 | Das Thema "Phononen" ist zu komplex und kompliziert, um hier komplett
abgehandelt werden zu können, deshalb wollen wir nur einige "highlights" betrachten. Wir benutzen dazu
einfach mal folgende qualitative Definition: |
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Ein Phonon ist eine quantisierte Gitterschwingung |
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|  | Wir versuchen jetzt mal, mit dem was wir
(aus Kapitel 2) schon wissen diese Aussage zu interpretieren! |
 | Was
wir schon kennen, ist der Terminus "Schwingung" (falls
nicht, schnell nachlesen). |
|  | In voller Strenge
ist eine Schwingung ein periodischer Vorgang in der Zeit – eine Welle
wäre dann der Oberbegriff eines periodischen Vorgangs in Raum und Zeit. Beim
Phonon sehen wir es aber nicht so streng, es kann auch eine quantisierte Welle
sein. |
|  | Wie auch immer, um eine Schwingung oder
Welle zu beschreiben, müssen wir Begriffe wie Wellenlänge l (oder besser
gleich den Wellenvektor k mit k
= 2p/l), (Kreis)frequenz w,
Ausbreitungsgeschwindigkeit vk(oder genauer Phasen- und Gruppengeschwindigkeit vP
bzw. vG) und Amplitude A einführen. |
|  | Damit wissen wir auch schon, dass jede mathematische
Beschreibung den typischen Wellenterm exp[i(k · r – w
· t)] enthalten muss. |
|  | Wir können aber auch gleich noch eins drauflegen: Was immer auch "quantisiert" und "Gitter" in diesem
Zusammenhang bedeuten mögen, ein Phonon wird nicht umhinkommen, eine Energie Ephon zu
haben und, sofern es nicht gerade eine stehenden Welle "ist", einen Impuls
pphon. |
 | Der Terminus "Gitter" ist uns aber auch schon bekannt. |
|  | Schwingen damit Gitterpunkte? Das wäre nicht so
sinnvoll, gemeint kann nur sein, dass Atome in einem Kristall schwingen. Eigentlich
sollte die Definition wohl besser lauten: Ein Phonon ist eine quantisierte
Kristallwelle. |
 | Damit können wir sofort einige
sehr allgemeine und weitreichende, aber im Grunde einfache Aussagen für Phononen machen: |
|  | 1. Wellenlängen größer als die
Abmessungen des Kristalls gibt's nicht. "Lange" Wellen passen genausowenig in einen kurzen Kristall wie
tiefe Töne in eine Pikkoloflöte. |
|  | 2. Wellenlängen kleiner als der (halbe) Abstand zwischen den Atomen gibt's auch nicht. Das ist
ein wenig schwieriger zu sehen, das nachfolgende Bild hilft aber: |
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|  | Die rote Schwingung mit der kurzen
Wellenlänge führt exakt zur gleichen (hier maßlos übertriebenen) Auslenkung der Atome wie die
blaue Welle mit der viel größeren Wellenlänge. |
|  | Das gilt immer: Jede zu kurze Wellenlänge (= großer Wellenvektor k) ist
ununterscheidbar von einer Welle mit entsprechend größer gewähltenWellenlänge oder entsprechend
kleinerem Wellenvektor. |
 | In anderen Worten: Wir können uns
bei der Darstellung von was auch immer über dem Wellenvektor k auf den Wertebereich k =
± p/a beschränken. Größere Wellenvektoren kann man
"irgendwie" auf Wellenvektoren in diesem Bereich reduzieren. |
|  | Jetzt sollte ein Glöckchen klingeln: Das kommt
uns bekannt vor (falls wir Kapitel 4 schon hinter uns haben)! |
|  | Sonst nehmen wir mal zur Kenntnis: Die Wellenvektoren der Phononen liegen alle in der 1. Brillouinzone des Kristalls. Auch das wird
weitreichende Konsequenzen haben. |
 | Machen wir erstmal weiter: Da es immer
eine Dispersionsrelation, d.h. eine Beziehung
zwischen der Frequenz und der Wellenlänge (oder besser dem Wellenvektor) geben muß, ist der Spektralbereich, in dem es Phononen gibt, damit endlich und definiert. |
 | Wir sind damit aber noch keineswegs am Ende, sondern können durch scharfes Nachdenken
noch sehr viel mehr Honig aus der Definition der Phononen saugen ohne groß rechnen zu müssen. |
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Wenn man auf eine Metallplatte haut, z.B. mit dem Klöppel auf eine (im
Zweifel gern einkristalline) Glocke, wird's laut im Saale: Die Glocke vibriert, d.h. im Metall befinden sich jetzt
stehende Schallwellen, die dann ihrerseits die Luft zu Schwingungen anregen. |
|  | Schallwellen, die durch das (kristalline) Material laufen, sind jedenfalls auch
Gitterschwingungen; damit fallen sie also wohl auch unter die Überschrift Phononen (falls wir das
"quantisiert" noch mal vergessen). |
|  | Wir wissen auch, dass für unser Ohr die höchste noch sinnvolle Frequenz so bei 20 kHz
liegt, die Dispersionrelation in Luft schlicht vSchall = n · l lautet, und die kleinsten Wellenlängen von Schallwellen in Kristallen damit in der
Größenordnung von lmin = vSchall/n liegen. |
|  | Selbst wenn die Schallgeschwindigkeit in einem Kristall nicht größer sein sollte als die in
Luft (d.h. ca. 300 m/s), ergibt sich doch für die Wellenlänge der "kleinsten" Schallwellen
nur ein Wert von l » (300/20.000) m = 15 mm. Bis zur
Wellenlänge in der Größenordnung der Gitterkonstante ist also noch reichlich "Platz"
für hochfrequente Wellen. |
 | Von Schallwellen in Luft wissen wir
auch noch, dass sie longitudinale Wellen sind, d.h. Amplitudenrichtung und
Ausbreitungsrichtung sind parallel. Wie ist das im Kristall? |
|  | Bisher haben wir nicht darauf geachtet, aber wenn wir mal kurz nachdenken (oder die folgende Zeichnung
betrachten), wird klar, dass Wellen in einem Kristall sowohl longitudinal als auch
transversal sein können. Im letzteren Fall müssen wir dann noch die
Polarisationsrichtung angeben. |
 | Das
nachfolgende Bild zeigt schematisch, wie eine longitudinale und eine transversale Welle in einem Kristall aussehen.
Die blauen Kreise symbolisieren die Atome; im perfekten Kristall lägen sie alle ruhig auf den durch das Gitter
angedeuteten Plätzen. |
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 | Wir haben jetzt zu mindest ein Gefühl dafür, was sich hinter dem
Ausdruck Gitterschwingung verbirgt und müssen das ganze jetzt nur noch quantisieren. |
|  | Müssen wir dazu eine Schrödingergleichung lösen? Eigentlich schon, wir werden das aber hier
nicht tun, sondern mit Analogieschlüssen und ein bißchen Raten arbeiten. |
 | Dazu schauen wir uns mal das andere Extrem an: |
|  | Wir betrachten ein einzelnes Atom, das in seinem Bindungspotential hin und her schwingt – in diesem Fall ist es wirklich eine Schwingung und keine Welle. |
|  | Viel müssen wir dazu nicht tun,
denn wir haben es schon getan – in MaWi I.
Das Ergebnis war, dass die Schwingungsfrequenz im Bereich von 1013 Hz liegt und gegeben war
durch |
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w | = | æ ç
è | Y · a ma |
ö ÷ ø | 1/2 |
|
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|  | Hier sind Y =
Elastizitätsmodul (Y steht für "Youngs modulus", da unsere alte
Abkürzung E zuviel Verwechslungsgefahr mit Energie oder elektrichem Feld induziert) und
ma = Masse des Atoms. |
 | Veranschaulichen konnte und
kann man sich das ganze am Besten im Potentialtopfbild: |
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 | Das ist das alte Bild – allerdings mit Quantisierung! |
|  | Um eine Quantisierung der Schwingung zu erhalten,
müssen wir nur annehmen (wie eigentlich immer in solchen Fällen), dass die Gesamtenergie nur diskrete Werte
annehmen kann, die überdies immer durch Eges = · w gegeben sind. |
|  | Wir hatten das schon für die Elektronen, die im Potentialtopf "schwingen"; für
Atome ist das kein Haar anders, nur dass durch die größere Masse die Energieniveaus sehr dicht liegen
– ähnlich wie in einem Band für
Elektronen. |
 | Ein einzelnes Atom in einem sonst nicht
schwingenden Kristall schwingt also gequantelt (und mit ca. 1013
Hz). |
|  | Es ist aber schlicht nicht möglich,
dass nur ein Atom schwingt und alle anderen stillhalten. Wir können uns ja mal
bildlich vorstellen, was man dazu bräuchte: |
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 | Wir haben - im Gedankenexperiment -
lauter ruhende Atome, ziehen dann kurz an einem und lassen dann los wie oben für die hintere Hälfte des
Kristall gezeigt (die vordere muss man sich denken). |
|  | Alle Atome sind mit ihren Nachbarn durch "Federn" verbunden - es ist klar, dass in diesem
Gebilde jetzt sehr schnell alle Atome "irgendwie" schwingen. |
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Was machen wir also? Das sollte jetzt klar sein: |
|  | Wir beschreiben das ganze Spektrum der Schwingungen /
Wellen durch eine Summe von elementaren Schwingungen, d.h. durch viele überlagerte Ai ·
exp(ki · r – wi ·
t), und quanteln den Wellenvektor wie gehabt - deshalb der Index
i. |
|  | Dann berechnen wir uns die
Dispersionsrelation - also die Beziehung zwischen k und w, oder,
falls wir gleich wieder etwas verallgemeinern, zwischen Impuls und Energie. Das ist im übrigen gar nicht so schwer; wir schauen uns aber nur das Ergebnis
(für Kristalle mit einem Atom in der Basis) an: |
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w | = | æ ç
è | 2Y · a ma | æ è | 1 – cos(ka) | ö ø | ö ÷ ø |
1/2 |
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|  | Für "lange" Wellen (=
kleines k; damit cos » 1) ist das die Formel von weiter oben. Eigentlich müßte man w und k
mit dem Index i versehen, da das ganze ja quantisiert ist; aber wie immer sparen wir uns das. |
 | Damit
wissen wir schon eine ganze Menge über quantisierte Gitterschwingungen. Es fehlt nur noch der letzte Schritt, die
Begründung warum das ganze "Phonon" heißt und irgendwie wie
ein Teilchen behandelt wird. |
|  | Dafür gibt es viele Gründe, formal-abstrakte und ganz praktische. Die praktische Seite zeigt
sich am besten, wenn man jetzt mal (mit einigem mathematischen Aufwand) zwei
quantisierte Gitterschwingungen miteinander wechselwirken läßt. |
|  | Dazu lassen wir im Modellkristall zwei Wellen oder
auch Wellenpakete aufeinander los und berechnen was
passiert wenn sie aufeinander stoßen. |
 | Das Ergebnis ist einfach und
spannend: Es gilt für den "Stoß" zweier beliebiger quantisierter Kristallwellen immer der
Energierhaltungssatz und der (Kristall)impulserhaltungssatz, und zwar so wie wir es von den quantisierten Elektronenwellen schon kennen. |
|  | Das heißt etwas vereinfacht ausgedrückt,
dass die Summen aller · w's (= Energie) und der
· k's (= Impuls) aller Teilchen und Quasiteilchen vor und nach der Interaktion
(dem "Stoß") unverändert bleiben. |
|  | Exakt so wie bei den anderen quantisierten Teilchen, die wir schon ein bißchen kennen: Den Elektronen (im Kristall) und den Photonen. Die ersteren
waren mal "richtige" Teilchen und erhielten durch die Quantentheorie auch Wellencharakter, die letzteren
waren mal "richtige" Wellen und erhielten Teilcheneigenschaften. |
 | Es gibt also keinen Grund, quantisierte Gitterschwingungen nicht genauso als Teilchen zu betrachten, wie
quantisierte elektromagnetische Schwingungen. |
|  | Ein kleiner Unterschied ist aber schon da: Phononen gibt es nur in
Kristallen (und mit einigen Klimmzügen auch in amorphen Materialien). Sie sind, im Gegensatz zu Photonen und
Elektronen, im "leeren Raum" nicht existent. |
|  | Deswegen nennt man Phononen meistens auch nicht "Teilchen" sondern "Quasiteilchen". |
|  | Außerdem merken wir uns mal ohne Begründung (die gibt es in einem eigenen Modul): Das "Durchschnittsphoton" (so IR - UV) trägt zwar viel Energie, aber wenig Impuls mit sich herum, für das
Durchschnittsphonon ist es genau umgekehrt: Viel Impuls, wenig Energie. Das wird
Konsequenzen haben! |
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 | Jetzt sind wir soweit gekommen, dass wir auch noch den letzten Schritt wagen
können: Die Betrachtung vieler Phononen, die in dem
"Gefäß" Kristall genauso eingesperrt sind wir zuvor die freien Elektronen. |
|  | Wir haben jetzt einen Kristall voll mit individuellen
Phononen, die wir durch ihren Wellenvektor k und der Dispersionsrelation hinreichend
charakterisiert haben. Sie können irgendwelche Zustände einnehmen, die im k- oder Zustandsraum durch Punkte definiert sind, wobei immer Entartung
möglich ist, d.h. es gibt möglicherweise mehrere Zustände mit derselben Energie. |
 | Die Frage ist jetzt: Wieviele Phononen haben wir eigentlich in einem beliebigen
Energieintervall? Laufen z.B. die meisten Phononen als "Schallwellen" herum, d.h. sind die meisten
niederfrequent, oder überwiegen die hektischen 1013 Hz Atomschwingungs-Phononen? |
|  | Einfach: Alles was wir zu Beantwortung dieser (und
anderer) Fragen brauchen ist die Zustandsdichte und die
Wahrscheinlichkeit, dass ein Zustand besetzt ist, also die Verteilungsfunktion der Phononen. |
|  | Für die Zustandsdichte müssen wir kräftig nachdenken und Näherungen finden. Die Herren Einstein und Debye waren die ersten, die das getan haben. Wenn wir es genau wissen wollen,
müssen wir heftig rechnen oder halt messen. |
|  | Für die Verteilungsfunktion müssen wir aber nur eines tun:
Entscheiden, ob das Phonon ein Fermion
oder ein Boson ist. |
|  | Das ist aber sowohl
formal als auch intuitiv sofort klar: Das Phonon ist ein Boson, denn es hat keinen
Spin, und Spin = 0 gilt als ganzzahlig. Außerdem gibt es keinen einleuchtenden Grund, warum zwei
quantisierte Gitterschwingungen nicht ein-und-denselben Wellenvektor haben könnten. |
 | Wir dürfen also nicht wie bei Elektronen die Fermi-Dirac Verteilung nehmen, sondern wir brauchen
die Bose-Einstein Verteilungsfunktion (die wir allerdings bisher
nie ausführlich behandelt haben). |
|  | Die Bose-Statistik, wie man sie auch nennt, unterscheidet sich von der Fermistatisitk nur durch ein
Vorzeichen; das es allerdings dann in sich hat: |
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ni = | Ni · | 1 | exp | æ è | Ei
– µ kT | ö ø | + 1 |
|
ni = | Ni · | 1 | exp | æ è | Ei
– µ kT | ö ø | – 1 |
| Fermiverteilung | Boseverteilung |
|
|  | Und diese beiden Verteilungsfunktionen
beschreiben alle Teichen oder Quasiteilchen; andere gibt es nicht! Die
Boltzmannverteilung gibt es in voller Strenge z.B. nicht, sie ist nur eine Näherung der Fermi- oder
Boseverteilung für bestimmte Umstände. |
 | Was soll das
Ganze? Nun, wer's noch nicht selbst erahnt liest weiter: |
|  | Fast alles bei der Betrachtung von (großen) Teilchen- oder Quasiteilchenensembles läßt
sich mit Zustandsdichten und der jeweils passenden Verteilungsfunktionen (vergleichsweise) extrem einfach darstellen! |
 | Wenn wir jetzt
noch mal zur Kenntnis nehmen (je nach persönlicher Disposition staunend, freudig erregt oder geängstigt),
dass es in Festkörpern außer Phononen noch jede Menge anderer Quasiteilchen gibt (Exzitonen, Polaronen,
Plasmonen, Magnonen, Cooper-Paare, Polaritonen,...), die für "High-Tech" Produkte immer wichtiger
werden, verstehen wir jetzt, warum die Vorlesung soviel Wert auf diese Thema legt: Wir werden das noch brauchen! |
|  | Wer will, kann sich ja mal anschauen wie das mit Photonen funktioniert: Man kann die
berühmte Plancksche Strahlungsformel, für die Planck 1900 noch jede Menge mathematische und
physikalische Klimmzüge machen mußte, mit Zustandsdichte und Verteilungsfunktion in wenigen Zeilen direkt
hinschreiben! |
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© H. Föll (MaWi 2 Skript)