Ist der Stein der Weisen aus Silizium?

H. Föll

Technische Fakultät der CAU

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Vorbemerkung:

Das Jahr 2000 wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung zum Jahr der Physik erklärt. In diesem Zusammenhang wurde Mitte September in Bonn (im ehemaligen Bundestag) eine Ausstellung (Physik und Kunst) durchgeführt, die unter dem Motto "Der Stein der Weisen" stand.
Der Schwerpunkt lag auf der Festkörperphysik; implizit wurde Silizium als Kandidat für den "Stein der Weisen" in den Vordergrund gestellt.
In diesem Zusammenhang muß der Vortrag "Ist der Stein der Weisen aus Silizium?" und diese Ausarbeitung dazu gesehen werden.
Nachfolgend eine Kurzfassung der Präsentation am 16.9.2000 in Bonn (mit nur wenigen Bildern); beruhend auf den Vortragsnotizen. Die Präsentation benutzte ein "Powerpoint" Format mit zahlreichen eingebunden Graphiken und Videos; sie ist weder im Druck, noch mit html adequat wiederzugeben.
In dieser Internetversion sind jedoch Links zu anderen Hyperskripten eingebaut, die einige Punkte illustrieren oder weiterführen.
Die Powerpoint Präsentation selbst (allerdings ohne vidoes), kann über diesen Link "downgeloaded" werden:

  h. Foell im Bundestag
   

1. Einleitung

Was ist der Stein der Weisen? In der Broschüre zur Veranstaltung steht:
"Was ist nun der Stein der Weisen? Die Alchemisten suchten nach ihm als einem Element, das unedles Metall in Gold verwandeln könnte. Schließlich sollte der Stein der Weisen Probleme aller Art lösen, zum Beispiel Schönheit und Gesundheit schenken"
Ist es eigentlich weise, so etwas haben zu wollen? Gold (=Geld) ist ja gut zu haben, aber im Grunde für sich genommen ziemlich nutzlos. Für Jahrtausende war Stahl das wichtige Material, nicht Gold. "Magische" Schwerter (aus Stahl), waren beispielsweise sehr viel wichtiger und prestigeträchtiger als Gold. Wenn man schon einen Wunsch frei hat, ist Gold zu wünschen eher töricht als weise.
Aber wir können relativ sicher sein, daß der Wunsch nach Gold auch nur die vorgeschobene Sichtweise war. Schon damals mußten die Alchemisten die Nützlichkeit ihrer Forschung betonen und in Geld=Gold ausdrücken. Die richtigen Alchemisten aber waren zwar keine Physiker, aber immerhin eine Art Chemiker und nicht so naiv wie die Betriebswirte und Politiker; sie haben sicherlich Gold nicht als das Maß aller Dinge betrachtet. Gold und Silber waren Symbole für Vollkommenheit, für die vollständig gereiften Produkte eines Universalstoffes, Azoth genannt; die anderen Metalle galten als unreife Form des gleichen Stoffes.
Den Alchemisten war bekannt, daß man Materialien ineinander umwandeln konnte - aus Steinen und Kohle konnte man Eisen oder Kupfer machen. Und selbst die Eigenschaften eines Stück Eisens ließen sich stark ändern: Weiches Schmiedeeisen, harter und elastische Stahl, sprödes Gußeisen - alles war vom gleichen Samen, aber doch mit sehr unterschiedlichem Vollkommenheitsgrad.
Die eigentlich Frage war: Wie kann man die Materialien selbst oder zumindest ihre Eigenschaften ändern? Wie weit kann man gehen? Aus Kohle und Steinen kann man Eisen machen, daraus Stahl, daraus ein Schwert oder eine Pflugschar. Warum sollte man nicht auch Gold aus was anderem machen können? Umwandlungen waren nicht nur möglich, sie führten zu neuen, technischen Materialien, Dinge, die es in der Natur nicht gibt - "unnatürliche" Dinge - aber erstaunlicherweise nie zu Gold - das es in der Natur direkt gibt. Vielleicht gibt es noch mehr solche Dinge, eine legitime Frage - aber Suchen und Probieren blieb relativ erfolglos, es braucht einen Stein der Weisen, d.h. etwas Magisches - falls man die Physik nicht kennt. Magie aber funktioniert nicht; Physik schon.
Letztlich ging es also um die Geheimnisse der Natur und der Materie. Wenn man sie ergründet wird man nicht nur reich, sondern darüber hinaus sollten auch noch Dinge möglich sein - Innovationen nennt man das heute - die mit noch so viel Geld nicht käuflich waren - insbesondere Gesundheit. Dies erklärt den zweiten Mythos um den Stein der Weisen: die Heilwirkung gegenüber allen Krankheiten - ein Mythos, der direkt zu erkennen gibt, daß man sich des begrenzten Wertes von Gold durchaus bewußt war.
Die eigentlichen Fragen, den Alchemisten in dieser Prägnanz natürlich nicht bewußt, waren also:
Was bestimmt die Eigenschaften der Materialien?
Wie kann man sie ändern?
Was kann man damit neues machen?
Eigentlich wären sie gerne Materialwissenschaftler gewesen, denn das ist genau die Definition der Materialwissenschaft, der vielleicht jüngsten Tochter der Urmutter Physik, die im letzten Drittel des letzten Jahrhunderts ins mannbare Alter gekommen ist und sich anschickt, das Nest zu verlassen.
Was bedingt nun die Eigenschaften eines Materials - z.B. von Silizium. Was sind wichtige und weniger wichtige Eigenschaften aus Sicht möglicher Anwendungen?
Am Material Si kann man das besonders schön illustrieren. Man kann damit Gold im Sinne von Geld machen; ein Blick in die Zeitung oder der Name Bill Gates demonstriert das zur Genüge. Und Kranke werden, wenn sie mit Si in geeigneter Form in Berührung kommen, auch wieder gesund - die meisten modernen Diagnoseverfahren, die komplette Gentechnik - heute oder zukünftig - sowie Produkte wie Herzschrittmacher, sind ohne Si nicht möglich. Ist der Stein der Weisen in dieser Interpretation also aus Silizium? Schaun mer mal!

2. Material Silizium

Wie lange gibt es schon Si in technischen Anwendungen? Computer vergessen (fast) nichts, steht in der Broschüre. Menschen aber schon. Dies zeigt sich sehr schön in einer Anzeige, die die Firma Sony in vielen amerikanischen Zeitschriften geschaltet hatte. Wir sehen als Bräute verkleidete Mädchen mit folgendem Text:
"Their great-grandmother's first kiss was in front of a transistor radio. Their grandmother's first kiss was in front of a black & white television. Their mother's first kiss was in front of a car stereo. What will their first kiss be in front off?"
Gibt es Transistoren aus Si oder auch Ge seit Urgroßmutters Zeiten, also seit ca. 1920? Der erste Transistor erblickte 1944 das Licht der Welt; die ersten Transistorradios kamen Ende der 50er auf!
Aber ein Körnchen Wahrheit hat der oder die Kreative versehentlich doch eingebracht: Zu Urgroßmutter-Kußzeiten, war ungefähr die Geburtsstunde der Quantentheorie, etwas vorher (1900) entstand die statistische Thermodynamik. Daraus entstand die Festkörperphysik und so um 1930 wurde erstmals verstanden, was die Welt im Innersten zusammenhält und was in Materialien wirklich passiert, wenn man z.B. mit dem Hammer draufhaut (mechanische Spannung anlegt) oder aber auch eine elektrische Spannung anlegt.
Der Transistor entstand 1946 als Resultat von Theorien; wir können ihn als Paradigma für Produkte betrachten, die nicht empirisch erfunden und verfeinert wurden wie zum Beispiel die Metallurgie, sondern die durch moderne physikalische Theorien vorher berechnet wurden! Das Schlüsselmaterial dazu ist Silizium (nach einer kurzen einleitenden Germanium Phase).
Was ist nun Silizium? Wenn man Zeitung liest, kann man nicht so genau wissen was Silizium eigentlich ist. Denn dort fliegt das Space Shuttle mal mit Kacheln aus Silizium, um vor der Hitze geschützt zu sein, oder Transistoren sind aus Silikon. Das kommt daher, daß im Amerikanischen drei völlig verschieden Materialien ähnlich lautende Namen haben und die Chancen der richtigen Übersetzung ungefähr bei 1/3 liegen.
Silicon=Silizium,
Silica=Quarz
Silicone=Silikon
Auch mit Silikonen kann man was Unnatürliches machen, aber richtiges Silizium ist sehr viel vielseitiger als Silikone, Quarz oder auch Silizide und was es sonst an Verbindungen mit Si noch gibt.
Si ist ein chemisches Element und gehört zur Klasse der Halbleiter. Es repräsentiert hier immer die Klasse der Halbleiter oder der modernen Materialein, so wie auch der Terminus "Physik" die Nachbarwissenschaften wie z.B. die Materialwissenschaft oder Elektrotechnik mit einschließen soll. Si wird immer künstlich hergestellt, es kommt in der Natur nicht elementar vor (auch wenn diverse Politiker gelegentlich glaubten, daß man es im Silicon Valley aus der Erde buddelt). Man braucht einen ziemlich großen Stein der Weisen - im Wissenssinn - , um dem Naturmaterial Siliziumoxid, vulgo Sand, die riesigen, bis zu 250 kg schweren und extrem perfekten großen Silizium Kristall abzuringen, die heute Stand der Technik sind.
Würden diese Kristalle nicht aus Si Atomen, sondern aus Kohlenstoffatomen bestehen, wäre es gigantische, absolut lupenreine Diamanten - und das wäre schade, schade, schade, denn mit Diamanten kann man ähnlich wie mit Gold, nicht so furchtbar viel anfangen.
Wir alle würden unsere Diamanten und unser Gold für eine Computertomographie eintauschen, ermöglicht durch Silizium, wenn der Arzt damit unser Leben retten könnte!
Daß man mit Si nicht nur gesund werden, sondern auch mächtig Geld machen kann, soll noch kurz gezeigt werden:
Si - Kristalle, noch 1960 fast unbekannt und klitzeklein, machen heute einen Weltumsatz in der Größenordung von ca. 10 Milliarden DM.
Der Weltumsatz mit Chips, die es 1960 noch gar nicht gab, liegt jetzt bei ca. 300 Milliarden DM.
Der Umsatz aller industriellen Produkte, die es ohne "Silicon inside" nicht geben würde (oder die nicht mehr verkäuflich wären), liegt bei ca. 5000 Milliarden DM - ein Viertel der industriellen Weltproduktion!
Vor allem aber hat Si die Lebensqualität erhöht und Arbeitsplätze geschaffen. Was macht man mit Silizium? Und wie macht man diese Dinge? Wo kommt die Physik bzw. Materialwissenschaft herein? Das wird im folgenden an einigen Beispielen erläutert.

3. Mikroelektronik

Das Leitprodukt der Mikroelektronik ist der Chip. Was ist ein Chip? Nicht alles, was klein ist, kompliziert aussieht und elektrische Anschlüsse hat ist auch ein Chip - obwohl man das öfter so beschrieben oder abgebildet findet.
Ein Si-Chip ist eine elektronische Schaltung, die zur Zeit bis zu 10 Milliarden elektronische Bauteile - insbesondere Schalter, auch Transistoren genannt, aber auch Kondensatoren und andere elektronische Komponenten - in und auf einem Si - Kristall auf einer Fläche von ca. (1 - 3) cm2 integriert.
Wie ein Chip aufgebaut ist soll hier nicht wiedergegeben werden (siehe Internet); wohl aber was Physik und Chips miteinander zu tun haben.
Was ist und wie funktioniert der (integrierte) Transistor? Er ist im wesentlichen ein Schalter, der aber nicht mechanisch, sondern elektronisch betätigt wird - und zwar ein sehr kleiner! Ein Relais ist zwar auch ein Schalter, der elektrisch betätigt wird, aber letztlich erfolgt nur die mechanische Bewegung durch einen elektrischen Antrieb. Bei einem Transistor aber wird nur durch elektrische Spannung an einer der drei Elektroden der Strom durch die zwei anderen Elektroden ein- und ausgeschaltet - nichts muß sich bewegen. Dazu muß offenbar die elektrische Leitfähigkeit zwischen den Stromanschlüssen stark verändert werden können. Das geht grundsätzlich nicht mit guten Leitern wie Metallen oder Isolatoren wie Glas - ihre Leitfähigkeit ist von außen praktisch nicht zu beeinflussen. Metalle leiten elektrischen Strom immer, Isolatoren nie. Man braucht deshalb "Halbleiter", die nicht nur "dazwischen" liegen müssen, sondern in ihren elektrischen Eigenschaften steuerbar sind.
Der wesentliche Punkt dazu ist: Mit klassischer Physik geht das grundsätzlich nicht - man braucht die Quantentheorie (und die statistische Thermodynamik)! Transistoren, damit die ganze Mikroelektronik, aber auch Dinge wie Laser, Lichtleitfasern, Schwingquarze, Magnetresonanz usw.; die gesamte Hardware der Informationstechnologie und noch einiges darüber hinaus, sind reinrassige Produkte der Quantentheorie - die ja gerne als etwas völlig esoterisches und weltfremdes dargestellt wird. Wer die Quantentheorie nicht kennt, wird keinen Transistor machen können.
Wie funktioniert der Transistor? Das soll hier nicht angesprochen werden (eine Kurzerklärung findet sich jedoch im Link), nur so viel: Es ist (unter anderem!) notwendig, in definierten Bereichen des Si Kristalls einige wenige Si Atome - typischerweise 0,0001 % - durch z.B. Phosphoratome zu ersetzen; in allen anderen Bereichen aber durch Boratome.
Wie macht man das? In der veröffentlichten Meinung ganz eindeutig durch Tüfteln. Die Worte "tüfteln" oder "Tüftler" tauchen nahezu mit Sicherheit in jedem Zeitungsartikel zum Thema auf - spätestens wenn noch das Wort "Patent" dazukommt. Damit assoziiert wird Daniel Düsentrieb, der zwar leicht geniale, aber auch leicht vertrottelte Bastler, der herumprobiert bis was funktioniert und dabei eher versehentlich auf die "Innovationen" stößt. Der Tüftler
Das Wort "Denker", zum Vergleich, ist den "Philosophen" zugeordnet - Sartre z.B. gehört dazu (der, wie heute klar ist, mit bewundernswerter Sicherheit immer auf der falschen Seite der Wahrheit stand). Und Kreative sind bekanntlich die Werbetreibenden mit ihren Urgroßmüttern.
Durch Tüfteln entsteht kein Chip. Zur Konzeption und Herstellung von Chips braucht man nicht nur fundierte Kenntnisse der modernen Physik (und der Chemie, der Elektrotechnik, der Informatik, ...), sondern man arbeitet an den Grenzen des physikalisch möglichen! Danach, auf dieser Basis, kommt dann noch die Erfahrung, die Empirie, die Experimentierkunst - das "Tüfteln", wenn's denn sein muß. Man kann das stark simplifiziert illustrieren:
Wir fragen uns: Wie kommt Phosphor oder Bor ins Silizium? Es muß ja irgendwie von außen ins Kristallinnere kommen, wenn wir das systematisch machen wollen. Der Si-Kristall besteht aber aus Si Atomen, die so dicht wie möglich zusammensitzen und nur mit großem Energieaufwand zu trennen sind (dann schmilzt der Kristall).
Wie kommt ein Phosphoratom da rein - und das Si Atom, dessen Platz es einnimmt, raus?
Man kann das auf zweierlei Weisen angehen: Empirisch-systematisch - das ist nicht Tüfteln! - und grundsätzlich. Schauen wir uns zunächst die empirische Methodik an.
Man setzt Si einem phosphorhaltigen Stoff aus, macht die Anordnung für einige Zeit heiß, und analysiert dann, was geschehen ist. War die Temperatur hoch genug (ca. 1000 oC) und verfügt man über entsprechende Analysemethoden, wird man finden, daß kleine Mengen Phosphor in den Si Kristall eingedrungen sind. Der Konzentrationsverlauf als Funktion der Tiefe, der Temperatur, der Zeit usw. wird Regeln folgen (der Physiker kennt schon viele davon in Form mathematischer Gleichungen), der gesammelte Erfahrungsschatz, mathematisch aufbereitet, reicht aus, um Vorhersagen machen zu können, wie man den Prozeß gestalten muß, um neue Parameter - z.B. eine andere Phosphorkonzentration - zu erhalten.
Damit kann man eine ganze Menge erreichen, und ganz ohne Empirie geht's nie! Aber früher oder später stößt man an die Grenzen - bei Silizium war das vor über 20 Jahren.
Man kam nicht mehr weiter. Die bewährten Rezepte funktionierten nicht mehr, wenn man alles noch in bißchen kleiner machen wollte. Es wurde notwendig, im Detail zu wissen, wie der Phosphor ins Silizium eindringt. Schauen wir uns nun die Sache vom Grundsätzlichen her an.
Hier ist notwendig zu wissen, wie ein fremdes Atom - Phosphor im Beispiel - sich im Kristall um einen atomaren Schritt weiterbewegt.
Entscheidend werden Defekte des Kristalls - fehlende Atome oder falsche Atome - und ihr Verhalten bezüglich äußerer Parameter. Schlüsselbegriffe sind Entropie (aus der statistischen Thermodynamik) und atomare Bindungsverhältnisse (aus der Quantenmechanik).
Wieviel Phosphor in den Kristall "diffundiert" wird eine komplizierte, aber vollständig erfaßbare Funktion der elementaren Eigenschaften des Si Kristalls und der gewünschten Atome. Die mathematischen Formeln, die jetzt das Verhalten beschreiben, schließen die alten empirisch ermittelten Formeln mit ein - als einfache Spezialfälle - aber sie führen weiter. Vorhersagen sind wieder möglich; Chips mit zigtausendfacher Leistungsfähigkeit können hergestellt werden.
Ein weiteres Beispiel: Fragen wir einen "Tüftler" :Wie lange lebt ein Chip? Nach wieviel Jahren Betriebsdauer wird er (statistisch) ausfallen? Warum? Von welchen Einflüssen mag es abhängen?
Der Tüftler wird die Antwort schuldig bleiben müssen (der Denker und der Kreative auch). Wiederum bewegen wir uns in Grenzbereichen moderner und harter Physik (nicht nur bei Chips, die Frage nach der Lebensdauer eines (hoch)technischen Produktes gehört zu den schwierigsten Fragen, die man stellen kann). Auch wenn man als Verbraucher gelegentlich den Eindruck haben kann, daß diese Frage bei Produktherstellern vielleicht nie gestellt wurde: zumindest bei Chips trügt dieser Eindruck! Produktqualität und -lebensdauer beschäftigen Heerscharen von hochqualifizierten Physikern, die nur eines nicht tun: Tüfteln!
Nehmen wir zur Kenntnis: Mikroelektronik basierend auf dem (quantenmechanischem) Verständnis des Materials Si, hat die Welt in einer Weise revolutioniert, die noch vor 20 Jahren unvorstellbar war - und Si wird das weiterhin tun. Heute sind Dinge möglich, die sich die alten Weisen nicht mal im Traum vorstellen konnten.

4. Was Silizium sonst noch kann

Außer dem Stein der Weisen gab es in der Antike auch noch den Prüfstein, mit dem man feststellen konnte, ob ein gegebenes Material auch wirklich lauteres Gold war. Den Prüfstein gab es wirklich; er ist eigentlich genauso wichtig wie der Stein der Weisen, denn es ist bekanntlich nicht alles Gold was glänzt. Silizium kann in recht konkretem Sinn auch als eine Art Prüfstein dienen.
Dazu ein Witz: Treffen sich zwei Planeten. Sagt der eine "Wie geht's"? "Schlecht", sagt der andere, "ich habe Homo sapiens". "Oh", sagt der erste, "das kenne ich, hatte ich auch mal. Ist richtig eklig, geht in der Regel aber schnell vorbei".
Wenn wir auf unserem Planeten wollen, daß es nicht ganz so schnell vorbei geht, dann haben wir keine große Wahl bei der Energieversorgung: Schon innerhalb weniger Generationen wird nur noch Sonnenenergie - in Form von Wasserkraft, Wind, Solarthermik und Photovoltaik zur Verfügung stehen. Und Photovoltaik heißt Silizium, oder genauer gesagt, Halbleiter.
Wie halten wir es mit dem Prüfstein Silizium in dieser Hinsicht? Reiben Sie mal sich selbst oder den Politiker ihre Wahl mit diesem Prüfstein - er wird den Grad der Weisheit im Umgang mit den Ressourcen unseres Planeten anzeigen. Aber Solarzellen bekommt man nicht geschenkt - im doppelten Wortsinne! Sie sind nicht nur teuer in der Anschaffung, sondern bessere (und billigere) Solarzellen fallen einem auch nicht durch ein bißchen Tüfteln in den Schoß - wiederum ist harte (und mühsame) Physik bzw. Materialwissenschaft gefragt.
Ein drittes Gebiet für Silizium ist die Mikrosystemtechnik, oder "MEMS" (Micro Electronic and Mechanical Systems). Jeder kennt die Bilder der Ameise, die ein winziges Si Zahnrad herumschleppt, oder ähnliche Aufnahmen kleinster Mechanikwunderwerke. Produkte dieser Mikromechanik, -optik, oder -hydraulik werden zunehmend verkauft und führen ein für die meisten Menschen unsichtbares "Leben" tief im Inneren von vermeintlich einfachen, aber in Wahrheit hochkomplexen Produkten - z.B. im Sensor, der den Airbag dann, und nur dann auslöst, wenn das auch sinnvoll ist.
Wie macht man MEMS? Und wieso aus Silizium und nicht aus Edelstahl oder Fensterglas? Die erste Frage ist leicht zu beantworten: Mit Mühe und auf der Basis eines Physikstudiums. Aber was hat Silizium, was Glas nicht hat? Vier Punkte wären zu nennen:
Hervorragende mechanische (und thermische und chemische) Eigenschaften (Si ist, bevor es bricht, ungefähr gleich belastbar wie Stahl)
Die Verfügbarkeit von leicht strukturierbarem Poly-Si als Schicht, die leicht auf das Grundmaterial aufgebracht werden kann
Die Integrierbarkeit der MEMS Funktion mit der Elektronik auf demselben Chip
Und vor allem: die Vielfalt der Struktiermöglichkeiten durch (elektro)chemische Ätzung.
Es lassen sich beispielsweise Chemikalien finden, die Si das 0,00001% Bor enthält schnell und restlos auflösen, aber Si mit dem gleich Prozentsatz an P überhaupt nicht angreifen. Mit diesen (auch für Chemiker) unerwarteten Eigenschaften kommen wir direkt zu einem Gebiet der modernen Forschung.

5. Moderne Forschung

1968 war ein denkwürdiges Jahr. Die Zahl der wissenschaftlichen Veröffentlichungen zum Material Silizium überstieg erstmalig die zum Thema Eisen und Stahl. Silizium ist somit das am besten untersuchte Material auf dieser Seite des Pluto - und das Jahr 1968 markiert in dieser Hinsicht einen tatsächlichen gesellschaftlichen Wandel, der weit über das hinausgeht, was sich die "68-er" erträumten. Gibt es dann noch grundsätzliche Forschungsfragen zum Material Si? Oder sind nur noch Verzierungen möglich, die Nachbesserung der Kommastellen?
Ein Gedankenexperimentm das man (Frau auch) realiter sehr leicht auch zu Hause machen könnte, bringt Klarheit: Wir nehmen ein Stück (leicht erhältliches) Silizium, hängen es (kontaktiert) in ein Glas mit konzentriertem Blumendünger oder Zahnspülmittel (der Profi nimmt verdünnte Flußsäure), geben eine Edelmetallelektrode dazu (der Profi nimmt Platin, der Schüler Mutters Goldkette), und schließen das ganze an eine nicht zu schwache Batterie an (ein regelbares Netzgerät oder gar ein Potentiostat ist besser). Mit dem Pluspol am Si, und vielleicht noch ein bißchen Beleuchtung, wird ein Strom fließen, der gemessen wird.
Gute Küchenexperimentatoren nehmen sogar eine Strom-Spannungskennlinie auf und können dann die Phänomene, die auftreten werden, nach Strom- und Spannungbereichen sortieren. Zunächst stoßen wir auf eine Merkwürdigkeit: Bei größeren Spannungen oszilliert der Strom - er wird kleiner und wieder größer - stundenlang. Nach einiger Zeit nehmen wir die Si-Elektrode aus Glas und schauen sie genau an - am besten mit einem guten Mikroskop, noch besser einem Rasterelektronenmikroskop.
Für viele Strom-Spannungskombinationen finden wir, daß sich eine poröse Schicht entwickelt hat, mit Porengrößen die von wenigen Nanometern - gerade mal einige Atomdurchmesser - bis zu fast mit dem bloßen Auge sichtbaren Poren - den "Makroporen" - reichen. Aber auch ohne Mikroskop kann man einiges sehen: Wir beleuchten die poröse Schicht mit einer Ultraviolettlampe ("Schwarzlicht") und unser Si wird gelblich aufleuchten (lumineszieren), falls es nanoporös geworden ist. Kristallines Si wird das nie tun und nach gesicherten Erkenntnissen auch gar nicht können. Sollten wir Makroporen gemacht haben, finden wir bei genauer Betrachtung einen kompletten Zoo: Perfekte gerade Löcher, wie mit einem Präzisionsbohrer von 1 µm Durchmesser gebohrt, ziemlich krumme Hunde, Poren, die wie Weihnachtsbäume aussehen, und noch viele andere Morphologien.
Der Pfiff an der Sache ist, daß die meisten dieser Phänomene vor etwa 10 Jahren noch nicht einmal bekannt waren, daß "leuchtende Silizium" eine fieberhaftes Forschungsaktivität ausgelöst hat - und daß das Ganze bis zum heutigen Tage nicht so recht verstanden ist. (Nicht verstanden heißt in der Physik, daß es ungefähr genau so viele (verschiedene) Erklärungen wie Forscher gibt).
Aber das macht ja nichts. Die Industrie forderte schon immer: Problem lösen statt erklären; und heute heißt es aus allen Richtungen "Mehr Praxisorientierung in Forschung und Lehre". Die Si-Elektrochemie Forscher haben diese Forderung befolgt - viele große deutsche Tageszeitungen haben Bilder von erstaunlichen, elektrochemisch geformten Porenstrukturen unter dem Stichwort "Photonische Kristalle" gezeigt. Diese Strukturen wurden hergestellt, ohne die Porenätzung wirklich zu verstehen - es ging.
Die Eingeweihten, die hier tätig sind, wissen aber, daß es so nicht weiter gehen wird. Wie schon beim Beispiel der Diffusion gezeigt - die Grenzen der Empirie sind erreicht. Praxisnähe ist gut und richtig, aber die Physiker besitzen auch noch eine besondere Kernwahrheit; einen Merksatz mit dem sie und die Gesellschaft bisher sehr gut gefahren sind!
Die Zeit ist gekommen, die Vorgänge bei der elektrochemischen Auflösung von Si grundsätzlich zu verstehen. Es zeichnet sich ab, daß dazu eine interdisziplinäre Mischung aus Halbleiterphysik, Chemie und stochastischer Physik notwendig sein wird - Begriffe wie Chaos, Synergie und spontane Musterbildung, bisher fest in der theoretischen Physik verankert, werden benötigt. Der Forschungsbedarf auf dieser Ebene wird die Physiker und ihre Kollegen noch für viele Jahre beschäftigen. Neue, darauf basierende Produkte wird es mit Sicherheit geben, welche - das weiß noch niemand.

6. Schluß

Ist der Stein der Weisen aus Silizium? Eine schwierige Frage - nicht umsonst heißt es: Ein Narr kann mehr fragen als sieben Weise beantworten können!
Eine Antwort könnte sein: es ist sogar viel mehr als sich die alten Alchemisten jemals erträumten:
Silizium - stellvertretend oder paradigmatisch stehend für Halbleiter, moderne Materialien, Forschung, Erkenntnis - ist der Stein der Weisen und noch viel mehr
Aber Silizium ist mehr: Es ist gleichzeitig der Prüfstein für Weisheit.
Damit stellt sich eine neue Aufgabe: Gesucht wird nicht mehr der Stein der Weisen - gesucht werden jetzt die Weisen, die mit ihm umgehen können!

© H. Föll