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Reale kristalline Materialien, die in der Natur vorkommen, sind nie
perfekte Kristalle, nie ganz rein und nie ganz homogen.
Für nichtkristalline Materialien ist es ähnlich - nur schwieriger zu formulieren. |
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Aber auch künstlich hergestellte Kristalle sind
nie ganz perfekt - woran liegt das? Welches Prinzip verbietet Perfektion
nicht nur bei komplizierten lokalen Häufungen kohlenstoffbasierter Schleimbeutel, sondern auch bei simplen Kristallen? |
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Man könnte sich die Antwort einfach machen: Wenn Ausgangsmaterialien nicht
ganz rein sind, wird ein Kristall der sich beim Abkühlen einer Schmelze bildet, eben auch nicht ganz rein sein können. |
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Schon wahr - aber zumindest für die Bereiche, die als erste
kristallisieren, müßte das nicht so sein. Hier besteht ja noch die Option, die "falschen"Atome einfach
nicht in den Kristall einzubauen, sondern in der Schmelze zu lassen. Der ganz zum Schluß kristallisierende Teil muß
dann den ganzen Dreck konzentriert enthalten, das ist klar. |
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So ähnlich läuft es auch beim Kristallisieren: Die in der Schmelze in irgendeiner
Konzentration c0 vorhandenen Fremdatome werden zunächst nicht
mit dieser Konzentration in den sich bildenden Kristall eingebaut, sondern mit einer anderen, oft viel kleineren. Perfektion
wäre also möglich - aber nie ist die Konzentration im Kristall = Null!
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Ein wachsender Kristall hat ganz eindeutig am Anfang des Kristallisationsprozesses
die Möglichkeit, sich seine Fremdatomkonzentration auszusuchen,
aber nie wählt er die Konzentration Null, sondern immer eine ganz bestimmte, für
ihn besonders "vorteilhafte" Konzentration. Welches Prinzip liegt dem offenbarem Hang zur gezielten Imperfektion,
zu einem definierten Grad an Unordentlichkeit zugrunde? |
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Die Antwort steckt in der Verknüpfung des Bestrebens nach minimaler Energie - und das ist oft nur ein anderes Wort für das Bestreben
nach maximaler Perfektion oder Ordnung - mit dem
offenbar ebenfalls vorhandenen Trend zur Unordnung. Führt man diesen Gedanken weiter
aus, erhält man folgende Verknüpfungen: |
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Minimale Energie = maximale Perfektion
= Maximale Ordnung = unwahrscheinlich. |
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Ein gewisses Maß an Unordnung in einem System ist einfach wahrscheinlicher;
es gibt dann viel mehr Möglichkeiten die "Dinge", die das System bilden, irgendwie anzuordnen. |
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Als Beispiel für ein System
kann man sich 1022
Si Atome vorstellen und über ihre Anordnung in einem gegebenen Raum nachdenken - als Gas, als Flüßigkeit,
als Kristall. Aber man kann sich genau so gut sein Zimmer oder seinen Schreibtisch vorstellen, mit all den Dingen - von
Pullover über die einzelne Socke bis zur Büroklammer - die im gegebenen Raum irgendwie angeordnet sind.
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Bei maximaler Ordnung gibt es jedenfalls immer
nur die eine Möglichkeit der Anordnung: Jedes Ding an
seinem Platz. Aber das Prinzip maximaler Ordnung greift offenbar nicht - es ist so gut wie nie verwirklicht! |
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Wir lernen damit ein fundamentales Naturgesetz
kennen (auch bekannt als 2. Hauptsatz der Thermodynamik): Ein gewisses Maß
an Unordnung ist "besser" für ein System, als vollständige Perfektion. |
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Wie kann man das quantifizieren? Wie mißt man den Grad an Ordnung? Und welche Zusammenhänge
gibt es zwischen dem Grad an Ordnung und anderen Systemparametern; bei dem System "Si Atome" z.B. die leicht
meßbaren Parameter Temperatur und
Druck? |
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Im Zimmer - Socken etc. System" sind die physikalische Temperatur und der Luftdruck natürlich
nicht die wichtigen Parameter, sie werden den Ordnungsgrad nicht beeinflussen. Der von der Mutter ausgeübte Ordnungsdruck und die Beziehungstemperatur wären dann
bessere Parameter. Aber das ist da kein physikalisches System mehr und nicht mehr durch simple Gleichungen eindeutig zu
beschreiben. |
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Aber die beiden guten alten Systemparameter Temperatur und Druck reichen nicht
mehr aus, um die jetzt gestellten Fragen quantifizieren zu können. |
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Um hier weiter zu kommen, müssen wir erst einige neue Begiffe einführen, insbesondere
den Zentalbegriff der Entropie, und darauf aufbauende Begriffe wie die freie
Energie bzw. freie Enthalpie, und insbesondere den Begriff des thermodynamischen Gleichgewichts. |
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Wir beginnen mit einer Präzisierung des altbekannten Zustands
des Gleichgewichts. Jeder kennt das Wort; die meisten denken sofort an eine Schaukel (Wippe), einen Seiltänzer,
eben ans "Gleichgewicht halten" - und damit nur an das sogenannte mechanische Gleichgewicht. |
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In anderen Worten: Wir denken zuerst an einen mechanischen
Vorgang. Mechanisches Gleichgewicht ist offenbar dann gegeben, wenn sich
nichts mehr im Raum ändert, sich nichts mehr bewegt. |
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Der Seiltänzer, der vom Seil fällt, ist sicher nicht im Gleichgewicht, ebensowenig
die Wippe, die noch auf und ab geht. |
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Wir werden den Begriff des Gleichgewichts im nächsten Unterkapitel näher anschauen
und erweitern. |
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© H. Föll (MaWi 1 Skript)