Wer vieles bringt,
wird manchem etwas bringen
Johann Wolfgang Goethe

1.2 Materialeigenschaften

1.2.1 Einteilungs- und Ordnungsprinzipien

In diesem Kapitel müssen wir den universalen Anspruch des vorhergehenden Kapitels, daß alle Materialien Gegenstand der Materialwissenschaft sind, für die Zwecke dieser Vorlesung etwas zurück nehmen, denn:
1. Haben wir nur begrenzte Zeit für diese Einführung in die Materialwissenschaft.
2. Interessieren uns hier eher die technisch wichtigen Materialien.
3. Gibt es Materialien, über die die Materialwissenschaft nach dem im Kapitel 1.1 gemachten Anspruch noch nicht viel weiß.
4. Gibt es Materialklassen, die aus historischen Gründen "in den Händen" anderer Wissenschaftsdisziplinen liegen. So ist z.B. für Flüssigkeiten und Gase fast ausschließlich die Chemie zuständig. Für Polymere war ebenfalls bis vor kurzem die Chemie zuständig. Dies ändert sich aber, seit einigen Jahren werden Polymerwerkstoffe zunehmend ein Gebiet der Materialwissenschaft. Selbstverständlich ist auch in der Physik eine große - vielleicht sogar die größte - Schar an Wissenschaftler auf dem Materialsektor tätig. Zu erwähnen sind weiterhin die Mineralogen, die Hüttenkundler, selbst die Agrarier (im Zusammenhang mit "natürlichen Werkstoffen").
Wir grenzen jetzt für unsere Zwecke das weite Feld der Materialien etwas ein. Wir wollen hier nicht betrachten:
Ausnahmslos alle Gase.
(Fast) ausnahmslos alle Flüssigkeiten. Die Ausnahmen beziehen sich im "advanced Strang" am Rande auf spannende flüssige Materialien wie Flüßigkristalle oder auf fest-flüssig Kontakte.
So gut wie keine Naturstoffe im Sinne von unmittelbaren biologischen Stoffen.
Damit bleiben in einer ersten Strukturierung die aus dem täglichen Leben bekannten
Metalle.
Nichtmetalle.
(nicht-biologische) Naturstoffe.
Eine darauf aufbauende Klassifikation könnte folgendermaßen aussehen:
Obwohl dieses Klassifikationssystem auf den ersten Blick einleuchtet, ist es nicht ohne Probleme:
Es ist nicht eindeutig oder konsistent. Granit könnte man z.B. auch als Verbundwerkstoff der Mineralien, Quarz, Glimmer und Feldspat beschreiben und "Gummi" könnte sowohl ein Naturstoff als auch ein Nichtmetall sein.
Wichtiger ist aber, daß die uns wichtigsten Materialien gar nicht eingeordnet werden können. Wo sollen die Halbleiter (Si, Ge, GaAs, ...) stehen? Oder die Supraleiter? Die Magnetwerkstoffe?
Natürlich könnte man sagen, daß die Fragen die Eigenschaften in den Vordergrund stellen; die Frage ist aber, ob Eigenschaften als Klassifikationskriterium viel besser ist. Man kann auch versuchen unter teilweiser Beibehaltung obiger Systematik etwas klarer zu klassifizieren, z.B. mehr technisch, oder mehr chemisch (nach Bindungen geordnet). Man findet jedoch keine Klassifikation, die wirklich befriedigend ist.
Die meisten Klassifikationen der obigen Art stammen aus der Zeit, als letzlich die mechanischen Eigenschaften im Vordergrund standen. Die erste Assoziation, die sich mit den angeführten Werkstoffgruppen einstellt, ist fast immer etwas mechanisches oder strukturelles: Härte, Sprödigkeit, Festigkeit, .. . Mit dieser Erkenntnis und mit dem Hintergrund, daß ganz saubere und systematische Definitionen von Werkstoffgruppen gar nicht möglich sind, macht man sich zunehmend das Leben leicht und unterscheidet in der Definition nur noch zwischen:
 
Strukturmaterialien: Alle Materialien, bei denen die mechanischen Eigenschaften im Vordergrund stehen, und
Funktionsmaterialien: Alle Materialien, die zu einer bestimmten Funktionsgruppe gehören, z.B. Halbleiter, Magnetischen Werkstoffe, Sensormaterialien, Ionenleiter, Supraleiter, ...
 
Übertrieben hilfreich ist das auch nicht, aber kann man Arbeitsgebiete und Ausrichtungen klar abgrenzen. Die Materialwissenschaft der Technischen Fakultät der CAU Kiel, beispielsweise, beschäftigt sich praktisch nur mit Funktionsmaterialien, während die Forschungspartner im Forschungszentrum GKSS in Geesthacht fast nur Strukturmaterialien bearbeiten.

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© H. Föll (MaWi 1 Skript)