| Es ist nicht nur lehrreich und
eingängig, sondern an dieser Stelle auch sinnvoll und weiterführend, sich zunächst die idealisierten
Vorgänge bei der Ionenbindung in abstrahierter Form graphisch vor Augen zu
führen. Dazu tragen wir in ein Energie - Abstands Diagramm die relevanten
Energieverläufe ein. Wir tun das zunächst nur für die Ionen. |
|  | Dabei ist als erstes die potentielle
Energie der Coulombanziehung (das elektrostatische Potential) d.h.
die Energie der einen Ladung im Feld der anderen, zu berücksichtigen. Sie muß im Unendlichen = 0 sein
und für den (hypothetischen) Abstand 0 mit 1/a gegen –¥ streben. Wir können diese Kraft ohne weiteres berechnen; sie ergibt sich aus der
vorstehenden Kraftformel. Das anziehende Potential verläuft demnach mit |
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|  | Wobei wir die Konstante
einfach mit A kennzeichnen. |
|  | Weiterhin müssen wir nun die Abstoßung in Betracht ziehen,
die sich ergibt, wenn sich die Ionen zu nahe kommen. Denn sobald sich die Elektronenhüllen zu nahe kommen, oder
sich gar durchdringen, sind die abstoßenden Kräfte zwischen den vielen Elektronen der inneren Schalen viel
größer als die Anziehung auf der Basis nur einer Elementarladung. |
|  | Genauer betrachtet müßte man jetzt
Quantenmechanik treiben. Denn für die Elektronen des Li ist im Inneren des F-Ions kein Platz. Salopp
betrachtet kann man sich vorstellen, daß selbst ohne die elektrostatische Abstoßung, die Heisenbergsche Unschärferelation und das Pauli-Prinzip dafür sorgen, daß man nicht allzuviele Elektronen in einem
gegeben Volumen unterbringen kann |
 | Leider haben wir keine Chance, die
dadurch auftretenden Kräfte auszurechnen oder das zugehörige Potential zu
ermitteln. Aber wir können uns fragen, was wir aus allgemeinem Wissen dazu sagen können. Das wird für
alle praktischen Betrachtungen ausreichen (müssen). |
|  | Zunächst kann man annehmen, daß die abstoßende Kraft ziemlich ungerichtet ist, denn die mittlere Elektronenverteilung in den Ionen ist halbwegs
kugelsymmetrisch (die gerichteten p-Orbitale sind immer gefüllt). |
|  | Klar ist auch, daß die abstoßende Kraft
nicht spürbar ist, wenn die Ionen sich nicht unmittelbar berühren; für a >
a0 wird diese Kraft also klein sein und mit wachsendem Abstand schnell verschwinden. |
|  | Genau beim Gleichgewichtsabstand wird
abstoßende Kraft = Coulombkraft sein müssen, denn a0 ist ja gerade der Abstand bei
dem in Summe keine Kräfte mehr wirken. |
|  | Für a < a0
wird die abstoßende Kraft steil gegen +¥ streben. Wir wissen das aus dem
tägliche Leben, denn es ist bekanntlich sehr schwer, zwei (nichtbiologische) Körper ineinander zu schieben.
Wo ein Körper ist, kann kein anderer sein, das wußte schon Archimedes. Und das ist so, weil wir sonst Atome auf ein Volumen konzentrieren
würden, das erheblich kleiner ist, als die Summe der beiden individuellen Volumina. Eine merkliche
Volumenreduzierung und damit Dichteerhöhung ist nur bei extremsten Drücken möglich, wie sie im Innern
von manchen Sternen vorliegen. |
 | Wir können also durchaus einen
ungefähren Verlauf der abstoßenden Energie aufzeichen; auf Details wird es uns hier noch nicht ankommen.
Die Überlagerung der beiden Potentialkurven wird dann die potentielle Energie der Ionenbindung als Funktion des
Abstandes darstellen. Das sieht so aus: |
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 | Die gesamte potentielle Energie, die ein Ion bei Annäherung an das Bezugsion
spürt ergibt sich durch direkte Addition der beiden Kurven. Diese Kurve des Bindungspotentials - man nennt diese Kurve auch Potentialtopf - ergibt sich dann automatisch so, daß: |
|  | Im ¥ keine
Kräfte wirken. daraus folgt, daß die Potentialkurve horizontal verläuft (Kräfte F
ergeben sich aus einem Potential U(r) immer durch Differenzieren: |
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Fx | = – | dU dx
| | Fy | = – | dU dy | | Fz | = –
| dU dz |
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|  | Da bei Annäherung an den Abstand
r = 0 (entspräche der Verschmelzung der Ionen) die abstoßende Kraft (sie muß in der
gewählten Konvention ein negatives Vorzeichen haben) extrem groß wird,
muß das Potential steil nach oben laufen. |
|  | Beim Gleichgewichtsabstand r0 (oder a0, wir verwenden
beide Symbole), der ja so definiert ist, daß auf das Ion keine Kräfte
mehr wirken, hat das Potential ein Minimum, d.h. . |
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|  | Die Tiefe des Potentialtopfes gibt dann direkt die Bindungsenergie an. Denn die Bindungsenergie war die Arbeit, die nötig ist um
das Teilchen ins ¥ zu bringen. |
 | Um
dieses Potentialtopfbild besser nutzen zu können, muß es in Formeln gefaßt werden. Dazu fehlt nur
eine Formel für das abstoßende Potential. In einfachster, aber
ausreichender (mathematischer) Näherung beschreiben wir die
Abstoßung einfach durch |
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Abstoßendes Potential = Uab | = | B rm |
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|  | Dabei ist zunächst offen ist, wie
groß die Parameter B und m sind. Da aber die abstoßende Kraft sich sehr viel
schneller mit r ändert als es die anziehende tut, wird m >> 1 sein; Werte von 8 -
12 sind realistisch. |
 | Damit erhalten wir
für das Bindungspotential zweier Ionen die allgemeine Potentialformel |
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| Vom Molekül zum Festkörper |
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 | Wir machen jetzt gedanklich aus einem Molekül mit Ionenbindung - z.B. wieder unser LiF - einen Festkörper (es wird automatisch ein Kristall).
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|  | Dazu nehmen wir das Molekül und
addieren zunächst noch ein weiteres F– und Li+ Ion. Wir brauchen beide,
wenn wir einen ungeladenen Körper produzieren wollen. |
|  | Um das ganze einfach zu halten, beschränken wir uns vorläufig noch auf eine eindimensionale Welt; d.h. wir können weitere Ionen nur entlang der Bindungsrichtung
r zuführen. Damit ist klar, daß wir das zweite F– Ion an das
schon vorhandene Li+ Ion anlagern, und das 2. Li+ Ion an das schon
vorhandene F– Ion. |
|  | Das Ergebnis sieht dann so aus |
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 | Denken wir uns das ganze noch dreidimensional
und nehmen wir dann gedanklich irgendein Ion aus dem Kristall heraus (mathematisch
geht das; eine physikalische Umsetzung ist nicht nötig), müssen wir über alle Einzelpotentiale
summieren. |
|  | Statt der Formel mit den
Summanden wie oben bekommen wir eine Summe mit N - 1 Summanden, falls der Kristall aus N
Ionen besteht. |
|  | Wie wir summieren müssen,
wird dabei davon abhängen, wie die Atome räumlich angeordnet sind. Das kann, aber muß nicht so sein wie im Bild
gezeigt. |
|  | Bei mit bloßem Auge sichtbaren
Kristallen liegt N in der Gegend von 1020; man kann also gleich zu ¥ viel Summanden gehen (und dann integrieren statt summieren). |
|  | Das ganze ist offenbar
nur sinnvoll, wenn die Summen gegen einen endlichen negativen Wert konvergieren.
Das müssen sie aber, weil sonst der Kristall nicht zusammenhalten würde. |
 | Wenn man das alles macht, erhält man ein verblüffend einfaches und ganz
allgemeines Ergebnis. Die Potentialformel von oben ändert sich nur ganz
wenig, sie lautet jetzt |
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UBindg = | – am · | A
r | + | B r m |
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 | Es wird also nur der anziehende Teil durch Multiplikation mit einer Konstanten
etwas modifiziert. Der abstoßende Teil ist nicht betroffen, da die Kräfte so schnell abfallen, daß
Ionen in größerem Abstand gar nicht "gespürt" werden. |
|  | Die Konstante am, die sich aus der Summation ergibt, heißt Madelungkonstante, nach dem Festkörperphysiker Madelung. |
|  | Der exakte Wert der Madelungkonstanten hängt natürlich von
den Ionensorten und den damit verknüpften Bindungslängen sowie der dreidimensionalen Anordnung ab. |
|  | Typische Werte für einige Ionenkristalle
sind |
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Kristall (Molekülformel) | Kristalltyp (kommt später) | Madelungkonstante am | NaCl |
kubisch-flächenzentriert | 1,748 | CsCl |
kubisch-raumzentriert | 1,763 | ZnS | kubisch-diamant |
1,638 | ZnS | hexagonal | 1,641 | CaCl | kubisch-primitiv | 2,365 | CaF2 |
kubisch-flächenzentriert | 5.039 | CdCl2 |
hexagonal | 2,244 | ZnO | hexagonal | 1,498 | SiO2 | hexagonal | 2,219 | Al2O3 | Rhomboedrisch | 4,172 |
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 | Die Ionen sind also in einem Kristall stärker gebunden als im Molekül.
Das muß auch so sein, denn sonst würde sich aus Molekülen oder Ionen nie ein Festkörper
formen. |
|  | Stärkere Bindung (positive Madelungkonstante) heißt ja, daß Energie frei wird, wenn sich aus
einzelnen Molekülen ein Festkörper bildet (Beim Gefrierpunkt). Und noch gehen wir davon aus, daß immer
der energetisch niedrigste Zustand begünstigt wird. |
|  | Eine negative Madelungkonstante würde bedeuten, daß man Energie braucht, um einen
Festkörper zu bilden - er würde also nicht stabil sein. |
 | Wer
es noch genauer wissen möchte (und vielleicht selbst probieren will, wie leicht oder schwer es ist,
Madelungkonstante auszurechnen), betätigt den Link. |
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© H. Föll (MaWi 1 Skript)