Rede zur Weihnachtsfeier des Dekanats und der Materialwissenschaft 1996

Liebe Weihnachtsfrauen, -Kinder und -Männer. Ich habe mir schwer überlegt, ob ich überhaupt eine Weihnachtsrede halte, denn ich höre zunehmend den Vorwurf, daß ich gute Reden von mir geben würde, ja ein Kollege verstieg sich gar zu der Beleidigung, ich wäre ein begnadeter Redner. Da vielleicht nicht allen klar ist, warum das für einen deutschen Professor eine Beleidungung ist, muß ich das kurz erklären. Der deutsche Professor ist, wie wir alle wissen, ein seriöser Mensch, der ausschließlich der Wissenschaft dient und ihr verpflichtet ist; für die deutsche Professorin scheint dies nach ersten Erhebungen meinerseits auch zu gelten. In dieser moralisch und ethisch höchstwertigen Tätigkeit findet sie oder er sich umgeben von finsteren Mächten, die ihn vom Pfad der Tugend, das heißt der porentief reinen Wissenschaft abbringen möchten, oder ihm Steine wenn nicht sogar Bäume in den Weg legen, oder ihn durch weiche Sessel statt harter Stühle im Faculty Club korrumpieren möchten.

Es ist also notwendig, fehlerfreie Algorithmen zu entwickeln, die solche feindliche Mächte zuverlässig entdecken können. Mißtrauen ist angebracht, vor allem denjenigen gegenüber, die selbst unter einem wissenschaftlichen Tarnmantel den aufrechten Wissenschaftler vom Pfad der Tugend abbringen möchten. Im Laufe der diesbezüglichen Feldforschung wurden viele Kriterien entwickelt, die dem Wissenschaftler bei richtiger Anwendung gestatten, die Finsterlinge oder Finsterlinginnen zu identifizieren und durch Aktivierung des Immunsystems abzuwehren. Solche Kriterien können beispielsweise sein:

Wie aber erkennt man die besonders schlimmen Personen, die Renegaden und Verräter an der guten Sache, die unter dem Deckmantel der Wissenschaft zweifelhafte Ziele verfolgen oder gar Nestbeschmutuzng betreiben, z.B. indem sie dreckige Wörter wie Kosten - Nutzen Verhältnis oder Effizienz in den Mund nehmen. Auch dafür wurden im Laufe der Jahre Kriterien entwickelt; ich zähle mal ein paar auf.

  1. Das Individuum will Dekan oder gar Rektor werden, ohne dazu durch die Verhältnisse gezwungen zu sein, z.B. weil er oder sie nach dem Alphabet jetzt dran ist. Dazu ein Zitat: "Ein amerikanischer Professor, der sich gewissenhaft der Forschung und Lehre widmet, würde sich hüten, administrative Arbeiten wie die eines Dekans zu übernehmen. Das führt dazu, daß diese Ämter meist von denjenigen verwaltet werden, die zu nichts anderem taugen und nie einen auswärtigen Ruf bekommen. Ihre lokale Macht und Bekanntheit steht in einem umgekehrten Verhältnis zu ihrem Ruf als Wissenschaftler, der oft überhaupt nicht existiert. Und das sind die Personen, die über die Höhe der Professorengehälter entscheiden!" Dies schreibt natürlich ein deutscher Wissenschaftler, die amerikanischen sehen das etwas anders.
  2. Das Individuum vertritt die abwegige Ansicht, daß Geld nicht auf Bäumen wächst oder sonstwie sich selbst generiert, und daß ein echter Wissenschaftler nicht Anspruch auf beliebig viel Knete für seine Forschung hat.
  3. Das Individuum benutzt eine Computer für nichtwissenschaftliche Zwecke, z.B. zur Gestaltung von Folien, und benutzt darüberhinaus noch Dinge, die unter das Schimpfwort "Corporate Identity" fallen. In manchen Wissenschaftszweigen ist das schon eine hinreichendes Kriterium; eine Mathematiker zum Beispiel, der keine handgeschriebenen Folien verwendet, ist keiner - so einfach ist das.
  4. Das Individuum hält a) überhaupt Reden - Rede hier als Gegensatz zum wissenschaftlichen Vortrag, oder allenfalls noch Vorlesung - und b) auch noch gute! Höchste Alarnmstufe ist angesagt.

Wenn also ein Professor zum anderen sagt "Sie haben da aber eine schöne Rede gehalten", dann blinken bei dem so apostrophierten Forscher sämtliche Alarmlämpchen.

Ich muß also vorsichtig sein, und möchte deshalb hier und heute keine Rede halten, höchstens wenn´s ausdrücklich gewünscht wird, aber auch wenn´s nicht gewünscht wird, noch ein paar rein wissenschaftliche Bemerkungen machen. Zunächst zur zeitlichen Komponente der Fakultät. Wie schon im letzten Jahr, sind auch heuer die theoretischen Vorhersagen des Dekanats, z.B. daß so im Dezember das Jahr und das Geld zur Neige gehen werden, experimentell aufs schönste bestätigt worden. Das Geld ist weg, keiner weiß so recht wo´s herkam und wo´s hinging; wir sind mal gespannt ob der Rechnungshof das rausfindet.

Auch im Zustandsraum des Personalwesens entwickelten sich die Trajektorien relativ planmäßig; die Liapunov Koeffizienten, die den Grad des zunehmenden Chaos messen, liegen im zulässigen Bereich. Es gab allerdings einige Phasenübergänge 1. Ordnung die zu einer erheblichen Zunahme der lokalen Doktorendichte führten. Darauf bin ich ganz besonders stolz, denn trotz geringer, dafür aber sehr nichtlinearer Interaktion in der Paarwechselwirkung Professor - Doktorand, wurden positive Zustandsänderungen erreicht, wenn auch mit einer gewissen statistischen Komponente in der Prädiktion.

Neue Bereiche wurden in das Forschungsspektrum der Fakultät integriert. Besonders zu erwähnen ist das Forschungsprojekt "Langzeit-Untersuchungen an biologischen blattbehafteten Materialien unter besonderer Berücksichtung der Sonderrolle des Landesbauamts". Die Leitung dieses Projekts obliegt dem Kollegen Noack, den ich hiermit zum geheimen Baumrat ernenne.

Ein Sonderforschungsprojekt im Tierpark Eckholt sollte nicht vergessen werden. Als überraschendes Ergebnis der dort durchgeführten empirischen Untersuchung zur Wechselwirkung zwischen Tier und Professor ergab sich, daß zwar die Theorie der transsexuellen Beziehung zwischen Storch und Mensch in der Regel noch gut rezipiert war, neuere Untersuchungen, die die Rolle der Störche bei der professoralen Reproduktion in Frage stellen, jedoch auf Skepsis stießen. Hier muß aber gesagt werden, daß die Database dazu allerdings häufig durch wissenschaftlich nicht ausgewiesene Personen beiderlei Geschlechts in nicht sauber dokumentierten Feldexperimenten entstanden ist. Die Fakultät plant deswegen seriöse Experimente in dieser Hinsicht, und, wenn ich dies richtig sehe, auch unter Einbeziehung des indirekten Dekanatspersonals, z.B. aus der Pforte. Wir dürfen hier auf zukünftige schöne Ergebnisse hoffen.

Im Dekanat im engeren Sinne wurde ebenfalls experimentell geforscht. Auch wenn hier hin und wieder der Eindruck entstand, daß überwiegend Versuche zu der heißen Thematik "Modernes Management durch kreatives Chaos" durchgeführt wurden, ist dieser Eindruck falsch - es handelte sich vielmehr um deterministisches, also vorhersagbares Chaos. Kräftig daran mitgewirkt hat die Edle von Röthlin, weil sie, im Zuge von Vorversuchen zur geplanten Reproduktionsforschung, wegging ohne eine eien Nachfolgerin zu hinterlassen. Die Lücke, die sie hinterließ hat sie jedoch nicht voll ersetzt, noch nichtmal teilweise, sondern erst die Fr. Jungo, die ich hier zu ihrer ersten wissenschaftich aufgearbeiteten Weihnachtsfeier noch mal besonders begrüßen will.

Trotz den damit verbundenen Imageverlustgefahren hat sich das Dekanat dazu durchgerungen, auch auf dem gering geschätzten Forschungsfeld "Public Relations" wissenschaftlich tätig zu werden. Dazu wurde Hr. Marx erst ein-, dann kalt- dann raus- und demnächst hoffentlich wieder eingestellt. Die Public Relations Aktion war jedoch in voller Erfolg: Herr Marx ist inzwischen überall in der Fakultät bekannt.

Am wichtigsten war aber der Ausgang des Experiments zu dem Thema. "Darf der das?" Das Ergebnis, erst nach längeren Versuchsreihen erhalten, war unerwartet. Er darf! Nämlich der Dekan. Er darf das tun, was er die ganze Zeit schon tat, jetzt aber mit dem Segen des Konvents, nämlich die Fakultät ein bißchen führen und die Richtungen anzeigen. Von dem damit verbundenen Glanz fällt, sozusagen als reflected glory, auch eine guter Teil auf die direkten Mitarbeiter des Dekanats und auf die gelegentlich Dienstverpflichteten aus anderen Bereichen, häufig aus meiner Forschungsgruppe. Der Hauptteil aber trifft den getreuen Herrn Paul, der durch einen enormen Einsatz bis an die Grenze der Belastungsfähigkeit, sich nicht nur im Rektorat und in den Ministerien einen Ruf wie Donnerhall erworben hat, sondern, und das wiegt viel, viel schwerer, inzwischen auch von der hiesigen Professorenschaft als vollwertiger Partner akzeptiert ist.

In Anerkennung seiner Verdienste um die Fakultät und die Weiterbildung der Professorenschaft in administrativer Hinsicht - das heißt im Umgang mit Geld - verleihe ich ihm hiermit den kleinen Richtungsweiser der Fakultät am Gängelband im Logopapier! Möge er das Instrument weise benutzen, z.B. zur Auflockerung wissenschaftlicher Vorträge.

Ich überschlage weitere wisseschaftliche Projekte, die im zurückliegenden Jahr durchgeführt wurden, z.B. ob man einen bekannten Menschen zu einem Festvortrag der TF nach Kiel kriegt, ob es in der theoretischen Elektrotechnik theoretisch möglich ist, Durchfallquoten unter 50% zu haben, ob es Hrn. Noack mal gelingen wird, einen Rabatt größer 100% auszuhandeln, ob der Dekan mal wieder vom Fahrrad fällt, ob wir mal eine Fakultäts-Frau dazu überreden können Frauenbeauftragte zu werden, ob der Lehrstuhl Föll sich mal wieder eine Sekretärin zulegt, und so weiter und so fort.

Es bleibt mir nur noch, ein letztes Experiment zu würdigen, nämlich den Versuch, experimentell zu zeigen, daß selbst eine Menge von 4 Doktoren nicht ausreicht, um schleswig-holsteinischen Grünkohl ungenießbar zu machen. Wir sind gespannt auf das Ergebnis des Versuchs; ich hoffe, daß dazu nicht wieder ein spezieller Temperofen angeschafft werden mußte. Trotzdem, und da ich noch keine Rechnung gesehen habe, danke ich den Organisatoren des Festes herzlich, vor allem weil ich mich nicht beteiligen mußte.

So, nachdem ich jetzt keine Rede gehalten haben, kann ich unbeschwert von Sorgen über mein Image aufhören mit dem Spruch:

Zum Wohl!

© H. Föll