2.2.5 Sekundärbindungen

Die bisherigen Beispiele von Bindungstypen - ionisch, kovalent, metallisch - beschrieben immer recht starke Bindungen.
Will man die entsprechenden Moleküle oder Festkörper wieder in ihre Atome zerlegen, muß man - soweit wissen wir Bescheid - in der Regel beträchtliche Energien aufwenden. Macht man das durch Wärmezufuhr, brauchen wir Temperaturen von mehreren hundert wenn nicht gar tausend Grad Celsius.
Die unmittelbare menschliche Erfahrung, das Leben an sich, beruht aber auf schwachen Bindungen, die schon bei ungefähr Raumtemperatur aufgehen können.
Nur dann haben wir die Möglichkeit, nützliche Stoffe aus irgendwelchen Ausgangsprodukten zu synthetisieren ohne dabei zu verbrennen. In anderen Worten: Wir können atmen, uns bewegen, verdauen, lieben, denken: Leben ist möglich.
Dazu gehört auch noch, daß es viele, für Lebewesen oft extrem nützliche Substanzen gibt, die Schmelzpunkte weit unterhalb der Raumtemperatur haben und damit erst Leben ermöglichen: O2, N2, H2O usw.
Es muß also noch Bindungstypen geben, die wir bisher nicht behandelt haben. Wir können fragen: Welche Kräfte zwischen Atomen und Molekülen führen dazu, daß sich z. B. die folgenden festen Substanzen bilden können?
Edelgas-Kristalle (gibt es für alle Edelgase außer He bei sehr tiefen Temperaturen). Eigentlich haben die Edelgase überhaupt keinen Grund, Bindungskräfte zu entwickeln - sie müßten auch noch bei sehr tiefen Temperaturen gasförmig sein.
Eis (gefrorenes Wasser). Was führt zu Kräften zwischen den H2O - Molekülen?
DNS. Was hält die beiden Spiralen der Doppelhelix zusammen - aber nur so stark, daß die Bindungen wie in einem Reißverschluß bei der Zellteilung leicht zu öffnen sind.
Die entsprechenden Bindungsarten - es gibt mehrere davon - heißen allgemein Sekundärbindungen weil sie in der Regel (nicht beim Edelgaskristall) zwischen Molekülen wirken, die durch starke Primärbindungen zusammengehalten werden. .
Sie sind aus biologischer Sicht alles andere als sekundär: Sie ermöglichen erst die Biologie.
Eine der beiden wichtigsten Sekundärbindungen heißt nach ihrem "Entdecker" van der Waals Bindung. Die van der Waals Bindung kommt von den anziehenden Kräften zwischen günstig orientierten elektrischen Dipolen. Zwei Fälle müssen unterschieden werden.
1. Betrachten wir Moleküle, die von Haus aus Dipolcharakter haben, d.h. in denen die Ladungsschwerpunkte der beteiligten Atome nicht aufeinander liegen - siehe das Beipiel im Link - wird es bei entsprechender Orientierung ein anziehendes Potential geben, das mit 1/r 6 abfällt.
2. Aber auch Atome oder Moleküle, die von Haus aus kein Dipolmoment haben - z.B. Edelgasatome - haben nur im zeitlichen Mittel keinen Dipolcharakter. Momentan jedoch, werden die Elektronen nicht kugelsymmtrisch verteilt sein, sondern ihr Ladungsschwerpunkt wird um die Kernposition herum fluktuieren.
Und ein solcher momentaner Dipol kann ein benachbartes Atom etwas polarisieren - d.h. ein kleines Dipolmoment induzieren. Im Endeffekt entwickelt sich eine sehr schwache anziehende Kraft zwischen die den induzierten Dipolen, die wiederum mit 1/r 6 abfällt.
Beide Mögllichkeiten sind hier schematisch gezeigt:
Zwei elektrische Dipole und die einzelnen abstoßenden und anziehenden Kräfte.
Bei der gezeigten Orientierung überwiegen die anziehenden Kräfte.
Das momentan polarisierte Atom 1 (der negative Ladungsschwerpunkt der (grünen) Elektronenwolke liegt neben dem pos. Ladungsschwerpunkt des Atomkerns) ruft in dem benachbarten Atom 2 durch Induktion eine entgegengesetze Polarisation hervor.
Es resultiert eine schwache anziehende Kraft.
Diese Dipol - Dipol Wechselwirkung ist verantwortlich für viele der bindenden Kräfte, die letztlich dazu führen daß (außer He) alle Elemente bei tiefen Temperaturen gefrieren und einen Festkörper bilden.
Bei statistisch induzierten Dipolen wie bei den Edelgasen hat die Bindung keine Vorzugsrichtung. Bei festen Dipolen wird natürlich die Anordnung favorisiert, bei der Dipole besonders günstig relativ zueinander orientiert sind.
Wiederum ist eine Näherungsbeschreibung im Potentialbild möglich und sinnvoll - Beipiele im Link. Da das Kraftgesetz wie bei der Ionenbindung bekannt ist, lautet die entsprechende Gleichung
UBindg  =   –  A 
r 6
 +  B 
r m
Es bleibt noch die sogenannte Wasserstoffbrückenbindung zu besprechen. Sie sorgt nicht nur in vielen biologischen Molekülen für den Zusammenhalt zwischen Teilbereichen, sondern ist insbesondere für die Bildung von Eis (= gefrorenes H2O) verantwortlich.
Am einfachsten stellt man sich die Wasserstoffbrückenbindung als eine Unterart der Ionenbindung vor. Obwohl der Wasserstoff normalerweise kovalente Bindungen eingeht - siehe die Beispiele im Link - wird er im Gespann mit extrem elektronegativen Atomen - z.B. F, O und N - seines einzigen Elektrons mehr oder weniger beraubt; es wechselt weitgehend zum elektronegativeren Element.
Im Extremfall eines möglichen Gedankenexperiments läge dann eine Ionenbindung vor, bei der der positiv geladene Partner - nämlich das nur noch aus dem sehr kleinen Kern bestehende Wasserstoffion - zwei der riesigen negativen Ionen binden kann.
Wir erhalten folgende Schemazeichnung
Ein extrem kleines H+ - Ion mit zwei angelagerten F - Ionen
Klar ist, daß das H+ - Ion allenfalls zwei der Riesen binden kann; für ein drittes F oder auch O - Ion ist kein Platz mehr.
Der Extremfall der totalen Ionisierung des Wasserstoffs wird zwar in der Realität nicht vorkommen; es reicht aber auch eine nicht 100%-ige Verschiebung des Wasserstoffelektrons um die Effekte der Wasserstoffbrückenbindung zu erhalten.
Überall, wo Wasserstoff an F, O oder N hängt, gibt es damit noch die Möglichkeit, eine relativ schwache Bindung auf der anderen Seite des H - Atoms einzugehen - es bildet sich eine "Wasserstoffbrücke".
Dabei ist die Geometrie der Bindungen durch die Form der Moleküle vorgegeben. In biologischen Substanzen sind es oft Wasserstoffbrücken, die den langen Eiweißketten ihre typische Knäuelform geben, denn die Stellen in der Kette, an denen Wasserstoffbrücken gebildet werden können, müssen durch richtige Faltung aufeinandertreffen.
Auch das gewöhnlich Eis, das jeden Winter die Umsätze der Autoreparaturwerkstätten nach oben treibt, verdankt seine Kristallstruktur der Wasserstoffbrückenbindung. Die Moleküle des Wassers in ihrer typischen Gestalt passen nur in ganz spezifischer Weise aneinander; sie formen einen Kristall.
Fragebogen
Multiple Choice Fragen zu 2.2.4, 2.2.5, folgende

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© H. Föll (MaWi 1 Skript)