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Aber jetzt zum Dreh- und Angelpunkt
der Bedeutung von Versetzungen für die Menschheit. Wir werden dies in
Kap. 8 noch
ausführlicher behandeln, hier geht es um das Prinzip. |
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Hier noch einmal die entscheidende
Ausage: |
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Plastische Verformung aller
Kristalle erfolgt ausschließlich durch die Erzeugung und Bewegung von
Versetzungen |
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Die Umkehrung ist auch richtig: Will
ich plastische Verfomung verhindern, muß ich die Erzeugung und
(wichtiger) die Bewegung von Versetzungen verhindern. |
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Aber nicht immer und hundertprozentig - denn
sonst hätte ich ein sprödes Material - sondern so daß ich
maximale "Härte" (=Widerstand gegen
plastische Verfomrung) kombiniere mit einem Rest an Duktilität=plastische Verformbarkeit. |
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Das
Paradigma dazu war
jahrtausendelang das "magische" Schwert; heutzutage ist
es die Autokarrosserie (und der Golfschläger!). |
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Selbstverständlich ist
plastische Verformbarkeit außerordentlich nützlich, um ein
bestimmtes Teil herzustellen (Kotflügel etc., z.B. durch Pressen). Aber
auch Glas könnte man (bei höherer Temperatur) in die Form eines
Kotflügels oder Schwerts pressen; trotzdem haben Glasschwerter keine
Bedeutung erlangt. |
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Denn plastische Verformbarkeit ist auch beim
fertigen Produkt, das sich eigentlich nicht
mehr verformen soll, eminent praktisch: Das Stahlschwert bricht eben nicht,
wenn man auf ein anderes Stahlschwert haut, sondern hat allenfalls eine kleine
Macke (=lokale plastische Verformung). Schlecht, aber allemal besser als der
beim Glasschwert sichere Bruch. Bei Kotflügeln etc. gilt dasselbe Prinzip.
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Plastische, d.h. bleibende Verfomung
heißt, daß sich ein Kristall nach Einwirkung einer Kraft bleibend
verformt hat. Das gilt z. B. für einen Kotflügel, nachdem man gegen
einen Baum gefahren ist - der Metallkristall hat jetzt eine ander Form als
vorher. Der Baum selbst, falls man ihn nicht gefällt hat, hat sich i.d.R.
elastisch verformt (von den Verletzungen
der Rinde abgesehen). Er ist nach Wegnehmen der Kraft wieder in der vorherigen
Gestalt. |
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Plastische Verformung bedingt zwangsläufig,
daß Teile eines Kristalls sich gegenüber anderen Teilen verschoben
haben. Einige Atome sind nicht mehr dort, wo sie früher waren. Die damit
verbundenen bleibenden Verschiebungen der Atome werden immer durch den Durchlauf von Versetzungen durch den
Kristall erzeugt. |
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Betrachten wir z.B. Bild 2a als einen Zustand, bei dem die durch den
Schnitt definierte Versetzung von der orangefarbigen Oberfläche aus in den
Kristall hineingelaufen ist, so wäre nach weiterem Durchlaufen der
Versetzung "nach hinten", der obere Teil des Kristall gegenüber
dem unteren um genau einen Burgersvektor verschoben sobald die Versetzung an
der Rückseite austritt. |
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Das schauen wir uns genauer an |
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Im ersten Schritt
legen wir eine "Scherspannung"
an, die den oberen Teil des Kristalls gegenüber dem unteren Teil nach
links verschieben möchte. |
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Solange die Spannung nicht zu groß ist,
wird der Kristall sich nur elastisch
verformen. Nach Überschreitung einer bestimmten Größe, der
Fließspannung oder Fließgrenze,
bildet sich jedoch eine Stufenversetzung, die in der gezeigten Weise durch den
Kristall wandert. Auf der linken Seite hat sich eine Stufe gebildet; die
Höhe der Stufe ist durch den Burgersvektor der Versetzung gegeben. |
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Nach Durchqueren des Kristalls hat sich auch auf der rechten
Seite eine Stufe gebildet. Der Nettoeffekt des Durchgangs der Versetzung ist
die Abgleitung der oberen Kristallhälfte relativ
zur unteren um einen Burgersvektor. |
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Warum so kompliziert, wenn es eigentlich auch
einfach geht? Warum rutscht die obere Kristallhälfte nicht einfach
geschlossen nach links? Die Antwort werden wir uns in
Kapitel 8 noch
genauer anschauen: hier nur soviel: Dazu müßten erheblich
höhere Kräfte wirken - man muß ja sehr viele Bindungen
gleichzeitig lösen; mit einer Versetzung sind es viel weniger. |
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Im täglichen Leben ist das ein bekannter
Effekt. Oft gelingt die Bewegung eines Körpers relativ zu einem anderen
viel besser, wenn ein "Defekt" erzeugt wird, der durch den
Körper läuft. Nachfolgend ohne Kommentar drei Beispiele. |
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Teppichverrücken mit Falte
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Raupe ("Inchworm") |
Wurm |
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Wie kann eine makroskopische
Verformung in alle drei Raumrichtigen (Kotflügel!) durch Versetzungen
entstehen, wenn eine Versetzung gerade mal
eine Verformung um Bruchteile eines Nanometers bewirkt? Die Antwort ist klar:
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1. Es müssen sehr viele Versetzungen zusammenwirken, und |
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2. Sie müssen auf vielen verschiedenen Ebenen durch den Kristall laufen. |
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Das wird uns in
Kapitel 8 noch
beschäftigen, hier wollen wir noch ein Maß für die Menge an
Versetzungen in einem Kristall definieren, die Versetzungdichte
r. Wir nehmen dafür einfach die Gesamtlänge aller Versetzungen in einem
cm3des Kristalls, so daß gilt |
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r |
= |
Gesamtlänge Versetzungen
Volumen Kristall |
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Die Dimension von r darf einen nicht in die Irre führen - es sind
cm pro cm3! Die durch 1/cm2 insinuierte
Flächendichte hat jedoch auch einen Sinn - dazu eine Übungsaufgabe.
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Übung 4.1-2 |
Versetzungsdichten -
Definitionen und Messung |
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Wie groß sind
Versetzungsdichten in normalen Kristallen? Die Antwort mag überraschen:
man findet eine Bandbreite von 0 cm2 bis zu
1012 cm2! Beispiele dazu: |
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Versetzungsfreies Silizium - das Basismaterial
für die Siliziumtechnologie: r=0
cm2
Es gibt auch noch versetzungsfreies Ge, sonst haben alle Kristalle (mit
Ausnahme mikroskopisch kleiner) immer eine endliche Versetzungsdichte. |
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"Gute"
Einkristalle (fürs Labor gezüchtet): r » (103 -
105) cm2. |
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Normale
Kristalle inkl. Polykristalle: r
» (105 - 109)
cm2. |
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Stark verformte
Kristalle: r=bis
1012 cm2. |
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Wenn man sich vor Augen hält,
daß eine Versetzungsdichte von 1010
cm2 bedeutet, daß in einem cm3
Kristall insgesamt 1010 cm=100 000 km Versetzungen stecken,
wird begreiflich, warum sich selbst große makroskopische Verformungen
durch die winzigen Verschiebungen der Einzelversetzung darstellen lassen. |
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Zum Schluß ein
Bild aus dem
Transmissionselektronenmikroskop (TEM), mit dem man bei
hoher Vergrößerung durch dünne (d.h. Dicke » 1 µm) Kristalle hindurchsehen, und dabei Versetzungen direkt
sichtbar machen kann. Die dreidimensionale Versetzungsstruktur wird dabei
projeziert dargestellt. |
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Viele weitere Beispiele sowie das
"Funktionsprinzip" der Elektronenmikroskopie für diesen Fall
finden sich im
Link.
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© H. Föll (MaWi 1 Skript)