Multimedia in der Lehre: Hyperskripte in der Praxis

H. Föll

Technische Fakultät der CAU

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Er wird, wie alle Professoren, gedacht haben,
daß er das ja wohl auch könnte -
wenn er bloß etwas mehr Zeit hätte
(Arno Schmidt; Zettels Traum)

An Schlagworten mangelt es nicht: Multimedia-Lehrangebote, virtuelle Professoren, -Fachhochschulen und -Unis, Vernetzung, Computer Aided Education (CAE), Teleteaching, Hyperskripte, ortsunabhängige Stoffvermittlung, Medienkompetenz, Materials Science on CD-ROM - alles Wörter, die beim Schreiben dieses Beitrags in der Papierflut auf dem Schreibtisch gefunden wurden. Irgendwie wird damit die Lehre bald besser, zumindest ist das die Vorstellung bei den "Akteuren". Was aber sind die Erfahrungen in der real existierenden Lehre?

Wenn man zunächst festhält, daß der Einsatz von Overheadprojektoren, das gelegentliche Abspielen eines Videos oder die Projektion eines PC-Bildschirms an die Wand noch nicht die Überschrift "Multimedia in der Lehre" rechtfertigt, gibt es in der Technischen Fakultät zwei genuine Multimedia Aktivitäten: Teleteaching im Verbund der Informatiker in Kiel und Lübeck und die "Hyperskripte" in der Materialwissenschaft. Hier soll über die persönliche Erfahrung berichtet werden, die mit der Erstellung und dem Einsatz von Hyperskripten gemacht wurden.

Was ist ein Hyperskript? Zunächst ein Skript (oder Lehrbuch) im Computer, das in der Internet-Sprache html geschrieben ist, und damit über das Internet bezogen werden kann. Da Multimedia in der Lehre letztlich immer den Einsatz von PCs bedingt, und "leere" PCs niemandem nützen, muß der erste Schritt zur schönen neuen Multimedia Welt notwendigerweise die Bereitstellung von Lehrmaterial sein. Will man noch einen persönlichen Touch beibehalten, d. h. die Lehre nicht ausschließlich auf Materialien anderer aufbauen (die es zur Zeit gar nicht gibt), kommt man um die Erstellung von Hyperskripten nicht herum. Dies war die Motivation für das Projekt "Hyperskript" in der Materialwissenschaft.

Der erste Schritt zum Hyperskript ist die Konversion vorhandener Skripte oder die direkte Erstellung neuer Skripte in html-Dokumente - eine nicht ganz einfache, aber vergleichsweise triviale Sache. Wer dabei aber etwas html-Blut leckt, wird den Verlockungen und Möglichkeiten des Mediums html/Internet nur schwer widerstehen können und mehr tun als nur das alte Skript zu reproduzieren. Ein Hyperskript kann nämlich viel mehr sein als ein elektronisch verteiltes normales Skript. Im Laufe der Erstellung, so die persönliche Erfahrung, gewinnt ein Hyperskript gegenüber einem normalen Skript eine neue Qualität. Möglich und sinnvoll sind:

Wer das zu abstrakt findet kann das ganze ausprobieren. Die Internetadresse http://www.tf.uni-kiel.de/matwis/amat/mm_praxis/multimedia.html führt auf diesen Text in html. Beispiele zu der Mehrzahl der oben genannten Punkte sowie Erklärungen der verwendeten Fachausdrücke können dann durch Mausklick aktiviert werden.

Worin unterscheidet sich für den Lehrkörper die Erstellung eines Hyperskripts von der Erstellung eines normalen Skripts? Wer gewohnt ist, handschriftliche Manuskripte (der Pleonasmus dient hier der Klarheit) von Mitarbeitern in Typoskripte umsetzen zu lassen, wird mit einem Hyperskript, das alle Möglichkeiten umfaßt, ein großes Problem haben. Denn die Erstellung sämtlicher Seiten mit Illustrationen, Animationen, Java-Applets in ihrer durch Links vernetzten Systematik durch Mitarbeiter auf Zuruf ist nicht nur nahezu unbezahlbar, sondern führt zu gewaltigen Reibungsverlusten in der Kommunikationskette. Was bei solchen, letztlich dann durch Kollektive erstellten Lehrmaterialien herauskommt, hinterläßt oft einen zwiespältigen Eindruck: Technische Perfektion mit viel bewegten Bildchen, aber eher dürftige Texte und keine Hintergrundinformation.

Wer dagegen gewohnt ist mit dem PC zu schreiben und damit vielleicht auch Folien zu gestalten, wird nach einer durchstehbaren Blut-und-Tränen-Phase von einigen Monaten, in der auf dem Altar von Bill Gates und Konsorten einige unvermeidliche Opfer dargebracht werden müssen, Texte mit eingebundenen Graphiken, Links usw. in html praktisch genauso schnell erstellen können wie mit Word oder anderen Schreibprogrammen - allerdings ohne Perfektion in den Details. Bei den Spezialititäten wie Animationen, audiovisuellen Modulen und Java Applets, wird allerdings in aller Regel Hilfe benötigt werden. Es gibt inzwischen aber genügend Studierende mit diesen Kenntnissen, die im Rahmen eines Werkvertrags zu vergeichsweise geringen Kosten die (i.d.R. wenigen) speziellen Module erstellen können.

Abgesehen von Problemen mit diesen Spezialitäten, gibt es aber noch einige fundamentale Unterschiede beim Verfassen eines vernetzten Hypertextes im Vergleich zu einem herkömmlichen Lineartext:

Wo stehen wir heute? Ein erstes recht kurzes Hyperskript zu einer Spezialvorlesung (Defekte in Kristallen; http://www.tf.uni-kiel.de/matwis/amat/def_ge/index.html ) wurde zum Sammeln von Erfahrungen in Kooperation mit der EWF fertiggestellt und in einer Vorlesung eingesetzt. Zur Zeit entsteht das oben erwähnte, ausgesprochen weitläufige Hyperskript zur Materialwissenschaft. Es enthält viele Ebenen mit sehr weitgehender Hintergrundinformation einschließlich gelegentlicher Abschweifungen in fröhliche Wissenschaft. Es ist bewußt persönlich geschrieben, um zu erproben, ob eine gewisse Abkehr von der üblicherweise trockenen und um absolute Exaktheit bemühten Wissenschaftsprosa beim Lernen hilfreich sein kann. Die derzeitige Baustelle kann unter http://www.tf.uni-kiel.de/matwis/amat/mw1_ge/index.htm eingesehen werden.

Welche Erfahrungen liegen in den praktischen Anwendungen von Hyperskripten vor? Die neue Qualität des Unterrichtsmaterials verlangt logischerweise eine neue Qualität im Ablauf einer Lehrveranstaltung - aber welche? Eine kurze Suche in der einschlägigen Literatur fördert zwar Berge von einschlägig Bedrucktem (sic!) zu Tage, aber darin steht nichts, was dem Prof. hilft, wenn er oder sie vor den Studierenden steht

Was soll eigentlich erreicht werden? Das Ziel ist nicht, daß wir nun modern sind, oder daß das Lernen mehr Spaß macht. Das Ziel ist ausschließlich, daß im Vergleich zum Frontalunterricht das abprüfbare Lernpensum entweder in kürzerer Zeit bewältigt werden kann, oder daß in der gleichen Zeit mehr belastbares Wissen aufgenommen wird. Wenn es gleichzeitig mehr Spaß macht oder auch nur weniger schmerzt, ist das ein willkommener Zusatzeffekt, aber nicht die primäre Motivation.

Als erster Ansatz wurde mit den (wenigen) Studierenden vereinbart, daß der jeweilige Unterrichtsstoff vor der Lehrveranstaltung mit Hilfe des Hyperskripts selbst erarbeitet wird, und die "Vorlesung" dazu benützt wird, um die entsprechenden Kapitel zu diskutieren und zu vertiefen. Die Voraussetzung dafür, nämlich ein geeigneter PC daheim und Zugang zum Fakultätsnetz, ist in der TF gegeben. Dieser Ansatz, obwohl recht und schlecht durchgehalten, ist im wesentlichen gescheitert. Zwei Gründe dafür waren erkennbar:

In den USA ist das ganz anders. Dort wird ab Kindergarten den Lernenden beigebracht, wie man sich mit Hilfe von Büchern und anderen Medien Wissen selbständig erarbeitet. Damit sind andere Zugänge zu Multimedia im allgemeinen und zu Hyperskripten im besonderen möglich. Muß der deutsche Studierende also umerzogen werden? Nicht nötig - das wird von selbst erfolgen. Denn die deutsche Studiensystematik ist ja keineswegs schlechter - die frischgebackenen deutschen Ingenieure und Naturwissenschaftler müssen sich hinter niemandem verstecken, noch nicht mal die Altbackenen, d. h. die Profs. selbst, die ja damals auch so studiert haben. Sobald das Angebot interessant genug sein wird, wird es auch von den Studierenden angenommen werden.

Wie geht es weiter? Sicher ist, daß die technischen Möglichkeiten weiterhin exponentiell und schneller wachsen werden als die Rezeptionsfähigkeit der Mehrheit der Betroffenen. Was daraus folgt ist unklar, als persönliche Meinung folgendes:

 

Du sollst in interessanten Zeiten leben
(chin. Fluch)

© H. Föll