verlag Deubner & Co KG 1978