2.3 Essenz der Quantentheorie

2.3.1 Bindungszustände für Elektronen und Folgerungen

Das klassische Bild eines Atoms

Klassisch gesehen besteht ein Atom mit der Ordnungszahl z aus einem sehr kleinen Atomkern mit z positiven Elementarladungen, der von z einfach negativ geladenen Elektronen im Abstand von rund und roh 1 Å = 0.1 nm "umkreist" wird.
Im großen und ganzen ist das ein Planetenmodell. Die Kraftgesetze von Gravitation und Coulombwechselwirkung haben identische (1/r 2)-Abhängigkeiten – beide haben ein (–1/r)-Potential.
Leider funktioniert das nicht. Rechnungen zum Planetenmodell der Atome ergeben komplett falsche Ergebnisse gemessen am Experiment – und nur das zählt!
Auch sonst versagt die klassische Physik and allen Ecken und Enden, sobald man sich der Welt der Atome und Elementarteilchen nähert; im Link gibt es Beispiele.
Nicht so schlimm – der ET&IT-Ingenieur beschäftigt sich schließlich nicht mit dem Kleinzeugs, könnte man denken.
Falsch! Würde man die Quantentheorie "abschalten" und nur die klassische Physik gelten lassen, würde nicht nur das Universum in sich zusammenfallen, es gäbe schlicht keine Elektronik mit Halbleitern (und damit keine IT) mehr. Noch nicht mal die gute alte Elektronik mit Elektronenröhren würde noch funktionieren – von Lasern, Magnetspeichern, GMR-Leseköpfen (beruhend auf dem "Gigantomagnetowiderstandseffekt"), LEDs usw. ganz zu schweigen.
Wir nehmen mal zur Kenntnis: Für ET&IT-Ingenieure gibt es nur 3 "Teilchen", aus denen die Welt besteht (MaWi's und Physiker kennen und benützen noch ein paar Exoten, wie z. B. Positronen ).

  1. Atomkerne ("unteilbar", aus Protonen und Neutronen zusammengesetzt).
  2. Elektronen.
  3. Photonen = "Lichtteilchen".
Das war's!
Mehr ist nicht. Die Quantentheorie ist die mathematische Behandlung der Eigenschaften und Interaktionen dieser Teilchen.
Man braucht aber mindestens zwei Semester, um die Quantentheorie halbwegs gründlich zu lernen, vom Verstehen ganz zu schweigen. In den maximal 2 Stunden, die hier zur Verfügung stehen, können wir allenfalls ein paar wenige Schlüsselbegriffe formulieren.
Wer ein bißchen mehr tun will, macht sich über die "Ergänzende Quantentheorie" im Rückgrat 2 her. (Hinweis: "No, you're not going to be able to understand it. You see, my physics students don't understand it either. That is because I don't understand it. Nobody does." So der Physiker und Nobelpreisträger Richard Feynman zur Quantentheorie; seinen Nobelpreis hat Feynman übrigens für die Quantenelektrodynamik erhalten, den experimentell am besten bestätigten Bereich der Quantenphysik, und die von ihm eingeführten und daher nach ihm benannten Feynman-Diagramme sind inzwischen ein Standard-Hilfsmittel zur Veranschaulichung quantenmechanischer Wechselwirkungen.)
Hier gehen wir pragmatisch vor und schauen uns mal das Potential eines Elektrons im Atom an, ganz analog zum Bindungspotential zwischen Atomen oder Ionen.
 

Potential eines Elektrons im Atom

Ein Atom mit der Ordnungszahl z hat durch die Coulombwechselwirkung "irgendwie" z Elektronen gebunden. Ein Atom ist rund und roh einige wenige Ongström (1 Å = 0.1 nm) "groß". Wir nehmen mal an, dass die z Elektronen sich in einer entsprechend großen Kugel halbwegs gleichmäßig verteilt aufhalten.
Das würden sie schon deshalb tun, weil sie sich abstoßen und sich deswegen ihre gegenseitige Abstände maximieren.
Den Atomkern plus z–1 Elektronen können wir deshalb als eine mit einer effektiven positiven Elementarladung versehene Kugel etwas unklarer Größe auffassen, die das z-te Elektron ganz außen noch mit einem (–1/r)-Potential bindet.
Wer das zu abstrakt findet, betrachtet halt erst mal nur das Wasserstoffatom – da stimmt das Coulombpotential zu 100 %.
Unser Elektron sitzt damit in einem Potentialtopf wie unten gezeigt.
H Atom Potentialtopf 
für ein Elektron   Ladungen Atom allgemein
Coulombkraft-Geometrie beim H-Atom.
Das Potential rechts gilt exakt.
Coulombkraft-Geometrie bei beliebigem Atom
für das Elektron ganz außen.
Das Potential links gilt ungefähr.
Das z-te Elektron ganz außen ist am wenigsten stark gebunden und deshalb am leichtesten abzutrennen. Die dazu notwendige Arbeit ist das Integral vom jeweiligen Abstand r bis ¥; es kann fast jeden beliebigen Wert annehmen; je nach Ausgangspunkt r.
Merkwürdigerweise ist die Ionisierungsenergie, der Zahlenwert des obigen Integrals für jedes Atom der betreffenden Sorte, immer exakt gleich. Das bedeutet, dass unser "letztes" Elektron auf einem eindeutig definierten Energieniveau (rote Linie) "sitzt" – es kann sich nur in einem Zustand befinden, zu dem eine eindeutige Energie gehört (und ein eindeutiges r im Potentialbild; da seine Energie konstant ist, können wir ein konstantes Energieniveau für alle Abstände einzeichen).
Zustände dieses Elektrons mit irgendwelchen anderen Energien sind "verboten". Hier haben wir schon einen klaren Bruch mit der klassischen Physik.
Wir haben zum erstenmal den Schlüsselbegriff Zustand (des Systems) verwendet; im Zustand ist die gesamte relevante Information enthalten.
Die experimentelle Erfahrung sagt nun: Was für ein Elektron gilt, gilt auch für alle anderen (denn alle Elektronen sind gleich!): Sie sitzen alle auf energetisch eindeutig definierten Niveaus, die zu erlaubten Zuständen des Systems "Atom" gehören.
Das können wir mal schematisch aufzeichnen:
Potentialtopf für 
Elektronen
Im Bild sind einige wichtige Punkte angedeutet; andere lassen sich nicht so leicht graphisch darstellen. Hier ist eine Liste:
1. Es gibt ¥ viele, aber immer diskrete Energienievaus, die für zunehmende r immer dichter aufeinander folgen. Da wir aber nur z Elektronen haben, können nicht alle vorhandenen Energieniveaus von Elektronen "besetzt" sein. Das ist durch die Strichelung weiter oben angedeutet.
2. Vom letzten (von unten aus gesehen) besetzten Niveau braucht man immer exakt die Ionisierungsenergie I, um das am schwächsten gebundene Elektron (= auf dem höchsten besetzten Niveau) ins Unendliche zu bringen, d. h. komplett abzutrennen.
3. Man kann – mit entsprechend mehr Energie – natürlich auch stärker gebundene Elektronen ins Unendliche bringen (es gilt der 1. Hauptsatz!).
4. Man kann aber nicht ein Elektron auf ein Energieniveau bringen, das keinem erlaubten Zustand entspricht, es also zwischen den roten Strichen ansiedeln.
5. Während das letzte besetzte Niveau sich im Bereich einiger eV bis einiger zig eV befindet (wir kennen die Ionisierungsenergien aller Atome!), geht die Skala nach unten leicht bis zu einigen 1.000 eV. Irgendwo ist aber das tiefstmögliche Niveau; darunter kommt nichts mehr.
6. Auf einem gegebenen Energieniveau können immer mindestens 2 Elektronen "sitzen", und zwar immer eine exakt definierte und nicht zu große Anzahl.
7. Trotzdem hat jedes Elektron einen definierten Zustand, der sich vom Zustand jedes anderen Elektrons eindeutig unterscheidet. Damit folgt notwendigerweise:
  • Zustände sind nicht nur durch die Energie definiert.
  • Verschiedene Zustände (wie auch immer unterschieden) können dieselbe Energie haben. Man nennt diese Zustände dann bezüglich der Energie entartet.
8. Jetzt kommt das größte Mysterium der Quantentheorie, das Pauli-Prinzip:
Elektronen in einem System können nie exakt denselben Zustand einnehmen.
Während man alle anderen Prinzipien oder Axiome der Quantentheorie in Bezug zu Prinzipen der klassischen Physik setzen und damit "anschaulich" machen kann, geht das nicht für das (hier vereinfacht dargestellte) Pauli-Prinzip. Mehr dazu im Rückgrat 2 und in diesem Link
 
Unklarheiten dazu werden später beseitigt; jetzt machen wir erst mal den Schritt zum Kristall.
Dazu brauchen wir Bindungen, und Bindung bedeutet jetzt:
  1. Die Elektronen der beteiligten Atome müssen sich "spüren".
  2. Die bindenden Elektronen gehören nach erfolgter Bindung zum "System Molekül oder Kristall" und nicht mehr zum "System Ursprungsatom".
  3. Durch Eingehen einer Bindung wird Energie frei (= "gewonnen"), d. h. die Gesamtenergie wird abgesenkt.
 

Bindung im Elektronenpotentialbild

Wir schauen uns erst mal die Bildung eines NaCl-Moleküls aus der Sicht der Elektronen an und vertiefen gleichzeitig die obigen Punkte noch etwas.
Halbwegs maßstabsgetreue Potentialtöpfe der Elektronen in weit voneinander entfernten, isolierten Na- und Cl-Atomen sehen etwa so aus:
Potentialtopf 
der Elektronen im isolierten Na und Cl Atom
Alles wie gehabt; allerdings haben wir noch ein paar neue graphische "Zeichen" eingeführt:
  1. Die Zustände mit gleicher Energie sind nach irgendeiner Systematik der Form "nxk" (mit vermutlich n = 1, 2, 3, ...; x = s, p, d, ...(?)..., k = 1, 2, 3, ...) numeriert und können dadurch unterschieden werden.
  2. Mit grünen Pfeilchen ist angedeutet, wieviele Elektronen ein Energienievau besetzen.
  3. Zwei Sorten Pfeilchen ("rauf" und "runter") sind eingeführt worden, um damit Elektronen mit verschiedenem "Spin" (was immer das ist) zu unterscheiden.
  4. Die Zahl der tatsächlich vorhandenen Elektronen ist in der nxk-Systematik durch der Zahl "k" ausgedrückt.
  5. Indirekt ist angedeutet, dass Zustände mit x = s oder x = p Platz für maximal 2 bzw. 6 Elektronen haben.
Wie zuvor bei den Atom"feder"potentialen, verringern wir jetzt den Abstand zwischen den Atomen. Wiederum dürfen wir die individuellen Potentiale addieren (wobei wir die negative Skala beachten: –3 eV + (–5 eV) = –8 eV! –8 ist eine kleinere Zahl als –3!).
Beim Bindungsabstand r0 (der sich hier aber nicht "von selbst" über ein Potentialminimum ergibt), sieht das so aus:
Potentialtopf 
der Elektronen bei gebundenen Na und Cl Atomen
Das mit einem Elektron besetzte 3s1-Energieniveau des Na-Atoms (das im Zahlenwert jetzt möglicherweise leicht modifiziert ist) liegt über dem maximalen Potentialwert zwischen den Atomen. Das dort sitzende Elektron kann sich also hinüber zum Cl-Atom begeben (damit haben wir zwei Ionen produziert) und sich noch zusätzlich energetisch nach unten auf den einen freien Platz des 3p-Niveaus des Chlors setzen.
Die Gesamtenergie ist durch die Bindung geringer geworden; sie kann aber nur bei einem bestimmten Abstand – dem Bindungsabstand r0 – ein Minimum haben, da sie bei zu kleinen oder zu großen Abständen wieder ansteigt (das hatten wir schon).
Das System "NaCl-Molekül" hat gegenüber dem System "Na-Atom plus Cl-Atom" Energie freigesetzt – die Bindungsenergie.
Deswegen kommt diese Bindiung auch tatsächlich zustande. Energieminimierung ist eine treibende Kraft für Veränderungen!
Alle Elektronen sind nach wie vor fest einem Atom zugeordnet und damit ortsfest – wir haben einen Isolator vor uns.
 
Das war die klassische Ionenbindung aus der Sicht der Elektronen. Wie sieht das Ganze bei der Metallbindung aus? Machen wir gedanklich mal ein Na-Metall.
Einfach. Gleiches Rezept: Potentiale überlagen. Allerdings jetzt in drei Raumrichtungen und wiederholt ins (fast) Unendliche. Geht graphisch nicht, also vereinfachen wir in eine Dimension (aus technischen Gründen ist die Energieachse weggefallen, es gilt die gleiche wie zuvor):
Potentialtopfmodell für Na-Kristall
Alles klar? Das 3s-Niveau läge wieder oberhalb der Potentialmaxima und gehört dadurch jetzt allen Na-Atomen im Kristall. Von jedem einzelnen Na-Atom kommt ein Elektron, das auf diesem Niveau sitzen müßte, da es "weiter unten" keine freien Plätze gibt.
Das ist aber durch das Pauli-Prizip ausgeschlossen! Maximal 2 Elektronen können ein solches Niveau besetzen!
Der einzige Ausweg ist die Aufspaltung des im einzelnen Atom ganz scharfen Energieniveaus auf ein "Energieband" von vielen (ca. soviel wie Atome im Kristall) dicht benachbarten Energienieaus, die formal zu verschiedenen Zuständen des Kristalls gehören! So ist es in der Schemazeichnung dargestellt.
Bei dieser Aufspaltung kann es zur Absenkung der Energie kommen – wir haben dann einen Grund zur Bindung!
Neu ist: Die Elektronen in diesem Band können im ganzen Kristall "herumlaufen" und deshalb auch den elektrischen Strom leiten. Wir haben einen Leiter erhalten.
 
Es fehlt noch die kovalente Bindung. Die ist aber wie gehabt. Hier das Beispiel für Silizium (Si; es gilt wieder die gleiche Energieachse wie zuvor):
Elektronenpotenialtopfmodell 
Silizium
Der einzige Unterschied zum obigen Bild (für Na) besteht darin, daß die notwendige Aufspaltung der über den Potentialminima sitzenden Niveaus (es können ja auch mal mehr als nur eines sein) zwei Energiebänder produziert hat, und zwar mit einer Energielücke der Weite 1,1 eV (eine Zahl, die wir uns merken müssen!).
Falls die Elektronen im unteren Band sitzen, werden sie nicht so recht beweglich sein. Im oberen Band schon, aber da werden nur die sich aufhalten, die unten keinen Platz mehr haben. Weder Isolator noch Leiter – diesmal haben wir es mit einem Halbleiter zu tun.
Mit dem Konzept der Energielücke haben wir schon fast die Halbeiter definiert und verstanden! Allerdings müssen wir (später) schon noch etwas genauer hinschauen.
     
So weit, so gut. Die Frage, die sich jetzt aufdrängt ist: Wie rechnet man das alles?
Die Antwort ist: Man (und frau) rechnet mit der Schrödingergleichung als neuer Grundgleichung der Physik. Wir hingegen tun das aber aber eher nicht, zumindest nicht in voller Schönheit, denn dazu fehlt uns nicht nur die Zeit, sondern auch die notwendige Mathematik.
Aber die ist gar nicht so schlimm, daher wagen wir mal einen Blick, frei nach dem Motto "ein bißchen was geht immer" – aber erst im nächsten Modul.
 

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© H. Föll (MaWi für ET&IT - Script)