Rede zum Sommerfest 98 der Technischen Fakultät

Anlaß:

  Die Technische Fakultät hat sich entschlossen, zweimal im Jahr, beim Winter bzw. Sommerfest, die Absolventen des zurückliegenden Zeitraums feierlich zu verabschieden sowie die Preise des Fördervereins zu verleihen. Die Feste sollen herausgehoben werden durch Festvorträge erstrangiger Redner.

Bisherige Redner

  Sommerfest 1996 (dem ersten Fest dieser Art)
Prof. Warnecke
Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft und Vorsitzender des VDI
  Winterfest 1997
Prof. Rüschmann
er hielt anläßlich seiner Ernennung zum Honorarprofessor seine Antrittsvorlesung
  Sommerfest 1997
Dr. Tyll Necker
Vizepräsident des BDI
  Winterfest 1998
Norbert Gansel
Oberbürgermeister der Stadt Kiel und langjähriger Bundestagsabgeordneter
Sommerfest 1998
Heide Simonis
Ministerpräsidentin von Schleswig-Holstein
 
Der Dekan hält beim Winterfest eine kleine Rede zu einem Detailthema und eine große, eher programmatische Rede zum Sommerfest
 
Nachfolgend die Rede des Dekans zum Sommerfest 1998.

Begrüßungen

  Ich begrüße als Gäste bei unserem Sommerfest
  Allen voran unsere Ministerpräsidentin, Frau Heide Simonis
  Frau Stadtpräsidentin Cathy Kietzer
Die Repräsentanten der Ministerien, der Stadtverwaltung und der Verbände
  Den Rektor der FH Kiel, Herr Prof. Reimers
  Die Vorstände und Mitgliedern des Fördervereins, allen voran den neuen Vorsitzenden, Herrn Rathjens, die uns dieses Fest ermöglichen.
Herrn Friebe, den Chef der Technologie-Stiftung Schlewig-Holstein; der praktsich vom Krankenbett aus hierher gekommen ist.
Die Kollegen und die Vertreter der CAU, allen voran unseren Rektor Magnifizenz Haensel und den Kanzler, Herrn Neumann
Und last not least, unsere Absolventen, Preisträger und, soweit hier, die zugehörigen Eltern. Wir immer gehört den Eltern mein ganz besonderer Gruß, denn sie bezahlen letztlich mein Gehalt.

Vorbemerkung

Liebe Frau Simonis, ich freue mich aufrichtig, daß Sie die Zeit gefunden haben, heute die Festrede zu halten. Im Internet steht zum Sommerfest der Technischen Fakultät: Die Feste sollen herausgehoben werden durch Festvorträge erstrangiger Redner und natürlich Rednerinnen. Das wird heute sicherlich der Fall sein. Es steht dann aber weiter: Der Dekan hält zum Sommerfest eine große, eher programmatische Rede. Ich habe mir überlegt, ob ich das heute vielleicht nicht tun sollte. Aber dann habe ich mir gesagt: Noch bin ich ja kein Professor auf Zeit, sozusagen unter Zeitdruck und mit Verfallsdatum, sondern ich habe Zeit. Und deswegen halte ich jetzt auch eine richtige Rede. Vielleicht nicht so furchtbar programmatisch, aber dafür sehr persönlich; und mit Rücksicht auf ihre Vorbildfunktion, gewürzt mit lockeren Sprüchen.
Das Thema meiner Rede heißt:

Die Technische Fakultät im Krisenjahr 1998: Das Ende des Anfangs oder der Anfang vom Ende?

Einleitung

Dies ist meine letzte Rede die ich als Dekan zu diesem Anlaß halten werde. Gottseidank - sage ich; sie vielleicht auch. Nach sechseinhalb Jahren tritt - manche sagen endlich - die universitäre Normalität ein; es wird jetzt alle zwei Jahre einen neuen Dekan geben, wie das in der Universität so üblich ist. Die gelegentlich stürmische Aufbauphase der Technischen Fakultät ist im wesentlichen beendet, das Ende des Anfangs wird durch den Akt des erstmaligen Wechsels des Dekans gleichsam symbolisch dokumentiert.
Ich habe einige solche Ende-einer-Zeit Reden - fast hätte ich Endzeitreden gesagt - ich habe einige solche Reden gehört oder gelesen von Persönlichkeiten, die für begrenzte Zeit Verantwortung für eine Institution im obersten Bildungsbereich übernommen haben. Ich denke z.B. an scheidende Rektoren, Vorsitzende des Wissenschaftsrats oder gar Chefs der Hochschulrektorenkonferenz. Vereinfacht gesagt, war der Inhalt immer ähnlich: Ganz so wie man sich den Job vorstellte, lief es dann doch nicht. Irgendwie hörte ich immer die gleiche Botschaft heraus, das sprichwörtliche:

Als Tiger gesprungen - als Bettvorleger gelandet.


Nun will ich mich als Gründungsdekan und gewählter Dekan der Technischen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität nicht mit Rektoren oder gar mit Vorsitzenden von Rektorenkonferenzen vergleichen - aber neugierig auf meine Landung sind sie jetzt schon, denke ich mal.
Man ist natürlich versucht, bei einem solchen Anlaß Bilanz zu ziehen - frau, wie ich vermute, auch. Es liegt nahe, die in der Aufbauphase erbrachten Leistungen gebührend zu würdigen, noch näher läge, die schlechten Zeitläufte zu beklagen, die überall verhindern, daß alles noch größer und schöner wäre als es ohnehin ist. Ich bin natürlich versucht, genau das zu tun, weil das schöne amerikanische Sprichwort: "The squeaky wheel gets the grease" - das quietschende Rad wird geschmiert - auch für weite Bereichen der deutschen Gesellschaft gilt, insbesondere aber für die Politik.
Aber so was ähnliches habe ich schon vor einem Jahr getan. Damals war der Titel meiner Rede: Technische Fakultät - Quo vadis? Was soll ich Ihnen nun erzählen? Ohne mich zu wiederholen und ohne Frau Simonis die Show zu stehlen?
Im Titel steht, etwas provozierend, " der Anfang vom Ende". Dies ist eine deutlicher Hinweis auf Probleme; zunächst auf die Probleme, die wir alle kennen: Zu wenig Studierende und zu wenig Geld. Ich möchte heute aber noch einen dritten Problemkreis aufzeigen, einen Problemkreis, der in meiner Überzeugung für die beiden erstgenannten Probleme mitverantwortlich ist. Ich will das ein letztes Mal ganz unwissenschaftlich tun, nämlich polemisch und provozierend - obwohl ich gar nicht Politiker werden will.

Der Anfang der TF; oder der Absprung des Tigers

Zunächst mal, und damit keine Unklarheiten aufkommen: Das Ende des Anfangs ist heute nur erreicht, weil sich die Fakultät in ihrem sogenannten Minimalstrukturprogramm gegenüber der ursprünglichen Planung selbst so weit zurückgenommen hat, daß wir heute bei etwa 2/3 des geplanten Ausbaustandes und ohne das eigentlich verbindlich vorgesehene Fakultätsgebäude auf dem Campus, eine erste Zäsur in der Besetzung neuer Professuren und der damit verbundene Mitarbeiter einlegen müssen. Sonst wäre noch einiges aufzubauen. Um nur eine Zahl zu nennen: Mit Bezug auf die Gründungsplanung wären noch mehr als 20 Professuren zu besetzen. Wir haben damit, am Rande bemerkt, dem Land eine Bausumme von ca. 120 Mio DM und jährliche Kosten von ca. 10 Mio DM erspart. Nicht unbedingt gern, aber halt doch.
Aber jetzt zum zum Anfang. Wir wollen mal ehrlich sein: Bei der Gründung der Technischen Fakultät spielte es auch eine Rolle, daß Hamburg sich eine TU gegönnt hat, daß andere Aktivitäten, zum Beispiel die Gründung des ISiT in Itzehoe geradezu nach einer Ergänzung durch eine Technische Fakultät verlangten, oder daß Lübeck und Flensburg eine Chance sahen, ihre Bildungsinfrastruktur auszubauen. Auch gab es die gar nicht so ganz klammheimliche Hoffnung, daß eine neue, von der Vergangenheit und den Traditonen unbelastete Fakultät, vielleicht auch etwas frischen Wind in die ehrwürdige, aber möglicherweise etwas unbeweglich gewordene Alma Mater bringen würde.
All diese, etwas versteckten Gründe, mögen mitgespielt haben, aber wirklich wichtig waren folgende Punkte:
1. Der angestrebter Wandel der Wirtschaftsstruktur - gekennzeichnet durch das Schlagwort Technologiestandort Schleswig-Holstein - brauchte Ingenieure.
2. Landeskinder sollten nicht zwangsweise außerhalb des Landes studieren müssen, falls sie den Ingenieurberuf ergreifen wollten, denn sie kamen viel zu selten zurück, und gründeten ihre Firmen woanders!
3. Das Land sollte als Standort für High-Tech Firmen attraktiver werden - die berühmten Standortfaktoren brauchten Verbesserungen im technischen Bildungsbereich.
In einem Satz: Man erhoffte sich, daß auch in Schleswig-Holstein, um die Technische Fakultät herum, blühende Landschaften entstehen würden; das Beispiel der Stanford University, die ja als Keimzelle der heutigen Informations- und Kommunikationsindustrie in den USA und damit der Welt gesehen wird, spukte und spukt noch in manchen Köpfen herum.
Und damit erhoffte man sich Arbeitsplätze, und Steueraufkommen, und damit vor allem Ruhe beim Verfolgen der wichtigen Dinge, z.B. bei der Etablierung von noch ein paar Beauftragten - auf der Personalwunschliste der Universität stand jahrelang an erster Stelle ein - ich zitiere - "Beauftragter für biologische Sicherheit des Rektorats der CAU". Der Schutz des Wachtelkönigs, so man ihn denn finden konnte, war wichtig. Die Bedeutung einiger alter Betonbrocken im Kieler Hafen mußte aus historischer, ästhetischer, psychosoziologischer und sonstiger Sicht gebührend gewürdigt werden, und insbesondere mußten auf dem Altar der Chancengleichheit bis ins hohe Alter noch einige Opfer dargebracht werden, zum Beispiel die Mathematik in der Oberstufe.
Probleme wurden keine erwartet, denn schließlich würde die Nachfrage nach Ingenieuren stetig steigen. Deutschland war ja schließlich ein Hochtechnologie-Standort, und Schleswig-Holstein hatte beschlossen, sich da mit einzubringen. Ingenieure sind da irgendwie nützlich und werden gebraucht. Genügend Geld würde es auch geben, schließlich waren wir, weil technisch führend, ein reiches Land, Exportweltmeister und die Musterknaben Europas.
Das war so um 1990- 1993. Von großem Optimismus getragen, und mit berechtigtem Stolz, wurde per Kabinettsbeschluß und Universitätssatzung 1990 die Technische Fakultät gegründet - der Konsens war allgemein. Dazu eine kleine Geschichte: Ich habe im Laufe der Jahre eine ganze Reihe von Persönlichkeiten getroffen, die, um es mal ganz überspitzt auszudrücken, stolz darauf waren - meistens auch mit einem gewissen Recht - daß sie die Technische Fakultät fast ganz alleine gegen große Widerstände durchgesetzt haben. Interessanterweise haben ich jedoch damals nie einen bekennenden Widerständler getroffen noch - ich muß geschlechtsneutrale Sprache walten lassen - eine bekennende Widerständlerin .
Zwischenruf Frau Simonis: "ich war dagegen!"
Das war, denke ich, so ungefähr die Motivation und die Erwartungshaltung bei der Fakultätsgründung. Und, um das jetzt und klar auszusprechen: Es waren gute Gründe, damals wie heute. Der Stolz war und ist berechtigt.
Erste Professoren wurden berufen, die Gebäude des Standortes, in dem sie sich befinden, wurden ruck-zuck gekauft. Der Tiger hat zum Sprung angesetzt, und alle, alle haben wohlwollend zugeschaut.

Der Tiger

Wie hat denn aber der Tiger, also die hierher berufenen Professoren, diese Phase empfunden? Was war unsere Erwartungshaltung?
1. Wir gingen, erstens, damals wie auch heute, ganz selbstverständlich davon aus, daß die Technische Fakultät als Teil einer Universität gewollt war, und nicht nur als ein technisches Dienstleistungszentrum für die berühmten kleinen und mittleren Unternehmen, oder gar als Schnellbrüter für Kleinstfirmengründungen, sozusagen als eine Art Edeltechnologiezentrum.
2. Und mit diesem Anspruch war und ist uns, zweitens, die Einheit von Forschung und Lehre wichtig. Ich erinnere daran, daß wir im Gegensatz zu den Kollegen an den Fachhochschulen nicht nur forschen dürfen oder vielleicht sogar sollen, nein, wir müssen! Und wenn die Einheit von Forschung und Lehre in der Universität überhaupt noch wichtig ist - und ich meine sie ist es - dann ist sie nirgends wichtiger als in der Technik. Denn den größten Teil dessen was wir lehren, gab es vor wenigen Jahren noch gar nicht - unsere Lehre kommt unter allen Disziplinen einer Universität am unmittelbarsten aus der Forschung! Sie ist übrigens auch universal - sie gilt nämlich im ganzen Universum - und nicht nur regional, wie zum Beipiel die Jurisprudenz oder die Theologie.
3. Ansonsten haben wir auch, drittens, als selbstverständlich vorausgesetzt, daß es genügend Studierende geben würde, und daß genügend Mittel vorhanden waren, um die Fakultät auch aufbauen zu können.
Das war unsere Erwartungshaltung. Wir wollten uns ins Biotop der Universität voll einbringen, und uns gleichsam mit den Löwen, Bären, Adlern und Haifischen der anderen Fakultäten, an der Spitze der kulturellen Nahrungskette tummeln, an den Grenzen der Erkenntnis, am Quell der Zivilisation und der Kultur.
Wie war es nun in der Praxis, in welcher Lage befanden sich die Akteure die die Fakultät aufbauen mußten. Nun, man muß Tiger gut behandeln, wir konnten:
1. Erstens: Viele wichtige Entscheidungen - z.B. beim Aufbau der Fakultät, in der Forschung und Lehre - in voller Freiheit und in eigener Verantwortung selbst treffen - selbstverständlich immer innerhalb der Spielregeln des öffentlichen Dienstes und der CAU. Naja vielleicht nicht immer, aber doch oft, zumindest ab und zu.
2. Wir konnten auch, zweitens, einige mehr oder weniger fest vorgegebenen Dinge ändern und für uns günstig gestalten - manchmal zwar nur im Nahkampf und mit einer Blutspur - aber immerhin. Dazu gehörte vor allem die Gründung der Technomathematik, die Öffnung des Internets, die Optimierung der Studiengänge - trotz der zahlreichen Regularien - oder auch die Gestaltung unseres internen Bewirtschaftungssystems.
Ich habe diese beiden Punkte als sehr positiv empfunden. Ich erkenne ausdrücklich an, daß Land und Universität hier viel Entgegenkommen gezeigt haben, was ja auch nicht immer leicht fiel, und ich bin sehr dankbar dafür.
3 Wir mußten dann aber, drittens, lernen, daß wir letztlich nicht den gleichen Status hatten wie die klassischen Fakultäten. Um es auf den Punkt zu bringen: Wir Ingenieure haben nützlich zu sein - Kultur machen andere. In anderen Worten, und um bei der gewählten Metapher zu bleiben:

Der Tiger sprang, aber da war ein Dompteur,

der einen Reifen hochhielt!


Die freie Wildbahn - vielleicht zwar auch mit Zaun, aber weit, weit draußen - die freie Wildbahn bleibt den anderen vorbehalten, den Kulturträgern, den Löwen und Adlern, aber vor allem den Sphinxen, Pegasoi und Einhörnern, die lateinisch oder sogar altgriechisch parlieren können! Versuchen sie doch mal einem Theaterintendanten - um mal einen anderen, aus dem so unterhaltsamen öffentlichen Leben in Kiel gegriffenen Bereich zu bemühen - versuchen sie doch mal einem Theaterintendanten oder einer Intendantin zu sagen, er oder sie möge nützlich sein und a) das bringen was das Publikum gerne sehen möchte, und b) auch noch so inszeniert, daß es den Leuten gefällt.
Der Rechnungshof sieht das, verkürzt gesagt genau so. Er meint, es braucht die Technische Fakultät eigentlich nicht, wenn sie für die kleinen und mittleren Unternehmen des Landes nicht unmittelbar nützlich sei.
Ich frage sie, ob sinngemäße Aussagen für andere Fakultäten einer Universität vorstellbar sind. Man könnte dann auch der Agrarwissenschaftlichen Fakultät vorhalten, daß die Bauern des Landes zwar dümmer, die Kartoffeln jedoch nicht dicker geworden seien.
Und damit bin ich bei dem Grund, der mir bei der Gründung der Technischen Fakultät fehlte und der mir immer noch fehlt: Der intrinsische Wert der Technik in Forschung und Lehre einer Universität! Denn Technik prägt nicht nur unser aller Leben; wir sind ohne Technik gar nicht mehr lebensfähig. Technik ist ein integraler Bestandteil unserer Kultur. Und wer Technik nur unter Nützlichkeitsgesichtpunkten sieht, oder gar nur die dunkle Seite, die Gefahren wahrzunehmen vermag, der zerstört seine eigene Identität als europäischer Kulturmensch, auch wenn er es nicht gleich merkt. Und ein Land, das sich seine Universitäten zwar ohne Technik, nicht aber ohne Mediavistik, Chemie, Archäologie, Mineralogie oder Philosophie vorstellen kann - um nur mal willkürliche Beispiele zu wählen - sollte sich nicht nur seinen Riemen enger schnallen, sondern auch seinen geistigen Horizont nicht mit dem Fernglas suchen. Der ist dann nämlich auch mit unbewaffnetem Auge schon deutlich sichtbar.

Der Sprung durch den Reifen: Der Anfang vom Ende

Vor wenigen Tagen hatte ich mal wieder ein Schlüsselerlebnis. Bei einer Podiumsdiskussion, organisiert von den Ingenieurverbänden an der Fachhochschule Kiel; einer Posiumsdiskussion, die erklärtermaßen dazu dienen sollte, die Oberstufenschüler der Gymasien im Kieler Einzugsgebiet mit dem Berufsbild des Ingenieurs vertraut zu machen, bei dieser Veranstaltung waren ca. 15 Schüler da; immerhin einer für jeweils zwei der anwesenden Experten.
Die Schüler - Schülerinnen gab es keine - erklärten, sofern sie überhaupt etwas sagten, daß sie leider keinerlei Informationen über den Ingenieurberuf hätten und damit auch sonst nie in Berühung kämen. Studieren würden sie Jura oder Germanistik. Mich hat das geschockt. Das sagen junge Leute, die zwar mit Technik vom feinsten aufwachsen und auch wie selbstverständlich damit umgehen, aber gleichzeitig offenbar davon ausgehen, daß PCs, Handys, Airbusse, Computertomographen oder meinetwegen auch Motorräder, auf Bäumen wachsen. Komischerweise sehen sie als Studierende die Sache anders. In der ganzseitigen Anzeige, die Studierende der CAU beim Streik 1997 am 6.12 in den Kieler Nachrichten veröffentlichten, ist zum Thema der Wichtigkeit viele Studierender hauptsächlich die Thematik der Technsichen Fakultät angeführt - offenbar fällt den Damen und Herren Studierenden der Kultur- und Geisteswissenschaft dazu nicht viel ein.
Wir haben uns dann nach Kräften bemüht, den Schülern klar zu machen, wie toll die Berufsaussichten jetzt sind, und wie nützlich die Tätigkeit der Ingenieure für die Gesellschaft ist. Daß unsere Wirtschaft unbedingt der technischen Intelligenz bedarf, und was Tiger, die durch jeden Reifen springen den man ihnen hinhält, dem Nachwuchs halt sonst noch gerne erzählen. Ein Schüler nach dem anderen hat sich heimlich still und leise davon geschlichen.
Mir wurde klar: Wir beackern das falsche Feld. Wie wichtig für die Wirtschaft, und wie nützlich für die Gesellschaft die Ingenieurinnen und Ingenieure sind, müssen wir vielleicht der Regierung oder den Grünen erzählen; die Abiturienten interessiert das nicht. Wir können auch nicht im Ernst erwarten, daß sich die Oberstufenschüler und -schülerinnen zusammen tun und sagen: "Laßt uns die deutsche Wirtschaft retten und Ingenieurfächer studieren".
Und die jetzt mal wieder guten Berufsaussichten. Ich will nicht sagen, daß die deuschen Abiturienten an den Berufsbildern hinter den Studiengängen nicht interessiert sind; aber nicht sonderlich, das gilt insbesondere für Abiturientinnen. Das manifestiert sich nicht nur im totalen Desinteresse an allen Informationsveranstaltungen zum Thema, sondern in der real existierenden Studienfachwahl. Wären die zukünftigen Berufsaussichten so wichtig, würden sie nicht alle in Massen Germanistik, Jura, Politologie und Soziologie studieren; von Pädagogik mal ganz zu schweigen.
Ich habe mich dann zu Wort gemeldet und etwa folgendes gesagt: "Wir müssen zwei Dinge auseinanderhalten und getrennt darstellen.
Die eine Seite ist die Wichtigkeit der Ingenieure für die Gesellschaft, die Berufsaussichten, der Arbeitsmarkt. Nur diese Seite wurde bisher bis zum Abwinken dargestellt. Und nur diese Seite war bei der Gründung der Technischen Fakultät wichtig. Sie ist wichtig, insbesondere für die Gesellschaft, aber es ist nur eine Seite der Medaille.
Die andere Seite, die für mich, für das Individuum viel wichtigere Seite, ist die Schönheit des Berufs. Die tiefe innere Befriedigung, Zusammenhänge verstanden zu haben, endgültige Wahrheiten zu erkennen, neues finden und vor allem umsetzen zu können. Kreativ zu sein . Etwas Nichttriviales machen zu können, das auch funktioniert. Und zwar fast immer so, wie man es sich vorher ausgerechnet hat.
Man muß das mal mit anderen Berufen vergleichen, zum Beispiel mit dem armseligen Berufsleben eines Pädagogik-Wissenschaftlers oder einer Soziologin, wenn nicht gar eines Politikers. Seit Jahrzehnten wird an immer neuen Theorien und Modellen gebastelt: Wie man Kindern das kleine und große Einmaleins am besten beibringt, wie man Strafgefangene resozialisiert, wie man einen Haushalt ausgleicht. Noch nie, noch nie hat irgendwas funktioniert, höchsten aus Zufall. Vorne wird mit der Stange im Nebel gestochert, ohne was zu finden, und nach hinten wird Nebel geworfen, damit´s keiner merkt"
Das habe ich gesagt, und siehe da: Zum ersten Mal gab es Beifall! Etwas Interesse war geweckt; die paar verbliebenen Schüler stellten Fragen. Bevor eventuell anwesende Pädagogen und Soziologen nun auf mich anlegen: Dieser interessante Vergleich stammt nicht von mir, sondern von dem Nobelpreisträger Richard Feynman; er ist mir nur noch rechtzeitig eingefallen. Und damit man mir nicht ganz allein abwegige Meinungen, oder gar Beschimpfungen der Geisteswissenschaft vorwerfen kann; noch schnell ein Zitat:
"Das grundlegende Problem bleibt: Der Ingenieurberuf ist nicht mehr attraktiv. Zu seinem Image gehören, zu Unrecht, der Lötkolben und der Öldreck unter den Fingernägeln. Der Ingenieur muß hart studieren, tüchtig arbeiten - und verdient doch weniger als der Finanzprofi. Er baut das Handy, das der Yuppie an sein Ohr preßt und über das der Geistesmensch lacht. .... Mehr noch, Technik steht grundsätzlich unter Soupçon, bei den Gebildeten sogar noch mehr als bei den Ungebildeten. Es ist der akademische Normalfall geworden, daß solche Theoretiker, die Technik "dekonstruieren", die vermutlich noch nie ein Radio auseinandergebaut haben". (Gero von Randow).
Das war aus der "Zeit", die nicht unbedingt im Verdacht steht, den Ingenieurwissenschaften besonders nahe zu stehen.
Ingenieur- und Naturwissenschaften gehören primär an eine Universität um ihrer selbst willen, aus ihrer kulturtragenden Rolle heraus - wie die anderen Fächer auch. Und deswegen studiert man sie als Individuum an einer Universität. Dann, und erst dann, kommt für das Individuum ihr überragender Nutzen für die Gesellschaft.
Und nur aus der Freude aus dem Umgang mit Technik, aus der daraus resultierenden Kreativität des einzelnen, kommen Innovationen, kommt etwas neues. Die zahlreichen Kampagnen zu Themen wie Innovationen, Technologietransfer, Patentstrategien, Existenzgründungen, mit denen seit ein paar Jahren die Universitäten überzogen werden, all diese Kampagnen zielen praktisch nur auf die naturwissenschaftlich-technische Seite der Universitäten, denn dort, und nur dort, wird daran geforscht, und nur aus Forschung kommen echte Innovationen. Die Botschaft ist klar:
Natur- und Ingenieurwissenschaft, die ausschließlich aus Nützlichkeitsgesichtspunkten betrieben wird, ist im wahrsten Sinne des Wortes steril, sie wird keine Früchte mehr tragen und keinen Nachwuchs mehr haben. Und Ingenieure, die sich in diese Rolle drängen lassen, die sich fast dafür enschuldigen, daß sie Spaß an der Technik haben, mögen zwar ein einfacheres Leben unter den argwöhnischen Augen der Gebildeten führen, um nochmal "die Zeit" zu bemühen, sie erweisen aber letztlich ihrem Land, ihrer Gesellschaft einen Bärendienst, um die Metaphern auch noch zu mischen. In anderen Worten:

Tiger, die durch jeden Reifen springen, den man ihnen hinhält, sind Papiertiger


Ich glaube, daß wir an diesem Punkt ansetzen müssen, um unsere beiden unmittelbaren Probleme - die fehlenden Studierenden und das fehlende Geld - zu bewältigen. Sicher, Studierende fehlen überwiegend wegen dem schlechten Arbeitsmarkt der letzten Jahre; aber warum sind unsere zukünftigen Ingenieure und Naturwissenschaftler so empfindlich auf diesen Faktor geworden? Warum scheren sich die Interessenten anderer Studiengänge viel weniger um ihre Arbeitsmarktchancen? Weil sie sich nicht nur über ihre Nützlichkeit für andere definieren.
Ich glaube auch, daß wir hier eine der Ursachen für das fehlende Geld in den Staatskassen haben, will aber nur soviel dazu sagen: In den USA ist das Steueraufkommen inzwischen so hoch, daß die Regierung keine Schulden mehr machen muß und die USA sind mit großem Abstand führend auf den Wachstumsmärkten moderner Technologien und die Ingenieure sind zunehmend die Strahlemänner im öffentlichen Bewußtsein, die Helden der Nation. Ob nun die "Und" in diesem Satz aufzählende oder logisch verknüpfende Konjunktionen sind,das mag sich jeder selbst beantworten.
Ich werde zukünftig nicht mehr nur die Nützlichkeit der Ingenieure betonen wenn ich an Schulen gehe, ich werde die Befriedigung, die damit verbundene Lebensqualität herausstellen, die diese Ausbildung, die dieser Beruf bringt. Ich werde betonen, daß ich einen kreativen Beruf habe, daß ich Neues finden und umsetzen kann, daß ich die Welt verstehe und mir untertan machen kann. Ich werde erforschen was mir Spaß macht und ich werde durch keine Reifen mehr springen, die irgendjemand hochhält - außer ich will das selbst. Und mit dieser Einstellung, da bin bin ich ganz sicher, mit dieser Einstellung werde ich mehr für unser Land tun als mit dem Springen durch Reifen, die andere hochhalten.
Um kein Mißverständnis aufkommen zu lassen: Das heißt nicht, daß ich keine Patente mehr anmelden werde, daß ich keine Produkte mehr entwickeln werde, keine Technologien mehr transferiere oder keine Firmengründungen mehr initiiere. Es heißt auch nicht, daß ich unsere Studiengänge, unser internes System so lassen möchte wie sie sind. Aber ich werde mich nicht mehr über die Nützlichkeit für andere definieren. Und ich werde noch mehr als bisher unserem Nachwuchs nicht nur gehobenes Handwerk vermitteln, sondern vor allem die Freude an eigenständiger Forschung, an kreativem Umgang mit der Technik und vor allem Stolz auf die eigene Leistung und auf den eigenen Stand
Wenn wir diese Botschaft verbreiten und vorleben, wenn wir das tun, dann werden wir auch wieder genügend Nachwuchs bekommen und die Staatskassen werden sich wieder füllen. Denn der Anfang vom Ende ist nicht nur für die Technische Fakultät am Horizont vage sichtbar, sondern für uns alle, für unsere Gesellschaft, für unsere Staatsform, für unsere Freiheit und Demokratie. Es geht nicht um unser Ende, sondern um unser aller Ende. Es wird dieses Ende nicht geben, wenn wir uns wieder auf unsere Grundwerte als Ingenieure und Wissenschaftler besinnen, diese Werte nach außen selbstbewußt vertreten, und aufhören, uns dauernd dafür zu entschuldigen, daß wir gelegentlich beim erzwungenen Sprung durch diesen oder jenen Reifen auch mal danebenspringen.
Und damit schließt sich der Kreis. Ich bin gar nicht nicht als Tiger gesprungen. Ich bin durch den Reif gesprungen, ich war ein Papiertiger. Ich bin es nicht mehr. Richtig und vollständig muß es also heißen:

Als Papiertiger gesprungen, als Tiger gelandet

Verabschiedung der Absolventen

Seit dem Winterfest haben wir 31 Diplome verliehen, darunter die ersten beiden in Materialwissenschaft; 8 in Elektrotechnik und 21 in Informatik. Da und die Absolventen fast aus der Hand gerissen werden, können nur wenige zur Überreichung der Urkunde hier sein. Ich bitte die anwesenden Damen und Herren Ingenieure und Diplom-Informatiker zu mir. Ich rufe auf:
Hr. Döring, Sven ET
Hr. Hobke, Stephan ET
Hr. Hunzinger, Tobias ET
Hr. Jäschke, Holger ET
Fr. Kiesbye, Heidrun Mat.Wiss
Hr. Kulawski, Martin ET
Hr. Lemke, Jan-Heiko ET
Hr. Leutelt, Lutz ET
Hr. Merz, Peter Mat.Wiss
Hr. Ohlenkamp, Rainer ET
Hr. Schulz, Bernhard Christian ET
Hr. Stahl, Karsten Inf.
Hr. Wolf, Andreas Inf.
Liebe Absolventen, Sie stehen vor dem Absprung ins Berufsleben. Ich wünsche ihnen, daß nicht nur der Absprung gelingt, sondern vor allem die Landung.

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HTML-Version von: Helmut Foell, erstellt am 07.02.98 13:02

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