 | Links ein perfekter Kristall, rechts
ein Kristall mit 3 Leerstellen. Im Vergleich zu dem perfekten Kristall enthält er sowohl mehr Enthalpie als
auch mehr Entropie. |
|  | Da wir den Vergeich bei beliebigen Temperaturen machen, kann auch unser "perfekter" Kristall
Entropie = Unordnung enthalten: Die Atome sitzen dann nicht still, sondern vibrieren mit statistisch wechselnder
Frequenz und Amplitude, d.h. unordentlich, um ihre Gleichgewichtsposition. Wir
ignorieren aber diesen Beitrag und betrachten nur die Entropie Sn die von n
Leerstellen erzeugt wird. |
 | Die freie Enthalpie des perfekten Kristalls ist also ganz
allgemein |
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 | Die freie Enthalpie des Kristalls mit
drei Leerstellen nennen wir G3V. |
|  | Wir erhalten
G3V aus der freien Enthalpie des perfekten Kristalls indem wir die zusätzliche Enthalpie H3V, die in den Leerstellen steckt zu
H0 addieren und die zusätzliche Entropie
S3V die durch die jetzt größerer Unordung entsteht zu S0.
Wir erhalten |
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G3V = (H0 + H3V)
– T · (S0 + S3V) |
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|  | Es ist jetzt gut
möglich, daß für eine bestimmte Zahl an Leerstellen die freie Enthalpie kleiner ist als für den
perfekten Kristall, da der Zuwachs an T · S, Entropie mal Temperatur, den Zuwachs an Enthalpie
überwiegen kann. |
 | Wie groß sind die Enthalpie- und
Entropiebeiträge der Leerstellen? Zunächst zu der zusätzlichen
Enthalpie, die benötigt wird um eine Leerstelle zu erzeugen. |
|  | Formal muß man, um ein Atom zu entfernen, alle Bindungen des Atoms lösen. Dazu muß eine Energie, oder besser Enthalpie, aufgebracht werden, die
ungefähr der gesamten Bindungsenergie entspricht. Die ungesättigten Bindungen der Nachbaratome der
Leerstelle werden sich evtl. etwas umkonfgurieren, dabei wird dann wieder etwas Energie gewonnen. |
|  | Insgesamt muß immer eine definierte
Energiemenge, die Bildungsenthalpie
HF(V) einer Leerstelle, aufgebracht werden (der Index "F" steht für
"formation"). |
|  | Theoretisch ist HF(V) nur mit größter Mühe, und auch dann nur in
nicht besonders guter Näherung errechenbar. Die Bildungsenthalpie einer Leerstelle in einem gegebenen Kristall
ist aber trotzdem eine wohldefinierte Größe und im Zweifelsfall
experimentell bestimmbar; wir setzen sie einfach als gegeben voraus. |
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 | Man kann die Bildungsenthalpie auch mit dem (negativen) Energiegewinn identifizieren, der anfällt wenn wir die Leerstelle (gedanklich) wieder
mit dem passenden Atom auffüllen. |
 | Damit können wir den
Vergleich perfekter Kristall - Kristall mit n Leerstellen weiter quantifizieren, da wir zur Erzeugung von
n Leerstellen die zusätzliche Enthalpie n · HF(V) brauchen. Hier
der unmittelbare Vergleich |
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Perfekter Kristall | Kristall mit n Leerstellen | 0
Leerstellen | n Leerstellen | Es gibt nur eine Anordnungsmöglichkeit der 0
Leerstellen bzw. der N Atome | Es gibt viele Anordnungsmöglichkeiten der n Leerstellen. | S0 = 0 | Sn = S(n) ³ 0 | Damit ist G0 = H0 –
T · 0 = H0 | Gn enthält die zusätzlichenEnthalpie um n Leerstellen zu
bilden und die zusätzliche Entropie: Gn = H0 + n ·
HF(V) – T · S(n) | Das Minimum der freien Enthalpie wird bei einer bestimmten Zahl von
Leerstellen erreicht sein, diese Gleichgewichtszahl bestimmt sich aus
dG(n) dn | = HF(V) – T · | dS(n) dn | = 0 |
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 | Wir müssen nun nur noch
S(n) berechnen. Mit der Entropieformel
S = k · ln (pi/Spi) von Boltzmann ist
das leicht (haha) möglich. |
 | Die Frage ist
zunächst, wieviel Mikrozustände pi es zum
Makrozustand "i = n Leerstellen verteilt auf
N Plätze" gibt, wobei Leerstellen - im Gegensatz zu
Würfeln - ununterscheidbar sind. Außerdem kann natürlich nur
immer eine Leerstelle auf einem Platz sitzen. Die Zahl der Mikrozustände ergibt dann das
pi für die Formel. |
|  | Das ist eine Standardaufgabe aus der
elementaren Kombinatorik. Die Formel dazu ist leicht herleitbar; wir
betrachten dazu eine Tabelle der Möglichkeiten beginnend bei n = 0. |
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n (= i) | pn = | Kommentar | 0 | 1 | Es gibt genau eine
Möglichkeit keine Leerstelle zu haben: Alle Atome auf ihren Plätzen.
| 1 | N | Es gibt N Plätze für die 1. Leerstelle und damit
N Mikrozustände | 2 |
| Es gibt N Plätze für die 1. Leerstelle und noch
N – 1 Plätze für die 2. Leerstelle. Auch wenn wir die Leerstellen
unterscheiden könnten, bringt vertauschen jedoch nichts neues - die Anordnugen
sind ununterscheidbar. Wir müssen
also noch durch 2 dividieren | 3 |
N · (N – 1) · (N – 2) 2 · 3 |
| Vertauschen aller 3 Leerstellen bringt nichts neues da die möglichen
Anordnungen auch ununterscheidbar sind, wir müssen deshalb durch 6 = 2 · 3 dividieren |
... | ... | usw. | n |
N · (N – 1) · (N – 2) ·
.... · (N – (n– 1)) 1 · 2 · 3
· ... · n |
| Wir haben ein offenkundiges Bildungsgesetz. Der Nenner ist per definitionem
n! gesprochen "Enn Fakultät" | n |
N · (N – 1) · (N
– 2) · .... · (N – (n – 1))
n! | · | (N – n)! (N –
n)! |
| Kleiner Trick: Wir erweitern mit
(N – n)! und erhalten | n |
N! n! ·
(N – n)! | = | æ è | N n |
ö ø |
| Das ist eine so häufige Formel, dass sie einen eigenen Namen und Symbol
hat:
æ è | N n |
ö ø | = Binomialkoeffizient |
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 | Zur Berechnung von
S(n) bräuchten wir noch p0 = S
pi. |
|  | In aller Regel, wie schon ausgeführt, kann
man sich aber die explizite Berechnung ersparen, wir werden gleich sehen warum. Die Entropieformel lautet jetzt |
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Sn = k · ln | pn p0 | = | k · ln
pn – k · ln p0 |
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|  | Der zweite Term ist
eine Konstante; wir können sie mit S ' bezeichnen. Die Entropieformel heißt dann
Sn = k · ln pn – S ', oder mit der Formel
für pn |
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Sn = k · ln | æ
è | N! n! · (N
– n)! | ö ø | – S ' | = | k · | æ è | ln N! – ln n! – ln (N - n)! | ö ø | – S ' |
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 | Damit ist die Errechnung der
Gleichgewichtszahl an Leerstellen über dG(n)/dn = 0 jetzt eine mathematische Aufgabe geworden. |
|  | Im wesentlichen ist dS(n)/dn zu bilden, also |
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dSn dn | = k · | d dn | æ è
| ln N! – [ln n! + ln (N – n)!]
| ö ø | – S ' |
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|  | Wir sehen sofort,
daß der Term S' herausfällt, wir müssen ihn zur Berechnung von
Gleichgewichten also gar nicht kennen - und das gilt ganz generell, wie schon gleich zu Beginn bemerkt! |
 | Die
mathematische Aufgabe reduziert sich auf die Berechnung von |
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d [lnn!] dn | + | d [ln(N –
n)!] dn | = |
0 |
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 | Da man Funktionen mit
Fakultäten nicht so recht differenzieren kann (sie sind ja gar nicht stetig) ist es jetzt notwendig, einige Näherungen zu machen: |
 | Mathematische Näherung: Anwendung der einfachsten Version der
Stirlingschen Formel für Fakultäten |
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|  | Diese simple Formel generiert nicht nur
einen ganz gut passenden Zahlenwert für nicht zu kleine x, z.B. x = 17, sondern
produziert auch eine stetige Funktion, d.h. sie liefert auch Werte für z.B.
x = 17, 31. Was 17, 31! bedeuten mag lassen wir mal offen - aber auf jeden Fall können wir
mit dieser Näherung jetzt differenzieren. |
 | Physikalische Näherung: |
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|  | Das ist gerechtfertigt, da die Zahl der
Leerstellen immer viel kleiner sein wird als die Zahl der Atome. |
 | Weiterhin benutzen wir eine einfache Definition: |
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|  | Konzentrationen wie oben definiert haben
keine Maßeinheit; die Konzentration 0,01 entspricht 1 %
Leerstellen bezogen auf die Zahl der Atome. Statt Prozent benutzt man aber gerne folgende Abkürzungen: |
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|  | (Daß die amerikanische Billion der deutschen Milliarde (=
109) und nicht der deutschen
Billion (= 1012) entspricht ist ein Quell ständiger Irrtümer in allen deutschen Zeitungen. |
|  | Gebräuchlich ist auch noch |
| | - ppt = parts per trillion =
10– 12 (nicht mit "parts per thousand" zu verwechseln; das gibt es nicht als
Abkürzung!!!).
- ppqt = parts per quatrillion = 10– 15
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|  | Kleinere Konzentrationen sind i.a. nicht
meßbar; deshalb gibt es keine gebräuchlichen Abkürzungen nach ppqt - wohl aber für Vorsilben! |
|  | Man kann Konzentrationen natürlich auch auf ein
bestimmtes Volumen beziehen (dann ist die Einheit cm– 3), auf 1 mol einer Substanz oder
auf Partialdrücke. Man muß höllisch aufpassen, daß man hier
keine Fehler macht - im Link gibt es dazu viele
Details. |
 | Die nun recht einfache Mathematik
überlassen wir einer Übungsaufgabe. |
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Übung 5.3-2 | Berechnung der Gleichgewichtskonzentration an Leerstellen |
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 | Als Ergebnis erhalten
wir für die Leerstellenkonzentration im
thermodynamischen Gleichgewicht |
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|  | Das ist die in einem vorhergehenden Kapitel bereits postulierte Formel. Aber
jetzt haben wir sie aus "first principles" hergeleitet! |
| Dies bedeutet, daß für thermodynamisches
Gleichgewicht eine ganz bestimmte Konzentration cV(T) an Leerstellen
benötigt wird. |
|  | Kristalle ganz ohne Leerstellen bei endlicher Temperatur oder mit der
falschen Anzahl, sind nicht im chemischen
GG! Über chemisches GG reden wir deshalb, weil wir GG bezüglich einer Teilchenzahländerung ausgerechnet haben. Die
"Teilchen" in diesem Fall waren Leerstellen. |
|  | Der jeweilige Wert der Gleichgewichtskonzentration sinkt exponentiell
(Minuszeichen im Exponenten beachten!) mit der Bildungsenthalpie und steigt
exponentiell mit der Temperatur. Wer Probleme mit der
Visualisierung von Exponentialfunktionen hat, betätigt den Link |
 | Wir können diese ausführliche Betrachtung jetzt sofort verallgemeinern, denn
sie gilt analog auch für andere atomare Fehlstellen: |
|  | Nehmen wir die Bildungsenthalpie der Eigenzwischengitteratome HF(i) , haben wir
die Gleichung für die Gleichgewichtskonzentration an
Eigenzwischengitteratomen. |
|  | Nehmen wir eine spezifische Enthalpie zur Beschreibung des Einbaus eines Fremdatoms,
HL(FA), beschreiben wir die Löslichkeit
eines Fremdatoms, d. h. die optimale Konzentration bei einer bestimmten Temperatur. HL(FA)
beschreibt dabei die Energie die am aufbringen muß, um ein Fremdatom ins Gitter einzubauen. |
|  | Hier muß man
allerdings ein bißchen aufpassen. Während man zur Erzeugung, d.h. zum
Einbau einer Lehrstelle oder eines ZGA immer Energie aufwenden muß, kann HL(FA) auch mal negativ sein, d.h. man gewinnt Energie durch Einbau
eines Fremdatoms (Kristallatome haben lieber ein Fremdatom als Nachbar, als eines der eigenen Sorte). Auch kann
HL(FA) sehr klein sein (d.h. es ist dem Kristall dann ziemlich egal, wer auf den
Gitterplätzen sitzt). |
 | Solange die Konzentrationen klein sind,
d.h. die diversen atomaren Fehlstellenarten sich gegenseitig "nicht sehen", sind alle Konzentrationen
einfach additiv - GG verlangt nach der jeweils richtigen Konzentration aller
im System machbaren atomaren Fehlstellen. |
 | In jedem Fall erfordert das
Minimum der freien Enthalpie, daß eine bestimmte Konzentration an atomaren Fehlstellen vorhanden sein muß. Für hohe Bildungs- oder Löslichkeitsenthalpien oder niedrige
Temperaturen kann diese Konzentration beliebig klein werden, mathematisch Null wird
sie jedoch nie! |
|  | Physikalisch Null ist eine Konzentration aber spätestens dann, wenn weniger als
ein atomarer Defekt auf alle Atome des betrachteten Kristalls kommen. Dies ist bei
makroskopischen (mit dem bloßen Auge sichtbaren) Kristallen rund und roh bei Konzentrationen von c
» 10– 21 der Fall. |
|  | Meßtechnisch sind allerdings schon
Konzentrationen von c £ 10– 10 meist nicht mehr direkt
erfaßbar. Das schließt aber nicht aus, daß atomare Defekte in
derart kleinen Konzentrationen trotzdem noch die Eigenschaften eines Materials beeinflussen können. |
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| Entstehung und Vernichtung von intrinsischen atomaren Fehlstellen |
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 | Die Thermodynamik schreibt einem
Kristall zwingend vor, wieviele Leerstellen und Eigenzwischengitteratome er im thermodynamischen Gleichgewicht und
einer gegebenen Temperatur haben muß. Bei einem Wechsel der Temperatur ändert sich die
Gleichgewichtskonzentration, und das bedeutet, dass atomare Fehlstellen entweder erzeugt oder vernichtet oder werden
müssen - je nachdem ob wir die Temperatur erhöhen bzw, erniedrigen |
|  | Wie kann ein Kristall in der Realität AF's erzeugen oder vernichten? Ein Atom kann ja nicht
einfach so verschwinden (und an der Oberfläche wieder auftauchen) wie wir das mit der Mathematik postulieren. |
|  | Umgekehrt, wie kann eine vorhandene Leerstelle verschwinden? Indem
sie mit einem Eigen-ZGA rekombiniert, OK; aber da es in der Regel sehr viel weniger ZGA's als
Leerstellen gibt, wird das nicht viel nützen. |
 | Die Antwort ist einfach im
Prinzip und komplex in der Praxis: |
|  | Erzeugung und Vernichtung von AF's
geschieht mit Hilfe anderer Defekte; insbesondere Versetzungen und Korngrenzen. Beide Defektsorten können
AF's emittieren oder absorbieren. |
|  | In Kapitel 10 werden wir lernen wie das geht (und was dabei mit den Korngrenzen
und Versetzungen geschieht). Die Links führen auf Unterkapitel mit relevanten Bildern, die aber auch schon in dem
hier diskutierten Zusammenhang sofort verständlich sind: |
|  | Darüberhinaus können AF's formal verschwinden,
indem sie sich zu größeren Defekten, z.B. "Voids" oder Versetzungsringen zusammenlagern - das
hatten wir schon früher angesprochen. |
 | .Wenn man ein bißchen weiterdenkt, wird jedoch sofort klar, dass für alle diese
Prozesse Zeit benötigt wird, da die AF's erstmal die "Partner finden (oder verlassen) müssen. Dazu
müssen sie diffundieren. |
|  | Die Einstellung eines neuen Gleichgewichts
wird also schnell erfolgen können, falls die AF's sehr beweglich sind. Falls sie aber nur langsam und
träge im Gitter herumdiffundieren, kann es auch sehr lange dauern - Stunden, ein Menschenalter, ein Millenium,
ein Alter des Universums. |
 | Was wir hier betrachten ist der
Weg ins Gleichgewicht - die Kinetik. Sie wird uns ein eigenes Kapiutel wert
sein! |
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| Einige Zahlen |
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 | Wie groß sind reale Bildungsenergien und Konzentrationen? |
|  | Zunächst gilt (fast) immer |
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|  | d.h. die Konzentration an Leerstellen wird i.d.R.
viel größer sein als die Konzentration an Eigenzwischengitteratomen. Die große Ausnahme hier, wie
auch bei vielen anderen Eigenschaften, ist Silizium.
Im Link sind einige der bemerkenswerten speziellen Eigenschaften
von Si zusammengefaßt. |
|  | Typische Werte für die
Bildungsenthalpien der Leerstellen sind: |
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Kristall | HF(V) [eV] | Ag | 1,1 | Al | 0,76 | Au | 0,98 |
Cu | 1,0 | | | Si | ? 2,0 - 4,5 nicht eindeutig geklärt |
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 | Damit erhält man als groben Richtwert für die maximale Leerstellenkonzentration am Schmelzpunkt der gebräuchlichen Metalle,
cV(max) »» 10– 4
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|  | Bei Si, anderen Halbleitern und kovalent gebundenen
Kristallen ist die maximale Konzentration aber viel kleiner und nicht direkt
meßbar - und trotzdem von überragender Wichtigkeit, wie wir noch sehen werden. |
 | In nächsten Unterkapitel wollen wir uns noch etwas detaillierter mit der Konzentration atomarer
Fehlstellen beschäftigen, wie sie durch die hier abgeleitete Formel beschrieben wird. |
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© H. Föll (MaWi 1 Skript)