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Der erste Hauptsatz verlangt nur, daß die Energie eines Systems ohne
Einwirkung von außen konstant bleibt. Er macht aber keine Aussage darüber, welcher von vielen
möglichen Zuständen, die alle dieselbe Energie haben, wirklich vorliegt, d. h.
welcher Zustand der wahrscheinlichste ist
(Siehe auch
Thermodynamik-Skript).
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Wir haben wieder das Wort
"Zustand" - wir hatten es
schon
einmal als: "Der Zustand
beschreibt die eine spezifische Lösung
(der Schrödingergleichung) von den
vielen möglichen, die beim
betrachteten Elektron greift". |
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Hier ist das nicht ganz so griffig zu definieren,
aber im Grunde ist es dasselbe: Ein Zustand des Systems ist eine der
möglichen konkreten Ausformungen des Systems, die mit den Randbedingungen
verträglich ist. |
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Das läßt sich aber noch etwas
schärfer fassen und differenzieren: |
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Jeden denkbaren Zustand, der durch
dieselben statistischen Werte für das
Gesamtsystem beschrieben werden kann - z.B. durch ein und dieselbe innere
Energie, dieselbe Temperatur oder dieselbe Dichte - nennen wir einen
Makrozustand. Später lernen wir dann
noch den Mikrozustand kennen. |
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Zwei einfache Beispiele dazu: |
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Drei mögliche
Makrozustände mit derselben kinetische Energie in einem Gas |
Zwei mögliche
Makrozustände mit derselben Bindungsenergie in einem zweiatomigen Kristall mit
identischen Bindungsenergien zwischen allen Atomen |
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Die beiden linken
Makrozustände, in der alle vier (oder
in einer etwas komplexeren Zeichnung alle ca. 1024)
Gasmoleküle mit gleicher Geschwindigkeit parallel fliegen, oder sich nur
ein Molekül bewegt, können alle
dieselbe Energie haben wie der rechte Makrozustand - aber sie sind offenkundig unwahrscheinlich. |
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Der linke Kristall aus
zwei Atomsorten ist in perfekter Ordnung. Falls die Bindungskräfte
zwischen den beiden Atomsorten wie vorausgesetzt gleich groß sind, ist
dies wohl ein sehr unwahrscheinlich
Zustand. |
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Wahrscheinlich ist offensichtlich der rechte
Zustand. Auch wenn man mit einem unwahrscheinlichen Zustand startet, wird nach
kurzer Zeit der rechte Zustand vorliegen: Die
ungeordnete Bewegung aller Moleküle. Daß aus einem
solchen Zustand von selbst einer der
ordentlichen rechten Zustände entsteht, ist sehr unwahrscheinlich. |
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Wahrscheinlich ist der rechte Zustand der
zufälligenVerteilung der Atome.
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Falls die Bindungkräfte aber
verschieden sind, ist die Sache nicht so
einfach. Dann kann auch mal der ordentliche Zustand der wahrscheinlichere
sein. |
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Wieviele Beispiele man sich auch
anschaut, die eher unordentlichen, chaotischen Zustände sind meist die
wahrscheinlicheren - besonders bei höherer Temperatur. Um aus vielen
denkbaren Makrozuständen den wahrscheinlichsten auswählen zu
können, brauchen wir ein neues Axiom oder Naturgesetz; der 1.
Hauptsatz ist dazu offenbar nicht
ausreichend. |
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Als Maß für
die Wahrscheinlichkeit des Auftretens eines Makrozustandes zur selben Energie
(= Temperatur) definieren wir eine neue fundamentale
Größe, die Entropie
S des Zustands. |
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Das Wort "Entropie" stammt von
Clausius, er hat es
aus dem Altgriechischen
komponiert mit der Bedeutung "Verwandlung, Transformation, Wendung,
Änderung". |
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Der wahrscheinlichste Makrozustand, die
wahrscheinlichste Konfiguration, oder schlicht der
Zustand, den wir tatsächlich finden wenn wir nachschauen, ist
dann per definitionem derjenige Makrozustand, der die größte Entropie hat, die unter Beachtung
der Randbedingungen (z.B konstante Temperatur) möglich ist. |
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Der
wahrscheinlichste Makrozustand ist, bezogen auf unsere Beispiele,
auch der unordentlichste Zustand. Wir
vermuten damit schon, daß die
Entropie auch ein Maß für den
Ordnungsgrad eines Zustands ist und
postulieren: |
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Je unordentlicher
ein Zustand, desto größer ist seine Entropie |
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Auch ohne zu wissen, wie Entropie in
Formeln, d. h. in meßbaren Parametern definiert ist, können wir
damit doch schon eine erste (qualitative) Fassung des 2. Hauptsatzes
präsentieren: |
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Im
thermodynamischen Gleichgewicht hat ein System eine möglichst große
Entropie
und
Die Entropie eines abgeschlossenen Systems wird nie von alleine kleiner
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Der erste Satz ist klar, der zweite
Satz hat es in sich und muß erklärt werden. |
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Der 2. Hauptsatz definiert
irreversible Prozesse: Denn ein
Prozeß, bei dem die Entropie zunimmt
kann offenbar geschehen, der Rückwärtsprozeß jedoch nicht
(siehe obige Gasbilder). Die Konsequenz daraus ist: |
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Der 2. Hauptsatz
definiert eine Richtung der Zeitachse: Auf der
Zeitachse kann man sich nur in Richtung
höherer Entropie bewegen. Der
2. Hauptsatz ist im übrigen das einzige Naturgesetz oder Axiom, das eine
Zeitrichtung kennt. Wenn man bedenkt, wie fundamental es für uns ist,
daß die Zeit immer nur in eine
Richtung fließt, ist das schon sehr erstaunlich! |
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Der 2. Hauptsatz definiert den
Wärmetod des Universums:
Irgendwann wird universelles Gleichgewicht
im wahrsten Sinne des Wortes, und damit maximale Unordnung erreicht sein.
Nichts wird sich mehr ändern - das Universum hat den Wärmetod
erlitten. |
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Wir haben nun eine neue Bedingung um
Gleichgewichte zu bestimmen. Nach wie vor gilt, daß die Energie, also die
innere Energie U oder die Enthalpie H,
minimal sein
sollte - unser altes Prinzip aus der klassischen Mechanik des Massenpunkts.
Aber für viele Massenpunkte - für Materialien - gilt gleichzeitig, daß die Entropie S des Systems maximal sein soll. |
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Das ist eine komplizierte Bedingung, denn eine
Verkleinerung von U kann durchaus eine Verkleinerung von
S zur Folge haben; man kann also beide Bedingungen i.d.R. nicht
unabhängig voneinander erfüllen. |
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Um beiden Bedingungen gleichzeitig zu
erfüllen, definiert man am besten zwei neue Funktion, die Energie bzw. Enthalpie und Entropie eines Zustandes so verknüpfen,
daß diese neuen Funktionen für
die bestmögliche Kombination von U (bzw. H)
und S ein Minimum haben
. |
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Diese neuen Funktionen beschreiben
damit den Zustand, d.h. den
wirklich realisierten Makrozustand aus der
Menge der vielen möglichen Makrozustände des Systems; sie sind
Zustandsfunktionen. Wir wollen diesen
neuen Zustandsfunktionen folgende Namen
geben: |
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Aus historischen Gründen
heißt die freie Energie auch Helmholtz
Energie, nach Hermann von Helmholtz, einem der großen
Thermodynamiker und Physiker des 19. Jahrhunderts; die freie Enthalpie
heißt auch Gibbsche Energie, nach
Gibbs, einem
berühmten amerikanischen Physiker. |
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Freie
Energie und freie Enthalpie |
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Die Thermodynamik - in der
klasssischen phänomenologischen oder in der statistischen Form - lehrt wie
man zu sinnvollen Definitionen der freien Energie und Enthalpie kommt. Im
Link wird darauf eingegangen,
hier machen wir uns die Sache einfach und überlegen qualitativ, wie man diese Funktionen sinnvoll
definieren könnte. |
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Ein erster naheliegender, aber (falscher!) Ansatz wäre z.B.: |
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Zunächst sieht das nicht so schlecht aus:
F wird, wie gefordert, minimal falls U
möglichst klein und S möglichst groß ist. |
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Aber nach kürzerem oder
längerem Nachdenken kommt man unweigerlich zu dem Schluß: Hier
fehlt noch was, nämlich die Temperatur T. |
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Wir wissen nämlich,
daß mit fallender Temperatur die
Tendenz für Ordnung zunimmt - auch
wenn wir das bislang nicht angesprochen haben! |
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Es genügt vollständig, sich
ein x-beliebiges Material vorzustellen, und zu überlegen was mit
seinem Zustand passiert wenn man die
Temperatur ändert; z.B. von hohen Temperaturen herkommend
abkühlt. |
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Aus einem unordentlichen Gas wird eine Flüßigkeit, dann ein Festkörper; i. d. R. ein Kristall. Eine
Flüßigkeit ist aber ordentlicher als ein Gas; ein (perfekter)
Kristall hätte perfekte Ordnung; und selbst ein Realkristall ist ja wohl
ein viel ordentlicheres System von Atomen als ein Gas. |
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Es gilt ganz allgemein: Mit abnehmender
Temperatur steigt die Tendenz für Ordnung, mit zunehmender Temperatur
steigt die Tendenz für Unordnung; und das
müssen wir berücksichtigen! |
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Offenbar spielt der
Grad an Unordnung, d. h. der Zahlenwert der Entropie, bei tiefen Temperaturen
keine so große Rolle mehr, während die Minimierung der Energie bei
allen Temperaturen gleich wichtig ist:
Heiße und kalte Objekte fallen z.B. immer gleichschnell nach
"unten". |
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Wir müssen die Entropie
also mit einem Faktor gewichten, der mit der Temperatur ansteigt. Am
einfachsten ist es, schlicht die Temperatur selbst zu nehmen, also T
· S statt nur S. Damit kommen wir zur
richtigen Definition der freien Energie
und Enthalpie: |
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F = U T ·
S
G = H T
· S |
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Das sind unsere gesuchten Zustandsfunktionen, aber sie sind mehr als das: Es
sind die thermodynamischen
Potentiale, die wir bei Betrachtung des
chemischen Gleichgewichts
postuliert haben. |
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Nebenbei bekommen wir die Dimension der Entropie.
Da T · S eine Energie sein muß, haben wir
[S] = J · K1. |
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Damit haben wir vollständig
allgemeine Bedingungen für thermodynamisches Gleichgewicht, die
darüberhinaus noch extrem einfach sind (gegeben die überaus komplexe
Fragestellung!!). Wir unterscheiden aus Bequemlichkeitsgründen
wie zuvor die beiden Fälle mit
konstantem Volumen bzw. konstantem Druck. Wir bekommen folgende Aussagen: |
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Spontane Vorgänge können dann, und
nur dann ablaufen, wenn sich bei konstantem
Volumen und gegebener Temperatur die freie
Energie F verkleinert; bei konstantem Druck und gegebener Temperatur ist es die freie
Enthalpie G. Es gilt also für spontane Vorgänge bei konstantem Volumen bzw.
Druck: |
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Nach
Atkins sind das die wichtigsten Gleichungen der
(physikalischen) Chemie, und damit sind sie auch für die
Materialwissenschaft von überragender Bedeutung. |
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Spontane
Vorgänge sind Vorgänge, die von alleine, ohne
äußeres Zutun ablaufen; damit sind gleichsam per definitionem
Vorgänge oder Reaktionen, die in Richtung thermodynamisches Gleichgewicht
führen. |
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Thermodynamisches
Gleichgewicht ist dann erreicht, wenn ein Zustand mit
dF = 0 bzw. dH = 0 erreicht ist, und zwar
bezüglich aller Variablen des Systems.
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Wie das "funktioniert" sieht man
sofort, wenn wir nun unser altes
Beispiel von Salz inWasser neu betrachten. |
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Da H bei der Auflösung von
Kochsalz von den Teilchenzahlen abhängt, z.B. von der Konzentration der
Na+ und Cl Ionen
(nNa und nCl), muß
für das chemische Gleichgewicht bei
konst. Druck gelten: |
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dGchem = |
¶G
¶nNa |
· dnNa +
|
¶G
¶nCl |
· dnCl + |
¶G
¶nNaCl |
· dnNaCl = 0 |
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Für komplettes thermodynamisches
Gleichgewicht bräuchten wir noch die partiellen Ableitungen nach allen
andere Variablen, z.B. (¶G/
¶T) · dT. Wir
können aber im Gedankenversuch alle "uninteressanten" Variablen
(oder "verallgemeinerte
Koordinaten") von
G konstant halten, sie tauchen dann in dG nicht
mehr auf. Allerdings muß man aufpassen, denn selbst im Gedankenversuch
kann man nicht immer alles konstant halten was man nicht mag! |
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Ein Wort zur Nomenklatur:
dF bezeichnet das
totale
Differential von F; ¶F/¶(...) die
partielle Ableitung nach einer Variablen. Zwischen totalen Differentialen und
Potentialen besteht ein enger mathematischer Zusammenhang; dies ist im obigen
Link näher ausgeführt. |
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Die partiellen Ableitungen sind
meßbare Gößen und damit
könnte man die Gleichgewichtskonzentrationen ausrechnen - aber wir
müssen noch etwas aufpassen: Unsere Variabeln
sind nicht automatisch unabhängig! |
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Geht eine kleine Menge
(dnNa) der Na Ionen in Lösung, wird eine
gleichgroße Menge (dnCl =
dnNa) an Cl Ionen ebenfalls in Lösung gehen
müssen, sie können nicht anders.
Gleichzeitig wird der NaCl Anteil, d.h.dnNaCl,
um den gleichen Betrag kleiner; wir haben |
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NaCl |
Û |
Na+
+ Cl |
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dnNaCl |
= |
dnNa
= dnCl |
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Denn die Teilchenzahlen in einem
geschlossenen System sind nicht unabhängig
voneinander. |
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In unserem Beispiel muß immer ein
Na+ und ein
Cl Ion in Lösung gehen (sonst würde der
verbleibende Kristall sich elektrisch aufladen), dafür gibt es dann aber
ein NaCl Molekül weniger. |
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Eine allgemeine Beziehung zwischen den
Teilchenzahlen läßt sich zwar formulieren, ist aber etwas
trickreich, wenn man alle Arten von Reaktionen zuläßt. Für die
Atome hätten wir zwar immer Si dni = 0, da sich die
Zahl der Atome nicht ändert, das gilt aber nicht wenn wir als Teilchen Atome und/oder
Moleküle zulassen, wie sich schon aus obigem einfachen Beispiel
ergibt. |
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An dieser Stelle müssen wir das aber gar
nicht so genau wissen, sondern nur zur Kenntnis nehmen, dass aus der
Reaktionsgleichung noch eine wie auch immer geartete Gleichung für die
dni resultiert. Wer's genau wissen will, betätigt
den Link. |
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Damit haben wir als
Gleichgewichtsbedingung
für das chemische oder Teilchengleichgewicht zwei gekoppelte Gleichungen |
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Wir werden auf diese Formeln noch
zurückkommen; sie führen im übrigen direkt zum (hoffentlich)
allseits bekannten
Massenwirkungsgsesetz der
"Chemie". |
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In Prosa sagen obige Gleichungen genau das, was
wir im Unterkapitel 5.3 für das
chemische Gleichgewicht postuliert hatten: |
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"GG liegt
dann vor, wenn es "uns" (den Na+ Ionen) egal ist,
ob wir im Wasser gelöst sind oder noch zum Kristall gehören, denn
dann werden im Mittel genausoviel Na+ Ionen in Lösung
gehen wie sich wieder abscheiden - die mittlere Zahl der gelösten und im
Kristall gebunden Ionen bleibt konstant" |
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In anderen Worten: Fügt man zu einem System,
das chemisches Gleichgewicht erreicht hat, bei konstantem Volumen oder Druck
eine infinitesimale Menge Teilchen (dn) zu, ändert sich
seine freie Energie bzw. Enthalpie nicht,
denn falls chemisches Gleichgewicht vorliegt gilt |
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Damit können wir auch das schon
angesprochene chemische Potential etwas
genauer definieren: |
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Das chemische Potential eines Teilchens in
einem gegebenen System (üblicherweise abgekürzt mit µ)
ist die partielle Ableitung der freien Enthalpie (bei konst. Druck) oder der
freien Energie (bei konst. Temperatur) nach der Teilchenzahl (oder
Konzentration) des betrachteten Teilchens |
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Im chemischen Gleichgewicht muß das
chemische Potential eines Teilchen überall gleich
groß sein (aber nicht unbedingt = Null!) und dG
ist bezüglich Änderungen der Teilchenzahlen = Null. |
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Ein Wort zum
Verständnis der Nomenklatur: |
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Man nennt m chemisches
Potential, obwohl chemisches Gleichgewicht nicht ein Minimum der einzelnen chemischen Potentiale bedingt
(wie beim mechanischen Gleichgewicht), sondern nur eine Art
"Kräftegleichgewicht", d.h. |
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Si |
¶G
¶ni |
· dni |
= |
S mi · dni = 0
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Das chemische Potential ist
damit eine Art Gewichtsfaktor auf der Balkenwaage der freien Enthalpie: Falls
die Summe der chemischen Potentiale der Ausgangsstoffe (z.B. NaCl)
gleich der Summe der chem. Potentiale der gebildeten Stoffe
(Na+ und Cl) ist, ist die
"Waage" im Gleichgewicht. Ein Begriff wie
"Teilchenzahlfaktor" oder "Teilchenkraft" wäre
eigentlich besser. Aber es heißt nun mal "chemisches Potential"
(es hat ja auch die Einheit einer Energie, nämlich eV), und wir
müssen damit leben.
Sehr viel
mehr dazu im Link zum Hyperscript "Defects". |
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Das eigentliche Potential, dessen Minimum Gleichgewicht
bedingt, ist die freie Enthalpie bzw.
Energie. Diese Zustandsfunktionen
heißen deshalb auch thermodynamische Potentiale. |
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Erstes Beispiel zum Umgang mit freier Enthalpie |
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Betrachten wir ein erstes, rein
qualitatives Beispiel für die großen Möglichkeiten, die im
Arbeiten mit freien Energien bzw. Enthalpien stecken. Wir vergleichen die
freien Enthalpien eines beliebigen Materials im festem und flüssigem Zustand, wobei wir zunächst mal
annehmen, daß beide Zustände bei allen Temperaturen existieren könnten. |
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Wir haben konstanten Druck, die richtige
Zustandfunktion ist also die freie
Enthalpie H. Die einzige Variable, die wir zulassen,
ist die Temperatur T, wir
haben also G = G(T). |
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In beiden Zuständen oder Phasen ist der Faktor T · S = 0
für T = 0. Da die Flüßigkeit aber der unordentlichere Zustand ist, hat sie bei jeder endlichen Temperatur eine größere Entropie als der feste
Zustand; T · S wird von 0 beginnend für die
Flüssigkeit also schneller anwachsen
müssen als für den festen Zustand. |
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Die innere Energie U, oder besser
die Enthalpie H, ist im flüssigen Zustand ebenfalls immer
größer als im festen Zustand
(Bindungen sind nicht abgesättigt; die Teilchen haben kinetische Energie);
in beiden Fällen wächst H irgendwie mit
T. (Nicht vergessen: T ist
ein Maß für die im System
steckende Energie!). |
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Man erhält also folgendes
prinzipielles Diagramm (die blauen Kurven sind die beiden freien Energien
Gfest und Gflüssig. |
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Der Einfachheit halber sind alle
Kurven als Geraden gezeichnet und Schnittpunkte für
H(T) und T · S(T) eingezeichnet
(damit kennt man die Nullpunkte von G(T); angedeutet mit
den gestrichelten Hilfslinien) und kann die G-Geraden leicht
zeichnen. |
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Das ist aber völlig irrelevant und
vereinfacht nur die Schemazeichnung. Die Schlußfolgerung aus diesem
Diagramm gilt für alle monoton
ansteigenden Funktionen, ob mit oder ohne Schnittpunkte: |
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Es existiert (fast) immer eine
Temperatur Tm, die
Schmelzpunktstemperatur,
oberhalb der die freie Enthalpie Gflüssig der
flüssigen Phase kleiner ist als Gfest der festen
Phase. Anders ausgedrückt: |
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Materialien schmelzen bzw. gefrieren, weil in der jeweilig stabilen Phase die
freie Enthalpie im Vergleich zur Alternative am kleinsten ist. Das ist eine
ziemlich weitreichende Vorhersage, die wir hier zwanglos erhalten! |
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Wir können noch mehr erahnen:
Falls die beiden G(T) Kurven sich so flach oder noch flacher schneiden, als in der Zeichnung
angedeutet, wird die quantitative
Berechnung von Schmelzpunkten sehr schwierig sein. Denn die Lage des
Schnittpunkts zweier sich flach schneidender Geraden wird sehr stark davon
abhängen, wie genau man die Geraden kennt. |
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Das ist in der Tat so; Schmelzpunkte
ergeben sich aus dem Vorzeichen der Differenz großer Zahlen. Kleinste
Änderungen haben große Effekte, und die Berechnung von
Schmelzpunkten aus Daten der Atome des Materials ist nach wie vor schwierig und
unbefriedigend. |
© H. Föll (MaWi 1 Skript)