4.2 Atomare Fehlstellen und Diffusion

4.2.1 Grundtypen und Konzentration

Die vier Grundtypen

Man kann atomare Fehlstellen (AF) mit Atomen des Grundkristalls (also mit Atomen der Basis) machen, oder aber mit Fremdatomen ("Dreck"), die eigentlich nicht in den Kristall gehören.
Die Punktfehler können also "von innen" oder intrinsisch erzeugt werden, oder aber "von außen" oder extrinsisch. Zu beiden Grundtypen gibt es zwei Unterarten:
Die beiden Unterarten der intrinsischen Defekte sind:
 
Leerstelle
Die Leerstelle (oder englisch "vacancy "); abgekürzt immer mit V (nicht mit V= Vanadium verwechseln!)
Ein Atom fehlt. Die restlichen Atome werden natürlich nicht starr am Platz sitzen bleiben, wie in der Graphik gezeigt, sondern sich etwas in Richtung auf die Lücke zu festsetzen.
  Das Bild rechts ist ein STM-Bild (Scanning Tunnel Microscopy) von Leerstellen auf einer Pt-Oberfläche (die blauen "Kugeln" sind Pt-Atome) und zeigt: 1. dass Leerstellen sehr reale Defekte sind; 2. dass der Tunneleffekt sehr reale Anwendungen hat. Hier ist ein STM-Bild von Si-Leerstellen.
   
Zwischengitteratom
Das Eigenzwischengitteratom (gelegentlich abgekürzt mit ZGA), oder, gebräuchlicherweise auf englisch "self-interstitial "; abgekürzt dann " i".
Ein Atom der Sorte, aus denen der Kristall besteht, sitzt "auf Lücke" zwischen den regulären Atomen.
Wie schon früher, muß hier mal wieder darauf hingewiesen werden, daß die blauen Kreise in den Bildchen nicht die Atome repräsentieren – die müßten sich "berühren". Allerdings hätten wir dann Probleme, ein ZGA zu "zeichnen".
Eigenzwischengitteratome sind in den meisten einfachen Kristallen (z. B. alle Metalle) sehr unwichtig. Die einzige, sehr wichtige Ausnahme ist Silizium und vielleicht noch einige andere Halbleiter wie GaAs.
   
Die beiden Unterarten der extrinsischen atomaren Defekte sind:
 
   
Substitutionelles Fremdatom
Das substitutionelle Fremdatom.
Ein reguläres Atom des Kristall wird durch ein Fremdatom ersetzt bzw. substitutioniert .
Wichtige Vertreter dieser Spezies sind As, B, P in Silizium – die typischen Dotierelemente, ohne die es keine Mikroelektronik gäbe.
   
Interstitielles Fremdatom
Das interstitielle Fremdatom.
Ein Fremdatom wird ins Zwischengitter gezwängt.
Wichtige Vertreter dieser Spezies sind O in Si (kann gut oder schlecht sein) oder C in Fe (hier beginnt aus weichem Eisen der harte Stahl zu werden).
   
Das war's. Nicht so schwer. Die Frage, die sich jetzt stellt, ist natürlich: Wieviele von diesen AF wird man in einem Kristall typischerweise finden? Und warum?
   

Konzentrationen atomarer Fehlstellen (AF)

Wie messen wir Konzentrationen von AF?
Einfach! Entweder als Anzahl pro cm3 (d.h. als Dichte mit der Maßeinheit cm–3 ) oder als Konzentration in relativen Einheiten wie % oder ppm , ppb, ... (d.h. als relative Häufigkeit).
Bei extrisischen AFs in einem gegebenen Kristall ist die Herkunft und damit die Konzentration im Prinzip klar: Die als AF vorliegenden Fremdatome stammen aus:
Dem Rohmaterial – d.h. sie waren schon im Ausgangsmaterial vorhanden. Da es keine 100% reine Substanzen gibt, wird jedes Material unvermeidlich immer ein bißchen "Dreck" auch in Form atomarer Fehlstellen enthalten.
Der Bearbeitung des Materials. Vom Rohmaterial (z.B. ein Stück Stahlblech oder ein Si-Wafer) bis zum Produkt (ein Kotflügel oder ein Chip) führen immer einige Bearbeitungsschritte. Dabei ist grundsätzlich möglich, daß sich der Gehalt an extrinsischen AF ändert. Der Frage, wie das geschehen kann, widmen wir uns etwas später.
Man kann und muß noch unterscheiden, ob die extrinsischen AF absichtlich (wie bei der Halbleitertechnologie oder Stahlherstellung) oder unabsichtlich in das Material eingebracht wurden. Bei den unabsichtlich vorhandenen AF muß man weiterhin fragen, ob sie möglicherweise (und ohne daß der Anwender das wußte) für die Funktion des Materials wichtig waren...?
Wo kommen nun die intrinsischen AF her? Man könnte sich einen Kristall ja auch ohne sie vorstellen. Die Antwort wird uns zur statistischen Thermodynamik führen; hier erst mal nur soviel:
Bei endlichen Temperaturen "möchten" alle Dinge ein bißchen "unordentlich" sein – insbesondere auch Kristalle. Ganz generell gilt für den "Zustand größtmöglicher Zufriedenheit":
Zum thermodynamischen Gleichgewicht (= Zustand tiefster freier Energie) gehört immer ein genau definiertes Maß an Unordnung.
Was im Detail mit "freier Energie" gemeint ist, klären wir im nächsten Kapitel; hier interessieren wir uns zunächst nur für die Konsequenzen dieser allgemeingültigen thermodynamischen Aussage.
Ein Kristall enthält im thermodynamischen Gleichgewicht offenbar immer eine bestimmte Anzahl von intrinsischen AF wie Leerstellen ("vacancies", Index V) und Zwischengitteratome ("interstitials", Index i); sie gehören untrennbar zu seiner Struktur.
Ihre Dichte nV,i bzw. Konzentration c V,i ist (in guter Näherung) gegeben durch folgende Formel:
nV,i  =  N0 · exp ( EV,iF
kBT
)
       
cV,i  =  nV,i
N0
 =  exp ( EV,iF
kB T
)
Hierbei ist N0 die Dichte der Atome, gemessen in cm–3 , nV,i wird ebenfalls in cm–3 gemessen, cV,i dagegen in % (bzw. in ppm, ppb etc.), und EV,iF ist eine für den spezifischen Defekt (Leerstelle oder ZGA) typische Bildungsenergie (englisch "Formation") mit Werten um » (0,5 - 2) eV für Leerstellen und » (2 - 5) eV für ZGA. (Der Index F steht bei EV,iF oben, um diese Energie von der Fermi-Energie EF unterscheiden zu können, die wir schon bald kennenlernen werden.)
kBT = Boltzmann-Konstante kB mal absolute Temperatur T hat die Dimension einer Energie (sinnvollerweise gemessen in eV) und ist, wie wir schon wissen, ein Maß für die mittlere thermische Energie eines Teilchens.
Wir können auch leicht ausrechnen, oder wissen schon, daß (kBT)RT » 1/40 eV.
Mit diesen Zahlen sollte man mal spielen! Jeder Ausdruck der Form exp[– Energie / (kBT)] heißt Boltzmann-Faktor; er wird uns noch sehr oft begegnen!
Falls man die Bildungsenergie einer intrinsischen AF kennt, kann man jetzt die Gleichgewichtskonzentration ausrechnen.
Das machen wir als Übung.
Übungsaufgabe
Aufgabe 4.2-1
Falls die Übung gemacht wurde, wird sich dem durchschittliche ET&IT-Studi (von den WirsIngs ganz zu schweigen) folgende Frage aufdrängen: "Was soll der Sch...."
Bei Si haben wir selbst dicht am Schmelzpunkt nur eine Handvoll Leerstellen (weniger als ppm) im thermodynamischen Gleichgewicht. Bei Raumtemperatur sind's unmeßbar wenige. Kann man die nicht einfach vergessen?
Kann man nicht! Denn alle AF haben eine bestimmte Eigenschaft, die sie für die ET&IT unglaublich wichtig macht:
Atomare Fehlstellen könen sich im Gitter bewegen; sie "diffundieren"
Diffusion im Kristall ist das A und O der Materialtechnik; wir werden das in einem eigenen Modul sogleich näher anschauen.
Fragebogen
Schelle Fragen zu 4.2.1

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© H. Föll (MaWi für ET&IT - Script)