Freiheitsgrade der Rotation

Da Sie diesen Modul aufgemacht haben, sind Sie möglicherweise über die Zahl "f = 2" bei den Freiheitsgraden der Rotation eines zweiatomigen Moleküls gestolpert. Bis vor kurzem stand im Backbone auch noch:
"Bei einem 2-atomigen Gas wird es komplizierter: Zu den 3 Freiheitsgraden der Translation kommen im Prinzip noch 3 Freiheitsgrade der Rotation (es kann um zwei Achsen senkrecht zur Bindungsrichtung und um die Bindungsachse rotieren) und Freiheitsgrade möglicher Schwingungen".
Über die "3" sind dann andere Leser gestolpert.
Was ist nun richtig? f = 2 oder 3? Schauen wir in klassische Textbücher:
Im "Wedler" steht: "Das Trägheitsmoment für die Rotation um die Molekülachse ist verschwindend klein; die Rotationsenergie wird ... nur durch die Rotation um die senkrecht zur Molekülachse stehenden Achsen bestimmt". Schon wahr, aber der Freiheitsgrad ist trotzdem da - es gibt keine "kleinen" Freiheitsgrade.
Der "Atkins" weiß (Kapitel 22.3): "Bei linearen Molekülen ist keine Rotation um die z-Achse möglich", sagt aber nicht warum.
Beide sind sich also einig: Wir haben f = 2 für die Rotationsfreiheitsgrade. Es wird nur nicht so ganz klar, warum.
Wir kommen hier auf ein typisches didaktisches Problem: Die Komplementarität zwischen Klarheit und Wahrheit. Aber schauen wir mal etwas genauer hin:
Im Rahmen der klassischen Mechanik können wir über Atome und Moleküle eigentlich gar nicht so recht reden, ein zweiatomiges Molekül können wir allenfalls in zwei verschiedenen Abstraktionsformen beschreiben:
1. Als zwei Massenpunkte, die "irgendwie" durch eine Art Feder zusammengehalten werden.
2. Als zwei Kugeln mit kleinem, aber endlichem Durchmesser, die "irgendwie" durch eine Art Feder zusammengehalten werden. Die Masse der Kugeln können wir dabei homogen oder irgendwie sonst in der Kugel verteilen.
Bezüglich der Freiheitsgrade der Rotation besteht zwischen den beiden Modellen aber ein fundamentaler Unterschied.
Im ersten Fall hat die "Masenpunkthantel" kein Trägheitsmoment bei Rotationen um die z-Achse. Diese Rotation kann also keine Energie aufnehmen; die Zahl der Rotationsfreiheitsgrade ist f = 2.
Im zweiten Fall gilt das nicht; die Zahl der Freiheitsgrade wäre f = 3.
Der zweite Fall ist aber eigentlich der realistischere; deshalb stand es bis vor kurzem auch noch so im Backbone. Allerdings laufen wir dann in ein (schamhaft unterschlagenes) Problem:
Auch ein einzelnes "Kugelatom" hätte jetzt schon 3 Freiheitsgrade der Rotation - es könnte als Kugel ja auch schon selbst rotieren und dadurch Energie aufnehmen.
Das Problem wird klar: In ganz einfachen klassischen Modellierungen läßt sich die Zahl der Freiheitsgrade nicht eindeutig beschreiben.
Aber mittels der spezifischen Wärme kann man sie messen! Man findet eher f = 2 für den Rotationsteil, und vermittelt dann naturgemäß diese Zahl.
Erst mit der Quantentheorie wird das Ganze dann wirklich klarer, aber das wissen wir ja schon.
Die wesentliche Argumentationskette ist im übrigen von dieser Unsicherheit gar nicht berührt.
Denn wieviele Freiheitsgrade ein zweiatomiges Molekül auch "wirklich" haben sollte - es ist eine wohldefinierte Zahl. Und damit ist die spezifische Wärme aller zweiatomigen Moleküle konstant und gleich - im eklatanten Widerspruch zum Experiment.
Dieser Widerspruch alleine, unabhängig vom errechneten Zahlenwert, reicht schon völlig aus, um die Notwendigkeit eines "Paradigmenwechsels" zu begründen.
 

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© H. Föll (MaWi 1 Skript)