Die Technische Fakultät der CAU

Festrede anlässlich des Stiftungsfestkommers des Corps Alemannia Kiel Feb. 2005

1. Einleitung

Es ist mir eine Ehre, in Ihrer altehrwürdigen Verbindung die junge und noch nicht ehrwürdige Technische Fakultät kurz beleuchten zu dürfen. Ich tue das gerne, denn wie mir gesagt wurde, finden unsere Studie-rende zunehmend den Weg zum Corps Alemannia. Ich sehe das uneingeschränkt positiv, nicht nur weil man Ingenieurstudierenden ja gerne etwas unterentwickelte soziale Kompetenz nachsagt, sondern weil ich der Meinung bin, dass zu den neuen, angelsächsisch-amerikanisch gefärbten Studienstrukturen, auch eine sehr viel intensivere Identifikation mit der Universität gehört als bisher. Die dazu notwendige Sozialisierung wird nun aber nicht in Studierendensekretariaten und Prüfungsämtern bewirkt, sondern vor allem auch in Fraternities, Sororities und den zugehörigen Alumni Clubs. Im Gegensatz zu den neuen Studienstrukturen, müssen wir aber Fraternities nicht neu erfinden, wir müssen noch nicht mal die englischen Ausdrücke übernehmen, sondern wir haben die entsprechenden Einrichtungen schon, sogar schon deutlich länger als die Amerikaner.
Lassen Sie mich zunächst den etwas sehr allgemeinen Titel etwas eingrenzen: Ich werde in den nächsten 30 Minuten zunächst mal kurz eingehen auf
Die Historie der Technischen Fakultät.
Danach dann kurz ein paar Bemerkungen zum Selbstverständnis, sozusagen zum, wie das neudeutsch heißt, "Mission statement" der Technischen Fakultät.
Zum Schluss dann ein paar Worte zu den derzeitigen Herausforderungen, zur Zukunft, insbesondere zu den neuen Bachelor- und Masterstudiengängen und zum Thema Technologietransfer.
 

2. Historie

Ich stelle mir die Gründungsphase der TF etwa so vor: So Ende der 90er Jahre war wohl mal jemand von der Landesregierung in Pennsylvania, und hat entlang der Highways große Schilder gesehen, mit der Aufschrift: Look around you. Everything that was not created by God, was created by engineers. Zurück in Schleswig-Holstein kam dann die Erkenntnis, dass dieser Spruch einerseits was hatte, aber andererseits viel Dinge zu sehen waren, die nicht von einheimischen Ingenieuren stammten, noch nicht mal von deutschen. Das galt vor allem für die innovativen Sachen.
Bei Gott war man nun nicht ganz sicher, ob er Schleswig-Holsteiner war - aber da man konnte man sowieso nichts machen. Bei Ingenieuren für innovative Sachen, also für Sachen, die es vor ein paar Jahren noch gar nicht gab, also bei wissenschaftlich ausgebildeten Ingenieuren mit Universitätsabschluss, da ließ sich was machen!
Die Technische Fakultät wurde gegründet, und zwar, in eher landesatypischer Weise, in Rekordzeit. Einige Daten dazu:
  • 1990 wurde eine Gründungskommission eingesetzt; die Ausschreibungen für die ersten Professuren folgten im Dez. 1990.
  • Im März 1991, 4 Monate nach Ausschreibung (!!!), ergingen bereits die ersten Rufe, im September 91 waren die ersten beiden Professoren vor Ort, 3 Wochen später begann der Studiengangs Elektrotechnik! Das ist Deutscher Rekord und ich bin stolz darauf; denn ich war einer der beiden ersten Professoren. Die Basis für den 1. Studiengang waren ca. 20 Seiten Gedrucktes; das behalten wir mal im Gedächtnis, denn das brauchen wir noch mal.
  • Im Februar 1992 zogen alle 12 Fakultätsmitglieder dann ans Ostufer, immer unter der Fiktion, dass wir schon bald in ein neues Gebäude auf dem Campus zurückziehen würden. Im Okt. 92 war dann Beginn des neuen Studiengangs Materialwissenschaft. Weitere Studiengänge kamen dazu; ich will Sie mit einer Aufzählung jetzt aber nicht langweilen.
  • 1996 fand das erste Sommerfest der TF statt, mit feierlicher Übergabe der ersten drei Diplome in Elektrotechnik - nach genau 4,5 Jahren Studiendauer. Veranstaltungen dieser Art haben inzwischen Schule gemacht, was uns sehr freut.
  • 1996 kam dann aber auch ein Minimalstrukturplan, und damit der Beginn der immerwährenden Kürzungen. Die Technische Fakultät war zu diesem Zeitpunkt etwa zu 60 % aufgebaut; zu mehr sollte es dann auch nicht reichen.
  • 1999 begann des internationale Master-Studiengang "Materials Science and Engineering", übrigens komplett in Englisch. Das war der 2. Masterstudiengang der CAU, und der erste materialwissenschaftliche Masterstudiengang in Deutschland. Außerdem wurde in 1999 der klassische Diplomstudiengang Wirtschaftsingenieur Elektrotechnik zusammen mit der WiSo Fakultät begonnen.
  • 2001 wurde ein internationaler Master of Digital Communications, und 2002 ein deutscher Bachelor der Informatik eingeführt
Aber nun genug der Historie; ich möchte nun etwas zum Selbstverständnis der Technischen Fakultät sagen.
 

3. Selbstverständnis

Im Gegensatz zu manchen Firmen, muss sich eine Uni-Fakultät um ihr "Mission statement", um ihr Selbstverständnis, nicht allzu viele Gedanken machen, denn es steht zunächst mal im Hochschulgesetz. Dort ist festgehalten:
  • Die Hochschulen dienen entsprechend ihrer Aufgabenstellung der Pflege und der Entwicklung der Wissenschaften und der Künste durch Forschung, Lehre, Studium und Weiterbildung.
  • Die Hochschulen fördern den Wissens- und Technologietransfer.
Das gilt zunächst auch für die Fachhochschulen. Die TF ist aber Teil der Universität; und das ist nicht eine Art angegliederte Fachhochschule. Worin der Unterschied Uni - Fachhochschule mal lag, heute liegt, in ein paar Jahren voraussichtlich liegen wird, und eigentlich liegen sollte, ist ein unerschöpfliches Thema, verschränkt mit, und erheblich chaotisiert durch die Bachelor-Master Thematik. Ich werde im Folgenden gelegentlich darauf zurückkommen, will aber hier nicht direkt darauf eingehen. Die TF ist Teil der Universität, und das Gebot der Entwicklung der Wissenschaften durch Forschung heißt dann eindeutig, dass wir primär neues Wissen schaffen, nämlich durch Grundlagenforschung - was aber die spätere Anwendungen der Forschungsergebnisse keineswegs ausschließt.
Was bedeutet nun Grundlagenforschung in der Elektrotechnik, oder in der Materialwissenschaft? Ich will das an einigen Beispielen schlaglichta-tig illustrieren. Die universitäre elektrotechnische Forschung befasst sich, entgegen einem allgemeinen Vorurteil, so gut wie gar nicht mit dem Zusammenlöten von irgendwelchen elektrischen Komponenten, um eine neue Sorte Kasten mit Kabeln dran oder mit Batteriefach zu bauen, sondern erscheint, von außen betrachtet, in vielen Ausprägungen eher als ein Zweig der Mathematik.
Wer zum Beispiel glaubt, dass ein Handy eine Art verkleinertes Funkgerät sei, das mit dem was man hineinspricht irgendwelche Funkwellen moduliert und dann losschickt, wer das glaubt, liegt völlig daneben. Einer der Schlüssel zum Handy liegt in der Codierung des zu übertragenden Signals derart, dass möglichst wenig bits übertragen werden müssen. Ein Handy macht das so, dass nur ein kleiner Teil des Inputs überhaupt übertragen wird, denn der Rest lässt sich bei Sprache schätzen und dann re-konstruieren. Sie sagen Alemannia, übertragen wird aber nur "¥¢¤", den Rest errechnet der Empfänger. Dazu ist ein gigantischer Rechenaufwand nötig, aber die dazu notwendige Hard- und Software kann eben erst erstellt werden, wenn die Codierungsprinzipien, die zum Beispiel Lehrstühle für Systemtheorie erstellen - und das sind zentrale Bereich der Elektrotechnik - nicht nur im Prinzip existieren, sondern auch in der Praxis, und darüber hinaus international genormt und in harten Formeln dokumentiert sind.
Lassen sie mich ein bisschen ausführlicher auf Forschung in meinem eigenen Gebiet, der Materialwissenschaft, eingehen. Ein kleiner Teil der wirtschaftlichen Misere in Deutschland, behaupte ich mal, liegt auch darin, dass man hierzulande noch erklären muss, was das denn ist. In den USA, Japan, usw. muss man das längst nicht mehr. Dort ist Materialwissenschaft inzwischen ein großes Fach an den Unis, weil eben nicht nur den Insidern, sondern auch den Politikern und der Gesellschaft dort klar geworden ist, dass Fortschritte in nahezu jeder Technik immer mit neuen Materialien und ihrer Beherrschung gekoppelt sind. Ein schnelles, gerade mal drei Wochen altes Zitat aus einer der internationalen Zeitschriften dazu: "An der Spitze der Wunschliste der Halbleiterindustrie steht ein Dielektrikum, mit einer großen Dielektrizitätskonstante für die Gates der Transistoren. Unglücklicherweise, trotz jahrelanger Arbeit, gibt es noch keine einfache Lösung. Der derzeitige Spitzenreiter ist Hafniumoxynitrid".
Dazu ein Kommentare: Die bisher erfolglose jahrelange Arbeit wird international von Materialwissenschaftlern gemacht, die sich allerdings gelegentlich auch noch Festkörperphysiker oder -chemiker nennen - ja von wem denn sonst? Und sie können ruhig davon ausgehen, dass auf diese Materialfrage, die nur eine von vielen in der Halbleiterei ist, weltweit schon mehrere 100 Millionen € geworfen wurden. Trotzdem kein Erfolg? Sind die denn alle blöd? Nun ja, alle bestimmt nicht. Sondern es ist halt nicht so einfach. Selbstredend muss das alles noch "Nano" sein, und ohne ziemlich tiefe und gründliche Kenntnisse der Materie, die ganz eindeutig wissenschaftlich fundiert sein muss, braucht man erst gar nicht anfangen. Man kommt auf Hafniumoxynitrid nicht durch Tüfteln in der Garage, sondern durch fundiertes Wissen darüber, was genau auf atomarer Ebene die fundamentalen Eigenschaften der Materie bedingt und wie man diese Eigenschaften optimieren und manipulieren kann.
Wie funktioniert eine Solarzelle? Das sagen einem die Physiker in großem Detail. Aber wie macht man eine Solarzelle, und zwar nicht nur eine, sondern mindestens eine pro Sekunde in einer normalen Fabrik? Das wissen die Physiker nicht, aber durchaus entsprechend ausgebildete Fachhochschulingenieure.
Wie macht man nun Solarzellen billiger, besser, und nicht nur eine pro Sekunde, sondern 10 - 50? Das wird in den nächsten Jahren die Internationale der Materialwissenschaftler herausfinden müssen, denn das geht nicht mehr durch Ausknautschen der vorhandenen Technologie, sondern allenfalls durch neue Materialien und neue Prozesse. Vielleicht nehmen wir Kupferindiumdiselenid? Wir werden sehen.
Jeder von Ihnen hat daheim einen Sensor, der auf dem erst vor etwa 10 Jahren ent-deckten Gigantomagnetowiderstandsphänomen beruht. Und zwar als Lesekopf in der Festplatte. Wahrscheinlich wissen sie das gar nicht, aber ganz von selbst hat sich die Kapazität der Festplatten nicht nahezu verhundertfacht in den letzten 10 Jahren. Nicht mal unser Staatsdefizit steigt so rasch, obwohl die Politiker sich redlich mühen. Der giganto-magnetowiderstandsbasierte Lesekopf ist ein ziemlich trickreiches kleines Dingens, bestehenden aus dünnsten Schichten spezieller Materialien, und ganz viel Quantentheorie. Denn dieses Leseköpfchen ist, wie im Übrigen so ziemlich alles im PC, im Laser, im Magnetresonanztomograph, usw., ein reinrassiges Produkt der Quantentheorie und der statistischen Thermodynamik. Wie's funktioniert wissen die Physiker. Wie man's macht, die Materialwissenschaftler.
Was will ich damit sagen? Idealerweise erhält man Materialwissenschaftsingenieure, indem man sie erst mal ein komplettes Physikstudium sowie ein halbes Chemiestudium durchlaufen lässt. Darauf setzt man dann das eigentliche Ingenieurstudium, und würzt noch etwas mit Betriebswirtschaft. Mit etwas Auslandserfahrung, verhandlungssicherem Englisch in Wort und Schrift, eventuell noch einem Dr.-Titel und einem Alter unter 30, ist man dann qualifiziert genug, um sogar einen Job in der einschlägigen Industrie zu bekommen.
Aber Spaß beiseite: Was ich eigentlich damit nur sagen will ist: Ein Studium der Materialwissenschaft mit Abschluss Diplom-Ingenieur gehört nicht nur an eine Universität, es wird dort sogar unter die schweren Studiengänge gerechnet werden - wie die anderen Ingenieurstudiengänge auch. Ein derartiges Studium ist ein grundlagenbetontes Studium mit viel Mathematik und Theorie. Wir hören wohl den Ruf nach mehr Praxisorientierung usw., aber in den harten, mathematisch orientierten Wissenschaften gilt halt immer noch der Spruch: Es gibt nichts Praktischeres als eine gute Theorie.
Mit Fakten und Erfahrungen allein, mit jeder Menge von nur Information, können sie die Studierenden beliebig zuschütten. Gegen Information hilft nur Bildung sagte Hubert Markl, und recht hatte er! Damit ist, hoffe ich, unser Selbstverständnis und unsere Einstellung zum Thema "Technische Fakultät als Teil der Universität" klarer geworden.
Aber es gibt auch andere Vorstellungen und Erwartungshaltungen, zum Beispiel in einer Regierung, die dem Ideal des Schönen und Wahren mehr abgewinnen kann als dem guten Baren.
Die TF soll dann, bitteschön, primär nur nützlich sein, Arbeitsplätze schaffen und Firmen gründen, damit die lästigen Finanzprobleme endlich aufhören, und man sich wieder mit Inbrunst der sozialen Gerechtigkeit und dem Schutz des Wattwurms widmen kann! (Mehr dazu im Link)
Aber so einfach ist das nicht Schon Lichtenberg sagte: "Es gibt kein größeres Hindernis des Fortgangs der Wissenschaften als das Verlangen, den Erfolg daran zu früh zu verspüren", und das gilt auch heute noch.
 

4. Heutige Herausforderungen

Vor welchen Herausforderungen steht die TF heute? Welche Probleme haben wir mit uns selbst, welche werden uns aufoktroyiert? Wie gehen wir damit um? Das ist ein unendliches Thema, ich muss es sofort einschränken. Worüber ich jetzt nicht reden will, ist die immerwährende Unterfinanzierung, die ungelöste Standortfrage, die für Kooperationen oder Praktika ungünstige technische Infrastruktur um Kiel herum, oder auch der zu geringe Frauenanteil - ob Sie's glauben oder nicht, wir betrachten das auch ohne Nachhilfe durch Frauenbeauftragte als ein Problem. Lassen Sie mich nur zwei Themen herausgreifen:
  • Neue Studiengänge unter Bachelor und Master Vorzeichen.
  • Forschung bis zum Technologietransfer, oder gar bis zur Firmengründung.
Ein Grundproblem der Ingenieurstudiengänge bei uns, und in allen anderen deutschen Universitäten auch, sind die nach wie vor zu geringen Anfängerzahlen in den harten Ingenieurdisziplinen - bei uns Elektrotechnik, Materialwissenschaft und Ingenieurinformatik. Wir haben das zwar kompensiert oder sogar überkompensiert durch hohe bis sehr hohe Zahlen in den internationalen Studiengängen oder beim Wirtschaftsingenieur Elektrotechnik, aber das Problem ist deshalb nicht verschwunden. Interessanterweise wird das in weiten Bereichen der Gesellschaft als unser Problem und nicht als ein sehr spezifisch deutsches gesellschaftliches Problem gesehen.
Um das ganz drastisch zu illustrieren, zitiere ich mich mal selbst: Auf dem Winterfest der TF 1998 hielt ich eine Rede, bei der ich sinngemäß folgende Aussage machte: Die zukünftige Volkswirtschaft in S.-H kann, nach Maßgabe der Anfänger-zahlen der CAU, in 5 Jahren über folgenden wissenschaftlich ausgebildeten Nachwuchs verfügen: 400 Juristen und 55 Ingenieure. 255 Soziologen und Politologen und 40 Chemiker. Viele 100 Sprachwissenschaftler aller Ausprägungen und 40 Physiker. Es wird dann eine schöne und interessante Herausforderung für die 500 Wirtschaftswissenschaftler sein, die es auch geben wird, auf dieser Basis das Technologieland Schleswig-Holstein im Hochtechnologieland Deutschland konkurrenzfähig zu halten.
Die damals avisierte Volkswirtschaft haben wir jetzt; wie gut es uns dabei geht entnimmt man täglich der Zeitung. Man kann das aber noch so oft bedauern, es nützt nichts, man muss auch was tun. Einerseits muss man um Anfänger werben, was wir intensiv tun - allerdings mit mäßigem Erfolg - andererseits muss man aber auch die Gründe analysieren und aus dem Ergebnis entsprechende Konsequenzen für die Studiengänge ziehen. Auch das tun wir, wie auch viel andere, aber selbstredend gibt es weder allgemein akzeptierte Einsichten und schon gar keine unumstrittenen Rezepte oder Wunderkuren für besser akzeptierte Studiengänge.
Kurz gesagt, die Ingenieurausbildung war und ist nicht nur der Schlüssel zu echten, das heißt nachhaltigen Innovationen; sondern sie brauchte schon vor Jahren selbst Innovationen. Da diese Innovationen von den dazu eigentlich berufenen Pädagogen, Didaktikern, Gremien und Kultusministerkonferenzen nicht erwartet werden konnten, haben wir das selbst begonnen, und zwar schon lange bevor der sogenannte Bologna-Prozeß in aller Munde war. Das war der Grund für die Einführung eines internationalen Masterstudiengangs 1999 und der anderen Neuerungen.
Eigentlich wollten wir auch gleich noch einen Bachelorstudiengang einführen, aber schon die ersten Erfahrungen dazu mit der Kultusbürokratie haben uns bewogen, das ganz schnell wieder sein zu lassen. Inzwischen hat uns die Politik der Sorge um neue Studienstrukturen enthoben - wir machen jetzt Bachelor und Master zwangsweise, führen also, wenn ich den Master mal ganz grob mit dem Diplom gleichsetze, ein gestuftes System ein. Damit habe ich persönlich kein Problem, wie auch viele, aber längst nicht alle Kollegen. Im Gegenteil, ich halte ein gestuftes System für eine gute Idee - im Prinzip. Dabei übersehe ich keineswegs die massiven Probleme, die ein gestuftes System in Deutschland mit sich bringt - ich zähle nur mal zweie auf:
  1. Abgrenzung Uni - Fachhochschule. Wir haben z.B. in der Elektrotechnik jetzt 7 qualitativ irgendwie verschiedene Abschlüsse: Je 2 mal Diplom, Bachelor und Master, und dann noch den Dr. Ing. - wobei es die Bachelor und Master noch in je zwei formal unterschiedlichen Varianten gibt.
  2. 2. Was geschieht mit den Bindestrichstudiengängen, z.B. dem Diplom Wirtschafts-Ingenieur, eine bisher sinnvolle und erfolgreiche Kreuzung aus Elektrotechnik und Betriebswirtschaft? Kann man sich einen Bachelor und einen Master Wirtschaftsingenieur vorstellen? Die Antwort ist: Man kann - in Deutschland. International eher nicht. Ob es in Deutschland sinnvoll ist, kann und darf man bezweifeln. Ich halte aber diese und viele andere reale Probleme für durchaus lösbar, allerdings nicht notwendigerweise in den bestehenden Strukturen.
Wo also liegt das eigentliche Problem aus meiner Sicht? Nun, es heißt ja nicht umsonst, dass es nicht genügt, das Recht auf seiner Seite zu haben, denn man muss auch mit der Justiz rechnen. In unserem Fall genügt es nicht zu wissen, wie international erfolgreiche Bachelor und Masterstudiengänge aussehen, wir müssen auch mit der juristisch geprägten und international eher unerfahrenen Kultus- und Akkreditierungsbürokratie rechnen.
Sie entnehmen dieser Polemik: Das Hauptproblem liegt meiner Meinung nach in erster Linie an dem bürokratischen Overkill, der zur Zeit stattfindet, und der sich keinen Deut darum schert, dass man Bachelor- und Mastersystematiken nicht neu erfinden muss, sondern, immer mit dem Ziel der europäischen und internationalen Harmonisierung vor Augen, eben das übernehmen sollte was bereits existiert und sich bewährt hat.
Schön wär's. Lassen sie mich plakativ illustrieren, wie die Wirklichkeit der Einführung von Bachelor- und Masterstudiengänge an der TF heute aussieht, und zwar im unmittelbaren Vergleich zur Einführung der Diplomstudiengänge so um die Jahre 91 - 93.
Damals haben wir, wohlgemerkt, wir Professoren, für die diversen Ordnungen ungefähr 20 Seiten Papier beschrieben, und das dann durch 4 Instanzen getragen - vom Fakultätsprüfungsausschuss zum Ministerium. Direkte Kosten sind keine entstanden, die Geltungsdauer nach der Genehmigung war unbegrenzt, und mit einem halben Jahr Vorlaufzeit - und etwas Glück - kam man durch.
Heute, nach diversen Verwaltungsvereinfachungen und größerer Autonomie der Universität, stellt sich die Einführung eines Bachelorstudiengangs so dar: Ungefähr 300 Seiten Papier sind zu beschreiben, selbstredend von uns, den Professoren, dann kommen jetzt 6 Instanzen, darunter die mit recht berüchtigten Akkreditierungskommissionen. Kam man früher mit etwas Glück direkt durch, oder konnte gewünschte Nachbesserungen schnell und im persönlichem Gespräch durchführen, muss jetzt mindestens eine größere Überarbeitung fest eingeplant werden, denn die jetzt bezahlten Beteiligten müssen ja irgendwie rechtfertigen, dass sie was kosten, und werden deshalb mit Sicherheit ein Haar in der Suppe finden. Direkte Kosten sind 12.000 Euro, die Geltungsdauer beträgt 5 Jahre, und man sollte mindesten 1,5 Jahre Vorlaufzeit einplanen.
Das einzig Positive, was man zum Vorgehen der Politik hier sagen kann, ist, dass es zumindest viel Raum lässt für Verbesserungen. Vielleicht noch schlimmer ist aber, dass zwar alles neu sein soll, aber sich doch bitteschön nichts wirklich ändern darf.
Schönstes Beispiel dazu: Als Masterstudiengang "Materials Science and Engineering", der sich eng an Vorbilder der uns wohlbekannten amerikanischen Eliteunis anlehnt, im 4. Jahr seines durchaus erfolgreichen Bestehens auch noch akkreditiert werden musste, wurde uns zur Auflage gemacht, Wahlpflichtfächer einzuführen. Nun ist es schon in Deutschland schwer genug, die feinen Unterschiede zwischen Pflichtfächern, Wahlfächern, Nebenfächern und technischen und nicht-technischen Wahlpflichtfächern zu verstehen; bei den Amis gibt es das so einfach nicht. Unsere bescheidene Bitte, uns doch die offizielle Übersetzung dieser Fachausdrücke zukommen zu lassen, da wir 4 Materialwissenschaftsprofessoren mit zusammen mehr als 10 Jahre Aufenthalt an amerikanischen Eliteuniversitäten zwar des Englischen hinreichend mächtig seien, aber diese Ausdrücke nicht kennen würden, wurde selbstredend ignoriert. Ähnlich die Auflage, Kapazitätsberechnungen durchzuführen. Unsere unterwürfige Bitte, uns dann doch bitteschön die einschlägigen Curricularnormrichtwerte zu nennen, die man dafür zwar unbedingt braucht, die aber von den dafür zuständigen Instanzen noch nicht erlassen wurden, bekam zur Antwort, dass man erstens nicht wisse was das sei, und wir uns, zweitens, an die zuständigen Instanzen wenden sollten. Damit sind wir jetzt 12.000 Euro ärmer geworden, haben dafür aber für einen jetzt im 6. Jahr erfolgreich laufenden Studiengang nur eine vorläufige Akkreditierung.
Andererseits, um die positive Seite zu zeigen, haben wir Ingenieure, die wir ja bekanntlich stark dem Fachidiotentum zuneigen, doch allerhand Inter- Multi- und Transdisziplinäres aus der Welt der Juristerei und Verwaltung gelernt
Nur am Rande sei noch bemerkt, dass die Politik zwar sehr für den Bachelor und Master ist, aber bisher versäumt hat, die eine Hälfte der unmittelbar Betroffenen, nämlich die Lehrenden, zu motivieren. Aus Sicht eines Professors bedeutet der Ersatz eines Diplomstudiengangs durch einen Bachelor und einen Masterstudiengang erst mal ganz schlicht erheblich mehr Arbeit in der Lehre, von der Mehrarbeit in den Gremien mal ganz zu schweigen. Mehr Vorlesungen, mehr Prüfungen, zwei Abschluss- und Studienarbeiten statt einer, und so fort. Und selbst wir weltfremden Ingenieure sind nicht so naiv anzunehmen, dass wir dafür zusätzliche Ressourcen bekommen.
Nun sind wir im allgemeinen auch nicht arbeitsscheuer als, sagen wir Ministerialräte, aber die Arbeit außerhalb der Lehre wird ja mit Bachelor- und Masterstudiengänge nicht weniger, ganz im Gegenteil. Um das mal schnell einzuflechten: Wir Ingenieure sind ja bekanntlich teuer, wie auch die Physiker und Chemiker, aber wir finanzieren eben auch einen erheblichen Teil der Kosten durch Drittmittel. Die 4-Mann Materialwissenschaft der TF hat z.B. in den letzten 5 Jahren mehr als 8 Millionen € eingeworben. Das muss man relativ zu folgenden Zahlen sehen: Typische Genehmigungsquoten bei Forschungsanträgen sind bei der DFG 30 %, bei der VW Stiftung 15 %, und vielleicht 5 % bei der EU. Andersherum gesagt, viele aufwändige Antrage schreibt man für den Papierkorb, und Antragsschreiben ist auch nicht unbedingt vergnügungssteuerpflichtig. Trotzdem wird mehr Wettbewerb gefordert! Kein Wunder, dass viele Kollegen den Bachelor / Master skeptisch sehen.
Aus den genannten Gründen habe ich auch so meine Zweifel, aber trotzdem, und das soll die Botschaft sein, will ich noch mal betonen: Im Grundsatz halte ich ein gestuftes System für unsere Studiengänge für zielführend, und, falls wir sie sinnvoll gestalten dürfen, auch für sehr attraktiv für die Abiturienten und insbesondere Abiturientinnen. Wahrscheinlich ist jetzt die Zeit gekommen, wieder mal den alten Spruch zu beherzigen, dass es meist viel leichter ist, nachträglich um Entschuldigung zu bitten, als vorher um Erlaubnis.
Lassen Sie mich zum Schluss noch das Thema Technologietransfer und Firmenausgründungen aus der Universität, und das heißt aus den einschlägigen Fakultäten heraus, anreißen. In einigen Regionen, z.B. in Leuven in Belgien, läuft das extrem erfolgeich, woanders, z.B. in Kiel, eher verhalten. Ich weiß so ein bisschen wovon ich rede, denn vor einem knappen Jahr habe ich zusammen mit 2 Mitarbeitern und einem bulgarischen Wissenschaftler eine GmbH gegründet.
In England wurde vor kurzem eine große Studie zum Thema gemacht. Der entscheidende Faktor für Misserfolg bei einigen Universitäten war die Strategie, die sogenannten Spin-off Firmen möglichst früh abzuschöpfen, das heißt möglichst schnell Einnahmen zu erzielen. Erfolgreicher waren die Institutionen, die erst mal für einige Zeit in Firmengründungen direkt oder indirekt investierten, und dabei auch in Kauf nahmen, dass der eine oder andere Euro auch mal weg war, weil die geförderte Firma es doch nicht schaffte. Indirekte Investitionen umschreiben in diesem Zusammenhang vornehm auch die Tolerierung einer, sagen wir mal Grauzone im Zusammenwirken einer frisch gegründeten Firma und der beteiligten Forschungsbereiche der Universität.
Was zumindest im technischen Bereich - reine Software vielleicht mal ausgenommen - ganz bestimmt nicht funktioniert, ist die Erwartung, dass der frischdiplomierte Ingenieur mit dem, was er in der Uni gelernt hat, die Uni dann verlässt und seine Firma gründet. Ein bisschen über das Diplom hinaus mehr man in aller Regel schon noch lernen, bevor man ein konkurrenzfähiges Produkt zustandebringt. In den Produkten unserer Firma stecken zum Beispiel gut und gerne noch mal zwanzig Mannjahre Erfahrung - deshalb kann einer alleine das sowieso nicht stemmen. Bei der CAU ist aber, wie wir lernen mussten, die Fiktion des frischdiplomierten Existenzgründers offizielles Dogma. Nach all den vielen schönen Reden zur Thematik Innovationsstandort S.-H., Firmengründungsinitiativen an den Hochschulen, usw., haben wir eigentlich erwartet, dass wir mit unserer Firmengründung zu Helden der CAU ernannt werden. Was wir - und andere - dann aber lernen mussten ist, dass wir irgendwie ein Problem sind. Nun gut, ich sage dazu nur, dass es für mich in dieser Hinsicht keine Probleme gibt, nur verschiedene Problemlösungen.
Ich denke, meine Kollegen und ich werden auch dieser Herausforderung gewachsen sein, und jetzt zunehmend die Ergebnisse unserer Forschung in der einen oder anderen Weise umsetzen.
Meine Damen und Herren, ich hoffe, dass es mir gelungen ist, sie davon zu überzeugen, dass die Technische Fakultät und Ihre Studierende für die CAU eine Bereicherung, und nicht eine Bürde sind. Wir fühlen uns als integraler Teil der CAU, und wir gehören an die CAU. Wir stellen uns den Herausforderungen die auf uns, oder besser, auf uns alle zukommen, und wir arbeiten hart, und wie unsere junge Geschichte zeigt, nicht ohne Erfolg an Lösungen.
Ich wünsche mir, dass noch mehr als bisher zusammenwächst was zusammengehört, und Ihnen einen beschwingten und anregenden Stiftungsfestkommers

© H. Föll