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Plastische Verformung ist uns schon
oft begegnet. Einige grundsätzliche Eigenschaften der plastischen
Verformung haben wir auch schon kennen gelernt, und es ist gut sich die
folgenden Punkte schnell wieder anzueignen |
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1. Plastische Verformung
zeigt sich in eindeutiger Weise: Nach Wegnahme der verformenden Spannungen ist das Objekt
zwar noch zusammenhängend, d.h. nicht gebrochen - aber es sieht anders als vorher, es ist
verformt. Das gilt nicht nur für den
Zugversuch im Labor, sondern auch für Großversuche im Feld, wie das
folgende Bild demonstriert. |
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2. Im Zugversuch ist die plastische
Verformung eindeutig an den
Spannungs-
Dehnungskurven zu erkennen. Plastische Verformung findet statt sobald die
Fließgrenze
RP erreicht ist. |
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3. Plastische Verformung (von Kristallen
wie dem oben gezeigten)
erfolgt
ausschließlich durch die Erzeugung und Bewegung von
Versetzungen. |
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4. An jedem Punkt der Probe erfolgt
plastische Verformung
dann und nur
dann, falls die (im
Hauptachsensystem) dort maximale
auftretende Scherspannung tmax =
½(s1 - s3) größer ist als eine
(materialspezifische) kritische Scherspannung tkrit. |
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5. Sowohl RP als
auch tkrit (die ja offenbar eng
verwandt sein müssen) sind
stark von
Gefüge und der Temperatur abhängig. |
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6. Plastische Verformung von Metallen ist
direkt (durch Nutzung) und indirekt (durch Vermeidung) die absolute Grundlage
der Metallzeitalter. |
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Plastische Verformung von Kristallen ist ein
nahezu unerschöpfliches Thema. Nach wie vor hängt der Fortschritt
vieler Technologien vom Fortschritt bei der Beherrschung plastischer Verformung
ab. |
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In diesem kurzen Kapitel wollen wir uns jedoch nur einem von vielen möglichen Unterthemen
widmen: |
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Was bestimmt für ein
gegebenes Material die Fließgrenze RP? |
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Wie schon beim Bruch, überlegen
wir uns aber zuerst, wie groß der theoretische Maximalwert für
RP sein wird. |
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Danach widmen wir uns der Frage,
welche Mechanismen RP verringern können, und wie
man RP beeinflussen kann. |
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Um das Ganze etwas weniger abstrakt
zu machen, hier zwei Hinweise auf die Bedeutung des obigen Satzes für den
Alltag: |
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Bei Metallen ist die "Härte" im
wissenschaftlichen oder
umgangsprachlichen Sinn so ziemlich dasselbe wie RP.
Verdoppeln wir die Fließgrenze, ist das Material auch doppelt so
hart. |
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Das massengefertigte Material
Stahl, ohne das unsere
Zivilisation undenkbar wäre
(und unsere Kultur sich nach wie vor im
bei Geisteswissenschaftlern beliebten Sklavenhaltermodus der Antike
befände), ist im wesentlichen Eisen (Fe), dem kleinere (oder, bei
Legierungsstählen, größere) Mengen weiterer Elemente zugesetzt
werden, z.B. 0.4 % C. Damit kann man die Härte (also
RP) von ziemlich weich bis superhart verändern.
Heute nach wissenschaftlichen
Prinzipien, früher durch Versuch und Irrtum gemischt mit
"Magie". |
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Das Thema "Stahl" ist eine
unerschöpfliche Quelle zum Thema "Was bestimmt die
Fließgrenze". Es wird in einigen
Modulen im Rückgrat 2 gestreift. |
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Obwohl wir
schon wissen,
daß das oben gezeigte Endergebnis der Abgleitung peu à peu durch
den Durchgang von Versetzungen entstanden ist, stellen wir und zunächst
ganz dumm und berechnen, welche Spannungen wirken müssen, damit der
ganze Kristallblock in einem Stück nach rechts rutscht. Das
simpelste Modell dazu sieht so aus: |
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Zuerst ziehen wir durch eine (nicht
eingezeichnete) Normalspannung die beiden
Ebenen, zwischen denen wir Abgleitung haben wollen so weit auseinander,
daß sie ohne sich zu berühren übereinander gleiten können.
Dies entspricht der eingezeichneten Dehnung e. |
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Anschließend genügt eine
(vernachlässigbar kleine) Schubspannung, um die gewünschte Abgleitung
zu bekommen. |
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Wie groß e sein muß, ergibt sich durch elementare
Geometrie (die wir uns hier schenken) zu e =
0,1543 |
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Zu berechnen ist also nur, welche Normalspannung
smin wir mindestens brauchen, um
das notwendige e zu bekommen. |
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Aber unser Modell ist vielleicht auch
ein bißchen zu simpel? |
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Kann sein. Herr Frenkel hat sich so um
1926 der Sache angenommen, und mit erheblich besseren Modellen, aber
immer noch ohne Versetzungen, smin
berechnet. |
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Das Ergebnis, an dem nun kein Weg mehr
vorbeiführte, war |
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G ist der
Schubmodul, also
» 0,4 E . |
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Fein - wir haben jetzt eine minimale
Spannung die ungefähr einen Faktor 10 kleiner ist. Aber es
nützt nichts - sie ist immer noch viel zu groß. Schauen wir uns den
Vergleich theoretischer und gemessener Werte an (gleich als Scherspannungen
angegeben) |
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Material |
G
[103 MPa] |
tmin = G/15
[ MPa] |
texp
[MPa] |
Au |
450 |
3 000 |
0,9 |
Al |
31,6 |
2 110 |
1 |
Cu |
81,8 |
5 450 |
1 |
Zn |
45,9 |
3 060 |
1 -3 |
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Wir liegen noch immer um einen Faktor von rund und
roh 1000 daneben! Es nützt nichts: Plastische Verformung (von
Kristallen) erfolgt ganz sicher nicht durch
das Abgleiten ganzer Kristallblöcke in einem Stück. |
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Das war der Stand der Erkenntnis um 1930. Die
industrialisierte Welt lebte von der plastischen Verformung der Metalle - und
niemand wußte wie das "funktioniert". |
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Klar war nur, wie es nicht
geht. Die Versetzung mußte "erfunden" werden! |
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Es ist eine große historische Ungerechtigkeit, daß
die Wissenschaftler, die das mehrtausendjährige Rätsel der
plastischen Verformung lösten, nie den
Nobelpreis bekamen. |
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Und jetzt ist es Zeit,
Kapitel 4.1.4
noch einmal anzuschauen. |
© H. Föll (MaWi 1 Skript)