5.4.3 Kompliziertere Phasendiagramme: Eutektika

Betrachten wir zunächst das einfachste der "komplizierten" Phasendiagramme: Zwei Substanzen A und B mit einer Mischungslücke , die auch nicht miteinander reagieren, d.h. keine Verbindungen der Form Ax By formen. Ein gutes Beispiel ist Lötzinn , das System Sn - Pb.
Mischungslücke heißt, dass in einem bestimmten Bereich der Zusammensetzung sich A und B nicht mischen, d.h. keinen Mischkristall bilden. Wir haben dann eine Mischphase vorliegen, ein Gemenge aus den Phasen a   +  b
Wir nennen die Phasen absichtlich a und b, und nicht etwa A und B . Denn a und b sind eben nicht z.B. Körner aus reinem A bzw. B, sondern Körner aus hauptsächlich A, die aber noch bis zur Löslichkeitsgrenze B enthalten bzw. B mit gelöstem A, eben a  +  b .
Grundsätzlich kann man das Phasendiagramm für diesen Fall genauso aus freien Enthalpiebetrachtungen ableiten wie bereits geschehen; dies wird in einem "Advanced" Modul noch etwas näher erläutert.
Das Phasendiagramm ist im folgenden Bild gezeigt
Phasendiagramm Pb - Sn
Zunächst erkennnen wir die Phasen a = [Pb mit einer relativ großen Menge an gelöstem Sn], maximal 19 Gewichts % oder 30 Vol. %, und b = [Sn mit einer kleinen Menge am gelöstem Pb], maximal 2,5 Gewichts %.
Die beiden Kurven, die diese Phasen bis zum Maximalwert von der anderen festen Phase a + b trennen, sind nichts anderes als die Löslichkeitskurven der atomaren Fehlstellen ( Sn in Pb bzw. Pb in Sn) in der Phasendiagrammdarstellung.
Daß die Löslichkeit der jeweiligen atomaren Fehlstelle oberhalb der charakteristischen Temperatur Teut wieder abzunehmen scheint, hat einen anderen Grund: Die Phase schmilzt, bevor die maximale Löslichkeit erreicht ist.
Auch der Bereich a + b ist klar. Wir haben ein instabiles Zweiphasengebiet. In diesem Bereich wird jede Mischung in die nebeneinander und gleichzeitig vorliegenden Phasen a und b "zerfallen". Es gilt das Hebelgesetz für die relativen Anteile der beiden Phasen. Dass jetzt beide Phasen fest sind, ist dabei unerheblich.
Wenn wir das Gefüge des Festkörpers anschauen, finden wir a und b Bereiche, d.h. fast reines Sn und relativ reines Pb, in irgendeiner Anordnung vermischt.
Die beiden "Hörner" sind uns auch schon bekannt: Hier liegt eine Mischung fest - flüssig vor, genau wie im Beispiel des Si - Ge Systems des vorhergehenden Unterkapitels. Hier können wir auch verstehen, was ein fest - flüssig Gemisch in der Realität bedeutet.
Jeder, der schon mal gelötet hat, weiß, daß bei zu tiefen Temperaturen " kalte" Lötstellen auftreten. Das Lötzinn scheint nicht richtig flüssig zu sein, sondern hat eine breiige Konsistenz. Das ist genau die L + a Phase des Phasendiagramms.
In einer Sn - reichen Flüßigkeit schwimmen Pb - reiche feste Kristalle, oder, mehr wahrscheinlich, die kältere Außenseite ist fest und Pb - reich, die Innenseite ist flüssig und Sn - reich.
Um zu sehen, was in diesem Phasendiagramm möglich ist, betrachten wir, was geschieht, wenn wir von einer gegebenen Zusammensetzung (z. B. einer Pb reichen Schmelze) ausgehen und abkühlen.
Solange wir oberhalb der durch die eutektischen Temperatur Teut definierten Linie bleiben, wird sich das System in eine feste , Pb - reiche, und eine flüssige, Sn - reiche Phase aufspalten.
Starten wir von der Sn - reichen Seite aus, ist die Lage entsprechend.
Bei einer bestimmten Zusammensetzung, gegeben durch eutektische Konzentration ceut (die Konzentration am Punkt E), findet jedoch keine Aufspaltung statt. Hier erfolgt ein direkter Übergang vom flüssigen in den festen Zustand, es erfolgt die die eutektische Reaktion
L   ®    a  +  b
 
Nochmals: Bei ceut haben wir einen direkten Übergang vom Liquidus zu zwei festen Phasen. Das hat, sofort erkennbar, erhebliche technische Bedeutung!
Allein schon die Bedingung der Nichtmischbarkeit erfordert eine solche Reaktion, denn bei irgendeiner Konzentration der Flüßigphase müssen sich die beiden fest - flüssig Phasengebiete L + a und L + b ja mal treffen.
 
Am dadurch definierten und ziemlich häufig erscheinenden eutektischen Punkt sind notwendigerweise 3 Phasen miteinander im Gleichgewicht: L, a und b.
Eutektikum
Die Phasenregel erlaubt damit keinen Freiheitsgrad mehr; Temperatur und Zusammensetzung aller Phasen sind festgelegt; siehe die Graphik
Die zwei festen Phasen a und b in ihrer jeweiligen Zusammensetzung müssen also notwendigerweise durch eine Linie mit konst. Temperatur verbunden sein, damit ist die allg. Struktur des Phasendiagramms klar.
Daß der eutektische " Punkt" im Phasendiagramm als "Linie " erscheint, ist zwar etwas verwirrend, aber in Bezug auf die Temperatur ist es trotzdem ein Punkt. Und nur darauf kommt es an  
   
Was bedeutet das hübsche Wort " Eutektikum"? Es ist griechisch und heißt " gut schmelzend" oder auch "schön gefügt; wohl aufgebaut". Denn die eutektische Zusammensetzung einer Zweistoffmischung oder Legierung hat zwei bemerkenswerte Eigenschaften:
 
1. Die eutektische Zusammensetzung schmilzt komplett bei der tiefstmöglichen Temperatur.  
pb-Sn eutectic structure
2. Die Schmelze erstarrt direkt , ohne sich vorher in zwei Phasen zu zerlegen, wieder in die eutektische Zusammensetzung. Wir müssen also ein Eutektikum zweier Stoffe nicht g a n z   l a n g s a m abkühlen, um die Zusammensetzung halbwegs homogen zu halten, sondern können so schnell abkühlen wie wir wollen. Wie so was aussehen kann ist rechts gezeigt. Wir haben ziemlich ordentliche "schön gefügte" Lamellen aus abwechselnd Pb und Sn .
Sicherlich wird das Gefüge von der Abkühltemperatur abhängen, aber die zuletzt erstarrten Gebiete haben dieselbe generelle Zusammensetzung wie die zuerst erstarrten.
   
Die eutektische Reaktion L ® a + b ist eine der sogenannten invarianten Reaktionen die in Zweistoffsystemen ablaufen können. Dabei entsteht aus zwei Phasen eine dritte Phase bzw., in der Rückwärtsreaktion wie oben notiert, entstehen zwei Phasen aus einer Phase.
Invariant, heißen diese Reaktionen deshalb, weil nach der Phasenregel keine Freiheitsgrade mehr existieren, d.h. Temperatur und Zusammensetzung sind unveränderlich festgelegt, sie sind invariant, eben nicht mehr variant = variabel
Dabei sind dann auch noch weitere Phasen, z.B Verbindungen der Form AxB y zugelassen.
Wir wollen hier aber nicht mehr weiter in die Systematik der Phasendiagramme eindringen, sondern zum Abschluß und zur Illustration des bisher Gelernten, noch ein wirklich kompliziertes Phasendiagramm diskutieren. Damit kommen wir zum letzten Unterkapitel des Generalthemas "Gleichgewichte".

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© H. Föll (MaWi 1 Skript)