| Wir brauchen eine Notation, die uns
erlaubt, bestimmte Richtungen und Ebenen in
einem beliebigen Gitter eindeutig anzusprechen, d.h. eine mathematische Formulierungen für Aussagen wie
"entlang der Flächendiagonalen" oder "auf der Würfelebene". |
|  | Man könnte mehrere Arten von
Rezepten angeben, mit denen man eine Richtung (d.h. einen Vektor) oder eine Ebene in einem Gitter eindeutig indizieren
kann. Es gibt aber ein besonderes System, die sogenannten Miller Indizes, die zwar vielleicht nicht sofort
einleuchten, mit denen man aber (später) sehr bequem rechnen kann. |
|  | Wir betrachten zunächst die
Miller Indizierung für Richtungen: |
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Definition (und
Rezept) | Eine Richtung in einem
Gitter wird durch drei ganze Zahlen indiziert,
indem | - Der Ursprung der EZ auf die
gewünschte Richtung gelegt wird,
- Ein Vektor in der gewünschten Richtung in kleinstmöglichen
ganzzahligen Komponenten der Basisvektoren ausgedrückt wird
- Auftauchende negative Zahlen durch einen
Überstrich darstellt werden (in html nicht leicht darstellbar, wir schreiben stattdessen mit
dem Minus ("–") oder Strich (" ' ") Zeichen) und
- Das erhaltene Zahlentripel uvw in eckige Klammern [uvw]
gesetzt wird wenn es sich um eine spezifische Richtung handelt, und in spitze Klammern <uvw>, wenn die Gesamtheit aller
kristallographisch gleichwertigen Richtungen gemeint ist.
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| In dem unten gezeigten
zweidimensionalen Gitter erhalten die Richtungen 1 - 5 damit folgende Miller Indizierung |
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| | | | | Richtung 1 | | [1, –1] |
= | [1 1'] | | | | | | Richtung 2 | | [1, –1/3] | = | [3
1'] | | | | | | Richtung 4 | | [–1, 1] |
= | [1' 1] | | | | | | Richtung 5 | | [1, 0] | | | | | | | |
Richtung 6 | | [–1, –1] | = | [1' 1'] | | | |
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|  | Ausgesprochen wird z.B. die
<110>-Richtung nicht als "einhundertzehn Richtung", sondern als "eins, eins, null Richtung" oder noch genauer als: "eins,
eins, null Richtungstyp". |
 | Man kann das Zahlentripel
<uvw> in einer der spezifichen Ausprägungen z.B. [uv'w] natürlich auch als Vektor
auffassen, der in die gewünschte Richtung zeigt. Wir haben dann einen simplen Translationsvektor des Gitters, dessen Betrag allerdigs keine relevante
Information enthält (die haben wir durch das Kürzen auf kleinstmögliche Zahlen "beseitigt").
Bei Ebenen wird das aber anders sein. |
| Was kristallographisch gleichwertig
ist, hängt vom Gittertyp ab! |
|  | Im kubischen Gitter sind alle
möglichen Permutationen (inkl. Negation) der Indizes immer gleichwertig; aber schon im hexagonalen Gitter gilt
das nicht mehr. |
|  | Andererseits sind gerade im hexagonalen Gitter Richtungen kristallographisch gleichwertig, die verschiedene
Miller-Indizes haben. Die in der Basisebene liegenden Richtungen, die zu den Ecken des gleichseitigen Sechseckes
zeigen, das die Basisebene definiert, haben Indizes wie z.B. [110], [100], [010], d.h. die Miller
Indizes sind nicht Permutationen einer allgemeinen Richtung wie z.B.
<100>. Für Ebenen (siehe unten) ist es ähnlich. |
|  | Wer das nicht versteht, hat die Übungsaufgabe
nicht gemacht! Das sollte man her unbedingt tun, und sei es nur, dass man sich Aufgabe und Lösung anschaut. |
 | Man hat deshalb für das hexagonale Gitter (das in der Praxis sehr wichtig ist), eine
eigene Abart der Miller-Indizes erfunden, die auch in diesem Fall die vorhandenen Symmetrien direkt aufzeigt: Man
nimmt einfach zu den Basisvektoren a1, a2 und
c noch einen weiteren (an sich unnötigen) "Basisvektor" dazu, der als
a3 = – (a1 + a2) definiert wird
(damit ist a3 mathematisch gesehen natürlich kein Basisvektor, da nicht linear unabhängig!), und indiziert dann mit 4
Indizes. |
|  | Aus den oben aufgezählten Richtungen wird dann
[1,1,2',0], [2,1',1',0], [1',2,1',0]; die Symmetrie in den Indizes wird sichtbar. |
|  | Wir wollen uns damit aber nicht weiter befassen (außer, dass wir noch eine Übung machen); alles
Wissenswerte zur Vierer-Indizierung bei hexagonalen Gittern findet sich im Link |
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| Mathematische Beschreibung von Ebenen im Gitter |
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| Wir brauchen jetzt eine Notation, die uns erlaubt bestimmte Ebenen in einem beliebigen Gitter eindeutig anzusprechen, zum Beispiel die
"Würfelseite" bei einem kubischen Gitter, oder die "Basisebene" bei einem hexagonalen
Gitter. |
|  | Man könnte sich zunächst denken, daß
man dafür das Zahlentripel nehmen könnte (evtl. auf kleinste ganze Zahlen reduziert), das sich aus den
Schnittpunkten einer Ebene mit den Basisvektoren des Gitters ergibt - wie bei den Richtungen |
|  | Könnte man auch, aber es gibt nicht immer einen Schnittpunkt. Die Würfelseite eines
kubischen Gitters schneidet immer nur einen der Basisvektoren; zu den anderen liegt sie parallel (bzw. enthält
sie). |
 | Deshalb, aber auch aufgrund anderer Vorzüge die wir noch kennenlernen werden, wählt
man eine zunächst etwas umständlich erscheinende Definition: |
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Definition (und Rezept) | Eine Ebene in einem Gitter wird durch drei ganze Zahlen indiziert, indem
man | - Den Ursprung der EZ nicht in die zu indizierende Ebene legt, sondern in eine Nachbarebene.
- Die Schnittpunkte der Ebene mit
den Basisvektoren bestimmt (wenn kein Schnittpunkt vorhanden ist, entspricht das "¥").
- Das erhaltene Zahlentripel reziprok darstellt, und die resultierenden Brüche durch Erweitern ganzzahlig macht; aus
¥ wird dadurch 0. Nicht erlaubt ist
Kürzen, falls die reziproken Zahlen keine Brüche sind (Aus den Schnittpunkten 1/2, 1/2, 1/2
erhält man 2, 2, 2 und nicht 1, 1, 1).
- Auftauchende negative Zahlen durch einen Überstrich darstellt (in html nicht
darstellbar, wir schreiben stattdessen mit '- Zeichen)
- Das Zahlentripel
hkl in runde
Klammern (hkl) setzt, falls es sich um eine spezifische Ebene handelt, und
in geschweifte
Klammern {hkl}, falls die Gesamtheit aller kristallographisch gleichwertigen
Ebenen mit denselben Indizes gemeint ist.
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 | Dazu drei Beispiele, die absichtlich etwas unklar gezeichnet sind, um nicht sofort falsche
Assoziationen hervorzurufen. |
|  | Insbesondere ist es wichtig sich klarzumachen,
daß mathematische Ebenen in einem mathematischen Gitter ¥ ausgedehnt sind. Die Begrenzungslinien sind also immer nur zeichentechnisch
bedingt. |
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 | Kubisches
Gitter Schnittpunkte bei 1, 1, ¥ Indizes
(110) |  | Kubisches Gitter Schnittpunkte bei ¥,
1, ¥ Indizes (010) |
 | Triklines
Gitter Schnittpunkte bei 1, 1, 1 Indizes (111) |
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 | Wichtig ist: Alle Ebenen die man in gleicher Weise in eine EZ einzeichnet, haben die gleiche
Indizierung. |
|  | Das Kürzel
(112) bezeichnet also nicht eine Ebene, sondern einen Satz von ¥ viele parallel laufende Ebenen; {112} entsprechend mehrere Sätze ¥ vieler, ¥ ausgedehnter, parallel laufender
Ebenen. |
|  | Das
Kürzel (hkl) kann man aber auch als die Komponenten eines Vektors auffassen, der dann per Definitionem
senkrecht auf der Ebene steht, die er charakterisiert. Der Betrag dieses Vektors - nennen wir ihn mal reziproken Gittervektor - hat denn eine wichtige Bedeutung; wie wir weiter unten noch lernen werden. |
 | Eigentlich ist damit alles gesagt; vielleicht ist noch der Hinweis hilfreich, daß man bei hexagonalen Gittern natürlich auch bei den Ebenen eine Vierer-Indizierung wie bei den Richtungen einführt. |
 | Erfahrungsgemäß wird der Anfänger (und nicht selten auch der
Experte) beim Arbeiten mit den Miller Indizes von Ebenen aber Probleme haben und Fehler machen. Deshalb hier noch
einige Bemerkungen. |
 | Eine gewisse Konfusion kann entstehen,
weil es in der Kristallographie eigentlich zwei Konzepte von Ebenen gibt: |
|  | - Die mathematische Definition von oben, bezogen auf mathematische Ebenen im mathematischen Gitter.
- Die gegenständliche Definition, in der Kristalle als Stapelfolgen von einer Ebene zugeordneten Atomen oder
Atomgruppen betrachtet werden.
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|  | Man redet im
ersteren Falle auch von Netzebenen, im letzteren Fall von Kristallebenen. Die {111} - Kristallebene in
einem Diamantgitter enthält dann beide Atome der Basis; mindesten eines davon
liegt dabei nicht auf der Netzebene. Das ist ein wichtiger Unterschied, den man
sich klarmachen sollte; hier ein Bild dazu für die Diamantstruktur. |
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|  | Die gelb gezeichnete {100} Kristallebene
enthält den ganzen Satz von Atomen, die schattiert gezeichnet sind. Aufeinanderstapeln solcher Kristallebenen
produziert den Kristall. |
 | Ähnlich ist es, wenn man eine mathematisch
definierte Ebene in einen Kristall, und nicht in ein Gitter einzeichnen will. Im Si-Kristall kann man beispielsweise eine {100}
Ebene auf zwei Weisen durch Atome legen (oben
z.B durch die blauen oder roten Atome); sie erscheint damit als nicht eindeutig definiert. |
|  | Hat man obige Punkte nicht ganz sauber verstanden, wird man leicht falsche Zahlen generieren,
wenn man z.B. die Zahl von Atomen pro cm2 auf einer Ebenen ausrechnet, denn jetzt muß man die
Ebene im Gitter mit dem Kristall, d.h. auch mit der Basis kombinieren. |
 | Triviale, aber immer wieder gerne gemachte Fehler sind: |
|  | 1. Als allgemeine Ebene nur eine Ebene zu sehen
und nicht die Gesamtheit aller äquivalenten Ebenen - die Ebenenschar |
|  | 2. Zu glauben, daß z.B. die {200}
Ebenen nur die Ebenen sind, die zwischen den {100} Ebenen stecken. Hier
kommt obige Bemerkung zum Tragen, daß nicht gekürzt
werden darf. Die {200}-Ebenen sind etwas anderes als die {100}-Ebenen! Das ist hier
illustriert: |
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|  | 3. Man hat immer die Tendenz, Beziehungen,
Regeln und Vorstellungen, die von kubischen Gittern geprägt worden sind,
kritiklos auf nichtkubische Systeme zu übertragen. Das kann sehr falsch
werden! Zum Beispiel sind in nichtkubischen Kristallen nicht alle Ebenen zu den
möglichen Indizespermutationen kristallographisch gleichwertig. Für Richtungen im hexagonalem Gitter haben
wir das schon gesehen (siehe das hexagonal Gitter von oben); für Ebenen ist es
nicht anders. |
|  | 4. Nochmals: Vorsicht ist auch geboten, selbst
bei kubischen Kristallen, wenn man nicht die mathematische Netzebene, sondern die
mit Atomen belegte Kristallebene betrachtet. Wenn man die (111) Ebene oder
die (1'1'1') Ebene in z.B. GaAs oder SiC betrachtet, sieht man einen großen Unterschied: Auf
der einen Ebene sitzen Ga- oder Si- Atome, auf der anderen As- bzw. C-Atome. Dies sieht
nicht nur anders aus, sondern führt oft zu dramatischen Unterschieden der Eigenschaften. Bei der Züchtung
von SiC Kristallen erhält man völlig verschiedene Strukturen, wenn man einen Kristall auf der
(111)- oder (1'1'1')-Ebene eines Keimlings wachsen läßt (vereinfacht gesagt wird das
SiC in einem Fall kubisch, im anderen hexagonal - bei immer kubischem Keimling!). |
 | Offensichtlich muß hier geübt werden! |
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| Rechnen mit Miller Indizes |
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| Wir können bereits einige Vorteile (aber noch längst nicht alle) der auf den ersten
Blick etwas seltsamen Miller Indizes ableiten und verwenden. Im folgenden sind sie für kubische Gitter nur postuliert und aufgelistet; die
Ableitungen und Beweise sind in die Übung 3.2-3 verlegt. |
|  | 1. Kristallographisch äquivalente Richtungen und Ebenen
haben immer den gleichen Satz an Miller Indizes. |
|  | 2. Die Richtung
[hkl] steht immer senkrecht auf der Ebene (hkl). |
|  | 3. Die Abstände dhkl zwischen zwei benachbarten
Ebenen sind direkt aus den Indizes berechenbar. Die Formeln für nichtkubische Gittersysteme können etwas kompliziert sein, aber im kubischen Gittersystem gilt ganz einfach: |
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dhkl = | a
(h2 + k2 + l2)1/2 |
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|  | Im Zähler steht offensichtlich der Betrag des weite oben kurz angesprochenen reziproken
Gittervektors mit den Komponenten (hkl)! Damit ist auch schon hinreichend klar, warum die gewählte
"reziproke" Definition der Miller Indizes für Ebenen sehr vorteilhaft ist. |
 | In der "Einführung in die Materialwissenschaft II" werden wir sehen, daß die Miller
Indizes noch weiterführen. Zum Beispiel treten sie direkt in den Formeln auf, die die Beugung von Wellen, z.B.
Röntgenstrahlen, in Kristallen beschreiben. |
|  | Aber zunächst wollen wir die obigen
Beziehungen einüben |
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Übung 3.2-3 | Beziehungen und Rechnungen mit Miller Indices |
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© H. Föll (MaWi 1 Skript)