Zustandsdichte und Boltzmannverteilung

Die Boltzmann-Verteilung kommt im Hyperscript häufiger vor, allerdings in recht verschiedenen Formen. Schaut man genau hin, scheinen diese verschiedenen Formen aber nicht so recht zusammen zu passen.
Das gilt insbesondere, wenn wir noch den "Advanced" Modul zur statistischen Thermodynamik mitnehmen, in dem die Boltzmann-Verteilung besonders seltsam aussieht.
Warum aber trotzdem alles zusammenpaßt, werden wir sehen, wenn wir die auftretenden Formulierungen kurz rekapitulieren.
Im Kapitel 6.1.2 (Energiebarrieren und ihre Überwindung) wird mit größtmöglicher Betonung die Boltzmann-Verteilung erstmals wie folgt eingeführt:
Falls ein thermodynamisches System verschiedene angeregte Energiezustände Ei
relativ zum Grundzustand E0 hat (mit E0 = Zustand mit der kleinsten

Energie := 0), dann ist im thermodynamischen Gleichgewicht
die Zahl der Teilchen Ni bei der Energie Ei
gegeben durch



Ni   =  N 0 · exp – Ei
kT 


Dabei ist in guter Näherung N0 » N = Gesamtzahl der Teilchen, falls Ni << N0.
In anderen Worten: Diese einfachste Version der Boltzmann-Verteilung ist nur eine Näherungsformel.
Strenggenommen gilt auf dieser Stufe exakt nur die Beziehung
N1
N2
  =  exp  –  E1E2
kT 
Im MaWi II Teil des Hyperskripts kamen wir dann zu folgender Formulierung für die Dichte an Teilchen (= Elektronen) in einem Energieintervall DE:
n(E)  =  Dichte der Plätze mal
Wahrscheinlichkeit der Besetzung mal
Energieintervall
     
  = D(E) · f(E,T) · DE
Als Verteilungsfunktion steht an dieser Stelle zwar die Fermi-Verteilung f(E,T) und nicht die Boltzmann-Verteilung, aber vom Prinzip her tut das nichts zur Sache. Wir nähern das ganze später ja immer wieder durch die Boltzmann-Verteilung, und dann steht da Zustandsdichte mal Boltzmann-Verteilung.
Die obige Formulierung ist nun so elementar einsichtig, dass sie einfach nur richtig sein kann.
Damit muss man sich natürlich fragen: Wo ist in der ersten elementaren Formulierung der Boltzmannverteilung die Zustandsdichte D(E)? Es geht doch eigentlich gar nicht, ohne die Zahl der verfügbaren Plätze über Besetzungswahrscheinlichkeiten Aussagen zu machen!
Im Modul "Statistische Thermodynamik" wird die Verwirrung dann komplett. Dort finden wir folgende Formel zur Boltzmann-Verteilung (wobei das dort noch auftretenden allgemeinen Größen wie "b" und bi gleich durch die hier relevanten Größen ersetzt wurden, und, da wir nur eine Teilchensorte betrachten,  pi = 1 gesetzt wurde)
N(E i)  = 
N
  · eEi/kT    =   N
Z
  · eEi/k T 
S
i
  eEi/kT
Keine Zustandsdichte, aber dafür die (temperaturabhängige) Zustandssumme Z. Ohne diese Zustandssumme im Nenner hätten wir aber dieselbe Formel wie in der Einfachversion von oben.
Steckt dahinter verschiedene Physik, oder sind es nur verschiedene Näherungen oder Darstellungsarten? Wie löst sich das Rätsel?
Schauen wir uns zunächst die Zustandssumme an. Summiert wird über alle Energieniveaus.
Sollten zwei oder allgemein gi Niveaus zufällig dieselbe Energie haben (d.h. wir haben Entartung), dann sind das zwei oder gi Terme in der Summe bei der Energie Ei.
Falls wir, wie eigentlich meistens, die Summe durch ein Integral ersetzen, bekommen wir jetzt ein Problem:
Da wir beim Integrieren stetig über die Energieskala laufen, werden, falls wir nicht aufpassen, entartete Energiezustände nur einmal gezählt.
Das Problem läßt sich aber leicht beheben, wir müssen dazu nur die Formel wie folgt schreiben:
N (Ei)  = 
N
  · gi · eEi/kT 
S
i
gi · eEi/kT
Auch im Zähler taucht jetzt gi auf, weil sich die Wahrscheinlichkeiten, dass auf jedem der gi Niveau ein Teilchen sitzt, addieren.
Die gi sind aber nichts anderes als die Zustandsdichte; hier nur noch diskret dargestellt.
Damit wäre auch die Zustandsdichte erledigt, bleibt noch die Frage nach der Zustandssumme.
Auch das ist einfach: Der exp–(E/kT) Term ist eben keine Boltzmann-Verteilung, sondern nur der Boltzmannfaktor !
Der Unterschied ist subtil: Bei einer Verteilung ist der für eine bestimmte Energie erhaltene Zahlenwert eine absolute Wahrscheinlichkeit, d.h. eine Zahl zwischen 0 und 1, beim Faktor ist nur eine Proportionalität vorhanden.
Die Normierungsbedingung für absolute Wahrscheinlichkeiten P(E i) ist, wie immer, SP(Ei) = 1 .
Für den Boltzmannfaktor erhalten wir als Gesamtwahrscheinlichkeit, dass irgendein Niveau besetzt ist, nun einfach nur Sexp –(Ei /kT), und es gibt keinen Grund warum das = 1 sein soll.
Wir müssen also zur Normierung schlicht durch Sexp –(E i /kT) = Zustandsumme Z dividieren, um korrekt zu normieren.
Damit ist das Auftauchen der Zustandsumme auch klar.
Wieweit gilt nun die simple Formel von ganz oben?
Exakt so wie dort ausgeführt - bis auf einen "unterschlagenen" Punkt! Schauen wir uns dazu die korrektere Version, nämlich das Verhältnis von N(E1) / N(E2) an.
Solange die Zustandsdichten konstant sind, kürzt sich schlicht alles raus, und die Gleichung ist exakt richtig. Die erste Gleichung folgt dann sofort mit der gemachten Näherung. In dieser Näherung ist im Grunde nur der Grundzustand besetzt (d.h. die Wahrscheinlichkeit dafür ist 1), die Zustandssumme hat dann nur einen Term und ist ebenfalls = 1.
Es ist also alles in Ordnung, auch wenn es zunächst ein bißchen verworren aussieht.
 

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© H. Föll (MaWi 2 Skript)