3.5 Experimentelle Methoden zur Kristallstrukturanalyse

3.5.1 Beugungsverfahren

Allgemeine Bemerkungen

Die verschiedenen Meßmethoden zur Kristallstrukturanalyse unterscheiden sich zunächst durch die verwendeten Sondenteilchen. Üblicherweise benutzt werden:
Photonen (inkl. Röntgenstrahlung)
Elektronen
Neutronen.
Weiterhin kann man die Verfahren noch danach einteilen, ob sie bildgebend sind, oder nur eine Beugungsstruktur liefern.
Bildgebend heißt, daß man im übliche Wortsinn ein Bild der Struktur im "Ortsraum" bekommt - sei es als Bild der Atomreihen des Kristalls, oder auch z.B als Bild von Defekten im Kristall. Dabei ist aber immer die Beugung von Wellen am Gitter des Kristalls der zugrundeliegende "Kontrastmechanismus", d.h. der Mechanismus, der die Dinge sichtbar macht.
Bildgebende Verfahren sind in erster Linie die Transmissionselektronmikrosokopie (TEM) und die Röntgentopographie. Lichtmikroskopie zählt nicht dazu, da hier zwar die Beugung von Licht an Gefügestrukturen ausgenützt wird, aber keine Beugung an Gitterstrukturen stattfindet.
Verfahren, die eine Beugungstruktur oder Beugungsbild produzieren, liefern Informationen darüber, welche Ebenen eine Welle wie stark reflektieren. Wenn man so will, liefern sie ein (Teil)bild des reziproken Gitters (mit Auslöschungsregeln und Intensitätsmerkmalen).
Beugungs"bilder" oder - Diagramme sind ziemlich unempfindlich auf Kristallgitterdefekte; sie liefern direkte Aussagen über den Kristalltyp (welches Bravaisgitter liegt vor?), quantitative Werte für die Gitterkonstanten, und indirekte Werte für die Basis.
Ansonsten ist die experimentelle Arbeit (im Gegensatz zur Theorie), natürlich stark unterschiedlich für unterschiedliche Wellensorten. Wir haben im wesentlichen
Röntgenstrahlung:
Hat eine relative große Eindringtiefe in das Material und ist verhältnismäßig billig. Die Strukturuntersuchung mit Röntgenstrahlung ist die Standardmethode in vielen Labors.
Will man sehr intensive und monchromatische Röntgenstrahlung, ist eine normale "Röntgenröhre" überfordert. Abhilfe liefert die Synchrotronstrahlung, ein "Abfallprodukt" der Elementarteilchenforschung. Es handelt sich dabei einfach um die Strahlung, die extrem hochenergetische Elektronen, die in großen Sychrotonbeschleunigern auf eine Kreisbahn gezwungen (und dadurch beschleunigt) werden, automatisch emittieren. Billig ist das allerdings nicht mehr.
Neutronenstrahlen:
Damit ist man in der Lage, große Probenvolumina zu untersuchen (dies folgt einerseits aus der ebenfalls großen Eindringtiefe von Neutronen in Materie, andererseits aber auch aus dem großen Querschnitt des Neutronenstrahls).
Neben der Strukturuntersuchung kann man mit Neutronen auch Defekte (Ausscheidungen) und Texturen von Materialien untersuchen, und insbesondere auch magnetische Eigenschaften von Festkörpern.
Da man einen kompletten Kernreaktor braucht (oder eine auch nicht unter einigen 100 Mio € zu habende "Spallationsquelle"), ist das Verfahren nicht besonders populär, wird aber in einigen Großforschungszentren intensiv betrieben.
Elektronenstrahlen
Die Wechselwirkung der durchstrahlten Materie mit den Elektronen ist sehr stark. Es lassen sich daher nur dünne Schichten oder Oberflächen mit Elektronen untersuchen. Dies geschieht meist in einem Transmissionselektronemikroskop (TEM), dem das nächste Unterkapitel gewidmet ist.
Ein TEM kann beides: Beugungsbilder und -Strukturbilder liefern
Im folgenden werden einige Standardmethoden mit Röntgenstrahlung kurz gestreift. Man kann dabei noch unterscheiden ob die Methode für Poly- oder Einkristalle geeignet ist, und ob monochromatische oder "farbige" Strahlung zum Einsatz kommt.
 
Standardverfahren mit Röntgenstrahlung
   
Am einfachsten ist das Laue-Verfahren.
Der einfallende Röntgenstrahl ist polychromatisch (breites Wellenlängenspektrum; billig herzustellen), die Probe liegt als Einkristall vor.
Der Strahl fällt auf die Probe; vor (und bei dünnen Proben evtl. auch hinter) der Probe sind (für Röntgenstrahlen empfindliche) Photoplatten (oder on-line Detektoren), die einen Teil der gebeugten Strahlen detektieren.
Aus dem breiten Röntgenspektrum gibt es für die verschiedenen Netzebenen immer einen Wellenevektor, der die Bragg-Bedingung erfüllt; jede Kristallebene reflektiert damit einen Teil des einfallenden Strahls. Die Strahlung in den Reflexen ist jetzt monochromatisch, aber das ist einer Photoplatte egal. Das Ganze sieht dann so aus (links der Aufbau; rechs ein typische Beugungsdiagramm (von Si))
Laue Verfahren Laue Beugungsbild
Das Laue-Verfahren ist einfach, aber nicht sehr präzise. Man benutzt es daher meist nur zur Orientierung von Einkristallen.
Präziser und vielseitiger ist das Diffraktometer in einer seiner vielen Ausprägungen; die einfachste Variante ist unten schematisch dargestellt.
Der monochromatische Röntgenstrahl wird auf die (einkristalline) Probe gelenkt, die durch Schrittmotoren mit Computersteuerung um mehrere Achsen drehbar ist. Ein Detektor steht unter einem (wählbaren) Winkel in einer günstigen Position im Raum.
Durch den einfallenden Wellenvektor k, die Richtung des Detektors und den Kristall ist die Diffraktionsebene (siehe Zeichnung) festgelegt. Durch systematische Variation der Winkel j, w und c wird immer wieder ein reziproker Gittervektor in der Streuebene zu liegen kommen, der die Bragg-Bedingung erfüllt. Der Detektor registriert dann eine gewisse Intensität an Strahlung. Da die Winkel sehr genau einstellbar sind, erhält man sehr genaue Ergebnisse.
Die Intensität als Funktion der drei Winkel enthält alle Information über den Kristall, die man überhaupt durch Beugung ermitteln kann. Die Durchführung und Auswertung des Experiments war in der Matwiss-Antike (bis 1980) ziemlich mühselig; heute geht es vollautomatisch per Computer.
Hat man eine polykristalline Substanz zu analysieren (das ist der Normalfall), wählt man das Debye-Scherrer-Verfahren.
Die Probe ist pulverförmig oder ein (relativ dünner) Polykristall. Auf die von einem für Röntgenstrahlen empfindlichen Film vollständig umgebene Probe wird ein monochromatischer Röntgenstrahl gelenkt.
Von den vielen Kristalliten der Probe sind immer einige bezüglich des Primärstrahls so orientiert, daß das Bragg-Gesetz für eine bestimmte Netzeben {hkl} erfüllt werden kann. Die an diesen Netzebenen reflektierten Röntgenstrahlen liegen für jeden Reflex auf einem Kegelmantel, der den Film schneidet. An der Schnittlinie wird der Film geschwärzt - je nach Intensität mehr oder weniger.
Der Streukegel hat den Öffnungswinkel 2J, wobei J der Bragg-Winkel ist. Eine Rückrechnung von den Linien auf dem Film auf Ebenenabstände ist also leicht möglich. Das folgende Bild zeigt die Anordnung schematisch und in der Realität sowie einen belichteten Film (mit Reflexen von Si).
Debye-Scherrer-Verfahren
Debye-Scherrer Bild
Es gibt noch viele Varianten und Spezialitäten. Die Röntgen- und Neutronenstrukturanalyseverfahren sind eine ganze Wissenschaft für sich, deren praktische Bedeutung kaum überschätzt werden kann.
Nahezu alles was wir über die Struktur der Materie wissen, stammt von Beugungsverfahren. Sie sind nach wie vor das Rückgrat jeder Strukturanalytik.
Alle Verfahren (und noch einige mehr) gibt es in modifizierter Form auch für Neutronenbeugung. Die Durchführung der Experimente ist jedoch aufwendig und deshalb auf Fragen begrenzt, die mit Röntgenstrahlung nicht zu beantworten sind.
Das nachfolgende Bild gibt einen kleinen Eindruck des Aufwands; wir blicken in die Experimentierhalle einer Neutronenbeugungseinrichtung.
Neutronenbeugung 
in der Realität
Freundlicherweise überlassen von GKSS Geesthacht

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© H. Föll (MaWi 2 Skript)