Potentiale 2


In der mehr mechanischen Definition eines Potentials A(r) war die Differenz A(r2) - A(r1) gleich der Arbeit die zu verrichten ist, um von r1 nach r2 zu gelangen.

Der entscheidende Punkt war, daß diese Differenz nicht vom Weg abhängt, solange die wirkenden Kräfte F am Ort r als Ableitung des Potentials definiert werden können, es muß gelten
F(r)=gradA(r).
Dies sind die wohlbekannten Beziehungen für mechanische und elektrostatische Potentiale. Kennt man das Potential eines schweren oder geladenen Teilchens und seinen Impuls, weiß man eigentlich alles, was man wissen muß (und kann). Die Vorgeschichte (wie und auf welchem Weg) das Teilchen zur Position r gelangte, an der das Potential A(r) vorliegt, ist unerheblich. Potential und Impuls zusammen definieren den Zustand des Teilchens.
Man kann den Begriff des Potentials zunächst verallgemeinern, indem man generalisierte Koordinaten zuläßt, d.h. beliebige Variable (und ncht nur Ortskoordinaten) die den Zustand des Systems beschreiben. Damit können wir thermodynamische Systeme erfassen, die aus vielen Teilchen bestehen und für die Ortskoordinaten keine Bedeutung mehr haben, da nur Mittelwerte sinnvoller Größen verwendet werden können.
Betrachten wir als Beispiel die freie Energie F. Sie ist ein thermodynamisches Potential und eine Zustansfunktion, d.h. sie beschreibt gleichzeitig vollständig den Zustand von Systemen mit konstantem Volumen, Temperatur und Teilchenzahl (das rein mechanische Potential tut das nicht; wir brauchen dort noch dei Impulse der Teilchen). Eine Zustandsänderung bedingt damit auch eine Änderung für mindesten eine dieser Größen; wir können sie deshalb als generalisierte Koordinaten des thermodynamischen Potentials "freie Energie" auffassen. Es gilt:
F=thermodynamisches Potential=F(V, T, N1, ... Ni); die Ni beschreiben die Teilchenzahlen der i Teilchensorten.
Darf man das so einfach? Kann man jede thermodynamische Größe als Potential auffassen? Die Antwort lautet: Nein! Die Aussage, die Funktion P(xi) sei ein Potential zu den verallgemeinerten Koordinaten xi ist nur richtig, wenn eine Reihe von physikalischen und mathematischen Bedingungen erfüllt sind. Diese Bedingungen sind für den Fall des Gleichgewichts (d.h. alle zeitlichen Ableitungen nach den Koordinaten sind=0):
Die xi beschreiben komplett den Zustand des Systems.
Der Wert von P(xi) für einen Satz generalisierterKoordinaten ist unabhängig vom Weg und damit von der Entstehungsgeschichte bzw. der Vergangengheit. Es gilt
DP=Int(dP) vom Anfangszustand zum Endzustand=Int((dP/dx1)dx1 + (dP/dx)dx1 + ... )=PEnde - PAnfang
Damit muß immer gelten: dP ist ein totales Differential, d.h.
dP=(dP/dx1)dx1 + (dP/dx2)dx1 + ... .,
d.h. die Änderung der generalisierten Koordinaten bestimmt eindeutig die Änderung von P
Die Physik erzwingt u.U., daß eine Funktion dP ein totalesDifferential sein muß, weil sonst logische Widersprüche auftreten.
Der Zahlenwert der partiellen Ableitungen nach einer generalisierten Koordinate macht eine Ausage darüber, wie stark sich das thermodynamische Potential (d.h. immer eine Energie) ändert, wenn man an dem entsprechenden "Knopf" des Systems dreht. Das hat die Merkmale einer Kraft; man nennt diese Ableitungen deshalb gelegentlich auch generalisierte Kräfte.
Nun kann man natürlich zu jeder gegebenen Funktion F mehrer Variablen immer das totale Differential bilden; der Umkehrschluß ist aber nicht richtig. Nicht jede in differentieller Form gegeben Funktion dF ist das totale Differential zu F.
Die Bedingung, daß dP ein totales Differential sein muß ist damit dann wichtig, wenn eine Beziehung von vornherein nur in differentieller Form gegeben ist, z.B. als
dP(x,y)=g(x,y)dx + f(x,y)dy, wobei für g(x,y) und f(x,y) beliebige Funktionen zugelassen sind. Falls dP ein totales Differential ist, muß gelten
g(x,y)=dP/dx sein und f(x,y)=dP/d. Da nun für P(x,y) immer gilt
d/dy(dP/dx=d/dx(dP/dy), ist dP dann und nur dann ein totales Potential, falls gilt
dg(x,y)/dy=df(x,y)/dx

Betrachten wir Beispiele.

Der erste Hauptsatz war folgendermaßen definiert:
dU=dQ - dW. Welche der drei differentiellen Größen sind totale Differentiale und damit thermodynamische Potentiale und Zustandsfunktionen?
Hier greift die physikalische Argumentation: U muß ein thermodynamisches Potential sein, andernfalls gäbe es ein Perpetuum Mobile. Denn wenn wir von irgendeinem Anfangszustand U1, charakterisiert durch soviele Koordinaten wie wir wollen (z.B. Druck p1, Volumen V1, Temperatur T1) in einen 2. Zustand übergehen, charakterisiert durch U2 mit p2, V2, Temperatur T2, indem wir beispielsweise die Wärmemenge Q1 zuführen (Weg 1), dann aber auf einem anderen Weg zurückgehen zu den selben Ausgangskoordinaten (indem wir zum Beispiel jetzt auch Arbeit entnehmen) p1, V1, und T1, jetzt aber nicht mehr U1 sondern U1´ als innere Energie bekommen, können wir einen Kreisprozeß zwischen den zuständen 1 und 2 konstruieren, bei dem in jedem Umlauf zwischen identischen Zuständen Arbeit verrichtet werden könnte - ein Perpetuum Mobile
Damit ist gleichzeitig auch klar, daß dQ und dW keine vollständigen Differentiale und damit Zustandsfunktionen sind. Man kann im obigen Beispiel mit ganz verschiedenen Wärmemengen Q vom Zustand 1 zum Zustand 2 kommen, je nachdem wieviel Arbeit das System leistet oder konsumiert. Q2 - Q1 genauso wie W2 - W1 ist also vom Weg abhängig und damit kein Potential und auch kein totales Differential.