Rede zum Winterfest 98 der Technischen Fakultät

Anlaß:

  Die Technische Fakultät hat sich entschlossen, zweimal im Jahr, beim Winter bzw. Sommerfest, die Absolventen des zurückliegenden Zeitraums feierlich zu verabschieden sowie die Preise des Fördervereins zu verleihen. Die Feste sollen herausgehoben werden durch Festvorträge erstrangiger Redner.

Bisherige Redner

  Sommerfest 1996 (dem ersten Fest dieser Art)
Prof. Warnecke
Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft und Vorsitzender des VDI
  Winterfest 1997
Prof. Rüschmann
er hielt anläßlich seiner Ernennung zum Honorarprofessor seine Antrittsvorlesung
  Sommerfest 1997
Dr. Tyll Necker
Vizepräsident des BDI
  Winterfest 1998
Norbert Gansel
Oberbürgermeister der Stadt Kiel und langjähriger Bundestagsabgeordneter
 
Der Dekan hält beim Winterfest eine kleine Rede zu einem Detailthema und eine große, eher programmatische Rede zum Sommerfest
 
Nachfolgend die Rede des Dekans zum Winterfest 98.

Begrüßungen

  Ich begrüße als Gäste bei unserem Winterfest
  Herrn Norbert Gansel, den Oberbürgermeister der Stadt Kiel und den Festredner des heutigen Tages,
  Herrn Dr. Swatek, unseren Staatssekretär aus dem Kultusministerium zusammen mit den anderen Vetretern des Ministeriums, die in erfreulich großer Zahl erschienen sind,
  Herrn Friebe, den Chef der Technologiestiftung Schleswig-Holstein, dem die Fakultät viel verdankt,
  die Vorstände und Mitglieder des Fördervereins, allen voran Herrn Dr. Murmann, die uns dieses Fest ermöglichen,
die Kollegen und Vetreter aus der CAU, allen voran unser Rektor, Magnifizenz Haensel,
und last, not least, unsere Absolventen, Preisträger und, soweit hier, die zugehörigen Eltern.

  Meine Damen und Herren, vor kurzem hatten wir einen Bundestagsabgeordneten bei uns, dem wir ein bißchen unsere Sorgen und Nöte schilderten. Er sagte dann, wir müßten, wenn wir etwas bewirken wollten, unser Anliegen laut, deutlich und durchaus auch polemisch in die Politik hineintragen, und uns nicht in vornehmer akademischer Rückhaltung üben. Außerdem sei eine einfache und klare Sprache wichtig, auch dort, wo man nicht alles hundertprozentig beweisen kann. Ich habe mir das zu Herzen genommen; das Thema meiner heutigen Rede ist:

Die Politiker und die Technologen

 

Die Lage

Meine Damen und Herren, Deutschland steckt nicht nur seit Jahren in einer Dauerkrise, es steht vor einer zusätzlichen Krise, die - und dies finden wir Technologen bemerkenswert - im öffentlichen Bewußtsein schlicht nicht wahrgenommen wird: Ich meine die kommende Krise auf dem Arbeitsmarkt für Ingenieure, Techniker, Naturwissenschaftler; Technologen eben.
Zwar lesen wir hin und wieder versteckt im Wirtschaftsteil der Zeitungen, daß Firmen und Verbände sich Sorgen machen über den Technologennachwuchs. Wir lesen dann auch die Leserbriefe frustrierter arbeitsloser Ingenieure, Chemiker und Physiker, die sagen: Was wollt Ihr eigentlich, der Nachwuchs zeigt ja nur die geforderte Flexibilität und Marktorientierung, wenn er sich von nicht nachgefragten Berufen abwendet - und recht haben sie! Wir lesen aber nichts, aber auch gar nichts zu dieser Thematik von der politischen Kaste, zu denen ich nicht nur die richtigen Politiker, sondern auch die Medienschaffenden und die sogenannten Intellektuellen rechnen möchte.
Ich will jetzt nicht meine Behauptungen durch Zahlen und Statistiken beweisen, wie wir Technologen das so gerne tun - in einem der beliebten Management-Bücher habe ich dazu gerade gelesen, daß Ingenieure nicht gut lügen können und alles beweisen müssen, und daß der schlaue Manager aus dieser abartigen Eigenschaft natürlich seinen Vorteil ziehen kann und soll - ich will es also ausnahmsweise mal nicht beweisen, aber ein paar Highlights zum Nachdenken möchte ich doch mitteilen:
  Die Süddeutsche berichtet, daß die Elektronikbranche soeben weltweit die Autoindustrie überholt; im nicht mehr so fernen Jahr 2000 wird sie der größte Einzelmarkt der Welt sein und im Jahr 2005 ein Viertel der industriellen Weltproduktion bestreiten. Ein Viertel der weltweiten Industrieproduktion! Das liegt an weltweiten Wachstumsraten von über 15% im Jahr, an denen Deutschland allerdings nicht partizipiert. Bei uns machen die einschlägigen Firmen eher zu, wer´s nicht glaubt, schaue auf Kiel und memoriere: Salzgitter Elektronik, DST, Hagenuk, Linotype-Hell. In der in Deutschland nicht mitgewachsenen Elektronik-, Informations- und Kommunikationsindustrie sind die fehlenden Arbeitsplätze; aber darauf will ich gar nicht hinaus. Worauf ich hinaus will, ist, daß seit 1980 der Weltmarkt, in dem wir Elektrotechniker, Informatiker und Materialwissenschaftler arbeiten, sich fast verzehnfacht hat. Verzehnfacht! In Deutschland aber, und fast nur in Deutschland, sind die Anfängerzahlen in der universitären Elektrotechnik heute wieder unter dem Niveau der 70er Jahre - ich habe gar keine Statistik die soweit zurückgeht. Was bedeutet das? Schaun´ mer mal:
  Wenn man die Anfängerzahlen der CAU mal 5 Jahre in die Zukunft projeziert und annimmt, daß dann alle ihren Abschluß haben werden - die Gewißheit, daß viele das nicht schaffen werden, beruhigt auch nicht sonderlich - dann wird sich die schleswig-holsteinische Volkswirtschaft folgendermaßen durch den Nachwuchs aus den Universitäten - und das ist im wesentlichen die CAU - erneuern können:
Sie bekommt 400 Juristen und 55 Ingenieure. Ich sage dazu nur, daß es Statistiken mit sehr guten Korrelationskoeffizienten gibt, die zeigen, daß in den Industrieländern - mit Ausnahme Englands - das Wachstum des Bruttosozialprodukts umgekehrt proportional zum Anteil der Juristen an der Bevölkerung ist. Ob das eine kausale Korrelation ist, oder eine wie bei den Störchen und Geburtenraten, möchte ich gar nicht näher diskutieren, sondern weitermachen:
  Die Volkswirtschaft kann über 255 Soziologen und Politologen und 40 Chemiker verfügen.
  Sie kann viele 100 Sprachwissenschaftler aller Ausprägungen einsetzen und 40 Physiker.
Ich höre jetzt auf, aber Sie wissen, wie es weiterginge. Jedenfalls wird es eine schöne und interessante Herausforderung für die 500 Wirtschaftswissenschaftler, die es auch geben wird, auf dieser Basis das Technologieland Schleswig-Holstein im Hochtechnologieland Deutschland konkurrenzfähig zu halten und für die allseits beliebten und gepriesenen Innovationen zu sorgen, weil die dann von Juristen, Soziologen und Germanisten und, nicht zu vergessen, von den ca. 2000 Pädagogen kommen müssen.
Um keine Mißverständnis entstehen zu lassen. Ich habe überhaupt nichts gegen die genannten Studiengänge und Abschlüsse, ich wäre sogar froh, wenn im öffentlichem Dienst im allgemeinen und in der CAU im besonderen mehr Betriebswirte tätig wären, ich frage nur, ob das Verhältnis stimmt.
Ich frage mich:
  Wissen unsere Politiker eigentlich, was Sache ist?
  Wollen sie es vielleicht sogar so haben?
  Und falls nicht, warum stellen sie sich tot? Nicht ganz tot natürlich, denn zum kräftigen finanziellen Rupfen der betroffenen Fakultäten und Fachhochschulen hat´s noch gelangt, aber darüber will ich jetzt gar nicht klagen. Auch gilt dies natürlich nicht für alle Politiker, aber doch für die meisten.
Ich haben mich lange gefragt, woher das auffällige Desinteresse der Politik an diesem Problemkreis kommt. Auffällig selbst dann, wenn man berücksichtigt, daß die Politik in Schleswig-Holstein, wie auch anderswo, so gut wie keine Ingenieure oder Naturwissenschaftler in ihren Reihen hat. Nach meiner eigenen Zählung, die sicher nicht 100% richtig ist, aber doch die Lage halbwegs korrekt widerspiegelt, gibt es unter den Landtagsabgeordneten und den obersten 4 Hierarchieebenen der Ministerien, wenn man von zwei Biologielehrerinnen der Grünen absieht, höchstens einen, vielleicht zwei Naturwissenschaftler und einen Ingenieur.
Aber selbst das erklärt nicht das fast totale Desinteresse, auf das man mit allem stößt, das auch nur entfernt das Odium von Naturwissenschaft oder Technik trägt. Das gilt nicht nur für die Politik. Wenn ich, was vergleichsweise selten vorkommt, von der Universitätsgesellschaft eingeladen werde, draußen im Land einen meiner ausdrücklich für Laien angebotenen und konzipierten Vorträge mit Themen wie z.B.: "Was ist ein Chip", "Was ist Materialwissenschaft" zu halten, versäumt der jeweilige Sektionsleiter nie, mich schonend darauf vorzubereiten, daß wahrscheinlich nicht so viele Teilnehmer wie sonst kommen werden, denn dafür sei das Thema zu exotisch. Und das liegt nicht an meinem möglicherweise schlechten Vortragsstil, denn meinen Kollegen geht das genauso.
Dieses Desinteresse an dem Huhn, das früher die goldenen Eier gelegt hat - heute klappt das ja nicht mehr so ganz - dieses passive Hinnehmen, daß diese Hühner sich nicht mehr so richtig fortpflanzen mögen, dieses Sägen an dem Ast, auf dem man sitzt, dieses Unvermögen unserer politischen Kaste, das Wichtige vom Unwichtigen zu unterscheiden, die Zukunftssicherung für uns alle von der Gegenwartssicherung für einige wenige, also das kann und konnte ich mir nicht so recht erklären.
 
 

Die Erleuchtung

Meine Damen und Herren, ich weiß nicht, wie es Ihnen geht; man trägt solche Fragen mit sich herum - und plötzlich, oft aus kleinen Anlässen, hat man eine Erleuchtung. So ging es mir letzte Woche beim Lesen einiger Artikel in der "Zeit", die sich mit dem phänomenalen Erfolg von schriftstellernden Naturwissenschaftlern - häufig Nobelpreisträgern - in den USA beschäftigen. Wir reden über Bücher, wie das auch in Deutschland bekannte Buch "Eine kleine Geschichte der Zeit" von Stephen Hawkings, und vielen anderen in dieser Art, die in Amerika zu Bestsellern wurden. Am Rande sei erwähnt, daß den deutschen Geisteswissenschaftlern dies sehr suspekt vorkommt - so wird, ich darf kurz zitieren, "die Neigung des naturwissenschaftichen Verstandes, tiefe Gedanken leserfreundlich auszudrücken", oder - es wird nochmals wiederholt - die Existenz "selbstbewußter Naturwissenschaftler mit ausgeprägten Neigungen sich öffentlich verständlich zu machen", also das wird mit größtem Mißtrauen betrachtet. Hier schreibt ein Ulrich Schnabel: Erklärungskompetenz in Sachen Geist beanspruchen heute auch Neurobiologen und Hirnforscher, ja selbst Physiker, die versuchen, anhand ihrer Naturgesetze den Lauf der Welt zu deuten. Herr Schnabel mißbilligt diese "Anmaßung"; dies versteht sich von selbst.
Wörter sind verräterisch; hier ist bei mir plötztlich der Groschen gefallen: Herr Schnabel schreibt "anhand ihrer Naturgesetze", nicht "anhand der Naturgesetze", für ihn gelten die Naturgesetze wohl nicht, das bleibt auf die Physiker und die aus der Physik stammenden Technologen beschränkt. Daß die Physiker mit ihren Naturgesetzen den Lauf der Welt um die Sonne herum schon vor einiger Zeit erschöpfend erklärten, ist Herrn Schnabel entgangen. Und hier, und das war meine Erleuchtung, hier offenbart sich auf´s schönste eine Geisteshaltung, die eben nicht nur Herrn Schnabel, sondern auch weiten Bereichen der Politik zu eigen ist: Uns geht das nichts an, was sich in der Welt der Naturwissenschaft und Technik tut, das ist Euer Problem. Unser Problem. Nicht das der Politik.
Bevor ich nun falsch verstanden werde, gebe ich präventiv und gerne zu: Ja, die Politik, die damalige Regierung hat aus der Einsicht, daß Ingenieure wichtig sind, die Technische Fakultät gegründet und hält sie - mit Schmerzen, aber immerhin - am Leben. Sie hat auch die Fachhochschule Westküste gegründet, das ISiT unterstützt, in Lübeck einen Studiengang Informatik eingerichtet, die Technologie-Transfer-Zentrale mitfinanziert und so weiter und so fort. Ich will überhaupt nicht, wie es die Hochschulen so gerne tun, über fehlendes Geld und fehlende Stellen jammern; noch nicht mal darüber, daß die Personen, die letztlich hinter diesen Initiativen steckten, nicht mehr da sind.
Ich will aber die fehlende geistig-moralische Unterstützung einklagen, die persönliche Identifikation unserer Politiker und ihrem Umfeld mit Naturwissenschaft und Technik, die Anerkennung, um es mal ganz drastisch auszudrücken, daß die künftigen Ingenieure, Informatiker, Physiker und Chemiker mindestens genauso wichtig sind wie Schwule und Lesben, Wachtelkönige, Frauenbeauftragte und Potwale. Damit kein Mißverständnis entsteht: Auch ich halte die genannten Arten für sehr, sehr wichtig; wir wollen ja, ganz bescheiden, erstmal nur genauso wichtig sein dürfen. Denken Sie dran: Wenn es demnächst so wenig Ingenieure geben wird, daß sie nach den bestehenden Kriterien unter die Artenschutzverordnung fallen, wird es zu spät sein.
Mir fehlen in Deutschland und insbesondere in unserem Land Persönlichkeiten, wie es sie in einigen wenigen Ländern gelegentlich auf hoher Ebene gibt - ich will hier keine Namen nennen, aber wir alle wissen, wo kräftig in Hochtechnologie investiert wird und wo nicht - mir fehlen Persönlichkeiten, die nicht nur gelegentlich von der Wichtigkeit von Naturwissenschaft und Technik reden, sondern, die es selbst glauben und leben; die wissen, daß Technologiefolgenabschätzung zwar gut und wichtig ist, daß aber auch der Verlust von Technologie Folgen hat; von der Politikfolgenabschätzung mal ganz zu schweigen.
Ingenieur ist man nicht, Ingenieure hat man - so hieß das früher, aber man - oder besser gesagt, in Anbetracht der spezifischen schleswig-holsteinischen Zusammensetzung der Regieung, frau, - also man oder frau wird bald keine Ingenieure mehr haben, jedenfalls aber nicht mehr genügend viele. Man hat sie sich gekauft, man hat sie gut bezahlt, man hat sie ein bißchen mit Herablassung behandelt, aber sie haben ja immer gut funktioniert und das Geld verdient. Sie funktionieren immer noch gut, aber das Knirschen des Gebälks, wenn nicht gar der Zähne, wird hörbar, z.B. bei der Dreifaltigkeitsbrücke, beim Elchtest, bei den bekannteren Pannen der Telekom, bei den Firmen, die in einem boomenden Markt zusammenbrechen - man denke nur Hagenuk - und vor allem bei den deutschen Firmen, bei denen wir gerne Technologieprodukte kaufen wollen - vom Elektronenmikroskop bis zum Laptop mit seiner Software - die es aber in Deutschland kaum mehr gibt, nicht mehr gibt oder gar nie gab. Liegt das vielleicht ein bißchen auch daran, daß heute im Gegensatz zu früher nicht mehr Ingenieure und Naturwissenschaftler die Firmenspitzen bilden, sondern Juristen und Betriebswirte? In Amerika, die noch vor kurzem ihre MBA´s, die "Master of Business Administration", also die gelernten Manager, für die höchste menschliche Existenzform hielten, hat ein gewisses Umdenken eingesetzt. Heute sind die Strahlemänner und - frauen zunehmend die Ingenieure, die Hacker, die Naturwissenschaftler. Ein böser Spruch den man hört, ich übersetze ihn, geht etwa so: Man braucht nicht unbedingt einen MBA, um eine Firma zu ruinieren, aber es hilft doch sehr. Man braucht auch nicht unbedingt gelernte Politikwissenschaftler, um ein Land zu ruinieren.

 

Die Forderung

Und wenn Sie, meine Damen und Herren Politiker, jetzt sagen: Was tun denn die Herren Ingenieure? Wo sind die von uns immer geforderten Reformen von Lehre und Forschung, die neuen Studiengänge, die effiziente und effektive Bewirtschaftung, die flexiblen und reaktionsfähigen Leitungsstrukturen, usw. usf.; dann kann ich nur erwidern: Geschenkt. Ja Sie haben auch recht - ein bißchen wenigstens, aber nur bis zu einem Punkt. Schauen Sie mal ins Internet; bei der Technischen Fakultät, bei jeder Fachhochschule, egal wo. Wir tun, was wir können; vielleicht könnte es mehr sein. Persönlich glaube ich durchaus, daß es mehr sein könnte, aber über die noch vorhandenen Mißstände bei uns habe ich mich bei früheren Anlässen bereits hinreichend verbreitet; heute sind Sie dran. Wir sind nicht untätig geblieben. Wir haben, behaupte ich mal so, alle Vorgaben, die bei der Gründung der Technischen Fakultät gemacht, wurden eingelöst; ich denke, wir haben unser Soll sogar übererfüllt. Wir haben aber trotzdem zuwenig Studierende; gemessen an der Planung oder gemessen an unseren eigenen Erwartungen und Zielen. Aber die Planzahlen an Studierenden, errechnet aus dem Bedarf des Landes, stammen von Ihnen, nicht von uns. Sollten sie vielleicht nicht mehr stimmen? Braucht das Land jetzt wirklich viel weniger Ingenieure als 1990 geplant? Und falls die alten Zahlen doch stimmen sollten: Warum, meine Damen und Herren Politiker, tun Sie dann nichts?
Wieso fehlen die Studierenden? Die erste Antwort, so glaube ich fest, ist ganz einfach: Weil auch schon die Oberstufenschüler fehlen, die in den Gymnasien die Leistungskurse Mathematik, Physik und Chemie belegen - das höre ich jedenfalls. Statistiken, um das zu beweisen, fehlen interessanterweise - mir hat mal einer gesagt, sie seien politisch nicht erwünscht. Aber ich will heute ja nichts beweisen.
Warum fehlen die an diesen Fächern interessierten Oberstufenschüler? Jetzt wird es spannend, aber, um die übliche Antwort sofort zu konterkarieren, eben nicht nur weil der Arbeitsmarkt für Ingenieure und Naturwissenschaftler so schlecht war - er ist es übrigens, am Rande bemerkt, gar nicht mehr. Die Frage, die sich nun stellt, warum denn bei uns der Arbeitsmarkt in diesem Bereich darniederlag, während man sich in Amerika um Ingenieure praktisch prügelt, will ich gar nicht weiterverfolgen; sonst kommen wir heute nicht mehr zum Ende. Sondern ich will nur anschließen an die Hauptthese meiner Polemik:
Junge Leute wenden sich nicht nur von der Naturwissenschaft und Technik ab, weil der Arbeitsmarkt negative Signale gab, sondern auch und insbesondere, weil die Gesellschaft ihnen zunehmend die falschen Signale gibt. Die Gesellschaft sind wir zwar alle, aber für das gesellschaftliche Bewußtsein, falls es so etwas gibt, sehe ich die Verantwortung doch sehr viel mehr auf der Seite der Meinungsbildner und Leitfiguren aus dem Politikbereich, als bei uns Naturwissenschaftlern und Ingenieuren.
Wir können nicht die Schulen reformieren und wir können auch nicht den Bewußtsseinsstand der Gesellschaft so nebenbei mal ändern. Wir können den Schulen Angebote zur Kooperation auf allen Ebenen machen und wir tun das auch - meist ohne große Resonanz - und wir können unseren Studierenden immer noch - wie lange noch? - ein Spitzenangebot in der Ausbildung machen; sie werden sich hinter keinem anderen Ingenieur dieser Welt verstecken müssen. Zwei Beispiele dazu: Eine geplante Kooperation via Internet mit einem Deutschlehrer! - im Manuskript steht hier ein Ausrufezeichen, ich hoffe, man hat es gehört - mit einem Deutschlehrer und seinen Schülern, ist am Rektor des Gymasiums gescheitert, denn sowas haben wir doch noch nie gemacht. Positiv dagegen: Der erste Materialwissenschaftler, den wir für ein Auslandsjahr auf eine amerikanische Eliteuniversität geschickt haben, hat sich prompt an die Spitze seiner dortigen Klasse gesetzt.
Nochmals: Wir können nicht die Schulen reformieren und wir können auch nicht den Bewußtsseinsstand der Gesellschaft so nebenbei mal ändern. Sie aber, meine Damen und Herren aus der politischen Kaste, Sie können das tun und Sie müssen das tun. Werden Sie aktiv! Wo bleiben beispielsweise:
  Sonderprogramme, Mittel und Anreize, um in den Mittelstufen und Oberstufen naturwissenschaftliche Arbeitsgemeinschaften wieder oder erstmalig einrichten zu können? Mit einem Bruchteil des Geldes, das Sie den Fachhochschulen und uns abgenommen haben, ließe sich sehr viel machen. Wir helfen da gerne mit, bis hin zur Abstellung von wiss. Mitarbeitern, die solche AGs betreuen.
  Wo bleiben die Initiativen, um die völlig überalterte Lehrerschaft im mathematisch- naturwissenschaftlichen Bereich zu verjüngen?
  Wo bleiben die Initiativen der Politiker inkl. ihrer Frauenbeauftragten, um vor allem die Mädchen früh - spätestens in der Mittelstufe des Gymnasiums - an wissenschaftliche Themen heranzuführen? Unseren Projektvorschlag dazu haben sie abgelehnt!
  Wann sind unsere öffentlichen Einrichtungen und deren Repräsentanten auf allen Ebenen - ich nehme hier selbst die Universität nicht aus - mal nicht mehr die letzten bei der Einführung neuer Technologien, sondern die ersten - wir nehmen als Beispiel ganz prosaisch nur mal das Thema EDV in der öffentlichen Verwaltung?
  Wann werden Firmengründer, nicht mehr gleichzeitig schwer behindert und verschärft gefördert? Unsere Studierenden, denen wir seit einiger Zeit Existenzgründungsseminare oder ähnliches anbieten, erzählen mir häufig, daß sie letztlich gelernt haben, daß eine Firmengründung in Deutschland für einen normalen Menschen praktisch nicht mehr möglich sei. Vielleicht sollten wir mit diesen Seminaren aufhören, denn eine Firma gründet nur noch, wer nicht weiß, was auf ihn zukommt.
  Wann darf man Leistung wieder ohne schlechtes Gewissen fordern und, und darauf kommt es mir an, dabei vermitteln, daß Leistung enormen Spaß macht? Wir haben hier, um das mal beiläufig zu erwähnen, nach dem Willen des Personalrats feste Arbeitszeiten in der Forschung.
  Wann werden Sie zur Kenntnis nehmen, daß das Durchschnittsalter, mit dem heute ein Studium begonnen wird, bei 23 Jahren liegt, daß wir daran nichts ändern können, und daß der anschwellende Ruf nach Verkürzung der Studiendauer ziemlich sinnlos ist, solange sich daran nichts ändert? Wann entfällt der Wehrdienst für Studenten; wann kann man seinen Ersatzdienst beim Studium ableisten? In anderen Ländern soll es sowas geben.
Aber jetzt bin ich in´s bedeutend allgemeine abgerutscht und höre lieber auf. Lassen Sie mich zusammenfassen: Wenn nicht Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren Politiker, möglichst schnell erkennen, daß mit Juristen, Gesellschafts- und Geisteswissenschaftlern zwar Staat zu machen ist, aber nicht Wirtschaft - und damit kein Geld - dann wird es eng in Deutschland. Sicher, Sie können sich sagen - auch viele von uns tun das - der ausbleibende Nachwuchs ist ein vorübergehendes Phänomen, der Schweinezyklus ist am Werk, da muß man nichts tun. Vielleicht stimmt das ja auch, vielleicht auch nicht - es bleibt aber nicht nur ein ein Restrisiko wie beim Kernkraftwerk und beim Wachtelkönig, sondern sogar ein richtiges Risiko. Und das ist Euer Risiko, verehrte Politiker, nicht so sehr unseres. Denn wir finden auch im Ausland noch Arbeit, Sie nicht; netterweise hat das Herr Walter von der Deutschen Bank heute morgen in den Kieler Nachrichten bestätigt.
Und denken Sie auch daran: Nicht nur die Wirtschaft beruht weitgehend auf Technologie, auch die liebe Kultur, die ja in Deutschland mit dem Alleinvertretungsanspruch der Geisteswissenschaft betrieben wird, auch unsere hochgeschätzte Kultur gründet sich viel mehr auf die moderne Naturwissenschaft und Technik, als viele wahrhaben wollen. Arno Schmidt sagt dazu:
"Wer Dichtung will, muß auch die Schreibmaschine wollen"; oder, noch pointierter:
"Ist doch das schlechte Geheimnis dieser Leute, daß sie nicht der Technik abhold sind, sondern den Wissenschaften".
Und damit hat er nicht nur grüne und andersfarbige Esoteriker gemeint. Wen er sonst noch gemeint hat, will ich noch mal offen lassen; Sie können es in Zettels Traum nachlesen.
 
 
 

Überleitung

Wenn ich ein Politiker wäre, würde ich jetzt noch einen Abgesang anschließen, der als Kontrastprogramm noch ein paar Glanzlichter der Fakultät präsentiert. Ich werde das nicht tun, oder besser gesagt, erst ganz zum Schluß dieser Veranstaltung; ich verspreche auch, daß es ganz kurz sein wird.
Ich möchte jetzt die anwesenden Absolventen des letzten halben Jahres verabschieden und ihnen die Diplomurkunden überreichen. Eine persönliche Genugtuung ist es mir dabei, daß heute der erste Materialwissenschaftler fertig ist, der auch noch in der Regelstudienzeit sein Diplom geschafft hat. Er ist darüberhinaus sogar ein Ausländer, ein Schweizer, daran können Sie sehen, daß wir sogar die Öffnung der Studiengänge zum Ausland hin schon haben.
 
 

Überreichung der Diplome

Ich bitte jetzt Herrn Dr. Murmann, den Vorsitzenden unseres Fördervereins, die Preise des Fördervereins für die besten Vordiplome zu übergeben. Die Preise für das beste Diplom gibt es dann auf dem Sommerfest, und, um einige Sorgenträger zu beruhigen, dann wird auch ein Materialwissenschaftler dabei sein.

 

 Schlußwort

Ich möchte Sie nicht ins geselligen Beisammensein entlassen ohne Herrn Gansel ganz herzlich zu danken, daß er sich die Zeit genommen hat, auf unserem Winterfest die Festrede zu halten. Herr Gansel, Sie sind einer der Politiker, der sich durch meine Polemik nicht sonderlich getroffen fühlen muß - das hat schon Ihre Rede klargemacht. Aber es gibt auch noch einen anderen Grund: Sie gehören zu den wenigen Politikern, und ich glaube, dies ist allgemein bekannt und anerkannt, die, genau wie wir Ingenieure, Probleme haben zu lügen, oder wie man vornehm sagt, wissentlich die Unwahrheit zu sagen. Sie sind also im Herzen ein Ingenieur, auch wenn Sie, wie so viele heutzutage, versehentlich was anderes studiert haben.
Nun aber, wie angedroht, noch ein paar Spotlights auf besondere Aktivitäten der Technischen Fakultät:
  Sie alle haben gehört, daß wir den Wettbewerb "Jugend Forscht" ausrichten. Er wäre dieses Jahr in Schleswig-Holstein fast ausgefallen, da die Techologiefirmen, die das normalerweise tun, so schnell krank werden oder sterben, daß die Organisation mit dem Anwerben anderer Firmen nicht nachkommt. Es kostet uns was; Briefe mit Spendenaufrufen sind bereits zahlreich verschickt. Auch hier wird der Förderverein wieder instrumentell sein - ohne ihn wäre das Ganze gar nicht möglich - ich bedanke mich bei den Mitgliedern und beim Vorstand und bitte alle, die sich das noch überlegen, jetzt dem Förderverein beizutreten. Natürlich versprechen wir uns mit "Jugend Forscht" einen massiven Werbeeffekt an den Schulen; hoffen wir, daß es wirkt. Sie sind alle herzlich eingeladen, sich die Exponate am 13.3.98 anzuschauen.
  Wir werden immer wieder aufgefordert, zukünftig auch Vertreter aus der Wirtschaft für Lehrveranstaltungen zu gewinnen, um unseren Studierenden unmittelbare Einblicke in Themen wie z.B. Firmengründungen, Innovationsmanagement oder Projektmanagement zu ermöglichen. Ich lächle dann immer, weil das bei uns schon läuft. In diesem Semester kam zum bestehenden Angebot die Veranstaltung "Unternehmerische Praxis für Ingenieure - von "soft skills" bis zur modellhaften Existenzgründung" dazu. Dozent ist Herr Dipl.-Ing. Ralf Gorath, der Chef der Firma MLP Finanzdienstleistungen in Kiel. Ich sage das nicht nur, weil ich Herrn Gorath ganz herzlich danken möchte, sondern weil das Ergebnis dieser Lehrveranstaltung in Form von drei virtuell gegründeten Firmen - von denen übrigens eine vielleicht gar nicht so ganz virtuell bleiben wird - in der Eisdiele besichtigt und diskutiert werden kann. Herr Gorath wird im Sommersemester wieder hier lehren; zusätzlich läuft das Existenzgründungsseminar der IHK - bezahlt natürlich vom Förderverein - und weitere Veranstaltungen, die ich aber nicht alle aufzählen möchte.
  Wichtig zum Vormerken ist der Termin unseres Sommerfestes: Es findet am 12.6.98 statt; Festrednerin wird die Ministerpräsidentin, Frau Heide Simonis, sein. Am Nachmittag wird es einen Tag der offenen Tür für Familienangehörige und für Mitglieder der CAU geben; gefolgt am 13.6.98. vom Tag der offenen Tür für alle. Sie sind alle herzlich dazu eingeladen.
  Ein letzter Hinweis: Wenn Sie sich jetzt gleich in Richtung Eisdiele zu den Häppchen begeben, werden Sie dort eine Besonderheit entdecken. Unsere Fr. Jungo, die an 4 Tagen der Woche als Dekanatssekretärin den Laden schmeißt, betreibt am 5. und wahrscheinlich 6. Tag einen Weinhandel mit ausgesuchten Schweizer Weinen; am 7. Tage wird sie dann, wie ich hoffe, ruhen. Auf Kosten des Fördervereins, der wie immer auch diese Fest finanziert, können Sie jetzt mal probieren, ob sich unsere Auslandskontakte - auch Fr. Jungo ist aus der Schweiz - auch außerdienstlich lohnen.
   
Diese Rede sollte ein bißchen aufrütteln oder zumindest zum Nachdenken Anlaß geben. Kommentare könnne Sie gerne per e-mail abgeben.

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HTML-Version von: Helmut Foell, erstellt am 07.02.98 13:02

© H. Föll