2.4 Ableitung von Materialparametern aus den Bindungspotentialen

2.4.1 Ableitung des E-Moduls

Was man aus dem Bindungspotential direkt lernen kann

Die Kenntnis des Bindungspotentials UBindg, d.h. die genaue Form des Potentialtopfes gegeben durch
UBindg  =    –  A 
r n
 +   B 
r m
oder durch eine der möglichen anderen Näherungsformeln, erlaubt bereits, wesentliche mechanische Eigenschaften der Festkörper zu berechnen. Es sind dies insbesondere
Das (oder der) Elastizitätsmodul E
Der thermische Ausdehnungskoeffizient a
Die theoretische Bruchspannung stheo.
Die Schwingungsfrequenz n0
 

Allgemeine Definition von E, s und e

Um das (in Übungsaufgaben) tun zu können, müssen wir diese Größen erst definieren.
Dazu betrachten wir den Elementarversuch zu allen mechanischen Materialeigenschaften, den Zugversuch.
Wir nehmen eine Probe bekannter Geometrie (für die echten Versuche DIN - genormt) und ziehen mit einer Kraft F daran. Die Probe wird dann - solange sie nicht bricht - auf jeden Fall länger. Hat sie vor dem Versuch die Länge l, wird sie unter Krafteinfluß die Länge l + Dl haben. Dies ist im nachfolgenden Bild schematisch gezeigt.
Die Längenänderung Dl wird bei einem "dicken" Körper mit großer Querschnittsfläche A kleiner sein, als bei einem schlanken Körper desselben Materials.
Um dieselbe Längenänderung Dl zu erreichen muß man offenbar dieselbe mechanische Spannung s anlegen, d.h. Kraft pro Fläche.
s  =  F
A
Wir werden zukünftig immer s verwenden und bei mechanischen Problemen nicht mehr von Kräften sondern von (mechanischen) Spannungen reden.
Die Maßeinheit für mechanische Spannungen ist das Pascal; abgekürzt Pa. Ein Pascal ist definiert als
1 Pa = 1N/m2 = 1 Newton pro Quadratmeter.
Man könnte das natürlich mit der elektrischen Spannung verwechseln, aber aus dem Kontext ist auch ohne das Adjektiv "mechanisch" praktisch immer klar um was es geht.
Da ein langer Körper bei derselben Spannung eine größere Längenänderung zeigen wird als ein kurzer, ist es zweckmäßig auch die Längenänderung so zu normieren, daß sie von der Ausgangslänge des Probekörpers unabhängig wird.
Dies wird durch die Definition der Dehnung e erreicht:
e(s)  =  Dl 
l
 =  l(s)  –  l0
l0
 =  l (s) 
l0
 –  1 
l(s) ist dabei die jeweilige, von der Spannung abhängige Länge und l0 die Ausgangslänge für s = 0.
Die Dehnung hat in dieser Definition keine Maßeinheit, sie ist dimensionslos. Multipliziert man den Zahlenwert mit 100, hat man die Verlängerung des Körpers in Prozent %.
Damit läßt sich für Körper mit konstantem Querschnitt verallgemeinern: Bei gleicher Spannung wird immer die gleiche Dehnung auftreten, unabhängig von den Dimensionen des Körpers.
Macht man einen realen Zugversuch, findet man im elastischen Bereich eine eindeutige Beziehung zwischen s und e, d.h. e = e(s).
Elastischer Bereich heißt, daß für jeden Wert von s sich immer der gleiche Wert von e einstellt. Dies bedeutet insbesondere, daß bei Wegnehmen der Spannung, der Körper wieder seine ursprüngliche Länge hat.
Dies muß nicht so sein; wer schon mal sein Auto gegen ein Hindernis gefahren hat weiß, daß es auch inelastische oder plastische Dehnungen gibt - nach Wegnehmen der mechanischen Spannungen ist die alte Form nicht wieder hergestellt! Im Link kann man einen Großversuch zu nichtelastischen Verformungen bewundern.
Für den elastischen Bereich einer s - e Kurve läßt sich jedoch als Materialkonstante der (oder das) Elastizitätsmodul E (kurz E - Modul) definieren als
E  =  ds
de
Und niemals werden wir E, den Elastizitätsmodul, mit der Gesamtenergie E oder der elektrischen Feldstärke E verwechseln!
Sollte, was sehr häufig der Fall ist, zwischen s und e eine lineare Beziehung vorliegen, gilt einfach:
s  =  E · e
Der E-Modul ist sozusagen die Federkonstante des Materials.
 
E-Modul und Bindungen
   
Wenn wir im obigen Bild gedanklich die Atome einzeichne, wird sofort klar, dass man beim Ziehversuch zumindest bei Kristallen schlicht und ergreifend die Bindungen "langzieht".
Niemand hindert uns nun, die Querschnittsfläche A der Fläche einer Bindung ( also Atomabstand2) zu setzen. Dann können wir den E-Modul aus dem "Langziehen" einer Bindung erhalten (oder vieler Bindungen, falls wir eine Atomkette nehmen; die Dehnung ist aber davon unabhängig).
Obige Potentialformel gibt nun an, um wieviel sich der Abstand zweier Atome ändert, wenn eine Kraft F = - dU/dr anliegt. Darin steckt in eindeutiger Weise der Elastizitätsmodul des Festkörpers. Um ihn sinnvoll zu berechnen muß man:
1. Die Konstanten A und B durch den Gleichgewichtsabstand r0 und die Bindungsenergie EBind = U0 ersetzen. (Wir verwenden hier U0 statt EBind um Verwechslungen mit dem E-Modul auzuschließen).
2. Die wirkende Kraft dann aus – dU/dr berechnen.
3. Zu Spannungen und Dehnungen übergehen. Hinweis:
Kraft pro Bindung durch Fläche pro Bindung (= (r0)2) verwenden; gleichermaßen e = (rr0)/r0 setzen.
Wir machen das als Übungsaufgabe:
Übungsaufgabe2.4-1
Berechnung des E-Moduls aus dem Bindungspotential
Als Ergebnis erhält man
E   =    1 
r0
 ·  d2U(r)
dr2
   =    n · m  · U0
r03
Eine ziemlich einfache Formel für einen der wichtigsten mechanischen Materialparameter!
Für technische Zwecke, oder einfach nur um ein gutes Gefühl für Zusammenhänge zu bekommen, läßt sich diese Formel noch weiter vereinfachen, zu einer "Faustformel".
Faustformeln sind allerdings mit einer gewissen Vorsicht zu genießen, da sie manchmal ziemlich weit weg von der Realität liegen können.
Wir ersetzen einfach r03 durch W, das Atomvolumen (dies ist leicht über die Dichte des Festkörpers zu erhalten), und die Bindungsenergie U0 durch kTm, d.h. Boltzmannkonstante mal Schmelzpunkttemperatur.
Die letztere Ersetzung ist eine zweifelhafte Sache, aber um ein Material zu schmelzen müssen die Bindungen aufgehen, und dazu braucht man thermische Energie kT in dieser Größenordung
Wir erhalten damit
E  »   const. · kTm
W 
Falls wir für m, n die (ungefähren) Zahlenwerte einsetzen ergibt sich eine extrem einfache Faustregel
E  »   80 · kTm
W 
Das ist nun wirklich eine simple Formel, die aber gar nicht so schlecht ist. Sie stimmt ganz gut für alle Bindungstypen und Materialien, wie in einem speziellen Illustrationsmodul gezeigt. Aber es gibt eine große Ausnahme; vergleiche einen weiteren Illustrationsmodul!
Aus Bindungspotentialen abgeleiteten Werte für den E - Modul von "Gummi", d.h. für die Unterklasse der Elastomere bei den Polymeren, sind um mehrere Größenordnungen falsch - auch wenn man alle Fehlerquellen und Näherungen ausschaltet! Das wird uns noch ziemlich beschäftigen.
Fragebogen
Multiple Choice Fragen zu 2.4
Man kann den E-Modul aber auch noch viel grundsätzlicher betrachten; das wird in diesem "advanced" Modul gemacht.

Mit Frame Zurueck Weiter als PDF

© H. Föll (MaWi 1 Skript)