9.4.3 Die Kennlinie des pn-Übergangs

Herleitung der "idealen" Kennlinienformel

Was geschieht am (idealen) pn-Kontakt, wenn wir, wie beim Volumen-Oberflächen-Kontakt, jetzt eine externe Spannung anlegen?
Im Gegensatz zu dem bereits erfolgten Gedankenversuch in dieser Richtung sollten wir das jetzt wirklich tun. Dafür gibt es zwei Gründe:
1. Das geht! Ein Stück Si kann man kontaktieren (wir übrigens auch bald). Sowohl zu p- als auch zu n-Si können reale ohmsche Kontakte gemacht werden; es gibt weder technische noch begriffliche Schwierigkeiten.
2. Wir erwarten, daß durch eine Diode Strom fließen wird (und dann kein Gleichgewicht vorliegen wird), und dazu braucht man selbst in einem Gedankenversuch einen geschlossenen Stromkreis mit Kontakten.
Unsere frühere Überlegung, was geschieht, wenn ein externes Potential Uext angelegt wird, bleibt aber unverändert:
Wir müssen die linke und rechte Seite des Kontakts um eUext gegeneinander verschieben.
Die Fermienergie ist dann aber nicht mehr konstant; im strengen Sinne gibt es sie gar nicht mehr! Wir können also nicht mehr mit Schritt 1 des Gleichgewichtsrezepts beginnen.
Andererseits wird weit weg vom pn-Übergang nicht viel passieren, was vom Gleichgewichtszustand sehr verschieden ist. Falls jetzt Strom fließt, sind die Gebiete weit weg vom pn-Übergang simple Leiter oder besser gesagt ohmsche Widerstände, und ihr Banddiagramm ist schlimmstenfalls leicht gekippt, wie für diesen Fall bereits betrachtet.
Wir verlieren durch diese Bahnwiderstände links und rechts vom pn-Übergang also allenfalls einen kleinen Teil der angelegten Spannung; dies werden wir erstmal schlicht ignorieren.
Damit können wir links und rechts vom pn-Übergang die Bandstruktur wie gewohnt zeichen, wir können sogar die Fermienergie wieder einzeichnen, um anzudeuten, daß wir nicht weit weg vom Gleichgewicht sind.
Gegenüber der Gleichgewichtskonstruktion für Uext = 0 V müssen wir also nur eines der Bänder zusätzlich um eUext verschieben und die beiden Bänder dann wieder "nach Gefühl" verbinden. Das sieht dann so aus:
 
Falls wir rechts den Minuspol der Spannungsquelle anschließen, erhöhen wir das Potential der Elektronen, die n-Seite rutscht um –eU ext = +e|Uext| nach oben (oder die p-Seite nach unten; wir sind frei bei der Wahl des Nullpunkts).  
p-n-Übergang in 
Durchlaßrichtung
(Hinweis: In dieser Abbildung sind die Teilströme noch englisch beschriftet: Diffusionsstrom=forward current jF, Feldstrom=reverse current jR)
Die Raumladungszone wird kleiner – "gefühlsmäßig", oder nach Formel –, falls wir statt D E wieder DE delta – eUext einsetzen (für diesen Fall ist Uext also positiv).  
Die Energiebarriere wird kleiner. Der Diffusionsstrom wird sich also deutlich erhöhen; es haben jetzt viel mehr Elektronen im n-Si und Löcher im p-Si genügend Energie, um vom eigenen Schwung getragen über den Berg zu kommen.  
Der Feldstrom bleibt jedoch unverändert. Die Zahl der pro Sekunde an die RLZ-Kante kommenden Minoritäten ist unverändert, und wie tief es hinuntergeht, spielt keine Rolle.  
Die Diffusionsströme in den jeweiligen Bändern sind also mit wachsender Spannung schnell deutlich größer als die Feldströme (die wir dann vernachlässigen können); wir haben einen Nettostromfluß in Durchlaßrichtung jext(Uext > 0) im äußeren Stromkreis, der ziemlich heftig (vermutlich wohl exponentiell) von der externen Spannung abhängen wird und immer gegeben ist durch
jext(Uext > 0)  =  æ
è
jD(L)  –  |jF(L)| ö
ø
 +  æ
è
jD(V)  –  |jF(V)| ö
ø
 »  jD(L)  +  jD(V) 
Falls wir die Polarität umdrehen, erhalten wir folgendes Banddiagramm:
     
Das Potential der Elektronen (also die n-Seite) rutscht um eUext nach unten (oder die p-Seite nach oben).  
p-n-Übergang in 
Sperrichtung
(Hinweis: In dieser Abbildung sind die Teilströme noch englisch beschriftet: Diffusionsstrom=forward current jF, Feldstrom=reverse current jR)
Die Raumladungszone wird größer – "gefühlsmäßig", oder nach Formel, falls wir statt DE F wieder DEF – eUext einsetzen (für diesen Fall ist also Uext negativ).  
Die Energiebarriere wird größer . Der Diffusionsstrom wird also deutlich kleiner; wir können ihn vernachlässigen.  
Der Feldstrom bleibt jedoch unverändert. Die Zahl der pro Sekunde an die RLZ-Kante kommenden Minoritäten ist unverändert, und wie tief es hinuntergeht, spielt keine Rolle.  
Als Nettostromfluß jext(Uext < 0) im äußeren Stromkreis bleibt in Sperrichtung also nur noch der Feldstrom. Er ist konstant und gegeben durch  
jext (Uext < 0)  =  æ
è
jD(L)  –  |jF(L)| ö
ø
 +  æ
è
jD(V)  –  |jF(V)| ö
ø
 » –  æ
è
|j F(L)|  + |jF(V)| ö
ø
Nicht unflott! Wir haben ein typisches Diodenverhalten: Für eine Spannungspolarität fließt ein mit der Spannung rasch zunehmender Durchlaßstrom durch die Diode, für die andere Polarität ein konstanter spannungsunabhängiger Sperrstrom.
Durchlaßrichtung ist für n egative Polung am n-Bereich, p ositive Polung am p-Bereich – leicht zu merken.
Ob die Energie für eine gegeben Polarität rauf- oder runtergeht, ist ebenfalls leicht zu merken: In Flußrichtung der Elektronen wird eine Energiebarriere niedriger, falls auf der anderen Seite ein positives Potential dazukommt; für Löcher natürlich umgekehrt.
Alles, was uns noch fehlt, ist eine weitere Gleichung – wir müssen die Spannungsabhängigkeit des Diffusionsstromes beschreiben.
Das können wir aber ziemlich einfach tun. Wir kennen zwei essentielle Eigenschaften des Diffusionsstromes:
1. Er fließt über eine Energiebarriere (oder Energieschwelle) der Gesamthöhe DEF ± e|Uext|. Er fließt überhaupt, weil die stromführenden Teilchen eine durch die Temperatur bedingte Energieverteilung haben und es einige damit schaffen können, die Energiebarriere zu überwinden. Damit muß er der allgemeinen Formel für diesen Fall gehorchen, d. h. wir brauchen irgendeinen Vorfaktor c und den entsprechenden Boltzmannfaktor, der die von der externen Spannung Uext abhängige Energiebarriere DEF – eUext enthält.
Damit ist schon alles klar – der Diffusionsstrom läßt sich wie folgt schreiben:
jD (Uext)  = c · exp ( DEF – eUext
kBT 
)
2. Ohne äußere Spannung, d.h. im Gleichgewicht für Uext = 0, ist der Diffusionsstrom in jedem Band für sich gleich dem (negativen) Feldstrom, d.h. jD(Uext=0) = –jF = |jF|. Damit haben wir für jD(U ex):

jD(Uext)  =  c · exp ( D EF – eUext
kBT 
)  =  c · exp ( DEF
kB T 
) · exp ( + eUext
kBT 
)
        ||    
        jD(Uext=0)=  |jF|    


jD( Uext )  =  |j F| · exp ( + eUext
kBT 
)
Das war's. Wir müssen jetzt nur noch alles zusammensetzen und erhalten eine erste Form der Diodengleichung (ab hier wird beim externen Strom j der Index "ext" weggelassen):
j(Uext)  = æ
ç
è
|j F (L)| + |jF(V)| ö
÷
ø
· æ
ç
è
exp ( eUext
kBT 
)   –  1 ö
÷
ø
Üblicherweise wird der Vorfaktor ( |jF(L)| + |jF(V)|) ganz simpel als j0 geschrieben – denn man weiß ja, daß es der Betrag des Feldstroms ist. Außerdem kann, wie schon beim Stom, auch bei der Spannung der Index "ex" weggelassen werden. Damit lautet die einfachste Form der Diodengleichung (was auch die übliche Kennliniengleichung ist):
j (U)  = j0 · æ
ç
è
exp ( eU
kBT 
)  –  1 ö
÷
ø
Aber Vorsicht: Das sieht einfacher aus, als es ist, denn wir müssen immer die Konvention für die Vorzeichen der Ströme und Spannungen in der Diodengleichung berücksichtigen:
  • Ströme in Durchlaßrichtung werden immer als positiv betrachtet.
  • Spannungen in Durchlaßrichtung werden immer als positiv betrachtet.
Somit ergibt sich grundsätzlich ein Vorzeichenwechsel zwichen der über der Diode extern angelegten Spannung Uext und der über dem pn-Kontakt ohne Stromfluß intern abfallenden Spannung Ubi, mit der man z.B. die Weite der Raumladungszone berechnet.
Zusätzlich wissen wir auch schon, wie groß die Sperrströme sind: Generationsrate (= Rekombinationsrate = nMin(L) / t) mal Einzugsgebiet (L) mal Ladung (±e). Einsetzen ergibt die klassische Diodengleichung:
j(Uext)  =  æ
ç
è
e · L · nMin(L)
t
+ e · L · nMin (V)
t
ö
÷
ø
· æ
ç
è
exp ( eUext
kB T 
)  –  1 ö
÷
ø
Schreiben wir die Minoritätsladungsträgerdichte mit Massenwirkungsgesetz und Dotierung als nMin = (ni) 2 / NDot, erhalten wir:
j(Uext)  =  æ
ç
è
e · L · (ni)2
NA · t
+ e · L · (ni)2
ND · t
ö
÷
ø
· æ
ç
è
exp ( eUext
kB T
) – 1 ö
÷
ø
Da die Diffusionslänge L und die Lebensdauer t eng verwandt sind, kann man über die fundamentale Beziehung L = (D · t )½ oder t = (L2 / D) natürlich einen der beiden herauswerfen; man erhält dann zum Beispiel ...
... nach Eliminierung von t:
j(Uext)  =  æ
ç
è
e · D · (ni)2
NA · L
 +  e · D · (ni)2
ND · L
ö
÷
ø
· æ
ç
è
exp ( eUext
kB T 
 ) –  1 ö
÷
ø
... nach Eliminierung von L:
j(Uext)  =  æ
ç
è
e · (ni)2
NA
æ
è
D
t
ö
ø
½  +  e · (ni)2
ND
æ
è
D
t
ö
ø
½ ö
÷
ø
· æ
ç
è
exp ( eUext
kBT 
) –  1 ö
÷
ø
Und so weiter – man kann den Vorfaktor, der die Feldströme enthält, in noch mehr Varianten schreiben – das kann man auch als intellektuelles Spiel sehen. Die erste Version ist vielleicht am klarsten bezüglich der Natur der Ströme, die letzte bezüglich der entscheidenden Parameter.
Schauen wir uns die wesentlichen Parameter noch einmal einzeln an:
  • Der Diffusionskoeffizient D der Ladungsträger ist primär eine Materialkonstante. Er ist über die Einstein-Beziehung mit der Beweglichkeit µ gekoppelt und damit etwas von Defekten, der Temperatur und der Dotierung abhängig.
  • Die intrinsische Ladungsträgerkonzentration n i ist eine echte Materialkonstante – sie spiegelt die Bandlücke wider – und natürlich sehr stark die Temperatur.
  • Die Diffusionslänge L ist zunächst eine Funktion des Bandtyps (direkt oder indirekt) und dann ein Maß für die Kristallperfektion.
  • Die Dotierkonzentration NDot ist der Technologieparameter – der einzig absichtliche! Mit ihm können wir hier nicht furchtbar viel bewirken; aber das wird sich noch ändern.
  • Die Temperatur T steht explizit und implizit in der Formel. Einmal über ni, ein zweites Mal über D bzw. µ, ein dritte Mal über NDot – bei tiefen Temperaturen bricht die "mittlere Temperaturnäherung " zusammen! Auch wenn nicht jeder Informatiker und Elektrotechniker es gerne hört: Realisierte Informations- und Kommunikationstechnologie ist angewandte Thermodynamik (und selbstverständlich Quantentheorie).
  • Die externe Spannung Uext ist, wenn man so will, die Inputgröße, die Stromdichte j(Uext) ist die Outputgröße der Diode.
 
Eigenschaften der Kennlinie
   
Zunächst halten wir erstmal fest: Ein pn-Kontakt ist immer eine Diode. Strom fließt nur, falls die Polarität der angelegten Spannung "stimmt".
Das ist inzwischen fast eine Trivialität, aber wir haben inzwischen die Ebene des Gedankenversuchs verlassen und sollten und darüber klar werden: Jeder von uns hat zu Hause so um die 100 000 000 - 10 000 000 000 pn-Übergänge um sich herum, die als unsichtbare (aber nicht immer wirklich stumme) Diener für uns arbeiten.
Hätten wir nicht inzwischen eine intime Beziehung zur Kennlinienformel, könnte man sie fast für furchteregend halten. Wir aber verstehen sofort die möglichen einfachen Näherungen:
Für positive Spannungen am p-Si (leicht zu merken) ist der Exponentialterm sehr schnell sehr viel größer als 1; wir können die "–1" vergessen und erhalten für den Durchlaßstrom einer Diode in guter Näherung:
jD  »   æ
ç
è
|jF(L)|  +   |j F(V)| ö
÷
ø
· exp æ
ç
è
eUext
kBT 
ö
÷
ø
In anderen Worten: Es handelt sich um eine simple Exponentialfunktion. Für eUext = kBT (oder U » 1/40 V) ist der Durchlaßstrom um einen Faktor e größer als der Sperrstrom j F, d.h. immer noch ziemlich klein; aber für U » 1 V ist er schon sehr viel größer (um e40!).
In Sperrichtung wird der Exponentionalterm schnell gegen null tendieren, d.h. wir haben die extrem einfache Beziehung für den Sperrstrom (=Feldstrom):
j F  »   jF (L)  +   jF(V)
Einfacher geht's nicht.
Wie die Kennlinie jetzt aussieht, ist also hinreichend klar. Hier zwei Arten der Darstellung:
Zuerst die einfache lineare Auftragung.
Diodenkennlinie 
linear
Hier die wesentlich aussagekräftigere Darstellung mit logarithmischer Stromdichte (und Beträge von Spannung und Strom)
Diodenkennlinie 
logarithmisch
Zahlen sind absichtlich nicht eingefügt, denn die erarbeiten wir uns in Übungsaufgaben.
So ganz langsam sollte jetzt eine ganz wichtige Frage hochkommen:
Stimmt das auch alles? Was sagt das Experiment (denn nur das zählt!)?
Das Experiment sagt: Es kommt darauf an – und zwar auf ziemlich viele Dinge. Zunächst haben wir den fundamentalen Unterschied: ideale Diode – reale Diode. Berechnet haben wir die ideale Diode. Hier sind die Unterschiede:

Ideale Diode Reale Diode
Geometrie "Unendlich" ausgedehnt ab Kontakt,
zumindest sind alle Abmessungen >> L
Sehr klein; alle Abmessungen << L
Dotierung Konstant Variiert stark mit Entfernung vom Kontakt
Bahnwiderstände Keine Immer vorhanden
Parallelwiderstände
("lokale Kurzschlüsse")
Keine Je nachdem
Einfluß Oberflächen Keine Potentiell groß, da immer nahe zum Kontakt
Zulässige Spannungen Alle Wird bei Durchlaßspannungen >> wenige V zu heiß; knallt durch bei zu hohen Sperrspannungen.
Generation/Rekombination in RLZ Keine Immer vorhanden
Alle Punkte bei der Realdiode mit Ausnahme des letzten könnten wir eliminieren, falls wir uns Mühe geben und eine (technisch nutzlose) Diode bauen, die unserer Idealdiode nahe kommt.
Was wir dann erhalten, läßt sich pauschal wie folgt ausdrücken
  • Für Halbleiter mit relativ kleinen Bandlücken (< ca. 0,8 eV; z.B. Ge) stimmt die Theorie ziemlich gut.
  • Für Halbleiter mit relativ großen Bandlücken (> ca. 1 eV; z.B. Si) stimmt die Theorie ziemlich schlecht. Insbesondere ist der tatsächliche Sperrstom viel zu hoch und leicht spannungsabhängig.
Der wesentliche Grund ist, daß wir all die Ladungsträger, die in der RLZ generiert werden (oder rekombinieren), einfach ignoriert haben.
Aber Generation findet auch in der RLZ ständig statt. Je nach Überschußenergie und Impulsrichtung wird der irgendwo in der RLZ neugeborene Ladungsträger den Berg hinauflaufen oder hinunterfallen – es werden also sowohl Durchlaß- als auch Sperrstromkomponenten in der RLZ erzeugt.
Das ist genau wie im richtigen Leben: Auch entlang des Abhangs gibt es Kneipen, die besoffene Radfahrer generieren, die je nach Anfangsschwung und Richtung oben oder unten enden werden, und Radfahrer, die "im Berg" vom Rad fallen, also in der RLZ rekombinieren.
Die Berechnung dieser Stromkomponenten gilt i.a. als sehr schwierig; selbst im Rahmen der schon selbst nicht übermäßig einfachen Shockley-Read-Hall-Theorie ist einiger Rechenaufwand mit zahlreichen Annahmen und Näherungen notwendig.
Deswegen wollen wir hier nur zwei Anmerkungen machen:
1. Falls man die Raumladungszone in die Strombilanzen einbezieht, erhält man eine Gleichung für die Kennlinie, die sehr gut stimmt – für alle Halbleiter.
2. Es ist aber gar nicht so schwer, die Teilströme aus der RLZ zu berücksichtigen. Qualitativ ist es kein besonderes Problem, und mit ein bißchen intelligentem Raten erhält man sogar sofort die richtigen Gleichungen.
Wir lassen das hier aber sein; die Neugierigen betätigen den Link.
Fragebogen
Schnelle Fragen zu 9.4.3

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© H. Föll (MaWi für ET&IT - Script)