Geschichte des Instituts für Informatik und Praktische Mathematik

Rede von Prof. Dr. Hans Langmaack zum Festkolloquium aus Anlaß des 25-jährigen Jubiläums des Instituts für Informatik und Praktische Mathematik der CAU zu Kiel am 6. Dez. 1996

 

Herr Prorektor Prof. Harms,
Herr Ministerialdirigent Dr. Hendriks,
Herr Dekan Prof. Föll,
liebe Frau Weise, liebe Frau Schlender,

lieber Herr Kollege Händler, den ich hier als ältesten Informatikkollegen stellvertretend für die vielen Kollegen begrüßen möchte, die uns von befreundeten Universitäten und Instituten besucht haben, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter,
liebe Kommilitoninnen und Kommilitonen, meine Damen und Herren!

Der Dienstantritt am 2. Oktober 1971 unseres leider früh verstorbenen Kollegen Bodo Schlender gilt als Gründungsdatum unseres Instituts für Informatik und Praktische Mathematik an der Christian-Albrechts-Universität CAU zu Kiel. Die eigentliche Gründung aber hat Professor Karl Heinrich Weise betrieben. Er lebt leider auch nicht mehr, 1990 ist er gestorben. Aber seine über 90-jährige Witwe, Frau Annemarie Weise, ist unter uns. Sie redet immer noch so munter wie ich sie 1974 kennengelernt habe. Und auch Frau Schlender ist zu unserem Jubiläum gekommen.

Meinen Vortrag "Der Aufbau der Informatik" möchte ich nicht nur auf Kiel beschränken, ich möchte dabei gleichzeitig durchblicken lassen, wie die Informatikentwicklung auch außerhalb Kiels in der Bundesrepublik vor sich gegangen ist.

Herr Weise ist 1909 geboren, hat in Leipzig und Jena studiert, 1933 promoviert, 1937 sich habilitiert, beides in Mathematik. Noch während des Krieges wurde Herr Weise 1943 als außerordentlicher Professor nach Kiel berufen, sofort nach Kriegsende 1945 wurde er zum ordentlichen Professor ernannt, und er führte dann lange die Geschäfte des Mathematischen Seminars. Zu meinem 60. Geburtstag hat mir Frau Weise das sehr dünne Vorlesungsverzeichnis für das Wintersemester 1945/46 gegeben, wo man sehen kann, wie Herr Weise zusammen mit Herrn Graf die Mathematikausbildung bestritten hat.

Herr Kollege Gaschütz, den wir bei uns haben, hat sein Mathematikstudium damals in Kiel begonnen, und auch Herr Kollege Händler hat sein Studium, das er in Danzig angefangen hatte, in Kiel bei Herrn Weise fortgesetzt. Herr Händler, es freut uns außerordentlich, daß Sie uns von Erlangen her zum Jubiläum besuchen.

1957 erhielt Herr Weise einen Ruf nach Würzburg. Zur Rufabwendung bot die Landesregierung ihm an, zusammen mit Herrn Professor Bagge ein Rechenzentrum einzurichten. Herr Bagge war 1957 von Hamburg nach Kiel auf den Lehrtuhl für Kernphysik berufen worden. Mit einem großen Stab von Assistenten kam er hierher. Das hörte ich als Student sogar in Münster. Für das Rechenzentrum wurde eine Z22 der Firma Zuse, Bad Hersfeld, beschafft. Herr Zuse ist der große Pionier der Rechenmaschinenbauer. Von Haus aus Bauingenieur, konstruierte er 1941 mit der Z3 die weltweit erste funktionsfähige programmgesteuerte Rechenanlage. Das Rechenzentrum wurde mit der Z22 in den Räumen der Kernphysik eingerichtet.

Herrn Weises Forschungsgebiet war die Differentialgeometrie, und er dachte daran, Knotenprobleme per Computer zu lösen. Das haben seine Schüler so gut gelernt, daß z.B. Herr Haken das berühmte Vierfarbenproblem per Computer einer Lösung zuführte. Computer können eben nicht nur rechnen, sie können auch beweisen, und Kiel hat markanten Anteil an dieser Entwicklung zu dieser Fähigkeit von Computern. Aber Herr Haken, Professor an der University of Illinois, ist nie Mitglied unseres Informatikinstituts gewesen, wie es heute in den "Kieler Nachrichten" zu lesen gewesen ist. Richtig ist: Herr Haken hatte einen Ruf nach Kiel als Nachfolger unseres verehrten Mathematikkollegen Bachmann, dessen Witwe, Frau Alexandra Bachmann, auch hier bei uns ist.

Das Geld für die Z22 kam von der Deutschen Forschungsgemeinschaft DFG. Alle interessierten Universitäten und Technischen Hochschulen erhielten 1958 je eine Z22. In Mainz, wo ich 1960 bei den Professoren K. Samelson und F.L. Bauer in die Welt der Computer einstieg, hatten wir auch eine. Herr Weise ist einer der Wiederbegründer der DFG nach dem Kriege. In den 20-er Jahren war sie schon einmal als sog. Notgemeinschaft für die Forschung gegründet worden, dann aber in der NS-Zeit aufgelöst worden.

Herr Weise hatte viel Einfluß in der Wissenschaftspolitik. Er war Senator der DFG, Kieler Vertrauensdozent der DFG und auch lange Mitglied des Wissenschaftsrats. Er hat so nicht nur segensreich für Kiel gewirkt, er hat für alle Forschung in der Bundesrepublik seinen guten, ausgleichenden Einfluß geltend gemacht.

Herr Schlender ist 1931 geboren und leider schon 1987 in seiner Amtszeit als Prorektor gestorben. Er studierte in Kiel, promovierte bei Herrn Weise in Mathematik, und er habilitierte sich 1967. 1962 bis 67 war er Wissenschaftlicher Rat und Leiter des Rechenzentrums. Diese Position hat nachher Herr Grosse eingenommen. 1967 wurde Herr Schlender als ordentlicher Professor auf den Lehrstuhl für Elektronische Rechenanlagen an die TH Hannover berufen. Den Lehrstuhl hatte vorher Prof. Händler inne, der 1967 einen Ruf nach Erlangen angenommen hatte.

Seit 1968 unterstützte die Bundesregierung unter dem damaligen Bundeswissenschaftsminister Dr. Gerhard Stoltenberg (der u.a. Privatdozent an der CAU zu Kiel ist) den Drang zur Einrichtung des Faches Informatik durch ein Informatik-Förderprogramm. Offiziell hieß es "Forschungsprogramm", obwohl vor allem die Lehre vorangebracht werden sollte. Bundesgelder durften eigentlich nicht in die Lehre fließen wegen der Kulturhoheit der Länder. Das Wort "Informatik" fiel zum ersten Mal in einer Rede von Minister Stoltenberg 1968 anläßlich einer Tagungseröffnung in Berlin (Ich zitiere hier das Lehrbuch der Kollegen F.L. Bauer und G. Goos. Herr Händler hat mich darauf aufmerksam gemacht, daß Herr Steinbuch das Wort schon etwas früher gebraucht habe). "Informatik" ist die deutsche übersetzung des französischen "Informatique". Eine wörtliche übersetzung des angelsächsischen "computer science" hat man zum Glück nicht vorgenommen. "Computer Wissenschaften" hätte sich nicht gut deutsch angehört und hätte die Sache auch nicht so gut getroffen. Als Ministerpräsident des Landes Schleswig-Holstein hat Herr Stoltenberg zur Einweihung des neu erbauten Informatik-Gebäudes 1978 hier in diesem Hörsaal eine Rede gehalten. Das Gebäude ist inzwischen zu eng. Dank Frau Finanzministerin Simonis und Frau Kultusministerin Rühmkorf durften wir 1989 zwei Etagen im ehemaligen Horten-Kaufhaus am Dreiecksplatz hinzumieten. Herr Kanzler Neumann hatte die entscheidenden Damen zu einem Gespräch eingeladen.

Unterstützt durch die Bundesregierung richteten die GAMM (Gesellschaft für Angewandte Mathematik und Mechanik) und die NTG (Nachrichtentechnische Gesellschaft, heute Informationstechnische Gesellschaft ITG) einen Ausschuß ein, der den Diplomstudiengang Informatik an den deutschen klassischen und technischen Universitäten schaffen und formulieren sollte. Den Vorsitz hatte Herr Prof. Robert Piloty von der TH Darmstadt, der uns heute besuchen wollte. Wegen Krankheit hat er seine Zusage zurücknehmen müssen. Herr Piloty hat am Bau der berühmten PERM (Programmierbare Elektronische Rechenanlage München) an der TU München in den 50-er Jahren mitgewirkt. Die Herren Weise und Schlender (Herr Schlender von Hannover aus) waren Mitglieder des GAMM/NTG-Ausschusses. Herr Händler gehörte für Erlangen dazu. Ich selber habe eine Reihe von Sitzungen miterlebt, weil ich als Dozent an der TH München mehrfach Herrn Kollegen Samelson vertreten habe.

Drei Disziplinen waren in dem Ausschuß versammelt: Die Elektrotechnik, die Mathematik und die Betriebswirtschaft. Im Herbst 1969 hatte der Ausschuß mit der Verkündung des Curriculums für den Diplom-Informatiker (Dipl.-Inf.) seine Arbeit beendet, und die Informatik wurde als eigenständige Disziplin entlassen. Gleichzeitig wurde die Gesellschaft für Informatik GI gegründet, erster Vorsitzender war Prof. Günter Hotz von der Universität des Saarlandes. über 20.000 Mitglieder hat die GI heute.

Anstatt selbständig zu werden, hätte jede der drei Mutterdisziplinen die Informatik als Teilgebiet haben können. Aber man scheute sich wohl, man hätte Ansehen verlieren können. Nur wenige etablierte Professoren haben ihre angestammten Lehrgebiete verlassen und Informatiklehrstühle übernommen. Zu den rühmlichen Ausnahmen zählen meine Lehrer K. Samelson und F.L. Bauer. Auch hätte man der Handvoll Informatikprofessoren und -dozenten wohl zusichern müssen: Auch bei uns dürft Ihr in Eurem neuen Metier machen, was Ihr wollt. Man munkelte viel vom "Niveau" der Informatik.

Anläßlich eines Saarbrücker Kolloquiums 1995 zum 70. Geburtstag von Herrn Kollegen Heinz König, ein angesehener Schüler von Herrn Weise, hat Herr König in seiner Schlußrede gesagt: Die Mathematik habe einen Fehler gemacht und die Informatik anfangs nicht ernst genommen. Ich selbst habe Herrn König Anfang der 70-er Jahre in Saarbrücken in seiner Skepsis gegenüber der Informatik erlebt.

In guter Erinnerung ist mir noch, wie der GAMM/NTG-Ausschuß Herrn Piloty klarzumachen versucht hat, was ein Nebenfach zum Hauptfach Informatik sei. Diplomingenieure kennen ja kein Nebenfach, wie es z.B. auch bei den Diplom-Mathematikern vorkommt.

Ein wichtiger Grund warum der Informatiker damals kein Diplomingenieur werden konnte, war, daß die Industrie keine Zusicherung geben wollte oder konnte, das damals obligatorische einjährige Industriepraktikum zuzusichern. Auch war es in den 68-er Jahren politisch nicht gerade "in", Industriepraktika einrichten zu wollen. Die Industrie war schlecht angesehen, weil sie angeblich Millionengewinne aus Lehrlingen und Praktikanten zöge.

So ist es gekommen, daß das Informatikstudium in der rein äußeren Form dem Mathematikstudium ähnelt: Zu etwa 3/4 Hauptfach, ¼ Nebenfach. Das Nebenfach kann sich der Student auch heute noch aus einem Fächerkatalog wählen (in Kiel sind es elf Fächer). Zu Anfang waren es Mathematik, Wirtschaftswissenschaften, Physik und Medizin. Für die Einrichtung der Medizin als Nebenfach hat sich Herr Kollege Griesser von der Medizinischen Informatik bleibende Verdienste erworben. Jetzt setzt Herr Kollege Rüschmann diese Arbeit fort, der kürzlich zum Honorarprofesor an der CAU ernannt worden ist. Fächer außerhalb des Katalogs können vom Studenten beantragt werden und werden in der Regel genehmigt, wenn sie sinnvoll zum Hauptfach passen. Das moderne Schlagwort dafür ist: Informatik ist Querschnittfach.

 

Der neu geschafffene volle Studiengang Diplom-Informatik hat vorgesehen, daß bei Einrichtung an der jeweiligen Universität mindestens fünf Lehrstühle aus dem Bereich der sog. Kerninformatik vorhanden sein bzw. geschaffen werden sollen:

1. Automatentheorie und Formale Sprachen, heute meist Theoretische Informatik genannt,
2. Programmiersprachen und Übersetzerkonstruktion,
3. Systeme zur Informationsverwaltung,
4. Betriebssysteme und Rechnernetze,
5. Rechnerorganisation.

 

Erst wenn Lehrstühle für diese fünf Kerninformatikfächer besetzt sind, sollte man an die Einrichtung weiterer Informatikfächer denken, um dem Studium eine bundesweit gemeinsame Grundlage zu geben. Hier sehen wir den vom GAMM/NTG-Ausschuß geschaffenen Begriff Kerninformatik. Er ist nicht mit dem Begriff Theoretische Informatik identisch. Die Fächer 2. bis 5. sind sehr praktischer Natur; sie bedürfen umfassender und tiefer Theorie, die gar nicht oder nicht mehr nur von einem einzigen Theorielehrstuhl bereitgestellt werden kann.

Die Bundesförderung lief von 1970 bis 1978; bis 1976 hätten in Kiel die fünf Lehrstühle vorhanden sein sollen. Erst 1984 mit der Berufung von Herrn Kollegen Kluge haben wir in Kiel die Kerninformatik beisammen gehabt, als viele, weit später eingerichtete Institute, längst an uns vorbeigezogen sind, wenigstens was die Lehrstuhlzahl angeht.

In dieser Beziehung darf man folgendes nicht vergessen: An den meisten Orten wurde die Informatik als eigenständiger Fachbereich eingerichtet, die großen klassischen Fakultäten waren zu jener Zeit verpönt und wurden zerschlagen. Das ist in gewissem Sinne ein Vorteil für ein neues Fach. In Kiel ist die große Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät nicht zerschlagen worden und wir sind Teil dieser Fakultät geworden. Es ist klar, daß man in einer großen Fakultät weit heftiger um neue Professuren kämpfen und sie rechtferigen muß als in einem eigens geschaffenen Fachbereich. Das ist klassische Universitätserfahrung.

Zwölf Universitäten hatten im GAMM/NTG-Ausschuß mitgewirkt. Kiel gehörte dazu. So wurden 1969 die ersten Informatik-Vorlesungen an der CAU begonnen. Informatik wurde als Nebenfach zum Mathematik-Diplom zugelassen. Wesentliche Unterstützung zur Lehre hat das Rechenzentrum geleistet. 1973 war die Diplomprüfungsordnung Informatik genehmigt, von da an konnte man also in Kiel Diplom-Informatiker werden. 1973 wurde das erste Diplom verliehen an Jens Asendorpf, inzwischen Professor der Psychologie in Berlin. Einschließlich Jahrgang 1975 hatten wir sieben Diplomierte. Darunter Herr Prof. Schmeck, der aus Karlsruhe zu uns gekommen ist.

Herr Kollege Schlender wurde 1971 für das Fachgebiet "Automatentheorie und Formale Sprachen" berufen. Herrn Schlenders Idee und Initiative ist es zu verdanken, daß am Kieler Informatikinstitut eine Professur für "Praktische Mathematik" eingerichtet worden ist, um das Gebiet der Numerik in Kiel zu stärken und die Verbindung zur Mathematik zu betonen. Daher der Name "Institut für Informatik und Praktische Mathematik". Auf diese Professur ist Herr Prof. Kandzia 1975 von der Universität des Saarlandes berufen worden. Seit 1982 hat Herr Kollege Hackbusch, von der Universität Bochum kommend, den Lehrtuhl inne und hat ihn durch die Leibnizpreisverleihung 1994 zu großen Ehren geführt.

Ich selbst bin 1974 als zweiter Informatik-Professor auch aus Saarbrücken nach Kiel gekommen, um das Gebiet Programmiersprachen und übersetzerbau zu vertreten. 1980 kam Herr Kollege Jammel für die "Betriebssysteme und Rechnernetze" von der TU München. 1984 kam Herr Kollege Kluge aus Bonn für die "Rechnerorganisation". In den 70-er Jahren hatte Herr Kollege Zimmermann dieses Gebiet als Dozent und apl. Professor vertreten. Herr Zimmermann hat sich in Kiel in Angewandter Physik habilitiert, hat von Anfang an unser Institut mit aufgebaut bis er 1969 zu Honeywell in die USA gegangen ist, um dann später nach Kaiserslautern berufen zu werden. 1980 hatte Herr Kandzia einen Ruf nach Würzburg. Um ihn zu halten, haben wir ihm den Lehrstuhl für "Systeme zur Informationsverwaltung" angeboten.

Trotz aller anfänglichen Unkenrufe stieg die Studentenzahl rasant an. 1982 beantragte der Fakultätentag Informatik den numerus clausus. Den lehnte die Kultusministerkonferenz KMK und die Westdeutsche Rektorenkonferenz WRK aber 1985 ab. Statt dessen beschlossen KMK und WRK die gleichmäßige überlastverteilung durch die Dortmunder ZVS und die Anhebung der Anfängerstudienplätze von 2300 auf 4000 durch Einrichtung entsprechend vieler Informatik-Lehrstühle und -Professuren. Um die überlast zu verdeutlichen: Als Herr Schlender 1987 starb, betreute er 35 Diplomanden, und das als Prorektor.

Die Kieler Informatiker beschlossen, die Weiterentwicklung über die Kerninformatik hinaus in Richtung Technische Informatik mit fünf Lehrstühlen für

a. Softwaretechnologie,
b. Künstliche Intelligenz,
c. Prozeßrechner- und Robotertechnik,
d. Kommunikationstechnik und
e Parallele Prozesse.

Während Bayern die weiteren Lehrstühle sofort eingerichtet hat, ist es ein Irrtum zu meinen, im ähnlichen Agrarland Schleswig-Holstein gehe das ebenso schnell.

1986/87 richtete die CAU unter der Präsidentschaft der Herren Professoren Griesser und Delbrück einen Ausschuß Mikroelektronik/Informationstechnik mit Industrievertretern ein, der einen kombinierten Studiengang zwischen Informatik und Physik definieren sollte. In diesem Ausschuß ist es Herr Kollege Schulz-Dubois von der Angewandten Physik gewesen, der den Bann gebrochen hat und gefordert hat, man solle doch gleich eine Technische Fakultät gründen.

In der Tat gibt es seit 1975 ein Gesetz zur Gründung einer Technischen Fakultät in Schleswig-Holstein. Ich hatte die damalige Debatte 1974 in Saarbrücken mitbekommen und als Reaktion auf meinen Ruf nach Kiel den Herren Weise und Schlender geschrieben, das sei doch eine tolle Sache. Als ich aber hier war, meinte Herr Weise in seiner Weisheit, man solle in Schleswig-Holstein nicht zu viel auf einmal wollen, dann würde aus allem nichts.

Jedenfalls ist der Herr Rektor Delbrück 1987 an uns Informatiker herangetreten, ob wir bereit seien, in eine neu zu gründende Technische Fakultät einzutreten, um diese überhaupt für die CAU zu gewinnen. Denn es gab Konkurrenzbewerbungen aus Flensburg und in der zweiten Runde aus Lübeck.

Die Informatik stimmte zu, natürlich wegen der positiven Entwicklungsaussichten. In beiden Runden hat der Wissenschaftsrat Kiel den Zuschlag gegeben. Herr Kollege Krüger aus Karlsruhe, früherer Präsident der GI, ist Mitglied des zuständigen Wissenschaftsratsausschusses gewesen. Es freut uns, daß er als Festredner heute zu uns sprechen wird.

1993 ist die Informatik von der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät in die Technische Fakultät hinübergewechselt. Sie ist 1991 gegründet worden und beherbergt heute vier Studiengänge: Elektrotechnik, Materialwissenschaft und Informatik in zwei Versionen: Diplom-Informatiker und Diplom-Ingenieur der Fachrichtung Informatik. Eine Charakteristik der Informatikingenieure soll z.B. werden, große technische Systeme mit eingebetteten Computern, Sensoren und Aktuatoren zu beherrschen. Engineering of Computer Based Systems ECBS nennt man diese neu aufkommende Disziplin, wofür Herr Kollege Schweizer sich sehr einsetzt. Herr Schweizer hat heute dabei sein wollen, ist aber doch verhindert. Er ist leitender Entwicklungsingenieur bei Dornier gewesen und hat in der Karlsruher Fakultät für Informatik den Lehrstuhl für Mikrorechner und Automation inne.

Kurz zu den weiteren Berufungen: 1989 kam Herr Thomas von der RWTH Aachen als Nachfolger von Herrn Schlender. 1990 wurde Herr de Roever von der TU Eindhoven für die "Softwaretechnologie" berufen. 1993 übernahmen Herr Sommer den Lehrstuhl für "Kognitive Systeme" und Herr Berghammer die Professur für "Rechnergestützte Programmentwicklung", beide aus München kommend. Herr Brokate aus Kaiserslautern vertritt seit 1993 die "Numerische Mathematik", Herr Hromkovic aus Paderborn, von Hause aus Preßburg, seit 1994 die "Theorie der Parallelität". Herr Brüning kam 1995 aus Berlin, um das Gebiet "Computerengineering" zu betreuen; er folgte in diesem Jahr aber schon einem Ruf auf einen Lehrstuhl in Mannheim. Herr Hromkovic hat kürzlich einen ehrenvollen Ruf auf einen Informatiklehrstuhl an der RWTH Aachen erhalten. Ich meine, wir sollten ein vertrauliches Gespräch mit Herrn Ministerialrat Meisner führen, um zu versuchen, Herrn Hromkovic für Kiel zu behalten (Inzwischen hat er den Ruf nach Aachen zum Bedauern von uns Kielern angenommen). Zu den neueren Berufungen gehört natürlich auch die Ernennung von Herrn Kollegen Rüschmann zum Honorarprofessor durch Frau Kultusministerin Böhrk.

Vielleicht interessieren einige Zahlen. In den 25 Jahren hat dieses Kieler Institut 665 Diplome erteilt, 53 Promotionen und 7 Habilitationen durchgeführt. Die Herren Ehrich und Steffen haben ihre Rufe nach Dortmund und Aachen angenommen und die Habilitation nicht mehr bis zum förmlichen Ende durchgezogen. Aber auch alle anderen Habilitierten hatten ihre Rufe praktisch schon während der Verfahren in der Tasche.

Die Kieler Informatikausbildung ist bewährt, nicht nur für die Wissenschaft. Beispielhaft möchte ich Herrn Kollegen Olderog aus Oldenburg nennen, dem 1994 auch der Leibniz-Preis der DFG verliehen worden ist. Die meisten Kieler Absolventen gehen mit Erfolg in die Industrie. Unser Redner Herr Wedell, viele Jahre Geschäftsführer von Microsoft Europe, ist ein beredtes Beispiel. Ein anderes ist Herr Dr. Kölsch, der in München ein phantastisch blühendes Softwareunternehmen auf die Beine gestellt hat, und der heute auch hier ist. Diese Namensnennungen sind natürlich unvollständig. Ich möchte mich bei den Nichtgenannten entschuldigen. Mehrere Absolventen haben die Ausbildung mit Promotion und Habilitation an anderen Orten fortgesetzt und sind als Professoren an Universitäten und Fachhochschulen berufen worden. Ich habe keinen genauen zahlenmäßigen überblick, einige haben den Weg zu uns gefunden.

 

Meine Damen und Herren, in der Bildungseuphorie Ende der 60-er, Anfang der 70-er Jahre sind eine Reihe neuer Studiengänge eingerichtet worden. Nur die Informatik hat gut überlebt. 580 Universitätsprofessuren für Informatik gibt es heute in Deutschland (davon 90 derzeit unbesetzt, wie wir kürzlich im "Informatik-Sprektum" haben lesen können). Das gute überleben hat nicht bloß am Zug der Zeit gelegen. In den 60-er Jahren hat uns niemand eine Karriere versprochen. Das hat an den Menschen gelegen, die sich damals mit einer richtigen, zukunftsweisenden Idee zusammengefunden haben und die das Kämpfen um die Mittel haben auf sich nehmen wollen. Und da ist vor allem die ältere Generation zu nennen: die Herren Weise, Piloty, Händler, Unger, Samelson und Bauer. Ihnen sollten wir Jüngeren dankbar sein.

Ich danke Ihnen für Ihr geduldiges Zuhören.

 

Prof. Dr. Hans Langmaack

Institut für Informatik und Praktische Mathematik

der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel

Preußerstr. 1-9, 24105 Kiel

Kiel, 6. Dezember 1996