2.4.2 Elektrische Leitfähigkeit des freien Elektronengases

  Die richtige Formel
Die klassische Formel für die spezifische Leitfähigkeit war:
s  =   n · e2
m
 ·   l 
2(v0 + vD)
 »   n · e2 · l
2m · v0
Das Problem war, daß nur viel zu kleine Werte für die mittlere freie Weglänge l zu vernünftigen Zahlenwerten für s führten.
Wie löst sich jetzt das Problem?
Ganz einfach: Die klassische thermische mittlere Geschwindigkeit v0 des freien Elektronengases, klassisch definiert durch
v02  =  æ
ç
è
3kT
m
ö
÷
ø
1/2
muß durch die wirkliche mittlere Geschwindigkeit ersetzt werden.
Im Link kann man sich das noch illustriert anschauen
Das Pauli Prinzip verlangte ja, daß auch die Energieniveaus bei hohen Energien besetzt werden müssen, und da die Energie unseres freien Elektronengas rein kinetisch ist, heißt das, daß die mittlere Geschwindigkeit der Elektronen hoch ist.
Wir können das auch daran sehen daß wir formal ja eine sehr hohe Temperatur für das Elektronengas ansetzen müßten, nämlich die Fermitemperatur TF = EF/k, um die klassischen Formeln benutzen zu können.
Wie groß ist die quantenmechanische mittlere Geschwindigkeit v0q? Das ist jetzt nicht schwer zu "raten", wir nehmen als Größenordnung einfach die halbe "Fermigeschwindigkeit"
v0q  =  1/2 · vF  =   æ
ç
è
EF
2me
ö
÷
ø
1/2
Wieder eine Näherung "nach Gefühl" - aber damit haben wir ja bereits gute Erfahrungen gemacht. Wir haben damit auch die sogenannte Fermi-Geschwindigkeit vF definiert, einfach über EF = ½ me(vF)2. Und als Mittelwert der Geschwindigkeit aller Elektronen nehmen wir die Hälfte der Fermi-Geschwindigkeit; das kann nicht ganz daneben liegen.
Für die Leitfähigkeit erhalten wir damit
s  =  n · e2 · l
me · vF
Da vF sehr viel größer ist als v0(klassisch), erhält man jetzt die richtige Größenordnung für die mittlere freie Weglänge: Bei Metallen liegt sie im Bereich von l » 102 nm.
Müßten wir jetzt nicht auch noch die Dichte der Elektronen auf die effektive Dichte im Aufweichungsintervall der Fermiverteilung reduzieren?
Nein! Denn alle Elektronen tragen zur Leitfähigkeit bei. Die meisten können zwar keine Energie aufnehmen, aber sie stehen ja nicht still, sondern laufen in Richtung ihres Wellenvektors durch den Kristall.
Damit trägt jedes Elektron zum Stromfluß bei. Allerdings wird es zu den meisten Elektronen, die in k-Richtung fliegen, welche geben, die in entgegengesetzte Richtung laufen, d.h. der Nettostrom wird klein (und ohne äußere Spannung = 0) sein. Aber diesen Effekt haben wir in der Formel bereits berücksichtigt als wir die Driftgeschwindigkeit, und nicht die aktuelle Geschwindigkeit des Elektronenensembles in der Beschreibung der Leitfähigkeit verwendeten.
 
Der Einfluß von Temperatur und Defekten auf die Leitfähigkeit
   
Wir haben eigentlich zwei grundlegende Formeln für die Leitfähigkeit erhalten, und in beiden Formeln muß sich die Temperatur- und Defektabhängigkeit widerspiegeln. Die beiden Formeln waren:
1.     s  = 
S
i
 qi · ni · µi 
     
2.     s  =  ni · e2 · l
me · vF
In der ersten Gleichung schauen wir auf summarische Eigenschaften von Teilchen einer Sorte i mit der Ladung qi, nämlich auf die Konzentration ni und die Beweglichkeit µi. In einer Erweiterung der früheren Formel steht jetzt noch ein Summenzeichen - damit erfassen wir die Möglichkeit, daß verschiedene Teilchensorten sich am Stromfluß beteiligen.
Die Verschiedenheit kann sich auf alle drei Größen beziehen. In einem (flüssigen) Elektrolyten wird man z.B immer mindestens zwei verschiedene Ionensorten haben, die sich in allen drei Größen unterscheiden können; aber auch Elektronen mit z.B. verschiedenen Beweglichkeiten müssen wir als verschiedene Teilchen auffassen.
Im allgemeinen müssen wir damit rechnen, daß die Konzentration und die Beweglichkeit von Defekten und der Temperatur beeinflußt werden; damit haben wir einen ersten Ansatz zur Beschreibung von s(T, Defekten). In der Praxis nutzt man das auch - indem man gemessene n(T, Defekten) und µ(T, Defekten) angibt.
In der Theorie ist es schwieriger. Im Moment wissen wir nicht so recht, wie ni und µi von T und Defekten abhängen. Für ni werden wir das (für Halbleiter) noch detailliert behandeln; für die µi ist es (in der Theorie) immer schwierig.
Die zweite Gleichung (die natürlich völlig äquivalent zur ersten ist) macht die Theorie etwas einfacher; in der Praxis ist sie eher ungebräuchlich.
Sie sagt uns, wie die Leitfähigkeit von dem Verhalten eines einzelnen "gemittelten" Ladungsträgers abhängt (meistens, aber nicht notwendigerweise, ein Elektron). Die Empfindlichkeit auf T und Defekte steckt jetzt in n (wie zuvor) und in l.
Falls wir uns erst mal nur auf Metalle beschränken, wird die Konzentration n der freien Elektronen ziemlich konstant sein - sie ist nur durch die Art des Metalls und der Bindung bedingt. Interessant ist also die Beweglichkeit µ oder alternativ die mittlere freie Weglänge l - und zu l haben wir ein unmittelbareres Verhältnis als zu µ.
Da die mittlere freie Weglänge einfach der mittlerer Abstand zwischen zwei Stößen war, müssen wir uns jetzt damit beschäftigen, wie die Stoßerei von Temperatur und Defekten abhängt - in anderen Worten, wie sich die Temperatur auf die Stoßpartner auswirkt.
Die möglichen Stoßpartner haben wir schon mal aufgelistet, wichtig waren nur die Phononen als wirkliche, teilchengewordene Gitterschwingungen, und Defekte, wie Fremdatome, Leerstellen oder Versetzungen.
Damit haben wir schon ein erstes wichtiges Unterscheidungskriterium:
Extrinsische Defekte sind fest gegeben - ihre Konzentration hängt nicht von der Temperatur ab. Sie werden die mittlere freie Weglänge selbstverständlich stark beeinflussen, aber primär über ihre vorgegebene Konzentration.
Intrinsische Defekte, d.h. in allen Metallen ausschließlich die Leerstellen, spielen nur bei sehr hohen Temperaturen eine (kleine) Rolle, und selbst dann ist ihre Konzentration in realen Materialien viel kleiner als die aller anderen Defekten - wir wollen sie hier schlicht "vergessen".
Phononen, d.h. Gitterschwingungen enthalten die thermisch Energie des Gitters. Bei 0 K gibt es keine Gitterschwingungen und damit auch keine Phononen, mit zunehmender Temperatur wird es dafür mehr und mehr Phononen geben müssen - hier muß die wesentliche Temperaturabhängigkeit der Leitfähigkeit bzw. des spezifischen Widerstandes stecken.
Wir können also frohgemut den folgende einfachen Ansatz machen (traditionell, weil am einfachsten, für den spezifischen Widerstand r = 1/s und nicht für s).
r   =   rP  +  rD
Dabei sei
rP = spez. Widerstand verursacht durch Stöße mit Gitterschwingungen (Phononen).
rD = spez. Widerstand verursacht durch Stöße mit Gitterdefekten.
Lange bevor man das so einfache postulieren konnte, war genau dieses Verhalten schon experimentell beobachtet worden, es hat sogar einen Namen und heißt Matthiesen-Regel.
Ein Beispiel zeigt das folgende Bild, die drei Kurven stehen für verschiedene Verunreingungs- bzw. Defektkonzentrationen.
Man erkennt, daß der spezifische Widerstands bei » 0 K, der "Restwiderstand", ein indirektes Maß für die Qualität im Sinne von Defektfreiheit eines Materials ist.
Man kann das Verhältnis zum (nicht mehr defektdominierten) Widerstand bei Raumtemperatur bilden; das resultierende "Restwiderstandsverhältnis" ist dann ein gutes Qualititätsmaß und wird auch viel benutzt,
Bei "höheren" Temperaturen (in obigen Beispiel so ab T ³ 20 K) findet man eine lineare Temperaturabhängigkeit des spezifischen Widerstandes, d.h.
r  » r0 (1 + aT)
Der Faktor a heißt "Temperaturkoeffizient oder Temperaturbeiwert, typische Werte sind:
 
Material a [10– 3 K– 1]
Ag 3,8
Al 3,9
Au 3,4
Cu 3,9
Ni 6,0
Na 4,0
Pb 3,9
W 4,5
Konstantan
(Cu-Ni-Legierung)
0,0
Die elementaren Metalle unterscheiden sich also nicht so sehr - das würden wir auch "gefühlsmäßig" so erwarten.
Als Faustregel erkennt man für metallische Elemente
 
Dr »   0,4%
0C
 
Das ist viel! Für den Glühfaden einer Glühbirne (aus W), die so bei T » 2500 0C "brennt, hätte man nach dieser Faustregel eine Widerstandsänderung von 1000 % zu erwarten, d.h. der Widerstand sollte sich verzehnfachen. In Wahrheit steigt er sogar um einen Faktor 19, oder andersherum ausgedrückt: Im Moment des Einschaltens fließt der 19-fache Strom relativ zum Dauerstrom!
Das Beispiel "Konstantan", (das hier als Extremfall stellvertretend für Legierungen steht), zeigt aber auch, daß sich in der Temperaturabhängigkeit des spezifischen Widerstands von "gemischten" Materialien noch einige Dinge verstecken, die wir an dieser Stelle noch nicht verstehen.
 
In "reinen" Elementmetallen ist der temperaturunabhängige Defektwiderstand rD klein, denn wir haben wenig Defekte. In allen "Mixturen", d.h. Legierungen, gilt das nicht mehr.
Die Legierung AxBy können wir zunächst für den Fall x >> y so interpretieren, daß sich im "Wirtskristall" A jetzt viele atomare Defekte der Sorte B mit der Konzentration cD = y/(x + y) % befinden. Wie ist dann der Widerstand? Auch dafür gibt es eine "Regel", die Nordheim Regel:
r  =   me · vF
ne · e2
  ·  cD
a 
Mit ne = Elektronenkonzentration, cD = Defekt-Konzentration (in Atomprozent) und a = Gitterparameter des Metalles
Das ist eine sehr traurige Regel, denn sie besagt, daß unser normales Wundermittel zur Verbesserung von Materialeigenschaften für die Leitfähigkeit nicht wirkt: Einführung und Manipulation von Defekten in jeder denkbaren Abwandlung macht den spez. Widerstand immer nur schlechter!
Es gibt keine Möglichkeit, unter den Wert von sehr perfektem Silber zu kommen! (Wir schließen dabei die Supraleiter natürlich aus).
Wie man durch Vergleich mit unserer "Mastergleichung" sofort erkennt, etabliert die Nordheim Regel folgende Beziehung
l(cD)  =  a
cD
Das ist, wenn man ein bißchen darüber nachdenkt, eine eigentlich überraschende Gleichung.
Denn zunächst wäre man doch wohl geneigt anzunehmen, daß die mittlere freie Weglänge l proportional zum mittleren Abstand lD  der Defekte ist. Und für lD  gilt eine andere Beziehung, nämlich
  lD  =  a
(cD)1/3
 
Der Widerspruch ist, mit etwas Nachdenken, leicht zu lösen - wir tun das in einer Übungsaufgabe
Übung 2.4-1
Defekte und mittlere freie Weglänge
 
Wenn wir jetzt auch hohe Konzentrationen cD der Defekte zulassen, gilt (empirisch):
r  =  me · vF
ne · e2
 ·   cD · (1  –  cD)
a1D
Damit bekommt man schon ganz gute Näherungen für den spezifischen Widerstand r einer Legierung.
Das sieht dann so aus
Nordheim Regel
Damit lassen wir es an dieser Stelle gut sein. Wir haben die Grundgleichungen für den spezifischen Widerstand, wir haben das Grundverständnis, und wir wissen, daß wir immer zwei Grundaufgaben lösen müssen:
1. Was bestimmt die Dichte der beweglichen Ladungsträger? Bei den Metallen war es die "Chemie", in Form der Metallbindung, aber wir können andere Mechanismen natürlich nicht ausschließen.
2. Was bestmmt die Beweglichkeit bzw. mittlere freie Weglänge der Ladungsträger? Hier fragen wir Stoßmechanismen, nach Mechanismen, die die im elektrischen Feld gewonnene Energie der Ladungsträger dissipieren, d.h. ans Gitter abführen.
Fragebogen / Questionaire
Multiple Choice Fragen zu 2.4.2

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© H. Föll (MaWi 2 Skript)