9.1.2 Struktur von Polymeren

Um eine kleine Vorstellung von der möglichen Strukturvielfalt der Polymer zu bekommen, nehmen wir ein simples Monomer und schauen mal was man allein damit schon tun kann:
 
H
|
R
|
— C — —C —
|
H
|
H
"R", der Rest, kann alles mögliche sein. Wir bekommen
  • Polyäthylen für R = H (dann hätte als Monomer natürlich auch CH2 genügt)
  • Polyvinylchlorid (PVC) für R = Cl 
  • Polypropylene (PP) für R = CH3
  • Polystyrene (PS) für R = C6H5
    Einige etwas komplexere Monomere vieler bekannter Kunststoffe sind in einem eigenen Modul gezeigt.
 
Wir symbolisieren dieses Monomer mit . Damit können wir nun folgendes tun:
 
Wir machen isotaktische Ketten verschiedener Länge:



Wir machen Ketten mit ataktischer Abfolge der Monomere:
Wir machen Ketten mit syntaktischer Konfiguration:
Wir machen "Kopf-Schwanz" Konstitutionen zu einer der obigen Konfigurationen, z.B.:


oder

Jetzt drehen wir die Moleküle noch in der Kettenachse, z.B. immer um 90o:
Und so weiter und so fort!
Ob das alles mit einem gegebenem Monomer alles realisierbar ist - wer weiß? Aber im Prinzip geht das - und in der Realität geht es häufig auch.
Die diversen Varianten laufen unter den Oberbegriffen "Konstitution" und "Konfiguration", wobei uns die feinen Unterschiede zwischen den beiden Begriffen hier gleichgültig sind.
All diese möglichen Varianten haben verschiedene Eigenschaften. Vielleicht nicht sehr verschieden, vielleicht aber doch.
Was uns nicht gleichgültig ist, heißt "Konformation" - die räumliche Anordnung der Ketten. Was für Möglichkeiten gibt es?
 
Spaghetti Konformation
Das hier ist die Spaghetti Konformation. Man muß das wohl nicht näher erklären. Wohl aber, daß es für die einzelne Kette noch verschiedene Möglichkeiten des Unordnungsgrades gibt.
   
Kettenwinkel
Falls, wie in dem Beispiel links, jede der fünf Richtungen zur Fortsetzung der Kette gleich wahrscheinlich ist, haben wir eine rein "statistische" Konformation der Einzelkette. Bewegt man sich in Richtung der Kette, läuft man automatisch in einem "Random walk". Die Beziehungen dafür kennen wir - das wird sich noch als wichtig erweisen
Falls Richtung 5 aber beispielsweise häufiger vorkommt als die anderen 4 Richtungen, ist die Konformation nicht mehr ganz zufällig; sie ist irgenwie ordentlicher als bei der "random walk" conformation - und damit ist die Entropie dieser Anordnung kleiner.
   
Das sind ganz gehaltvolle Aussagen - mal ein bißchen darüber nachdenken! Wir kommen darauf zurück.

Polymer Kristall
Hier ist das andere Extrem. Ein Kristall aus Polymerketten - auch das kann man beim Spaghettikochen manchmal bekommen.
Wie viele Sorten Kristalle kann man aus ganz langen Molekülketten machen?
Im Prinzip könnte man alle Bravaisgitter nehmen, und auf die Gitterpunkte was längliches setzen - aber sehr sinnvoll ware diese Beschreibung möglicherweise nicht mehr. Vielleicht wäre eine eigene Systematik sinnvoll? Lassen wir Berufenere darüber nachdenken - hier nehmen wir zur Kenntnis, daß noch ganz andere Konformationen möglich und üblich sind.
 
Was wir bei Polymeren häufig finden sind alle Übergangsstufen zwischen vollkristallin und Knäuelspaghetti, dann noch bereichsweise Mischungen und ganz neuartige Strukturen; hier ein paar Beispiele
Teilkristallines Polymer Spherulites
Links ein teilkristallines Polymer, rechts ein sogenannter Spherulit; eine Konformation zu der es kein Gegenstück in der Welt der Kristalle gibt.
Man könnte mit den bisher angedeuteten Freiheitsgraden noch vieles konstruieren, aber wir haben noch eine weitere zur Konformation zählende Komponente, die angesprochen werden muß: Die Vernetzung.
Wir lassen zu, daß zwischen zwei Ketten Bindungen bestehen können, etwa durch eine direkte Verzweigung einer Kette, oder durch spezielle Atome oder Moleküle. Hier ein Beispiel der Möglichkeiten
Vernetzung
Wir können den Vernetzungsgrad charakterisieren indem wir z.B das Verhältnis der C-Atome ohne und mit einer Vernetzungsbindung angeben, oder einfach die Dichte der Vernetzungsknoten pro cm3 zählen.
Die Zahl der mit unserem einfachen Monomer darstellbaren Modifikationen, unterschieden durch Konstitution, Konfiguration und insbesondere Konformation, ist also mindestens Legion.
Jetzt nehmen wir noch kompliziertere Monomere dazu, und erlauben Mischungen verschiedener Monomere oder Polymere - und erhöhen damit die Zahl möglicher Polymermaterialien nochmals gewaltig.
Jede Betätigung eines der möglichen Freiheitsgrade - Änderungen der Kettenlängenverteilung, mehr kristallin oder mehr spaghettiartige Konformation, stärkerer oder schwächerer Vernetzungsgrad - ändert die Eigenschaften. Wie, das bleibt zu diskutieren.
Man ist geneigt, die Flinte ins Korn zu werfen - die Variationsbreite der Möglichkeiten erscheint zu groß für eine systematische Klassifizierung.
Aber das ist zu pessimistisch. Schließlich wissen wir, daß Polymere eigentlich immer sofort als solche zu erkennen sind; man wird kaum jemals ein beliebiges Polymer mit einem Metall oder einer Keramik verwechseln. Es gibt also allgemeine Eigenschaften, an denen man Polymere erkennt und denen wir uns jetzt widmen werden.

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© H. Föll (MaWi 1 Skript)