5.2.2 Berechnung der Leerstellendichte und Verallgemeinerung

Berechnung der Leerstellendichte

Die Formel zur Berechnung der Leerstellendichte im Gleichgewicht haben wir bereits hergeleitet, sie lautete:
G(n)  =  E 0  +  n · EF  – kBT ·  ln N!
n! · (Nn)!
Damit ist die Errechnung der Gleichgewichtszahl an Leerstellen über dG(n)/dn = 0 jetzt eine mathematische Aufgabe geworden.
Der schwierige Teil ist dS(n)/dn, also
dSn
dn
 =  kB ·  d
dn
æ
è

ln N! – [ln n! + ln (N – n)!] ö
ø
Die mathematische Aufgabe reduziert sich auf die Berechnung von
d [lnn!]
dn
 +  d [ln(Nn)!]
dn
Da man Funktionen mit Fakultäten nicht so recht differenzieren kann (sie sind ja gar nicht stetig), ist es jetzt notwendig, einige Näherungen zu machen:
Mathematische Näherung: Anwendung der einfachsten Version der Stirlingschen Formel für Fakultäten:
ln x!   »   x · ln x
Diese simple Formel generiert nicht nur einen ganz gut passenden Zahlenwert für nicht zu kleine x, z.B. x = 17, sondern produziert auch eine stetige Funktion, d.h. sie liefert auch Werte für z.B. x = 17,31 . Was 17,31! bedeuten mag, lassen wir mal offen – aber auf jeden Fall können wir mit dieser Näherung jetzt differenzieren.
Physikalische Näherung: Für einen realen Kristall gilt immer:
n  <<  N
     
N – n  »  N
Das ist gerechtfertigt, da die Zahl der Leerstellen immer viel kleiner sein wird als die Zahl der Atome.
Weiterhin benutzen wir statt der Zahl bzw. Dichte n an Leerstellen auch ihre Konzentration (relative Häufigkeit) cV über die inzwischen bekannte Beziehung
n
N
 =  cV  =    Konzentration von Leerstellen (Index V)
Nochmals: Häufigkeiten wie hier definiert haben keine Maßeinheit; ein cV-Wert von 0,01 entspricht 1 % Leerstellen bezogen auf die Zahl der Atome. Statt Prozent benutzt man aber gerne folgende Abkürzungen:
Daß die englische bzw. amerikanische Billion der deutschen Milliarde (= 109) und nicht der deutschen Billion (= 1012) entspricht, ist ein Quell ständiger Irrtümer in allen deutschen Zeitungen, aber natürlich nicht bei ET&IT-IngeneurInnen!
Die nun recht einfache Mathematik überlassen wir einer Übungsaufgabe.
Übungsaufgabe 5.2-1
Berechnung der Gleichgewichtsdichte an Leerstellen

Als Ergebnis erhalten wir für die Leerstellenkonzentration im thermodynamischen Gleichgewicht
cV  = exp ( –   EFV
kBT 
)
Das ist die in einem vorhergehenden Kapitel bereits postulierte Formel. Aber jetzt haben wir sie aus "first principles" hergeleitet!
Dies bedeutet, daß im thermodynamischen Gleichgewicht eine ganz bestimmte Konzentration cV ( T) an Leerstellen prinzipiell vorliegt.
Kristalle ganz ohne Leerstellen bei endlicher Temperatur oder mit der falschen Anzahl sind nicht im GG!
Der jeweilige Wert der Gleichgewichtskonzentration sinkt exponentiell mit steigender Bildungsenergie und steigt exponentiell mit der Temperatur (Minuszeichen im Exponenten beachten!). Wer Probleme mit der Visualisierung von Exponentialfunktionen hat, betätigt den Link.
 
Verallgemeinerung
   
Wir können diese ausführliche Betrachtung jetzt sofort verallgemeinern, denn sie gilt analog auch für andere atomare Fehlstellen:
Nehmen wir die Bildungsenergie der Eigenzwischengitteratome EF(i), haben wir die Gleichung für die Gleichgewichtskonzentration an Eigenzwischengitteratomen.
Nehmen wir eine spezifische Energie zur Beschreibung des Einbaus eines Fremdatoms, EL(FA), beschreiben wir damit die Löslichkeit eines Fremdatoms, d. h. die optimale Konzentration bei einer bestimmten Temperatur. EL(FA) beschreibt dabei die Energie, die man aufbringen muß, um ein Fremdatom ins Gitter einzubauen.
Hier muß man allerdings ein bißchen aufpassen. Während man zur Erzeugung , d.h. zum Einbau einer Lehrstelle oder eines ZGA, immer Energie aufwenden muß, kann EL(FA) auch mal negativ sein, d.h. man gewinnt Energie durch Einbau eines Fremdatoms (einfach weil Kristallatome manchmal lieber ein Fremdatom als Nachbar haben als eines der eigenen Sorte). Auch kann EL(FA) sehr klein sein (d.h. es ist dem Kristall dann ziemlich egal, wer auf den Gitterplätzen sitzt).
Solange die Konzentrationen klein sind, d.h. solange die diversen atomaren Fehlstellenarten sich gegenseitig "nicht sehen", sind alle Konzentrationen einfach additiv - GG verlangt nach der jeweils richtigen Konzentration aller im System machbaren atomaren Fehlstellen.
In jedem Fall erfordert das Minimum der freien Energie, daß eine bestimmte Konzentration an atomaren Fehlstellen vorhanden ist . Für hohe Bildungs- oder Löslichkeitsenergien oder niedrige Temperaturen kann diese Konzentration beliebig klein werden, mathematisch null wird sie jedoch nie!
Physikalisch Null ist eine Konzentration aber spätestens dann, wenn weniger als ein atomarer Defekt auf alle Atome des betrachteten Kristalls kommt. Dies ist bei makroskopischen (mit dem bloßen Auge sichtbaren) Kristallen rund und roh bei Konzentrationen von cV » 10–21 der Fall.
Meßtechnisch sind allerdings schon Konzentrationen von cV £ 10–10 meist nicht mehr direkt erfaßbar. Das schließt aber nicht aus, daß atomare Defekte in derart kleinen Konzentrationen trotzdem noch die Eigenschaften eines Materials beeinflussen können.
Eine weitere of sehr traurige Konsequenz der Minimierung der freien Energie über atomare Fehlstellen ist, dass Kristalle dazu neigen, bei hohen Temperaturen zu verdrecken.
Falls die Einbauenergie EL(FA) eines Fremdatoms nicht allzu hoch ist, "möchte" der Kristall bei hoher Temperatur gerne welche "haben". Sind dies Atome verfügbar - sie sind in der Atmosphäre, auf der Oberfläche - baut der Kristall per Diffusion sie so lange ein, bis er die richtige Gleichgewichtskonzentration hat.
Das Problem ist jetzt nur, dass er den Dreck beim Abkühlen nicht mehr los wird – im Gegensatz zu intrinsischen AF, die auch wieder verschwinden können. Das ist kein theoretisches Problem, sondern eine nur mit viel Geld zu bekämpfende "Pest" bei jeder Halbleitertechnologie.
Hier die schnellen Fragen:
Fragebogen
Schnelle Fragen zu 5.2.2

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© H. Föll (MaWi für ET&IT - Script)