4.2.1 Beziehungen zwischen Defekten

4.2.1 Allgemeines

Dreidimensionale Defekte und atomare Fehlstellen

Die verschiedenen Defekttypen sind nicht unabhängig voneinander, sondern stehen in vielfältiger und dynamischer Beziehung zueinander. Dazu einige Beispiele, die sofort einleuchten und die im vorherigen Kapitel schon angeklungen sind:
Dreidimensionale Defekte sind notwendigerweise von zweidimensionalen Defekten begrenzt, denn ihre Oberfläche ist per definitionem eine Phasengrenze. Das hat sofortige weitreichende Konsequenzen:
Die Gesamtenergie des dreidimensionalen Defekts ist immer gegeben durch die Energie die im Defektvolumen steckt plus der Energie der Phasengrenze.
Die Energie des Volumens kann man als Nettobilanz in einem Energievergleich auffassen: x Frematome sind statistisch im Gitter verteilt oder in einer Ausscheidung konzentriert. Bei tiefen Temperaturen ist i.d.R. die Ausscheidung günstiger, die Volumenenergiebilanz ist dann negativ. Die Gesamtenergie des Kristalls sinkt also wenn sich die Verunreinigungen ausscheiden; für kugelförmige Ausscheidungen mit Radius r nimmt sie also mit – const. · 4/3pr3 ab.
Die Energie der Phasengrenzfläche ist aber immer positiv, ihr Anteil an der Gesamtenergie wächst dementsprechend mit g · 4pr2. Graphisch sieht das immer so aus:

Die mit r3 abnehmende Volumenenergie "gewinnt" mit wachsendem Radius immer gegenüber der mit r2 wachsenden Oberflächenenergie. Aber für kleine Radien ist die Grenzflächenenergie der bestimmende Term.
Dies bedeutet, daß bei der Bildung einer Ausscheidung die Energie immer erst anwächst, bevor sie abnimmt! Der energetisch günstigere Zustand kann damit nur durch Überwinden einer Energiebarriere erreicht werden, es bedarf einer Nukleation, einer Keimbildung der Ausscheidung, bevor durch Wachstum der Ausscheidung immer mehr Energie gewonnen werden kann, so daß das Wachstum "von alleine" abläuft.
So einfach ist das Konzept einer Enrgiebarriere und der ungeheuer wichtige Prozeß der Keimbildung zu verstehen!
Dreidimensionale Defekte können aber auch durch Diffusion und Zusammenlagerung (= Agglomeration, "clustern") von nulldimensionalen Defekten entstehen.
Treffen sich viele Leerstellen an einem Platz, entsteht ein Void, das leuchtet sofort ein. Auch hier ist der dreidimensionale Defekt durch den zweidimensionalen Defekt "Oberfläche" begrenzt, die obigen Überlegungen treffen voll zu.
Sebstverständlich können auch auch substitutionelle oder interstitielle Fremdatome per Diffusion agglomerieren; es resultiert eine Ausscheidung.
 
Zweidimensionale Defekte und eindimensionale Defekte
   
Etwas weniger einleuchtend als obige Beziehungen ist die folgende Aussage: Stapelfehler enden an inneren oder äußeren Oberflächen oder sind durch eindimensionale Defekte (= Versetzungen) begrenzt.
Um das zu verstehen, denken wir uns die beiden Stapelfehlertypen wieder durch das vorhergehende Rezept konstruiert: Aufschneiden, Ebene wegnehmen oder zufügen, dann wieder zusammensetzen. Aber jetzt schneiden wir nur in einen Teil des Kristalls. Dann entstehen folgende Defekte in kompletter Analogie zu den im vorherigen Unterkapiteln gezeigten Bildern:
frank_versetzung Die C - Ebene fehlt im rechten Teil,
wir haben einen intrinsischen Stapelfehler.
Er wird offenbar von einer Stufenversetzung berandet
Extrinsischer Staperfehler 
mit Frank Versetzung Eine A - Ebene ist im linken Teil zusätzlich enthalten,
wir haben einen extrinsischen Stapelfehler
Beide Stapelfehler sehen ziemlich ähnlich aus, sind aber verschieden - genau hinschauen! Sie sind längs der Schnittlinie durch einen eindimensionalen Defekt berandet - eine Art Stufenversetzung.
Gezeigt sind dieselben Bilder, die schon im vorhergehenden Unterkapitel 4.1.5 die Stapelfehler illustrierten; nur im Sinn des obigen Rezepts weitergezeichnet. Die Berandung der Stapelfehler sieht sehr nach einer Stufenversetzung aus. Der zugehörige eindimensionale Defekt ist auch eine (Stufen)versetzung, aber keine richtige oder vollständige Versetzung, sondern eine sogenannte Partialversetzung.
Der Burgersvektor dieser Partialversetzungen ist nämlich kein Translationsvektor des Gitters! Würde man im obigen Bild einen Umlauf machen, der einem Burgersumlauf entpricht, findet man b = a/3<111> als Burgersvektor der Partialversetzung, also keinen Translationsvektor.
Einfacher erhält man dieses Ergebnis, wenn man das Volterra Rezept anwendet (Schneiden, Verschieben um a/3<111>, Material einfüllen oder entnehmen, zusammenfügen, feststellen, dass die Schnittflächen nicht "passen", den resultierenden Stapelfehler, wenn man'as trotzdem tut, in Kauf nehmen). Partialversetzungen mit diesem Burgersvektor heißen allgemein auch Frank - Versetzungen.
Um das ganze noch etwas zu verkomplizieren, sei nur zur Illustration noch hinzugefügt: Ein Stapelfehler kann auch noch durch eine andere Sorte von Partialversetzungen berandet werden, durch sogenannte Shockley - Versetzungen mit den Burgersvektor a/6<112>.
Wer das genauer wissen möchte, betätigt den Link.
 
Stapelfehler und atomare Fehlstellen
   
Wir ahnen schon die nächste Beziehung: Stapelfehler in fcc - Kristallen (inkl. Berandung durch eine Franksche Partialversetzung) können durch Agglomeration von Leerstellen oder Eigenzwischengitteratomen auf {111} - Ebenen entstehen.
Leerstellenagglomeration auf einer {111} - Ebene entspricht dem Herausnehmen einer Ebene, es wird ein intrinsischer Stapelfehler erzeugt.
Die Agglomeration von Zwischengitteratomen auf einer {111} - Ebene schiebt eine zusätzliche Ebene ein, es entsteht ein extrinsischer Stapelfehler.
In der Realität ist dieser Prozeß nicht selten; es entsteht i.d.R. ein kleines Leerstellen- bzw. Zwischengitteratomscheibchen; ein Querschnitt sieht so aus:
Links ein "Leerstellenring"; rechts ein Zwischengitteratomring.
 
Versetzungen und atomare Fehlstellen
   
Die Beziehung zwischen Versetzungen und atomaren Fehlstellen ist die Grundlage der Metallurgie.
Aus relativ weichen reinen Metallen wird durch "Verunreinigen" oder Legierung das harte Gebrauchsmetall.
Weiches Schmiedeeisen und ein bißchen Kohlenstoff macht harten Stahl - allerdings mit noch tausend Tricks drumherum; wenn man den alten Schmiedegeschichten glaubt.
Es ist ganz einfach - im Prinzip.
Versetzungsbewegung macht plastische Verformung, und das geht umso einfacher ("weiches Material"), je leichter es ist, die Versetzungen zu bewegen.
Atomare Fehlstellen aller Arten (und die von ihnen stammenden Ausscheidungen) behindern die Versetzungsbewegung, das Material wird härter.
Allerdings sollte man die Versetzungsbewegung nicht ganz unmöglich machen - denn dann ist das Material spröde, und das ist auch nicht gut.
Denn ein Schwert sollte sich weder verbiegen ("weich"), noch brechen ("spröde"), sondern allenfalls ein bißchen elastisch biegen oder etwas eindellen.
 
Jetzt wollen wir es genug sein lassen. Wir ahnen, daß es weitere Beziehungen gibt (z. B. zwischen Versetzungen und Korngrenzen). Statt weitere Beispiele zu betrachten, nehmen wir nur einen Merksatz mit, der sehr große Bedeutung hat
Defekte sind oft korreliert und treten gemeinsam auf.
Aus "kleinen" Defekten können "große" Defekte entstehen
Der letzte Satz wird und wurde in der Halbleitertechnik oft leidvoll erfahren: Aus einer Handvoll Fremdatome, die atomar verteilt niemand stören würden, entwickeln sich wenn man Pech hat, massive Defekte, die das Bauelement "killen". Statt Umsatz produziert man Abfall. Einige Beispiele dazu im Link.
Zum Schluß noch eine kleine Illustration gekoppelt mit einer Übung
Übung 4.2-3
Defekte finden, identifizieren und Varianten diskutieren
Und dann selbstredend noch der "Multiple Choice test;
Fragebogen
Multiple Choice Fragen zu 4.2

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© H. Föll (MaWi 1 Skript)