| Ein paradigmatischer Volltrunkener kommt aus einer Kneipe und torkelt
durch die Gegend. Jeder Schritt führt mit gleicher Wahrscheinlickeit nach vorne oder hinten, nach rechts oder
links. In welchem mittleren Abstand <|r|> von der Kneipe finden wir die hilflose
Person nach N Schritten der (immer gleichen) Schrittlänge a? |
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|  | Die Art der Fragestellung ist sehr wichtig. Wir
können mehrere Fragen stellen, zum Beispiel: | |
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| | - In welchem mittleren Abstand <|r|> = <(x2 + y2)1/2>
finden wir die hilflose Person? (die Frage von oben)
- Wo, d.h bei welchem
Ort r = (x, y) finden wir die hilflose Person?
- Bei welchem Abstand |r|wahr ist es am wahrscheinlichsten, den Trunkenbold zu finden? 1)
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|  | Die Antworten auf diese drei Fragen können sehr verschieden ausfallen; mehr dazu im mehreren "advanced" Modulen. |
|  | Wir interessieren uns hier primär für den
mittleren Abstand. Offenbar hängt er von der Gesamtzahl der Schritte ab (im
Bild sind es 16). | |
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 | In dem obigen Beispiel betrachten wir
einen speziellen Fall des sogenannten Random Walk: Zwei Dimensionen, feste Schrittweite, 4 feste Winkel. Auf deutsch heißt "Random
Walk" "statistische Wanderung" oder Zufallsbewegung-
aber nur der englische Ausdruck ist wirklich geläufig. |
|  | Wir werden die noch zu findende Beziehung zwischen
dem mittleren Abstand und der Zahl der Schritte noch öfters brauchen, es lohnt sich also etwas Zeit darauf zu
verwenden. Da das Ergebnis aber recht einfach ist, wollen wir hier nur die Andeutung einer sauberen Ableitung geben, eine genaue (und unerwartet komplexe)
Ausführung findet sich in einem Link. |
 | Betrachten wir zunächst den
allereinfachsten Fall der eindimensionalen Zufallsbewegung. Unser Teilchen hat dann
nur die Möglichkeit, einen Schritt nach links oder nach rechts auszuführen. |
|  | Wir können ein einfaches Experiment
durchführen, indem wir eine Münze werfen, und unser Teilchen bei "Zahl" nach rechts, bei
"Kopf" nach links um eine Einheit (unsere Gitterkonstante) bewegen. Das sieht dann beispielsweise so
aus: |
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|  | Das läßt sich auch
relativ leicht simulieren, ein entsprechendes "Experiment" (bei dem der Computer per Zufallsgenerator
würfelt) ist in einem Link dargestellt. Es lohnt sich, ein bißchen zu spielen. |
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Link zum "Random Walk" Simulator
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| Spielt man ein bißchen mit dem
Simulator, oder wirft selbst eine Münze, fällt schnell auf, daß ein Teilchen nach einigen Würfen
in der Regel nicht mehr beim Ausgangspunkt ist, obwohl die Wahrscheinlichkeiten für Schritte nach rechts oder
nach links genau gleich groß sind. |
|  | Das kann man etwas genauer betrachten. Nehmen wir nicht eine Münze, sondern einen
(fiktiven) Würfel mit nur zwei Zahlen – 1 und + 1, brauchen wir nur die Summe der Augen nach
N Würfen zu betrachten. Ist sie 0, dann ist das Teilchen wieder am Ausgangsort, ist sie
beispielsweise + 5 oder – 8, dann ist das Teilchen 5 Schrittlängen nach rechts oder
8 Schrittlängen nach links gewandert. Ist die Summe +N oder –N, ist der
jeweilige Maximalwert erreicht; ein ziemlich unwahrscheinliches Ereignis. |
|  | Wir können offenkundig dasselbe Ergebnis erhalten, wenn wir nicht mit einem digitalen Würfel (Augenzahlen sind + 1 und – 1)
N mal würfeln, sondern N digitale Würfel gleichzeitig werfen. Auch dann ist nur die Summe der Augenzahlen entscheidend für die
Endposition. |
 | Die Wahrscheinlichkeit
wN(x), mit N Würfeln, die alle digital sind, d. h. nur + 1
oder – 1 als Augenzahl haben, mit einem Wurf eine Summe
x zwischen – N und + N zu würfeln, ist dann in Prosa leicht zu
definieren; |
|  | wN(x) = (Zahl der Möglichkeiten x zu würfeln)/(Zahl aller
möglichen Wurfergebnisse). |
|  | Das erinnert uns an die Definition
der Entropie. |
 | Offensichtlich läßt sich
unsere Eingangsfrage in ein Würfelspiel "übersetzen", und dann mit
den Regeln der Kombinatorik und Wahrscheinlichkeitsrechnung beantworten. Wie angekündigt, wollen wir hier aber
nicht weiter die mathematische Ableitung der Formel für wN(x) verfolgen; das wird
im Link getan. |
|  | Anmerken kann man aber, daß in der sauberen
Ableitung der gesuchten Formel die Gauss-Verteilung auftaucht; und daß die
korrekte Ableitung trotz der einfachen Ausgangsfragestellung zahlreiche Tücken hat (in allen Auflagen des
"Atkins", der als eines der wenigen
Bücher dies überhaupt tut, sind z.B. Fehler; siehe obigen Link). |
|  | Wir wollen deshalb zur Ableitung des mittleren Abstands zwischen Start und Ziel nach N Schritten mit der
Schrittweite a in der eindimensionalen Diffusion eine der
trickreichen Schnellableitungen benutzen, die Richard Feynman für viele Formeln in seinen "Lectures" gegeben hat. |
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| Schnellableitung des Ergebnisses |
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| Wir bezeichnen den Abstand zwischen Startpunkt und der jeweiligen Position mit dem (eindimensionalen) Vektor R. Ein einzelner Schritt sei durch einen
eindimensionalen) Vektor a gegeben; für eindimensionalen random walk in einem Gitter hätte a dann nur die
Werte ±|a|. |
|  | Die Schlüsselfrage ist: Wie groß ist der Betrag von
R = |R| = R nach N Schritten? |
|  | Gleichbedeutend und einfacher ausrechenbar ist die
Frage nach dem mittleren Abstandsquadrat, <R2>, das
nach N Schritten vorliegt, da gilt |
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|  | Dazu betrachten wir die Lage
zu irgendeinem Zeitpunkt, z.B. nach N – 1 Schritten; der Abstand ist dann RN
– 1. |
|  | Der nächste Schritt wird den Vektor a addieren; wir landen bei |
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|  | Wir bilden nun
RN2 : |
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RN2 =
|RN|2 = |
æ è | RN 1 +
a | ö ø | 2 | = | (R2N
1) + 2 · a · RN 1 +
a2 |
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|  | Davon wollen wir den Mittelwert, d.h. wir müssen über viele RN2
mitteln. Da dabei a richtungsmäßig alle möglichen Werte haben kann; wird
+a genauso häufig vorkommen wie –a; der Mittelwert des gemischten Produktes ist . |
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| Damit haben wir für <RN2> |
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|  | Das ist eine etwas
ungewöhnlich Definition einer Funktion <RN2> mit der diskreten Variablen N, nämlich eine rekursiv definierte Funktion. Wie löst man so eine Gleichung? Per Induktion: Schluß von n auf n + 1. |
|  | Wir erhalten für die gesuchte Formel des
eindimensionalen "random walks": |
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 | Wer's nicht glaubt, beweist das ganze
mit vollständiger Induktion. |
|  | Mit N = 1 anfangen; das Ergebnis für N = 2 verwenden, dann Schluß
von N auf N +1 |
 | Random walk in drei Dimensionen ergibt nichts grundsätzlich neues.
Da die drei Richtungen unabhängig voneinander sind, wird unser besoffener Vogel (der Volltrunkene von oben schafft nur zwei Dimensionen) auf jeder Achse i =
x, y, z sich um |
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<R2i, N (3-dim)> | = | N ·
a2 |
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| | entfernt haben. |
 | Das mittlere Abstandsquadrat - so heißt es ab jetzt immer - im dreidimensionalen ist damit . |
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<R2N (3-dim)> | = | <R2x, N> + <R2y, N> + <R2z, N> | = | 3 · N · a2 |
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|  | Oft ist man
aber bei der Behandlung derartiger Probleme "großzügig" und läßt den Faktor 3
unter den Tisch fallen - man bewegt sich sowieso fast immer im Bereich mehr oder weniger heftiger Näherungen. |
 | Dieses simple Gesetz ist eine der
wichtigsten Formeln bei Diffusionsvorgängen; wir werden es noch oft
brauchen! |
|  | Die Formel besagt, daß
das mittlere Abstandsquadrat bei einem beliebigen Random Walk (wir haben keine
Einschränkungen für R und a gemacht) proportional zur Zahl der Sprünge (und damit zur Zeit) und zum Quadrat der
(mittleren) Sprungweite ist. |
|  | Selbst im superallgemeinsten Fall, in dem R und a nicht mehr
konstant sein müssen, gilt die Formel noch, falls wir die Mittelwerte dieser Größen nehmen |
 | Die Verknüpfung zur echten
Diffusion von Teilchen ist nun einfach, denn: |
|  | Wir kennen die Zahl N der Sprünge, d.h. die
Sprungrate r mal Zeit t, auch aus der Betrachtung der
Leerstellenhüpferei: Eindimensional und in kubischen Kristallen galt |
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| D = | r · a02 6 | | | | | | Þ | r
= | 6 · D
a02 | |
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|  | Dabei war
a0die Gitterkonstante und D der Diffusionskoeffizient. |
|  | Damit erhalten wir |
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N = | r · t |
= | 6 · D · t a2 | | | | | <RN2> = | N · a2 | = | 6 · D · t ·
a2 a02 |
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 | Ziehen wir die Wurzel
aus <RN2> (und das ist
nicht dasselbe wie die Wurzel aus RN2!),
erhalten wir den die mittlere Entfernung vom Startpunkt, die wir die Diffusionslänge L nennen wollen. Es gilt: |
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L = |
æ è | <RN2
> | ö ø | 1/2 | = | a a0 |
· | æ è | 6 · D · t | ö ø
| 1/2 |
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|  | Für beliebige Kristalle
erhalten wir mit dem Geometriefaktor
g statt dem 1/6 |
| |
L = | = | a a0 · g | · | æ è | D · t | ö ø
| 1/2 |
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|  | Falls wir Atome mit einer
Sprungweite von |a| » a0, Kristalle mit g =
1, und das ganze noch dreidimensional
betrachten, erhalten wir schließlich die sehr wichtige Endformel |
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|  | Das "»" berücksichtigt, daß die exakte Berücksichtigung der
(gitterabhängigen) Sprungweite und der Dreidimensionalität den Vorfaktor i.a. dicht an 1
rückt. |
 | Wir haben, allgemein gesprochen, eine
Fornel erhalten, die uns das Ergebnis eines statistischen Prozesses an die Zeitdauer koppelt, für die der Prozess
läuft. |
|  | Das gilt für
jeden solchen Vorgang, also auch für alle Diffusionsphämomene. Ob
Leerstellen in einem Kristall wandern, Tintenmoleküle in Wasser, Elektronen in Halbleiter, oder was auch immer;
solange sie es mit "Random Walk" tun, gelten die obigen Beziehungen. |
 | Am Rande sei noch bemerkt, dass wir das Ergebnis natürlich auch über die Fickschen
Gleichungen (plus atomare Deutung des Diffusionskoeffizienten) erhalten können: |
|  | Wir lösen ein passendes Diffusionsproblem (es
wird uns eine Gaussverteilung geben) und errechnen aus der Lösung den mittleren Abstand wie im Link angedeutet. Das ist aber nicht so allgemein wie die Betrachtung hier - und
mathmatisch ziemlich anspruchsvoll. |
© H. Föll (MaWi 1 Skript)