|
|
|
The
newest
version of this module (including more prose and pictures) can be found in
the Hyperscript "Defects" |
|
|
 |
Um
Stahl zu machen
braucht es zuächst mal Eisen. Im
Gegensatz zu den Edelmetallen (und gelegentlich auch mal Cu), kommt
Eisen in der Natur nicht elementar vor, sondern immer als Verbindung, i.d.R.
als Oxid. |
|
 |
Aber im Gegensatz zu einigen anderen
als Oxidverbindung vorliegenden Metallen, reicht die Temperatur eines besseren
Feuers nicht aus, um Eisenoxid zu reduzieren und das entstandene Eisen zu verflüssigen - der
Schmelzpunkt von Fe ist Tm(Fe) = 1535
0C. |
|
 |
Deshalb hat niemand in den ersten 2000 Jahren (oder so)
der Eisenzeit jemals Eisen oder Stahl geschmolzen und
gegossen (das "Gußeisen" der alten Chinesen fällt
nicht unter "Eisen und Stahl"!) - es wurde immer nur
geschmiedet! Wagners Siegfried, wie auch die Typen in "Conan der Barbar", usw. usf., haben Schwerter
nicht gegossen, sondern geschmiedet, d.h. aus kleinen festen Brocken
mühsame "feuergeschweißt" und in die gewünschte Form
geklopft. Und das war unvorstellbar
mühsam und
kunstreich! |
|
 |
Bei Cu ist das anders
(Tm(Cu) = 1083 0C); bei einem heißen
Feuer mit viel Holzkohle wird fast automatisch flüssiges Cu
herauslaufen, wenn kupferhaltiges Gestein im Feuer liegt. Das ist
wahrscheinlich schon vor gut 6000 Jahren geschehen und in seiner
Bedeutung erkannt worden. Man kann spekulieren, daß die frühen
Töpfer (die in ihren Brennöfen die nötige Temperatur von ca.
1200 0C erreichten), vielleicht versucht haben, das als
Schmuckstein bekannte grüne Mineral Malachit
zum Verzieren der Töpfe zu verwenden. Was für eine Überraschung,
als sie statt schöner Töpfe in der Asche das sehr wertvolle Cu
vorfanden, das man bisher nur in kleinen Mengen aus Funden im Gebirge oder in
Flußbetten kannte. |
 |
Entscheidend ist, daß die
Menschheit schon früh erkannte, daß Materialien ineinander
umwandelbar waren; aus unscheinbaren Steinen konnten schimmernde Metalle
gewonnen werden! Die Alchemie hat hier ihre
Wurzeln. |
|
 |
Die frühe Metallindustrie
begann; das nächste großtechnische Produkt war die Bronze (Cu + (5 - 10) % Sn und oft etwas
As). Hier stoßen wir schon auf die Bedeutung der
"Verunreinigung": Ein bißchen As als Fremdatom macht
Bronze "fester"; sie verformt sich nicht mehr so leicht. |
|
 |
Außerdem begann eine
Umweltkatastrophe, denn für die Verhüttung von Metallen braucht man
große Mengen Kohle - einmal um hohe Temperaturen zu erreichen, aber auch
als Reduktionsagent nach der Grundgleichung MeO + C Þ Me + CO. Zur Verfügung stand
ausschließlich Holzkohle - man brauchte
ca. 100 kg davon um 5 kg Cu zu produzieren. |
|
 |
Hier liegt - neben dem Schiffsbau -
einer der Gründe für die weitestgehend verschwundenen Wälder in
Europa (insbesondere in England) und der unzähligen Geschichten um die
"Köhler" als Berufsstand. |
|
 |
Andere Metalle, die schon in der
Frühzeit mit beachtlichen Geschick aus Oxiden und anderen Verbindungen
produziert wurden, waren die Edelmetalle, insbesondere Ag, sowie
Pb und Hg. Besonders die Römer waren sehr geschickt in
dieser frühen Metallurgie. |
 |
Aber das nützt alles gar nichts, wenn es um
Eisen und Stahl geht. Die Alten kannten Eisen durchaus - als extrem seltenes
und wertvolles Metall, das gelegentlich (als Meteorit) vom Himmel fiel.
(Eskimos in Grönland haben für hunderte von Jahren ihre
Schneidwerkzeuge aus einem 30 to Meteor geschmiedet!). Im alten Sumer
hieß Eisen "Himmelmetall" und bei den Pharaonen "schwarzes
Kupfer vom Himmel". |
|
 |
Man kann also annehmen, daß die alten
Materialwissenschaftler nichts unversucht ließen, auch Fe aus
geeigneten Steinen zu erschmelzen. Leider
wollte das nicht so recht klappen - dafür braucht man nämlich eine
Temperatur von 1535 0C, und das ist nicht so ganz einfach zu
erreichen. Zwar wußte man schon, daß kräftiges Blasen ins
Feuer die Temperatur erhöht, aber dafür stand nur Lungenkraft zur
Verfügung. Im Link ist
ein ca. 4500 Jahre altes Relief aus einer Mastaba, dem
altägyptischen Grab der Pharaonen und Würdenträger gezeigt, in
dem Goldschmiede dargestellt sind, die zu viert durch Bambusrohre ins Feuer
blasen. |
|
 |
Bei den in der Antike max. verfügbaren
1200 0C wird nun Eisenoxid zwar reduziert, aber das Fe wird
dabei nicht flüssig. Kleine Fe - Partikel entstanden durch
Festkörperreaktionen und waren eingeschlossen in die "Eisenblüte", eine Mixtur aus
unreagiertem Eisenoxid, Schlacke und unverbrannter Holzkohle, die man dann im
Feuer fand. |
 |
Die frühen Schmiede konnte aber dieses recht
reine und weiche Eisen durch Hämmern bei hohen Temperaturen und allerlei
Tricks (inkl.der Magie und
Anrufung der Götter) extrahieren und zu "Schmiedeeisen" kompaktieren. |
|
 |
Große Sorgfalt war nötig. Wenn man
nicht aufpaßte, oxidierte das Fe wieder; nahm es zuviel
Kohlenstoff auf (3% - 4%), erhielt man Gußeisen mit einem Schmelzpunkt um 1130
0C, das also flüssig und damit leicht bearbeitbar, aber
auch sehr spröde und relativ nutzlos war. |
|
 |
Trotzdem konnten die frühen Schmiede - vom
griechischen Gott Hephaistos
(dem römischen Vulkan) über den wagnerischen
Mime bis zum
germanischen
Wieland dem
Schmied - aus ihrem mühsam gewonnenen Schmiedeeisen Gerätschaften
bauen (insbesondere natürlich Schwerter), die einfach viel besser waren
als die handelsüblichen Bronzeartikel. |
 |
Was war das Geheimnis? Zunächst ist es sehr
einfach: Der richtige Gehalt des interstitiellen Fremdatoms C im
bcc - Gitter des Eisens bei Raumtemperatur ist wichtig. Erhöhte man
(ohne natürlich zu wissen was man tat) den kleinen C - Gehalt von
ca. 0,1 % des Schmiedeeisens auf optimale 0,9%, stieg die
Festigkeit aufs dreifache! War allerdings zuviel C im Fe - z.B.
2% - war man schon auf dem Weg zum spröden und für Schwerter
unbrauchbaren Gußeisen. |
|
 |
Da man Fe aber nicht schmelzen konnte, war
der übliche (empirische) Weg des Zufügens von "magischen"
Substanzen zur Schmelze versperrt. Der einzige Weg war, Kohlenstoff (und/oder,
mit ebenfalls guter Wirkung, Stickstoff) über die Oberfläche
einzudiffundieren. Das Rezept dazu war, das Fe (d.h. meist gleich das
ganze Schwert) lange bei hoher Temperatur in einem Holzkohlenfeuer zu
rösten, zu "tempern". Die alten Schmiede hatten dabei keine
Ahnung was wirklich passierte; sie dachten, daß sie das Eisen im heiligen
Feuer "reinigten". Diese Fehlmeinung geht, wie so viele andere, auf
den aus Sicht der Materialwissenschaft etwas fragwürdigen Philosophen
Aristoteles zurück. |
|
 |
Der erste Schritt zum Stahl ist damit getan: Es
geht darum, den richtigen Kohlenstoffgehalt einzustellen. |
 |
Aber das Ganze ist noch viel komplizierter (und in
einem eigenen
Modul etwa detaillerter abgehandelt). Fe (mit ganz wenig
Kohlenstoff) wandelt sich bei hoher Temperatur (genau bei 723
0C) vom bcc - Gitter in ein fcc Gitter um. Die
bcc - Phase heißt allgemein Ferrit
oder ferritisches Eisen, die fcc - Phase Austenit oder austenitisches Eisen. |
|
 |
Kohlenstoff fühlt sich nun im Austenit viel
wohler als im Ferrit, d.h. bei hoher Temperatur kann sich relativ viel
Kohlenstoff im (austenitischen) Fe lösen. Hat der Schmied lange
genug geglüht oder kohlenstoffreiches Ausgangsmaterial genommen, hat er
möglicherweise einen relativ kohlenstoffreichen Austenit, zumindest in den
oberflächennahen Bereichen des Schwerts - die Frage ist, was jetzt beim
Abkühlen passiert. |
|
 |
Kühlt das Fe g a n z l a
n g s a m ab, wird sich der bcc - Austenit hauptsächlich in den
fcc - Ferrit umwandeln. Ist aber relativ viel C im Austenit,
passiert etwas anderes, es bildet sich zwar auch Ferrit, aber mit weniger
Kohlenstoff als im (heißen) Austenit und gleichzeitig eine neue Phase,
eine Fe - C Verbindung mit dem
Namen
Zementit und einem komplizierten Gitter. In einem
Schliffbild sieht man die beiden Phasen wie eine Schichtung von Platten
nebeneinander liegen, das ganze Gebilde heißt Perlit (weil es im Mikroskop ähnlich wie Perlen
gänzt). |
|
 |
Perlit, die Mixtur aus Ferrit und Zementit ist
aber kaum besser als Bronze - nicht ohne weiteres zu gebrauchen. Die
Phasenumwandlung vom Austenit zum Perlit muß verhindert werden, wenn man
harten Stahl haben will. Die Kohlenstoffatome dürfen nicht genug Zeit
bekommen, um durch sich durch Diffusion in einem Gebiet anreichern zu
können, aus dem dann Zementit werden kann. Also muß schnell abgekühlt werden. |
 |
Hier kommt - nach der Gewinnung des Schmiedeeisens
aus der Eisenblume und dem Glühprozeß zur "Aufkohlung",
der nächste große Zauber der Schmiede zum Tragen: Das Abkühlen!
Das heiße Schwert wird für einige Zeit in eine Flüßigkeit
gesteckt (nur einfallslose Schmiede nahmen einfach Wasser) und dadurch
"abgeschreckt", d.h. schnell
abgekühlt. |
|
 |
Den Kohlenstoffatomen bleibt keine Zeit zur
Umorganisation - es kann sich nur ein Ferrit bilden, das relativ viel
Kohlenstoff enthält und das dadurch eine stark gestörte
Gitterstruktur aufweist; eine Art Mischung aus fcc- und bcc -
Gitter mit dem Namen Martensit und mit einer ca.
fünffachen "Stärke" im Vergleich zum Schmiedeeisen. |
|
 |
Vor allem die japanischen Schmiede haben diese
Technik bis zur Perfektion entwickelt:; nachzulesen
im Link. |
|
 |
Dummerweise war dieses Martensit, so man es
überhaupt erhielt, ziemlich spröde. Die Eigenschaften wurden aber -
mit Glück und vielleicht den richtigen
magischen Prozeduren und
Sprüchen - viel besser, wenn man das Schwert jetzt nochmals heiß
machte (allerdings nicht so heiß wie beim Aufkohlungsprozeß), ein
bißchen darauf herumhämmerte usw.. Dabei manipulierte man ein
zweite Defektsorte, die Versetzungen (siehe
Kapitel 4); auf die wir
aber in diesem Zusammenhang nicht näher eingehen wollen. Wenn alles
klappte, hatte man ein (selbstverständlich dann magisches) Schwert aus
Stahl! |
|
|
|
|
|
 |
Wenn man bedenkt, was alles
schiefgehen konnte (und hier ist bei weitem nicht alles aufgezählt, was
auf die Qualität eines Schwertes noch Einfluß nehmen kann), ist es
überaus erstaunlich, daß die alten Schmiede überhaupt
Stahlschwerter zustande brachten. Außerdem war nicht unbedingt das ganze
Schwert aus Stahl, sondern nur nur die äußere Schicht; soweit der
Kohlenstoff eben eindiffundieren konnte. |
|
 |
Erfindungsreiche Schmiede nahmen deshalb
dünne Folien, die erstmal alle einzeln behandelt wurden, um dann - bei
mindesten 800 0C - zusammengeschmiedet zu werden. Dazu
mußten erstmal die Werkzeuge - besonders wichtig waren Eisenzangen -
entwickelt werden. Diese Technik hatte ihre Blüte in Toledo, von wo aus vor allem die römische
Truppen versorgt wurden. |
|
 |
Eine fünffach größer Festigkeit
scheint nicht so besonders viel zu sein, aber die Konsequenzen waren schon
beachtlich. Die alten Gallier wurden auch deshalb von den Römern
unterworfen (außer dem bekannten kleinen Dorf natürlich), weil nach
zeitgenössischen Berichten die alten Gallier ihre Schwerter nach jedem
besseren Schlag erstmal überm Knie wieder geradebiegen mußten,
während die römischen Schwerter "so stark waren, daß es
keinen Helm gibt, der nicht von ihnen zerschlagen werden kann". |
|
 |
Eine andere Hochburg der Stahlherstellung war
Damaskus mit den berühmten Damaszener
Klingen. Diese beruhten auf einem aus Indien eingeführten Rohstahl
(genannt "Wootz")
mit sehr hohem Kohlenstoffanteil (1,5 % - 2 %) bestehend aus einer
Mixtur aus Zementit und Perlit. Der Herstellungsprozeß einer
Damaszenerklinge; ebenfalls eine zusammengehämmerte (stimmt
nicht!!) Mixtur aus aus diesem tendenziell sprödem Material und
weichem Schmiedeeisen, war schwierig und nicht ohne Besonderheiten. Wir sehen
hier auch, daß das Wort "Stahl" ein Sammelbegriff ist, der
viele verschiedene eisenbasierte Legierungen und Gefüge umschreibt. |
 |
Aber nicht nur im Mittelmeerraum
wurde die Eisen und Stahl Technologie entwickelt. Besonders weit entwickelte
Technologien hatten zum Beispiel die Chinesen, die viele der großen
Entdeckungen des Englands des 19. Jahrhunderte vorwegnahmen (aber nicht
sehr viel damit machten) und die Inder. |
|
 |
Letztere konnte das Geheimnis ihres "Wootz" Stahls, von dem die ganzen
Meisterschmiede des Mittelmeerraumes abhingen, für viel hundert Jahre,
wenn nicht gar 1000 Jahre geheimhalten (Man mische kleine Stücke
von Schmiedeeisen mit Holzstücken und gewissen Blättern und heize das
ganze in einem Tontopf mit Tondeckel in einem sehr heißen Feurer (unter
diversen magischen Sprüche, versteht sich). Damit bekommt man
vollständig mit Kohlenstoff durchsetzte Eisenstückchen, die man
anschließend wieder durch Hämmern bei hoher Temperatur
zusammenschmiedet). |
|
|
 |
Nicht vergessen sollte man auch die Haya, ein Volk das im heutigen
Tansania lebte und ebenfalls die Eisentechnologie bis zu einem gewissen Grad
beherrschte. Ihr Mythen und Märchen enthielten viel Geschichten um das
Eisenmachen, in einem Vokabular das stark angereichert war mit Ausdrücken
die sich aufs Menschenmachen bezogen. |
 |
Im Laufe der Jahrtausende wurde Eisen und Stahl
trotz der vielen Schwierigkeiten allmählich übliche Materialien, auch
der Schmelzpunkt von Fe wurde bald erreicht, aber die Massenproduktion
von Stahl mußte noch bis zum 19. Jahrhundert warten. Mit der
ganzen Kunst der Schmiede konnten nach wie vor nur "dünne"
Objekte wie Schwerter und Dolche, in die man genügend Kohlenstoff
hineinbrachte, hergestellt werden . |
 |
Auch die Holzkohle wurde ab dem 17.
Jahrhundert allmählich durch Kohle ersetzt, aber auch das war nicht ohne
unangenehme Überraschungen. Eisen, das mit Steinkohle statt Holzkohle
erschmolzen wurde, war ungeheure spröde und zu nichts nutze. Wie wir heute
wissen, reichen geringste Mengen Schwefel Atome im Fe - Gitter (sie
setzen sich in die Korngrenzen) um das Metall völlig zu verspröden,
und Schwefel, wie auch andere Verunreinigungen, ist in Steinkohle reichlich
enthalten. |
|
 |
Die Lösung dieses Problem kam ausnahmsweise nicht vom
Militär, sondern vom Bier. Auch die
Bierbrauer hatten versucht, Kohle statt Holz als Heizmaterial zu verwenden um
das Malz zu dörren, und erhielten ein stinkiges übelschmeckendes
Gesöff. So wurde Koks erfunden: man röste die Kohle unter
Sauerstoffausschluß; das treibt die stinkigen Teile aus; was bleibt ist
reiner sauberer Kohlenstoff - eben Koks - der nicht nur fürs Bierbrauen
sondern auch für die Eisenverhüttung brauchbar war. |
 |
Mit Beginn der industriellen
Revolution wurde ein fehlender großtechnischer Prozeß zur
Herstellung großer Volumina von Stahl zur Fortschrittsbremse. Die
paradigmatische Eisenbahn braucht Gleise; mit normalem Schmiede-
oder Gußeisen mußte man die Schienen alle drei bis 6 Monate
auswechseln weil sie sich unter der Beanspruchung verformten. Unfälle
waren häufig und oft katastrophal. |
|
 |
Zwar hatte man längst gelernt,
große Mengen von Eisen zu schmelzen - mit massiver Zufuhr von Luft durch
Blasebälge, die auch durch Dampfmaschinen angetrieben wurden.1850
lag allein die (führende) englische Produktion an Eisen bei immerhin
2,5 Millionen Tonnen im Jahr, aber Stahl war immer noch nur in relativ
kleinen Mengen (im % Bereich des Eisens), mit wechselnder Qualität
und mit hohen Kosten erhältlich. |
|
 |
Immerhin wußte man seit
1786, daß Stahl etwas mit dem Kohlenstoffgehalt des Eisens zu tun
hatte (die ersten, die diesen Verdacht äußerten, waren die Herren
Vandemonte,
Berthollet und
Monge aus
Frankreich. |
|
 |
Aber alle Versuche, Eisen gleich mit
dem richtigen Kohlenstoffgehalt (und, wie wir wissen, dem richtigen
Gefüge) herzustellen, waren vergeblich. Mal klappte es, mal klappte es
nicht; einen verläßlichen großtechnischen Prozeß gab es
nicht. Und damit auch keine großen Brücken, Wolkenkratzer, Autos,
"richtige" Eisenbahnen, effiziente Antriebsmaschinen und
Energieumwandler - man macht sich selten klar, wie stark Stahl die Welt
verändert hat! |
 |
Wie so oft, war es die
Rüstungsindustrie, die den Durchbruch brachte. Es war zunehmend
lästig, daß die Kanonen oft selbst explodierten, es mußte
etwas getan werden. |
|
 |
Henry Bessemer, der
auf der Suche nach besseren Kanionen war (er hatte gerade den Drall für
Munition in Granatenform erfunden; nur leider hielten die gußeiserenen
Kanonen dem zusätzlichen Druck nicht stand), hatte auf der Suche nach
besseren Kanonen und damit nach großen Mengen billigen Stahls 1855
als erster (so glaubte man) die Idee, durch das geschmolzene kohlenstoffreiche
Roheisen Luft, oder noch besser, Sauerstoff in großen Mengen
durchzublasen (was, nebenbei bemerkt, ohne Dampfmaschinen nicht möglich
wäre). Damit bildet sich CO, das abbrennt und nebenbei die
Temperatur hochhält. Wenn man rechtzeitig aufhört, kann man den
Kohlenstoffgehalt von großen Mengen Eisen jetzt in einem schnellen
Prozeß auf den richtigen Wert einstellen und erstmals große
Volumenmengen an Stahl produzieren. |
|
 |
Der Trick war also, nicht wie bisher
kohlenstoffarmem Schmiedeeisen mühsam etwas Kohlenstoff einzudiffundieren,
sondern aus kohlenstoffreichem Gußeisen den Kohlenstoff bis auf einen
nützlichen und genau definierten Rest zu entfernen (wann der richtige
Zeitpunkt gekommen war, sah der Experte an der Farbe der Flanmen die aus der
Bessemerbirne herausschossen). |
|
 |
Herr Bessemer, der auch schon als
Erfinder des "Blei"stiftes (der in
Wahrheit Graphit enthält) kein Unbekannter war, wurde über Nacht
berühmt, und innerhalb eines Monats schwer reich - alle wollten sein
Rezept übernehmen. Aber so leicht sind atomare Fehlstellen dann doch nicht
zu überlisten. Die großtechnische Umsetzung des "Bessemerprozesses" führte zu einer
der großen Überraschungen ("Denn sie wissen nicht, was sie tun") in der
Produktion: Der Bessemer Stahl aus der Großproduktion war, im Gegensatz
zu den Ergebnissen der "Laborversuche", spröde und zu nichts zu
gebrauchen. Für Bessemer war es "wie ein Blitzschlag aus heiterem
Himmel"; der Absturz vom Erfinderolymp in die Verzweiflung war jäh
und hart. |
|
 |
Aber Bessemer war ein guter
Materialwissenschaftler; er biß die Zähne zusammen, arbeitete Tag
und Nacht und gewann. Was war passiert? |
 |
Bessemer hatte für seine
Versuche schwedisches Eisenerz verwendet;
seine Landsleute verwendeten einheimisches - und englisches Eisenerz enthielt Phosphor. Phospor wird im Bessemerprozeß so
wie er gemacht wurde nicht beseitigt; wiederum reichen kleine Menge dieser
atomaren Fehlstelle, um Fe oder Stahl spröde zu machen. Wie wir
heute wissen, setzen sich die P - Atom gerne in die Korngrenzen des
Stahls und verändern dort die lokalen Eigenschaften ins Negative. |
|
 |
Der Phosphor mußte raus - aber wie? Es
waren die Vettern Sydney Gilchrist Thomas und Percy Carlyle
Gilchrist, die den Weg wiesen: man nehme (auch)
Kalkstein zur Ausmauerung der "Bessemerbirne" und gebe ein
bißchen auch direkt in die Schmelze, und der Phosphor bleibt in der
Schlacke oder der Ummantelung. |
|
 |
Bessemers Auskleidung seiner
"Bessemerbirne" nutze "saure" Silikate; das funktioniert
dann nicht. Natürlich wäre auch niemand auf die Idee gekommne, dass
eine simple Sache wie die keramische Auskleidung eines überdimensionierten
"Kochtopfs" sozusagen über Leben und Tod entscheidet. |
|
 |
Ein anderes Probem mit dem Bessemerprozeß
war, daß gelegentlich Sauerstoff zurückblieb und im Stahl Gasblasen
formte, die das Produkt wiederum unbrauchbar machten. Ein Herr
Mushet, ein anderer
Engländer, hatte dafür die rettende Idee: Man füge der Schmelze
etwas Spiegeleisen zu - ein Konglomerat das Fe, Mn und C
enthielt - und man bekommt besten Stahl, denn das Mn reagiert mit dem
Überschußsauerstoff zu Manganoxiden, die in der Schlacke verbleiben.
Außerdem neutralisiert es den sehr schädlichen Schwefel. |
|
 |
Wie so oft, ging aber sein Beitrag aber in der
Aufbruchsstimmung des 19. Jahrhunderts unter; der Name Bessemer wird
wohl weiterhin mit der großindustriellen Herstellung von Stahl assoziiert
bleiben. Auch Herr Kelly aus den USA, der eigentlich knapp
10 Jahre vor Bessemer das "Bessemer" Verfahren entdeckte,
wurde in den Patentstreitigkeiten zwar mit Geld fürstlich abgespeist, ist
aber als Materialwissenschaftler vergessen. |
|
 |
Nach Bessemer ging es Schlag auf Schlag:
Siemens in
Deutschland und Martin in Frankreich entwickelten das
"Siemens-Martin-Verfahren usw., die Weltproduktion an Stahl schnellte
exponentiell in die Höhe: 22 kto in 1867, 1 Mto in
1880 und 9 Mto in 1900 und >500 Mto heute. Noch
in den 70er Jahren unseres Jahrhunderts wurde allgemein unterstellt,
daß die Wirtschaftsmacht, und damit auch die politische Macht eines
Landes, sich praktisch nur aus seiner Stahlproduktion/ und damit nach dem Grad
der Beherrschung von atomaren Fehlstellen in Fe, bestimmt. |
 |
Man könnte jetzt das Gefühl
haben, dies sei eigentlich Chemie und es ginge um das Uranliegen der Chemie,
besonders reine Stoffe herzustellen. Das ist zwar nicht gänzlich falsch;
aber in Wirklichkeit geht es ausschließlich um den Einfluß
atomarer Fehlstellen auf die Bildung
verschiedener Phasen und auf die Erzeugungen und Bewegung anderer Defekt im
Eisenkristall, den Versetzungen. Mit Chemie hat das nichts zu tun. |
 |
Wer es genauer wissen möchte,
vielleicht auch mehr über die Bedeutung der Metalle für die
Entwicklungen im Mittelmeerraum wissen möchte, liest nach, insbesondere
bei S. Sass, I. Amato
und R. Hummel |
|
|
© H. Föll (MaWi 1 Skript)