8.2.3 Bandlücke und Zustandsdichte

Wir basteln ein Banddiagramm
 
Im vorhergehenden Modul haben wir uns klargemacht, wie die E(k)-Kurven eines realen Kristalls prinzipiell aussehen.
Jetzt möchen wir aber wissen, wie sie wirklich aussehen. Dazu fließen einige prinzipielle Erkenntnisse ein, die von den Festkörperphysikern mit harten Rechnungen bzw. mühsamen Messungen erarbeitet wurden.
Was damit gemeint ist, sehen wir sofort, wenn wir einfach unsere "Prinzipkurve" und die reale Kurve eines realen Kristalls einander gegenüberstellen:
Reale Dispersionskurve
Aha: Im Grunde brauchen wir nur zwei, "irgendwie" auch ohne lange Rechnung verständliche Verallgemeinerungen!
1. Die Größe der Aufspaltung, d. h. die Breite der Energielücke, ist kristall- und richtungsspezifisch. Das ist im linken Ast für die Kurve in der 1. BZ angedeutet.
Das heißt z. B., daß die Energielücke in der {100}-Richtung des Si verschieden sein wird von der im Ge oder im GaAs oder ... (immer im reziproken Gitter natürlich).
Es heißt auch, daß die Energielücke in der {100}-Richtung des Siverschieden sein wird von der Energielücke in der {111}-Richtung des Si (oder der {110}-Richtung oder der {hkl}-Richtung). Allerdings sind natürlich Kristallsymmetrien gewahrt, d. h. die geschweiften Klammern sind absichtlich gesetzt.
2. Der genaue Verlauf der E(k)-Kurve kann sich kräftig von der einfachen Parabel des freien Elektronengases unterscheiden. Das ist im rechten Ast für die Kurve in der 2. BZangedeutet.
Insbesondere muß das Minimum oder Maximum des Energiewertes für irgendeinen Zweig, so wie im rechten Ast gezeigt, nicht unbedingt auf dem Rand einer BZ liegen. Das wird weitreichende Konsequenzen haben!
Unterstellen wir einfach, daß die richtigen Kurven für einen gegebenen Kristall in allen Details bekannt sind, dann haben wir alles, was wir brauchen. Das Problem ist nur: Viele Kurven in all diese Richtungen – es wird äußerst unübersichtlich!
Wir gehen deshalb zu einer stark vereinfachten Darstellung der Energien von Kristallelektronen über: Wir betrachten nur noch, welche Energiewerte erlaubt und welche verboten sind – und das ganz und gar unabhängig von der Richtung im reziproken Raum. Das Ergebnis ist dann ein Banddiagramm.
Wie man vorgeht, ist im nächsten Bild schematisch gezeigt:
Konstruktion 
der Energiebänder
Wir projizieren einfach alle erlaubten Energiewerte für alle Richtungen auf die Energieachse und unterscheiden nur zwischen "erlaubten" und "nicht erlaubten" Energiebereichen.
Gezeigt ist zwar nur die Projektion von zwei Ästen der Dispersionskurve, die zwei Teilbänder ergeben; wir können die Vorgehensweise aber natürlich "leicht" auf alle Äste ausdehnen. Die dadurch erhaltenen "Bänder" aller möglichen Energiewerte geben dem Diagramm den Namen: Es heißt Banddiagramm.
Die Energielücke ist prominent zu sehen, wir nennen sie ab jetzt auch Bandlücke (bzw. im Laborslang auch "Bandgap").
Es gibt zwar nach wir vor zu jeder beliebigen herausgegriffen Energie (mehrere) bestimmte k-Werte, aber die interessieren uns nicht mehr im Detail; wir merken uns lediglich die Tatsache an sich, daß es sie gibt.
Da wir das Banddiagramm als stark vereinfachte Darstellung der Gesamtheit der E(k )-Kurven betrachten, steht an der x-Achse keine Achsenbezeichnung, da sie keinerlei Information mehr enthält. (Das in der Zeichnung oben angegebene "alle k" ist rein symbolisch zu verstehen!)
Wir können sogar einen Schritt weitergehen und z. B. auch " x" oder "z" oder <110> an die Abszisse schreiben, d. h. eine Darstellung der erlaubten Energien im Ortsraum wählen – das Banddiagramm sieht weiterhin genauso aus. (Davon werden wir später bei der Beschreibung einer Diode oder anderer Bauelemente viel Gebrauch machen!)
Wir können es leicht wieder etwas komplizierter (aber damit auch aussagekräftiger) machen und die Abszisse für die Zustandsdichte D(E) nutzen. Auf die Details gehen wir hier und jetzt nicht weiter ein (sie folgen schon ein klein wenig weiter unten), sondern nehmen einfach nur schon mal das Ergebnis an einem konkreten Beispiel (Germanium) zur Kenntnis:
Zustandsdichte Ge
Aufpassen: Wir haben es bei der Zustandsdichte D(E) zwar mit einer Funktion "D von E" zu tun, in der hiesigen Darstellung sind aber die Achsen absichtlich vertauscht – die Funktionswerte D sind auf der Abszisse, die Werte der Variablen E , von der sie abhängen, auf der Ordinate zu finden.
Auf diese Art der Darstellung von Funktionen, die von der Energe abhängen, werden wir im Zusammenhang mit dem Banddiagramm übrigens noch öfters stoßen; wir tun gut daran, uns an die zugehörige Denkweise zu gewöhnen, denn wir werden sie später selber verwenden – in einer sehr wichtigen Übungsaufgabe.
In Form der Zustandsdichte "überlebt" immerhin ein Teil der Eigenschaften der E(k)-Kurven die Vereinfachung der Bandstruktur zum Banddiagramm. Aber auch die Details der Zustandsdichte interessieren uns nur selten; wir merken uns lediglich die Tatsache an sich, daß es sie gibt.
Ein Detail der Zustandsdichte ist allerdings sehr wichtig: In der Bandlücke des idealen Kristalls ist die Zustandsdichte per definitionem = 0.
Das läßt sich aber durch gezielte Abweichungen von der Idealität gezielt ändern, wie wir später noch sehen werden!
 

Entstehung der Zustandsdichte

Wir fangen, um Zustandsdichten zu verstehen, nochmal ganz von vorne an:
Wir haben ein Atom, z. B. ein Si-Atom. Wir lösen die Schrödingergleichung für seine 14 Elektronen und bekommen ¥ viele Lösungen oder Zustände yn,l,m(x,y,z), die nach den Quantenzahlen n, l, m sortiert werden, außerdem eine Energie En,l,m für jeden Zustand.
Wir wissen, daß auf jedem Zustand zwei und nur zwei Elektronen sitzen können: Eines mit "Spin rauf" (bzw. vierte Quantenzahl s = +½) und eines mit "Spin runter" (bzw. s = –½).
Bei näherer Betrachtung der Lösung stellen wir fest, daß verschiedene Zustände dieselbe Energie haben können. Auf einem Energienievau haben dann mehr als zwei Elektronen Platz; wir nennen das betreffende Energieniveau dann so-und-so-viel-fach entartet.
In einem schematischen Potentialtopfbild stellen wir das so dar:
   
Potentialbild Atom
Gezeigt sind die Energieniveaus der Elektronen des Atomsin einem Potentialtopf. Die Elektronen füllen "von unten her", d. h. von den tiefsten Energien her, die verfügbaren Zustände oder Plätze auf.
    Ein Energieniveau wird häufig entartet sein, es gibt dann doppelt so viel Plätze (Spin rauf / runter) wie der jeweilige Entartungsgrad angibt.
    Die Wellenfunktionen der Zustände habe eine typische Gestalt; sie codieren hier die Aufenthaltswahrscheinlichkeit des Elektrons. Im Schemabild sind zwei Beispiele für Wellenfunktionen gezeigt
    Auf irgendeinem Energieniveau ist dann das letzte Elektron untergebracht – im Schemabild sind das 2 durch grüne Pfeile symbolisierte Elektronen. Bei Si wäre das das 3p2-Niveau, d. h, das Energienieveau das zu den Quantenzahlen n = 3, l = 1 = s gehört, und auf dem 2 Elektronen sitzen. Diese beiden Elektronen sind in der Abbildungs links (Suchbild!) schematisch durch die grünen Pfeile mit Spin rauf / runter dargestellt.
 
Jetzt bilden wir einen Silizium-Kristall. Dazu nehmen wir viele Atompotentialtöpfe und überlagern sie im richtigen Bindungsabstand graphisch und rein qualititativ. Wir bekommen das schon oft verwendete schematische Bild:
Die "oberen" Energieniveaus spalten in zahlreiche Einzelniveaus auf, damit die 1024 oder so Elektronen des Kristalls genügend Zustände finden – nur mit Entartung eines (atomaren) Energieniveaus ist das nicht zu schaffen.
Entstehung der Si Bänder
Außerdem ist die Energie der Elektronen in der entstehenden Bandstruktur etwas tiefer als im Einzelatom – denn sonst gäbe es keinen Grund, warum die Atome überhaupt Bindungen eingehen sollten.
Im Gegenteil: Es gibt einen Grund, der gegen eine Bindung spricht, denn wir wissen jetzt ja, daß auch die Entropie eine Rolle spielt, und da aneinander gebundene Atome "ordentlichder" sind als ungebundene, sind letztere bevorzugt, weil sie die Entropie maximieren (2. Hauptsatz der Thermodynamik). Weil aber letzten Endes das Minimum der freien Energie G = U – TS entscheidend ist, gibt es doch eine Bildung – die Energieabsenkung muß nur groß genug sein.
Im rechten Teil des obigen Bildes ist gezeigt, wie das wirklich geht.
Die beiden "letzten" besetzten Niveaus beim Si-Atom sind 3s2 und 3p2. Bringt man die Atome von Abstand r = ¥ auf kleinere Abstände, beginnen sie sich so um r = 1 nm zu "spüren". Mit kleiner werdendem Abstand spalten die beiden Einzelniveaus auf in jeweils zwei durch eine Energielücke , d. h. zustandsfreie Zone getrennte "Bänder".
Beim tatsächlichen Bindungsabstand (= Energieminimum unter Berücksichtigung der hier nicht gezeigten abstoßende Kräfte) entstehen das Valenzband und das Leitungsband, getrennt durch eine Energielücke von 1,1 eV), jeweils aus einer Mischung von 3s- und 3p-Zuständen (den zuvor mal kurz erwähnten sp3-Hybridorbitalen ).
Die Zustände im Valenzband liegen energetisch tiefer als im Atom. Bindung und Kristallbildung bringt also tatsächlich eine beträchtliche Energieabsenkung für die 3p-Elektronen des Einzelatoms, und selbst die 3s-Elektronen können sich energetisch noch etwas "verbessern".
Wie kommen wir jetzt auf die Zustandsdichte in den Bändern? Erstmal durch Nachdenken und Rechnen!
 
Zur Berechnung der Zustandsdichte
 
Was unter dieser Überschrift steht, ist nur für das Verständnis wichtig. Gläubige, die das Ergebnis ohne weiteres akzeptieren, können das alles überschlagen. Wissen muß man die Details jedenfalls nicht.
 
Was wir grundsätzlich zu tun hätten, ist klar: Wir schreiben das in drei Dimensionen periodische Potential der Elektronen hin (also eine passende Formel für die oben gezeigten Töpfe), setzen die Formel in die Schrödingergleichung ein, und lösen sie dann.
Das geht – mit diversen Tricks und Näherungen. Wer mal sehen will, wie man anfängt, betätigt die Links: Noch relativ einfachMit Fouriertransformationen.
Wir haben das übrigens im Ansatz auch schon mal gemacht: In Übung 2.3.1, die wir aber "damals" noch nicht so ernst genommen haben.
Was haben wir in dieser Übung gemacht? Das schauen wir uns jetzt nur der Spur nach an; es wird uns aber sehr deutlich machen, wie man zu den Zustandsdichten in den Bändern kommt.
1. Schritt: Wir haben statt einem periodischen Potential in einer Näherung (noch vollständig unklarer Güte), erstmal ein konstantes Potential genommen, und damit erstmal nur eine eindimensionale Schrödingergleichung aufgestellt.
2. Schritt: Löse die Schrödingergleichung. Die Lösungen waren einigermaßen einfach zu erhalten. Wir bekamen (erweitert auf dann drei Dimensionen) die Wellenfunktionen oder Zustände:
y(r)  =  æ
ç
è
1
L
ö
÷
ø
3/2 · exp (i · k · r)

kx = ±   nx · 2p
L
  ky = ±   ny · 2p
L
  kz = ±   n z · 2p
L

E  =  2 · k x 2
2me 

Die Quantenzahlen sind die nx,y,z die auf den Wertebereich nx,y,z=0, ±1, ±2, ...ny beschränkt sind. Wir haben also formal folgende Zustände und Energien
  • ynx, ny, nz( r)=yk (r).
  • E nx, ny, nz=Ek
wobei wir als Index für die Quantenzahlen der einfacheren Schreibweise wegen auch gleich den hier diskreten Wellenvektor k als eine Art vektorieller Quantenzahl schreiben.
3. Schritt: Interpretation der Lösungen als ebene Wellen mit Impuls k und rein kinetischer Energie E=2 · kx 2 / 2me. Das interessiert uns hier aber nicht mehr so sehr.
4. Schritt: Berechnung der Energieniveaus und des Entartungsgrades.
Das ist der Punkt, an dem wir hier besonders interessiert sind. Die Vorgehensweise ist einfach: Wir fangen bei den kleinstmöglichen k-Werten an und berechnen jeweils die Energie aus obiger Formel. Dabei fällt uns sofort auf, dass praktisch immer Entartung vorliegt, da ein-und derselbe Zahlenwert für k x2 und damit E sich aus verschiedenen k's ergibt:
Quantenzustand Energie
(× Konstante )
Zustände Zahl der e
pro E
nx ny nz
0 0 0 0
1 2
±1
0
0
0
±1
0
0
0
±1

1
2
2
2

6

12
±1
±1
0
±1
0
±1
0
±1
±1

2
4
4
4

12

24
±1 ±1 ±1 3   8 16
±2
0
0
0
±2
0
0
0
±2

4
2
2
2

6

12
Weiter ohne Details
2 1 0 5     48
2 1 1 6     ?
2 2 0 8     ?
2 2 1
9
   
?
3 0 0    
und so wie weiter?
Zeichnet man das schematisch auf, erhält man das folgende Energie und Besetzungsschema:
Energieniveaus im Kastenpotential
Damit haben wir alles was wir brauchen: Wir halten fest.
  1. Schon ein extrem einfaches Potential gibt uns ein "kompliziertes" Energieschema. Wir haben alle Energien von "0" bis "10" – außer der Energie "7". Warum das so ist, ist klar: "7" kann nicht als Summe dreier Quadratzahlen dargestellt werden.
  2. Der Entartungsgrad und damit die Zahl der Plätze N pro E-Niveau ist von E-Niveau zu E -Niveau recht verschieden - wir haben die Sequenz 1 - 6 - 12 - 8 - 6 - ....
  3. Auf Anhieb ist nicht so recht klar wie's weitergeht - es ist kein Bildungsgesetz für den Entartungsgrad erkennbar.
Der dritte Punkt ist aber etwas irreführend. Aus der Abzählung wie in der Tabelle vorgenommen, läßt sich zwar in der Tat kein Bildungsgesetz für Energien und Entartungsgrad erkennen, aber wenn man ein bißchen genauer hinschaut findet man eine einfache Formel für die Zustandsdichte D(E)=dN/dE , die für nicht zu kleine Energien eine gute Näherung darstellt.
D( E)  =  1 
Vkrist
 ·   N(E + DE) – N(E)
DE
 =  1 
Vkrist
 · dN( E)
dE
 =  (2 · me)3/2
2 · p2 · 3
· E 1/2
In Worten: Im Bereich E und E + DE gibt es D(E) · DE Zustände und damit genau doppelt so viel Plätze pro cm3 für Elektronen
Mehr wollten wir eigentlich gar nicht wissen.
 
Wie gut ist denn die Näherung mit konstantem Potential oder, wie man das allgemein nennt, die Näherung des "freien Elektronengases"?
Erstaunlich gut! Aber notgedrungen doch noch weit weg von der Realität. Eine reale Zustandsdichte sieht zum Beispiel so aus (wir kennen sie von oben):
Zustandsdichte von Ge
Woher hat man diese Kurven? In der Regel sind sie gemessen. Wie, das lassen wir mal dahingestellt.
Heutzutage kann man Zustadsdichten von nicht zu komplexen Kristallen aber auch hinreichend genau rechnen – allerdings aber nicht mehr "von Hand".
Was immer sich ergibt: das Prinzip ist dasselbe wie beim freien Elektronengas. Dass nicht immer alles in einfachen Formeln ausgedrückt werden kann, ist halt so.
Das einzige, was man sich merken muß, ist dies: Die Zustandsdichte (in Form einer Kurve) eines (Halbleiter) Materials ist letztlich ein "Materialparameter". Hat man diesen Parameter einmal gemessen oder gerechnet, hat man ihn für alle Zeiten.
 
Zu diesem Abschnitt gibt es derzeit weder eine Übungsaufgabe noch schnelle Fragen.

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© H. Föll (MaWi für ET&IT - Script)