9.4 Zusammenfassung / Merkpunkte Kapitel 9: Amorphe Materialien

Phänomene wie Diffusion, elastische und plastische Verformung oder Bruch gibt es auch in nichtkristallinen Materialien. Die (atomaren) Mechanismen müssen aber teilweise anders sein, da es keine Kristallbaufehler wie z.B. Versetzungen geben kann. Wir unterscheiden grob und ungenau zwischen
Glas Struktur
Monomer und 
Polymer
Gläser: "Verhinderte Kristalle"
Polymere: Lange Ketten mit fast immer organischen Molekülen als Kettenglieder = Monomere.  
Wir betrachten hier nur (Kohlenstoff) Polymere. Die mögliche Strukturvielfalt ist gigantisch und ergibt sich aus den möglichen Kombinationen von:  
Unterschiedliche Möglichkeiten der Verknüpfung der Monomere (ataktisch, syntaktisch, ..).  
Unterschiedliche Kettenlängen und Kettenlängenverteilungen.  
Viele unterscheidbare Konformationen der Ketten: Von "spaghettiartig" bis kristallin.  
Mehrere Möglichkeiten Ketten an Knoten zu verknüpfen: Von simplen "Schlaufen" bis zu kovalenten Bindungen.  
In weiten Grenzen einstellbare Knotendichte (z.B durch "Vulkanisieren" (= Schwefelbrücken) beim Kautschuk.  
Mischungen verschiedener Monomere in einer Kette oder Mischungen verschiedener Ketten.  
 
Trotz der enormen Vielfalt möglicher Polymere, wird man einen "Kunststoff" fast immer sofort erkennen. Drei Grundtypen werden unterschieden:  
Volumenasudehnung 
bei Polymeren
Thermoplaste - werden mit steigender Temperatur weich oder sogar (zäh)flüssig. Damit leicht formbar.  
Duroplaste - werden mit steigender Temperatur nicht weich sondern "rauchen ab", d.h. reagieren chemisch und zerstören sich damit selbst.  
Elastomere - weniger vornehm alles was man mit "Gummiartig" bezeichnen würde.  
Viele Parameter ändern sich in charakteristischer Weise stetig mit der Temperatur, z.B. das Volumen  
Ein Schmelzpunkt TM ist nicht gut definiert; wichtiger ist im allgemeinen die GlastemperaturTG  
 
Die beiden Diagramme zeigen die wesentlichen Fakten:
Elastizitätsmodul 
Polymere
Gummielastizität und Vernetzungsgrad
Alle Polymere verringern um die Glastemperatur herum ihren E-Modul um mehrere Größenordnungen - falls sie sich nicht vorher schon zersetzen (Duroplaste).
Elastomere haben oberhalb der Glastemperatur noch ein mehr oder weniger stark ausgedehntes "Gummi"-Plateau - je nach Vernetzungsgrad.  
Die Knotendichte bestimmt den Verbeztungsgrad; es gibt viele Vernetzungsmechanismen.  
Die wesentlichen Mechanismen sind:  
Unterhalb Glastemperatur TG: Langziehen der Bindungen - wie gehabt. Formal als Verbundmaterial behandelbar: "Harte" Fasern (= kovalente -C-C- Bindungen) in "weicher" Matrix (= Sekundärbindungen zwischen den Seitengruppen).  
Um GlastemperaturTG: Matrix "schmilzt", Fasern halten noch, aber werden leicht beweglich.  
Oberhalb GlastemperaturTG: Allmähliches Verflüssigen über streichkäse- / honigartige Zustände bei wenig Vernetzung, oder "Gummiplateau" bei höherem Vernetzungsgrad.  
     
Verformungsversuche enthalten jetzt eine dynamische Komponente - die Dehnung wird u.U, stark zeitabhängig  
Zeitabhängigkeit 
der Polymerverformung
Man unterscheidet anelastisches und viskoelastiches Verhalten  
Das dynamische Verhalten läßt sich mit den zwei Basiselementen "Feder" und "Stoßdämper" leicht modelieren; diese Elemente sind definiert durch:  
   
e  =  1
E
· s
de
dt
 =  1
h
· s
 
   
Dabei sind die Viskosität e und der E-Modul stark temperaturabhängig.  
     
Gummielastizität ist ein reiner Entropieeffekt!
Gummieleastizität
Im ungedehnten Zustand entspricht die "Zufallsfaltung" einer Kette dem "Random walk", und damit maximaler Unordnung = Entropie. Der Abstand <r> zwischen Anfang und Ende entspricht der Diffusionlänge und ist  
   
<r> = r0  =   a0 · (3N)½
 
   
Gestreckt wird die Kette ordentlicher, die Entropie nimmt ab, und damit wächst die freie Enthalpie G. Die rückstellende Kraft F ergibt sich aus nebenstehendem Differentialquotient.  
F  =   G
l
 =  – T · S(r)
r
S  =   k · ln w(x,y,z) · DV
Die Entropie folgt direkt aus der Verteilung w(x,y,z)DV der mittleren Abstände zwischen Kettenanfang und Ende, d.h. der Wahrscheinlichkeit des Vorliegens des damit beschriebenen Makrozustandes.  
 
  Mit einer Gaussverteilung für w(x,y,z)DV, einem Übergang von Kräften zu Spannungen sowie Längen zu Dehnungen, und einer simplen Beziehung zwischen maximaler Kettenlänge und Knotendichte r, erhält man eine verblüffend einfache Endformel für den E-Modul

E » »  3kT · rK

Sowohl die Größenordnung (E ist sehr klein), T-Abhängigkeit und der Zusammenhang mit dem Vernetzungsgrad = Knotendichte wird richtig (wenn auch nur in Näherung) wiedergegeben.  
Die "Chemie" jedoch spielt keine Rolle!  
   
Bei Temperaturen deutlich kleiner oder größer als die Glastemperatur TG sind die Verhältnisse einfach:
Polymerstreckung
Polymer Crazing
Für T < TG ist das Polymer mehr oder weniger "spröde"; es bricht nach relativ kleiner Verformung
Für T > TG ist das Polymer mehr oder weniger viskos; es "fließt" wie Streichkäse oder Honig.  
Wichtiger sind neue Verformungsarten im Bereich der Glastemperatur, die es praktisch nur bei Polymeren gibt:  
Streckung bringt die Ketten permanent (im Gegensatz zu zum gummiartigem elastischen Verhalten) aus einer geknäuelten in eine gestreckte Konformation.  
Typisches Beispiel: Manche Folienhüllen oder Bonboneinwicklungen langziehen.  
"Crazing" ist eine Mischform zwischen Sprödbruch und Streckung: Mikrorisse wachsen, aber langsam weil in ihrem Innern noch Ketten gestreckt werden.  
Typisches Beispiel: Geodreieck oder Lineal biegen.  

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© H. Föll (MaWi 1 Skript)